Die Neue Richtervereinigung hat den Gesetzgeber aufgefordert, die Entkriminalisierung von Cannabis-Konsumenten auf den Weg zu bringen. Derweil äußerte der UN-Drogenkontrollrat Bedenken gegen die in Deutschland geplante Legalisierung.
Die Neue Richtervereinigung (NRV) hat sich am Freitag auf ihrer Bundesvorstandssitzung für eine zügige Entkriminalisierung von Cannabis-Konsument:innen ausgesprochen. "Eine Kriminalisierung des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum ist nicht mehr zu rechtfertigen“, erklärte der Sprecher der Fachgruppe Strafrecht bei der NRV, Simon Pschorr nach der Sitzung. Das Verkehrsstraf- und das Fahrerlaubnisrecht behandele Alkohol- und Cannabiskonsumierende ohne hinreichenden Differenzierungsgrund wesentlich ungleich. Auch die Ungleichbehandlung der Cannabiskonsumierenden in den verschiedenen Bundesländern, die die Frage unterschiedlich handhaben, bis wann eine "geringe Menge" vorliegt, bei der eine Verfahrenseinstellung nach § 31a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) erfolgen soll, sei anlässlich der zu erwartenden regulierten Freigabe nicht mehr zu rechtfertigen, heißt es in einer Erklärung der NRV.
Begrüßt wurde seitens der Vereinigung grundsätzlich auch der umfassende Legaliserungs-Ansatz der Ampel: Laut Bundesvorstandsmitglied Dr. Daniel Eckstein stellt eine kontrollierte, staatlich überwachte Abgabe von Cannabis an Erwachsene im Verhältnis zur Strafdrohung zur Erreichung des Ziels des Gesundheitsschutzes ein milderes, effektiveres Mittel dar. Allerdings, so die NRV, würde die Etablierung eines staatlichen Abgabesystems Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen.
Offenbar auch aus Sorge, dass das komplexe Ampel-Vorhaben an internationalem Recht scheitern könnte, stellte die NRV nun klar, dass der Koalition gleichwohl Handlungsspielräume in Richtung einer Legalisierung blieben: "Das europäische Recht stehe einer Straffreiheit des Besitzes von Cannabis zum Eigenkonsum nicht entgegen." Daher sei der Gesetzgeber jetzt aufgerufen, § 29 BtMG anzupassen und den Besitz von Cannabis von bis zu 30 Gramm straffrei zu stellen. "Dies würde Polizei und Justiz massiv entlasten – schließlich verfolgt sie 180.000 konsumbezogene Delikte pro Jahr – und die länderspezifische Ungleichbehandlung der Konsumierenden beenden."
NRV: "Fahrerlaubnisrecht anpassen"
Für dringend regelungsbedürftig hält die NRV auch eine Anpassung des Fahrerlaubnisrechtes sowie der §§ 315c, 316 Strafgesetzbuch. Aktuell verlören cannabiskonsumierende Menschen auch Tage nach dem letzten Konsum ihre Fahrerlaubnis wegen nicht aktiver Restmengen des Wirkstoffs THC.
"Bis heute fehlt eine gesetzliche Normierung der Grenzwerte der Fahruntüchtigkeit für Cannabis. Eine Mindestintoxikationsschwelle wie z.B. 0,3 Promille Blutalkoholkonzentration erkennt die Rechtsprechung nicht an. Um Ungleichbehandlungen von Alkohol- und Cannabiskonsumierenden abzubauen, den festzustellenden tatsächlichen Gefahren effektiv zu begegnen und die Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) des Verkehrsstrafrechts zu optimieren, ist eine gesetzliche Normierung maßgeblicher Grenzwerte geboten."
Eine Empfehlung, den zulässigen Grenzwert für die THC-Konzentration im Straßenverkehr "angemessen" heraufzusetzen, hatte bereits 2022 der Deutsche Verkehrsgerichtstag abgegeben.
Drogenkotrollrat: "Freigabe unvereinbar mit UN-Abkommen"
Unterdessen übte der UN-Drogenkontrollrat (INCB) am Donnerstag deutliche Kritik an den deutschen Legalisierungsplänen: Eine Legalisierung von Cannabis berge das Risiko von erhöhtem Konsum unter Jugendlichen und eines wachsenden Schwarzmarkts für diese Droge. Das Gremium, das die Einhaltung der internationalen Drogen-Konventionen überwacht, wies in seinem Jahresbericht außerdem darauf hin, dass die Freigabe von Cannabis als Genussmittel "unvereinbar" mit den einschlägigen UN-Abkommen sei. Nur der medizinische und wissenschaftliche Gebrauch sei danach erlaubt.
An Staaten, die eine Legalisierung planten, appellierte das UN-Gremium, die Auswirkungen des Cannabiskonsums auf den Einzelnen und die Gesellschaft weiter zu untersuchen. Und zwar, wie es wörtlich in dem Bericht heißt, "bevor die Regierungen langfristige, verbindliche Entscheidungen treffen". Allerdings stellte das INCB auch klar, "dass die Drogenkontrollkonventionen eine erhebliche Flexibilität bieten".
Dass ein flexibler Umgang mit den UN-Abkommen auch rechtlich möglich ist, glauben jedenfalls Gutachter der niederländischen Universität Nimwegen: Unter Bezugnahme auf die Menschenrechte bzw. die Pflichten, die sich aus den internationalen Menschenrechtsabkommen ergeben, halten sie eine Legalisierung auch für mit Internationalem Recht für vereinbar. Schließlich schaffe eine regulierte Erlaubnis für den Cannabisanbau und -handel nach Ansicht der Autor:innen "eine bessere Möglichkeit, die grundlegenden Menschenrechte zu garantieren und somit seine positiven menschenrechtlichen Pflichten zu erfüllen, wonach dieser Staat verpflichtet ist, Vorkehrungen zum Schutz dieser Rechte zu treffen". Zu einem anderen Ergebnis kommt indes der Jura-Professors Bernhard Wegener von der Uni Erlangen-Nürnberg, der im Auftrag der bayerischen Landesregierung die Vereinbarkeit der geplanten Legalisierung mit internationalem Recht geprüft hatte. "Die von der Bundesregierung geplante Cannabis-Legalisierung widerspricht völker- und europarechtlichen Vorgaben", lautet sein Ergebnis.
In Deutschland wird in Kürze auch das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit der Kriminalisierung des Cannabis-Konsums entscheiden: Dem Zweiten Senat liegen zehn Richtervorlagen von drei Amtsgerichten vor. Über diese will das Gericht noch bis zum Frühsommer entscheiden, wie LTO berichtet hatte.
Richtervereinigung NRV drängt auf Cannabis-Legalisierung: . In: Legal Tribune Online, 12.03.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51287 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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