Bei der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH hat er offenbar versagt. Dabei soll der Aufsichtsrat kontrollieren und strategisch beraten – auch Unternehmen in öffentlicher Hand. Seine Mitglieder dort sind aber häufig Politiker, die Sitzungen verpassen und am Ende nicht haften. Bis jetzt. Ein guter Moment für einen Wandel, meint Corporate Governance-Spezialistin Daniela Weber-Rey im LTO-Interview.
LTO: In dem Desaster um den Berliner Flughafen fokussiert sich die Diskussion zunehmend auf den Aufsichtsrat. Klaus Wowereit ist als dessen Vorsitzender zurückgetreten, um die Verantwortung für die jahrelange Verzögerung des Bauprojekts zu übernehmen. Frau Weber-Rey, was genau ist die Aufgabe eines Aufsichtsrats?
Weber-Rey: Die wesentliche Aufgabe des Aufsichtsrats ist die Kontrolle des Vorstands und die Beratung hinsichtlich der Strategie nach vorn. Dafür hat das Gremium sich die wesentlichen Informationen zu verschaffen – dass es diese bekommt, dafür muss der Vorstand sorgen. Aber der Aufsichtsrat muss auch selbst nachhaken, wenn er das Gefühl hat, nicht genügend Infos zu haben.
In diesem Zusammenhang ist eine Vorschrift aus dem Public Corporate Governance Kodex von Brandenburg sehr interessant, nämlich Ziffer VI. 3.6 Abs. 2. Zunächst wird wie üblich geregelt, dass die Geschäftsführung den Aufsichtsrat regelmäßig, zeitnah und umfassend über alle für das Unternehmen bedeutsamen Fragen der Planung, Geschäftsentwicklung, Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance informiert. Aber dann kommt es: "Sie geht auf Abweichungen des Geschäftsverlaufs von den aufgestellten Plänen und Zielen unter Angabe der Gründe ein."
LTO: Ist diese Regelung ungewöhnlich?
Weber-Rey: Ja, dieser Satz findet sich im deutschen Corporate Governance Kodex nicht, der für die börsennotierten Unternehmen gilt, und wirkt verschärfend.
"Die Regeln für öffentliche Unternehmen gehen weniger weit"
LTO: Ist es denn zutreffend, dass – wie jetzt zunehmend moniert wird - die derzeitigen Corporate Governance-Vorgaben den Aktionär besser schützen als den Steuerzahler? Gelten für rein private Unternehmen strengere Regeln als für Unternehmen mit öffentlicher Beteiligung?
Weber-Rey: Das kann man in dieser Allgemeinheit nicht sagen. Der Deutsche Corporate Governance Kodex gilt in erster Linie für börsennotierte Aktiengesellschaften. Und das Aktienrecht gilt für alle Aktiengesellschaften und teilweise durch Verweisungen auch für GmbHs – auch wenn sie in öffentlicher Hand sind. Der öffentliche Corporate Governance Kodex von Brandenburg greift auch dann ein, wenn der Deutsche Corporate Governance Kodex nicht gilt. Dort allerdings geht er tatsächlich weniger weit.
LTO: Inwiefern?
Weber-Rey: Er ist 2010 aufgestellt und seitdem nie verändert worden. Er hat also die Entwicklung des Deutschen Corporate Governance Kodex nicht mitgemacht.
Es gab in den letzten Jahren eine ungeheure Entwicklung auf dem Gebiet, ausgelöst durch die Finanzmarktkrise. Es wurde festgestellt, dass Mängel der Unternehmensführung zwar nicht Auslöser der Krise, aber doch mitverantwortlich für diese waren. Dann hat man sich auf verschiedene Punkte konzentriert, dabei ging es auch um Zusammensetzung und Kompetenz des Aufsichtsrats – und da hat sich viel getan, nicht nur im Finanzsektor.
LTO: Aber all das wurde nur für den privaten Bereich neu geregelt?
Weber-Rey: Ja, und der Public Corporate Governance Kodex Brandenburg hat einfach nicht nachgezogen. Die Unternehmen, deren Beteiligungsgesellschaften in öffentlicher Hand sind, hat man weniger im Visier gehabt.
Dabei hat die Regierung für den privaten Bereich zunehmend auf eine bessere Qualifizierung der Aufsichtsräte gepocht. In doppelter Hinsicht, nämlich bei der Zusammensetzung – Stichwort Frauenrepräsentanz –, aber auch bei der Kompetenz der einzelnen Personen. Das reicht von Hard Skills hin zu Soft Skills wie Durchsetzungsvermögen und Widerspruchsbereitschaft bis hin zur zeitlichen Verfügbarkeit.
"Keine Zeit für die Aufsichtsratssitzung? Im öffentlichen Bereich fast institutionalisiert"
LTO: Die mangelnde zeitliche Verfügbarkeit insbesondere von Politikern als Aufsichtsratsmitgliedern wird beim Projekt BER nun stark kritisiert.
Weber-Rey: Das ist auch aus meiner Sicht der heikelste Punkt. Die zeitliche Verfügbarkeit der Aufsichtsräte ist natürlich kein neuer Aspekt und im Kodex für die privaten Unternehmen schon immer verankert. Nun hat die Sache neue Brisanz gewonnen. Auch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht stellt diesen Aspekt für Banken und Versicherungen in einem kürzlich veröffentlichten Merkblatt ganz stark heraus – das ist schon ungewöhnlich.
LTO: Nimmt denn ein Aufsichtsratsmitglied eines börsennotierten Unternehmens seine Verpflichtung eher wahr als ein Politiker?
Weber-Rey: Naja, auch ein Aufsichtsrat im privaten Bereich kann natürlich eine Menge Termine haben. Dort sind es aber ganz wenige Personen. Im öffentlichen Bereich dagegen ist der Zeitdruck nahezu institutionalisiert – das will ich auch gar nicht verurteilen, das ist ein echtes Dilemma!
Der Kämmerer oder Oberbürgermeister muss regelmäßig quasi kraft Amtes eine ganze Reihe weiterer Funktionen wahrnehmen, häufig sogar als Vorsitzender des Aufsichtsrats, weil es um Beteiligungen der Stadt geht. Als Bürgermeister oder Kämmerer hat man einen richtig harten Job – dann soll er sich noch um die Verkehrsbetriebe, die Stadtwerke und die örtliche Oper kümmern? Da kommt man einfach an seine zeitlichen Grenzen.
2/2 "Man muss die Dokumente selbst lesen"
LTO: Kann ein Aufsichtsratsmitglied denn Vertreter entsenden? Im privaten wie im öffentlichen Bereich?
Weber-Rey: Im privaten Bereich ist das aufgrund des Grundsatzes der persönlichen Amtswahrnehmung nicht möglich. Dieser Grundsatz gilt auch im öffentlichen Bereich, es scheint hier aber zum Teil akzeptierte Praxis zu sein, Vertreter zu senden. Ich denke, das wird auch hinterfragt werden müssen. Denn obwohl es keine rechtliche Änderung gab, sehen wir ja heute viel mehr, dass es Aufgaben des Aufsichtsratsmitglieds gibt, die dieser nur persönlich erfüllen kann.
Auch die – auch im privaten Bereich selbstverständlich zulässige – Zuarbeit durch Mitarbeiter hat Grenzen. Ein Assistent kann nicht alles in einem executive summary zusammenfassen, die drei anstehenden Beschlüsse erläutern und dazu raten, wofür sein Chef votieren sollte. Das reicht nicht. Der Aufsichtsrat muss die Dokumente selbst lesen, um sich eine eigene Meinung zu bilden – und das führt natürlich erst recht an die zeitlichen Grenzen.
LTO: Sie sind Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Codex. Braucht es gesetzliche Änderungen?
Weber-Rey: Nein, wir sind auch nicht dabei, irgendwelche Gruppen besonders ins Visier zu nehmen. Wir haben vielmehr ein wirklich gewandeltes Bewusstsein hinsichtlich der schweren Aufgabe, die Aufsichtsräte zu erfüllen haben. Daran müssen wir die tatsächlichen Gegebenheiten langsam anpassen. Das braucht ein bisschen Zeit – erst muss das Bewusstsein kommen, dann müssen Konsequenzen gezogen werden hinsichtlich einer Beschränkung der Mandate, eines Rückgriffs auf Vertreter und so weiter. Und das ist gar nicht einfach!
"Einfach weniger Politiker? So leicht ist das alles nicht!"
LTO: In der praktischen Umsetzung schwierig, meinen Sie?
Weber-Rey: Absolut. Selbst für größere Städte ist es gar nicht leicht, dann mal eben einen anderen Menschen zu bestimmen als den Kämmerer oder Oberbürgermeister, der diese Aufgabe tatsächlich auch selbst übernimmt.
LTO: Wäre es denn nicht ein – durchaus auch gesetzgeberischer – Ansatz, per se weniger Politiker und mehr Fachleute in die Aufsichtsräte zu setzen?
Weber-Rey: Naja, das ist nicht so leicht. Auch diese Leute müssen Sie finden – und vor allem auch deren Haftungsrisiken klären. Sobald Sie beispielsweise Beamte in den Aufsichtsrat setzen, sind diese ja immer geschützt. Für Manager wurde dagegen die Haftung gerade verschärft, diese trifft ein Selbstbehalt von mindestens 10 Prozent des Schadens. Wenn aber jemand quasi schon kraft Amtes haftungsfrei ist, kann das wirklich zu einer besseren Governance führen?
Es reicht wohl nicht aus, dass jemand vom Fach ist, wenn er dann trotzdem nicht selbst spürt, was eine falsche Entscheidung ist. Das alles ist ein Dilemma, in dem es keinen Schuldigen gibt. Aber wir sind in einem Wandel des gesamten Governance-Bereichs, das Bewusstsein ändert sich.
LTO: Aber diesen Wandel hat der Public Governance Bereich doch gar nicht mitgemacht, wenn er seit 2010 nicht angepasst wurde?
Weber-Rey: Naja, es haben sich ja überhaupt nur wenige Bundesländer einem eigenen Public Corporate Governance Kodex unterworfen. Im öffentlichen Bereich fehlte eben der starke Antrieb aus Brüssel, den es für die privaten Unternehmen wegen der Finanzmarktkrise gab.
"Haftung? Rechtlich alles völlig ungeklärt"
LTO: Brandenburg gehört ja immerhin zu den Ländern, die sich dem Public Corporate Governance Kodex bereits unterworfen haben, die von Ihnen zitierte Vorschrift ist sogar schärfer als diejenige für den privaten Bereich: Welche Konsequenz hat es denn nun, wenn nicht hinreichend informiert wurde? Kann jemand in die Haftung genommen werden?
Weber-Rey: Die Haftungsthematik ist sehr schwierig. Zwar hat die Gesellschafterversammlung des Flughafens am 27. Januar 2010 beschlossen, sich dem Public Corporate Governance Kodex Brandenburg zu unterwerfen. Aber praktisch gibt es da ebenso viele Fragen wie rechtlich: Erst einmal müsste der Vorstand seine Pflicht zur Informationsbeschaffung oder der Aufsichtsrat seine Pflicht zum Einholen von Informationen verletzt haben.
LTO: Welche Konsequenzen hätten denn solche Pflichtverletzungen überhaupt?
Weber-Rey: Auch das ist noch nicht geklärt: Gilt die Anfechtung von Entlastungsbeschlüssen, die es im privaten Bereich gibt, auch für Unternehmen in öffentlicher Hand? Ungeklärt! Der Public Corporate Governance Kodex lässt Abweichungen von seinen Empfehlungen zu, auch wenn man sie nachvollziehbar begründen muss – das ist ein wenig wie im privaten Bereich, aber mit der Pflicht, "nachvollziehbar" zu begründen, wohl sogar noch ein bisschen schärfer formuliert.
LTO: Sprechen wir denn nur über Empfehlungen? Was passiert, wenn man sie nicht befolgt?
Weber-Rey: Wie gesagt, dazu gibt es keine Rechtsprechung, seriös ist diese Haftungsfrage nicht zu beantworten.
Durch die Verzögerungen beim Berliner Flughafen, die Ämterhäufung und all das rückt der öffentliche Sektor in den Fokus der Debatte – obwohl Berlin ja nun wirklich nicht das erste Problem ist. Aber das gibt uns die Chance, auf den Veränderungsprozess hinzuweisen, in dem wir uns befinden. Und wir als Governance-Spezialisten müssen – auch mit Hilfe der Presse, die nun gemeinsam mit uns den Finger in die Wunde legt – das Bewusstsein der beteiligten Personen und Institutionen dafür schärfen und klar machen, was das bedeutet. Und zwar auch auf europäischer Ebene – das nehme ich übrigens auch mit in die Debatte. Ich fliege heute noch nach Brüssel, um über Governance zu sprechen.
LTO: Frau Weber-Rey, danke, dass Sie sich die Zeit für das Gespräch genommen haben und viel Erfolg in Brüssel!
Daniela Weber-Rey, LL.M. ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt M&A/Corporate und Partnerin bei Clifford Chance am Standort Frankfurt a. M. Sie ist außerdem Mitglied in der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex.
Das Interview führte (am gestrigen Dienstag) Pia Lorenz.
Daniela Weber-Rey, LL.M., Corporate Governance nach Berliner Flughafen-Chaos: "Haftung? Rechtlich alles völlig ungeklärt" . In: Legal Tribune Online, 23.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8016/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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