Der Jurist legt eine Robe an und geht die Welt retten, je nach verliehener Macht mal eben die Rechte des Bundestages oder nur der "Oma ihr klein Häuschen" vor dem Zugriff von Staatsgewalt oder ungeduldiger Erben. Auch Comic-Superhelden wirken zumeist in Dienstkleidung. Doch überschneiden sich Recht und Comic nicht bloß im albernen Textil – ein auch ernsthafter Essay von Martin Rath.
In den 1950er-Jahren kämpfte der Bundesgerichtshof (BGH) als abendländischer Sittenwächter gegen Schmutz und Schund in Gestalt der "Bildstreifenhefte (sog. Comic Strips oder Stripes, Comic Books)". Sogar den "lustigen Micky-Maus-Bildstreifen", "sog. klassische(n) oder historische(n) Bildgeschichten von der Art des 'Prinz Eisenherz'" sowie den "Kriminalerzählungen 'Nick Knatterton'" attestierte der BGH damals (Urt. v. 14.7.1955, Az. 1 StR 172/55), durch "Entwertung des echten Bildes und der menschlichen Sprache als Verständigungsmittels der geistigen Verflachung und Verkümmerung Vorschub" zu leisten.
Es fällt schwer, sich über diese stark kulturpessimistischen Ansichten nicht lustig zu machen. Comics zählen zur Alltagskultur, juristisch relevant sind meist Urheberrechtsfragen. Auch ist das Abendland nicht untergegangen – man hört, es sei gerade erst wieder dabei.
"Batman ist wie Bernhard Goetz"
Die Realität ist nicht lustig. Am 22. Dezember 1984 schoss der Elektrohändler Bernhard Goetz in der U-Bahn von New York City auf vier afroamerikanische Fahrgäste, die – teils schwer beschädigt – überlebten. Goetz sah sich als Opfer eines versuchten Raubes. Die vier jungen Männer gaben im Prozess an, ohne räuberische Absicht Geld für Videospiele gesammelt zu haben. Goetz wurde in einem aufsehenerregenden Prozess zugebilligt, in einer Notwehrlage geschossen zu haben. Verurteilt wurde er im Strafprozess allein wegen illegalen Waffenbesitzes.
Der Comic-Autor Frank Miller, der für die aktuellen "Batman"-Verfilmungen den alten Comic-Stoff neu zubereitet hat, erklärte im Magazin der Wochenzeitung "Die Zeit" (v. 16.6.1989): "Batman ist wie Bernhard Goetz". Millers Batman sei von einem Schuldkomplex gegenüber den Opfern des Erzverbrechers "Joker" getrieben, analysierte Franziska Augstein in dem Artikel, weil es dem Superhelden nie gelungen sei, "den ewig grinsenden Massenmörder und Psychopathen umzubringen". Ein Gewalttäter, der Batman in die Hände gerät, fleht mit den Worten um sein Leben: "Ich habe Rechte." – Die Erwiderung des "Superhelden", während er den Schurken aus dem Fenster wirft: "Ja. Manchmal zähle ich sie, deine Rechte, nur um irre zu werden."
Weisheit des BGH in der Medienwirkungsforschung?
Als hätte er solche Szenen vorausgeahnt, zitierte der BGH 1955 zustimmend die Feststellungen des Landgerichts München II, wonach vier Hefte u.a. einer Western-Comic-Serie durch eine "Fülle an Gewalttaten mit einem erheblichen Grad von Primitivität, Rohheit und Gemeinheit" eine Gefahrenlage für Jugendliche herbeiführten, "derzufolge bei diesen eine sittliche Schädigung in Form einer Verrohung und einer Verschiebung der sittlichen Wertvorstellungen eintreten könne".
Dem gewalttätigen Eintreten des Western-Film- und -Comic-Idols Tom Mix für Recht und Ordnung konnten die BGH-Richter 1955 wenig abgewinnen. Die Wirkung der Gewaltdarstellung werde "wenig abgeschwächt dadurch, daß sich in den Erzählungen die Vertreter von Gesetz und Recht zur Durchsetzung ihrer an sich guten Ziele gleicher [gewalttätiger] Mittel bedienten. Denn bei den Jugendlichen bestehe die Gefahr, daß sich die augenfällig herausgestellte Gewaltanwendung als besondere Leistung einpräge, ohne Rücksicht auf ihre sittliche oder gesetzliche Berechtigung." Mangels "epischer oder lyrischer Ruhepunkte der frei schöpferischen Phantasie" würde durch die nur "spannungsgeladene" Erzählweise der "Leser außerstand gesetzt, die dargestellten Gewalttätigkeiten im negativen Sinne zu werten".
Auch wenn man keine schlichte Kausalkette zwischen dem U-Bahn-Schützen von 1984, Frank Millers rachsüchtiger "Batman"-Bearbeitung und dem "Amoklauf von Aurora", der Tötung von zwölf Menschen bei der Premiere von "The Dark Knight Rises" im Juli knüpfen will, muss man über Wechselwirkungen reden, ohne dem Generalverdacht ausgeliefert zu sein, man wolle den Jugendlichen nur den Spaß an populären Medien, vom Comic bis zum Computerspiel, verderben.
In seiner Dissertation "The Proteus Effect: Behaviorial Modification via Transformations of Digital Self-Representation" schlug Nick Yee 2007 beispielsweise vor, auch die positiven Anpassungen von Nutzern moderner Unterhaltungsmedien ins Auge zu fassen. Er belegt, dass die virtuellen Charaktere von Gamern Einfluss auf ihre Selbstwahrnehmung in der realen Welt haben. Dabei geht es nicht um eine starke Kausalität, die aus dem virtuellen Rachefeldzug eines "Superhelden" ganz reale Straftäter machte. Vielmehr regt Yee an, mit virtuellen Helden die reale Schüchternheit Jugendlicher zu mildern, um ihr sozialadäquates Kommunikationsverhalten zu unterstützen.
Damit wäre weniger die starke Präsenz blutrünstiger "Helden" ein Problem, das anzugehen ist, als die schwache Präsenz starker Figuren. Niemand will sich aktuell wohl einen Andreas Voßkuhle als Helden eines "Bildstreifenheftes" oder gar als Avatar einer komplexen Computerspielhandlung vorstellen – trotz seiner schicken Robe aus der Theaterschneiderei.
Juristen und Justiz sind im Comic harmlos oder abartig
Man wird aber unbedingt starke Helden in roten Roben brauchen, um das negative Bild des Juristen im populären Medium zu korrigieren. Um nur einige greifbare „Bildstreifenhefte“ zu zitieren: In Hergés „Tim und die Picaros“ („Tintin e les Picaros“, 1976) wird der weltberühmten Opernsängerin Castafiore in einer lateinamerikanischen Militärdiktatur ein Schauprozess wegen Verschwörung gemacht, um Tim ins Land zu locken. Dem paranoiden Plädoyer des uniformierten Staatsanwalts, der noch in den Schnurrbärten der mitangeklagten Schulze und Schultze (Dupond/Dupont) einen Frevel am Barte des heimischen Diktators entdeckt, macht die Angeklagte mit einer lautstarken Gesangseinlage ein Ende. Die Absurdität des Prozesses wird nur durch den völlig unpassenden Gesang konterkariert.
Im Asterix-Band "Die Lorbeeren des Cäsar" möchte sich der gallische Held Zugang zur Person des römischen Imperators verschaffen, weil Häuptling Majestix seinem Schwager versprochen hatte, ein Ragout mit den Lorbeeren Cäsars zuzubereiten. Den Weg zum Imperator soll ein Strafprozess ebnen, in dem Asterix und Obelix wegen Hochverrats angeklagt werden. Der Staatsanwalt erhebt die Anklage mit dem sinnfrei vorgetragenen Cato-Zitat "Delenda Carthago!", was den Pflichtverteidiger panisch eine Prozesspause fordern lässt: Da auch er mit der rhetorischen Forderung nach der Zerstörung Karthagos beginnen wollte, müsse er nun seine "Verteidigung neu aufbauen".
Mit Lionel Hutz wird ein Schreckensbild des modernen Anwalts gezeichnet. Der Hausjurist der "Simpsons" ist von höchst beschränkter fachlicher Kompetenz. Seine Suche nach Lebensunterhalt führt Hutz gelegentlich zum Wühlen in der Mülltonne. Dort aufgeschreckt erklärt er aber sofort seinen legalen Status an den Fundstücken.
Es geht noch schlimmer. Widerwärtig sind die Figuren im Comicband "Diese Juristen" von Pierre Laforet (Guilmard). In den Kurzgeschichten ist der Jurist geleitet von Geldgier und Geschlechtstrieb, frei von ethischem Rechtsverstand. Ein Strafrichter examiniert hier beispielsweise angeklagte Prostituierte zu ihrem Gewerbe, um deren Dienste später selbst zu buchen. Ein Anwalt rät seinem Mandanten, der ein blutrünstiges Verbrechen plant, um seinem "Spießerleben" durch Medienöffentlichkeit zu entfliehen, nur davon ab, auch noch den Hund des Opfers zu quälen, weil das strafverschärfend wirken würde.
Und wo bleibt das Positive?
In der Mafia-Serie "The Sopranos" hofft eine Mafiaführungsnachwuchskraft auf eine Karriere als Drehbuchautor. Mit Geldern aus der "Familie" wird ein Mafiahorrorfilm gedreht. Bei der Premiere des Films ist es ebenso realistisch wie komisch zu sehen, wie sich die Mafiosi darum bemühen, die "realen" Vorbilder zu entdecken und auf ihre "berufliche" Qualifikation hin zu analysieren.
Sollte die Annahme richtig sein, dass die Medien sich weiter von der Sprachgewalt zur Bildgewalt entwickeln, wird man sich in Justizpressestellen und unter den Medienverantwortlichen der Anwaltskammern vielleicht nicht allein mit der juristischen Subsumtion des Verhaltens virtueller Superhelden unter das positive Recht befassen dürfen, sondern vielleicht von den Sopranos lernen müssen.
So könnte durch die positive Zeichnung juristischer Berufsträger in Comic-Helden und Spiele-Avataren ein lebenssattes, anders als in den genannten "Bilderstreifen" aber freundliches Bild ihrer Profession geweckt werden. Vorbildlich, wenn auch etwas einfältig präsentiert das US-amerikanische "National Center for State Courts" Recht in Comicgestalt. Beispielsweise wird im "Bilderstreifenheft" dargestellt, wie eine Großmutter ihr Häuschen gegen die Enteignung durch die Kommune verteidigt, so ganz ohne Superhelden, nur mit Juristen.
Ästhetisch und in der erzählerischen Dynamik darf das nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Insoweit lässt sich sogar der inhaltlich widerwärtigen Darstellung Pierre Laforets mehr abgewinnen, der seine Juristenverbrecherfiguren allesamt und jederzeit in schicke Roben kleidet.
In der Disney-Produktion "Die Unglaublichen" ("The Incredibles", 2004) weigert sich die einschlägige Kleidungsausstatterin, ihre Superhelden mit einem gefährlichen Textil zu kleiden: "No capes!" Am Ende landet der Schurke wegen seines Umhangs in einer Flugzeugturbine.
Vielleicht kommen virtuelle Juristen ja nur deshalb so selten in Animation und Comic vor, weil noch die Besten unter ihnen einem textilen Imperativ kaum folgen dürften: "No robes!"
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Recht im Comic: Hoffnungslos, aber nicht ernstzunehmen . In: Legal Tribune Online, 26.08.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6925/ (abgerufen am: 19.05.2024 )
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