Im 1000. Tatort sind die Kommissare Opfer, nicht Ermittler. Und trotzdem kommt der ambitionierte Jurist ganz auf seine Kosten. Verraten sei: Schnallen Sie sich besser an.
1/8: Ein etwas anderer Tatort
Echt jetzt? Wieder so ein Besserwisser, der mit vermeintlichen Fachkenntnissen des Deutschen liebste Sonntagsabends-Beschäftigung madig machen will? Und ja, ich gebe es zu, genau das hätte ich jetzt gern getan.
Zu gern hätte ich Sie an dieser Stelle gefragt, warum der von den erfolgreichen Tatort-Kommissaren ermittelte Tatverdächtige nie einen Anwalt bei seiner Vernehmung hat. Warum Beschuldigte nie darüber belehrt werden, dass sie auch das Recht haben, einfach nichts zu sagen (anstatt zum Ende einer jeden Folge ein vollumfängliches Geständnis abzulegen). Und ja, gern hätte ich Sie gefragt, warum bei einer im wahren Leben immerhin sehr hohen Aufklärungsquote von gut 97 Prozent bei Tötungsdelikten im Tatort trotzdem immer und ausnahmslos jedes Verbrechen aufgeklärt wird.
Aber bei der 1000. Folge des Tatortes kann man nicht meckern. Was die ARD in den 90 Minuten zeigte, ist zumindest strafrechtlich nicht zu beanstanden. Die 1000. Folge, die mit "Taxi nach Leipzig" denselben Titel trägt wie die erste der erfolgreichen Reihe im Jahr 1970, ist in mehrfacher Hinsicht besonders: Von Anfang an ist klar, wer der Bösewicht ist. Und ehe es um dessen formelle Beschuldigtenrechte gehen könnte, verabschiedet sich die Totale schon in den Abspann, untermalt mit der wohlbekannten Titel-Melodie von Klaus Doldinger.
Aber besondere Tatorte fordern besondere Maßnahmen. Und der juristische Korinthenkacker findet schon etwas zu besprechen.* In der Jubiläumsfolge betrifft die juristische Haarspalterei ausgerechnet die Handlung, die das Taxi nach Leipzig ins Rollen bringt. Und dafür sorgt, dass ein Kommissar getötet und zwei von Deutschlands beliebtesten TV-Ermittlern entführt werden.
2/8: Up to date: die Anschnallpflicht für Taxifahrer
Wo andere beim Verstoß gegen die Anschnallpflicht 30 Euro bezahlen, bezahlt einer der werten Polizeikommissare (dargestellt von Hans Uwe Bauer) mit seinem Leben. Der gute Beamte beharrt gleich mehrfach darauf, dass sich der Taxifahrer aufgrund der Gurtpflicht gefälligst anschnallen möge. Als er schließlich versucht, den Fahrer bei laufender Fahrt gewaltsam anzuschnallen, brennen dem die Sicherungen durch. Mit einem gekonnten Griff bricht der Taxifahrer, ein ehemaliger KSK-Soldat (gespielt von Florian Bartholomäi), dem Polizisten das Genick.
Dabei hat der überkorrekte Kriminalbeamte sogar Recht: § 21a der Straßenverkehrsordnung (StVO) wurde nämlich im Jahr 2014 geändert. Seit dem 30. Otkober 2014 sind Taxifahrer nicht mehr von der Anschnallpflicht befreit. Einen ganz besonders gekonnter Seitenhieb der Tatortmacher in Richtung spießbürgerlicher Phänotyp des deutschen Beamten also.* Aber § 21a StVO ist nicht die Baustelle des Strafrechtlers.
3/8: Fünf oder 23 Jahre Haft und andere Details
Kritischer könnte der nämlich sehen, dass einmal mehr von "Mord" die Rede ist, nur weil es eine Leiche gibt, deren Tod kausal auf der Handlung eines anderen Menschen beruht. Weil das aber jeder Tatort-Folge immanent ist, lohnt es sich eigentlich nicht, sich darüber zu beschweren - fünf oder 23 Jahren Haft, was macht das schließlich schon für einen Unterschied.
Eine Differenzierung zwischen Mord, Totschlag, fahrlässiger Tötung und Körperverletzung mit Todesfolge würde doch eine ziemliche Einbuße an Gänsehautfeeling bedeuten. Aus rein formaljuristischen Gründen plötzlich nicht mehr vom Mörder sprechen zu dürfen? Political correctness gibt’s schlicht nicht unter Tötungsverbrechen.
Der sekundenschnelle Genickbruch, den der Taxifahrer seinem Fahrgast bei dessen Versuch beibringt, ihn bei voller Fahrt gewaltsam anzuschnallen, geschieht selbstredend im Affekt und ohne auch nur ein einziges Mordmerkmal dabei zu erfüllen, juristisch also allenfalls ein Totschlag, vielleicht sogar nur eine fahrlässige Tötung. Aber Mord bleibt Mord, so das Credo eines jeden Tatorts, da kann und darf die 1000. Jubiläumsfolge keine Ausnahme machen.
Immerhin gestaltet sich der weitere Verlauf dieser Jubiläumfolge quasi rechtsfehlerfrei. Auch hier wiederum ein Schelm, wer das vor allem darauf zurückführt, dass die beiden übrig gebliebenen Kommissare Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und Klaus Borowski (Axel Milberg) selbst entführt werden. Wer nicht ermittelt, kann auch keinen juristischen Mist produzieren.
4/8: Grande finale legale
Aber auch wenn sie uns strafprozessual und polizeirechtlich nicht viel zu bieten hat: Auf dem Gebiet des materiellen Strafrechts bietet die Jubiläumsfolge echte Highlights. Bis zum Schluss haben die Tatort-Macher sich - ein "grande finale legale" - eine Geschichte aufgehoben, bei der jedem Strafrechtsprofessor so richtig das Herz aufgehen dürfte.
Die Ex-Freundin des Taxifahrers besinnt sich eines Besseren, dreht sich aus freien Stücken zu ihm um und geht sogar zu diesem zurück. Sie will den ehemals Geliebten, von dem sie annimmt, das er eine Haftstrafe antreten muss, ein letztes Mal umarmen.
Der kann, mittlerweile entwaffnet und sich in sein strafrechtliches Schicksal fügend, sein Glück kaum fassen. Aber ein vom neuen Freund seiner Ex-Freundin eigens abgestellter Sicherheitsmann verkennt die Situation. Er glaubt, der die Arme ausbreitende Ex-Elite-Soldat wolle die Frau angreifen, zückt seine 357 Magnum der Marke Smith and Wesson und schießt. Blöderweise trifft er nicht den labilen Taxifahrer, sondern die Frau.
5/8: Das juristische Schicksal des unglücklichen Sicherheitsmannes
Der strafrechtlich interessierte Leser denkt entzückt an Schlagworte wie error in persona vel objecto, aberatio ictus, Erlaubnistatbestandsirrtum und Putativnotwehrexzess. Der an der strafrechtlichen Dogmatik weniger Interessierte wird sich sagen: Gott sei Dank mach' ich Zivilrecht oder zerhaue Fleisch im Schlachthof.
Zumindest aus der fundierten juristischen Sicht der Tatort-Macher kann die Frage, wie sich der übereifrige Sicherheitsmann nun strafbar gemacht hat, dahinstehen. Ausgeblendet wird die Jubiläumsfolge mit einer Nahaufnahme auf den Taxifahrer / Täter / Ex -Elitesoldaten / forensischen Psychoanalytiker / Überlebenskünstler (man muss die Tatortfolge gesehen haben, um die gewollte Vielschichtigkeit auch nur im Ansatz nachvollziehen zu können). Über das weitere strafrechtliche Schicksal des Sicherheitsmanns macht man sich hingegen keine weiteren Gedanken.
Na gut, für denjenigen, den es doch interessiert: Der Sicherheitsmann ist, obwohl er einen – zudem unschuldigen Menschen mit einer Schusswaffe getötet hat, kein Mörder. Ziemlich sicher wird er dafür nicht in den Knast wandern, womöglich wird er überhaupt nicht bestraft.
6/8: Tödlicher Irrtum II: Der Putativnothilfe(exzess)
Schließlich war der blonde Hüne der festen Überzeugung, dass der ehemalige Elitesoldat der zu beschützenden, deutlich schwächeren Frau, die er zudem zuvor gestalkt hatte, etwas antun wollte. Aufgrund der auf ihn bedrohlich wirkenden Pose war er der Meinung, ihm stünde ein Nothilferecht zu (sog. Putativnotwehr).
Ob der Sicherheitsmann auch gleich hätte schießen müssen, kann man natürlich unterschiedlich beurteilen - aber gehen wir zu seinen Gunsten davon aus, dass ihm in der nächtlich aufgeheizten Situation wirklich kein anderes, milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte, als die Frau mit der Schussaffe vor dem vermeintlich immer noch gefährlichen Täter zu schützen (sonst läge auch noch ein Putativnotwehrexzess vor und wir wollen es nun wirklich nicht übertreiben).
Mit anderen Worten: Wenn der Taxifahrer wirklich vorgehabt hätte, seiner Ex etwas anzutun, hätte der Sicherheitsmann schießen dürfen. Seine Tat wäre im Rahmen der sog. Nothilfe gerechtfertigt gewesen. Dass der das gar nicht vor hatte, konnte der Sicherheitsmann aber nicht ahnen - auch nicht bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, schließlich handelte es sich ja in seinen Augen um den gefährlichen, stalkenden, unberechenbaren Ex.
In solchen Fällen (des in der Strafrechtslehre umstrittenen Erlaubnistatbestandsirrtums) gewährt die Rechtsprechung Straffreiheit, soweit nicht fahrlässig die im Verkehr gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen wurde.
7/8 Tödlicher Irrtum III: Und noch eine aberratio ictus
Aber damit nicht genug, denn die Tatort-Macher waren ja so perfide, die Kugel nicht den Ex-Freund, sondern in altbewährter Hollywood-Manier die unschuldige Frau treffen zu lassen.
Und darin lauert nicht nur ein tränenreicher Ausklang für den Zuschauer, sondern auch noch ein weiteres strafrechtliches Highlight der Juristenausbildung: Die "aberratio ictus" (zu deutsch: Abirrung des Schlages). Was passiert, wenn der vom Täter beabsichtigte Erfolg bei einem anderen als dem von ihm anvisierten Objekt eintritt, wenn also A den B töten will und schießt, sich aber B in dem Moment bückt, sodass die Kugel die dahinter stehende C trifft.
Auch hierzu gibt es viele Theorien, die herrschende Ansicht ist aber der Auffassung, dass man bezüglich des nicht anvisierten Objekts (hier: der Ex-Freundin mit den Rehaugen) mangels Vorsatzes allenfalls wegen Fahrlässigkeit bestraft werden kann.
Und selbst darüber wird man streiten können. Ob es unter den gegebenen Umständen fahrlässig war, einen Schuss in Richtung beider Protagonisten abzugeben, um die vermeintlich in Lebensgefahr befindliche Frau zu retten? Andererseits ist kaum vorstellbar, dass sich der Sicherheitsmann dahingehend outen wird, dass er schon immer wusste, dass er ein schlechter Schütze ist und es besser mal mit Kugelstoßen probiert hätte –man würde ihn allenfalls wegen fahrlässiger Tötung zu einer kleinen Geldstrafe verurteilen.
8/8: Was wir daraus lernen: Schnallen Sie sich an!*
Ende gut, alles gut also. Und ich bleibe dabei: Die Jubiläumsfolge ist sehenswert und aus strafrechtlicher Sicht ausnahmsweise einmal nicht zu beanstanden. Bisweilen gibt sie sogar interessante rechtsphilosophische Anstöße. So, wenn die dramatische Figur des Taxifahrers, glaubwürdig gefangen im Tunnel des Hasses auf die Ungerechtigkeit, die ihm alles nahm und dafür noch belohnt wird, Kant zitiert: "Ich kann, weil ich will, was ich muss!"
Dieses Zitat werde ich mir jedenfalls für die Zukunft merken. Und Sie, lieber Leser, merken sich ab jetzt: Zwar sind Fahrten mit Schrittgeschwindigkeit wie Rückwärtsfahren oder Fahrten auf Parkplätzen von der Anschnallpflicht befreit. Aber wir wissen ja nun, wohin es führen kann, wenn jemand sich nicht anschnallt.*
Der Autor Dr. Alexander Stevens ist Rechtsanwalt in München und Dozent für Strafrecht an der Ludwig Maximilians Universität München sowie der Universität Regensburg. Im März erscheint sein Kabarett-Programm "Garantiert nicht strafbar" (auch als Buch 12,99 € Knaur Verlag).
* Anm.d.Red.: Mehrere Absätze am Tag der Veröffentlichung geändert. Der Text enthielt zunächst die Information, dass die Anschnallpflicht für Taxifahrer nicht gelte. Dies ist nach einer Änderung von § 21 a StVO im Jahr 2014 nicht mehr richtig (Änderung am 15.11.2016, 09:50 Uhr).
Dr. Alexander Stevens, Der Tatort-Check: Taxi nach Leipzig: Irre Irrtümer, Putativnothilfe und die Anschnallpflicht . In: Legal Tribune Online, 14.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21131/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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