Das Branntweinmonopol war ein Resultat der im Ersten Weltkrieg etablierten Wirtschaftspolitik. Nach vielfachen Novellen findet es nun zum Jahresschluss sein Ende. Und verliert so nach der wirtschaftlichen auch seine juristische Basis.
Mit dem Ende des deutschen Branntweinmonopols am 31. Dezember 2017 wird ein Eselsohr im Geschichtsbuch des deutschen Steuer- und Wirtschaftsverfassungsrechts herausgebügelt. Und dieses war einst reich an Sachverhalten, die inzwischen merkwürdig anmuten.
Heutige Richter, die an die Klage von der chronischen Unterfinanzierung ihres Betriebs gewöhnt sind, mag es etwa wundern, dass die preußische Justiz im 19. Jahrhundert zeitweilig Überschüsse erwirtschaften konnte. Der Grund lag im Misstrauen der bäuerlichen Bevölkerung gegenüber dem neumodischen Notariat. Die Beurkundung des Testaments legte man, solange dies möglich war, lieber in die Hände eines Richters.
Steuerfahnder und Finanzbeamte müssen glauben, ihnen sei historischer Feenstaub in die Augen geraten, sollten sie auf das 20-bändige "Jahrbuch der Millionäre Deutschlands" stoßen, in dem sich die steuerpflichtigen Vermögen und Einkünfte des Jahres 1912/13 aufgelistet finden – mit Frau Bertha Krupp von Bohlen und Halbach die "reichste Person von Preußen und von Deutschland". Bei einem Einkommensteuer-Höchstsatz von vier Prozent lag der Traum von "Steueroasen" im Ausland naturgemäß noch fern.
Sogar die Bahn, als natürliches Monopol, erwirtschaftete noch Überschüsse. Beispielsweise bezog der preußische Staat 1914 aus seinem Eisenbahnbetrieb 520 Millionen Mark Überschuss. Zur Orientierung: ein Facharbeiter verdiente seinerzeit vielleicht rund 1.200 Mark im Jahr.
Ein chronisch unterfinanzierter Staat
Millionäre, die stolz mit ihren Steuerbescheiden prunken? Staatsbetriebe, die erheblich zur Einnahmeseite des Staatshaushalts beitragen?
Das heutige Befremden kommt nicht von ungefähr. Bei Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1870/71 hatten sich die Bundesstaaten nur ungern zu dessen Finanzierung bereit gefunden. Man darf sich vage an die Europäische Union erinnert fühlen.
Mit kuriosen Steuern kam man im Bestreben, die Finanzkraft des Reiches zu stärken, nicht weit. So diente beispielsweise die berühmte Schaumweinsteuer, mit der seit 1902 der ehrgeizige Ausbau der kaiserlichen Kriegsmarine mitfinanziert werden sollte, kaum wesentlich ihrem Zweck. Als Steuer auf ein sozial leicht kontrollierbares Luxusprodukt weist sie eher darauf hin, wie schwer es in einer nach heutigen Maßstäben nur oberflächlich bürokratisierten Gesellschaft gewesen sein mag, Steuerquellen zu erschließen.
Branntwein- und Tabakmonopol, erster Versuch
Neben Zöllen, zu deren Erhebung Staatsgrenzen vielleicht überhaupt erst erfunden wurden, nahmen daher Monopole einen breiten Raum in der Diskussion ein. Gleichsam natürliche Monopole wie das der Bahnen waren zum Ärger der Reichsfinanzexperten im Wesentlichen bei den Bundesstaaten geblieben. Im Reich ließ sich mit den attraktiven Bahnbetrieben kaum Geld machen, bis 1919 verfügte es nur über die Bahnbetriebe in Elsass-Lothringen.
In Betracht kamen künstliche Monopole. Im Jahr 1878 unternahm Reichskanzler Otto von Bismarck (1815–1898) den Versuch, ein Tabakmonopol zu etablieren, mit einem für den Staatshaushalt erhofften Überschuss von gut 160 Millionen Mark, sowie ein Branntweinmonopol mit einer Ertragserwartung von 300 Millionen Mark – zum Vergleich: die Zollerträge des Jahres 1880 beliefen sich auf knapp 170 Millionen Mark. Bismarck scheiterte aber mit diesem Bemühen, die Einnahmesituation des Reichs zu verbessern, am Widerstand des Reichstags.
Während in Russland der staatliche Zugriff auf die Branntweinproduktion bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs rund ein Viertel des Staatshaushalts trug, finanzierte die Branntweinsteuer in Deutschland nur – wenn auch beachtliche – zehn Prozent des Etats.
Branntweinmonopol im Krieg
War vor dem Ersten Weltkrieg die Verspritung von Nahrungsmitteln, insbesondere Getreide und Kartoffeln, ein interessantes Geschäft gewesen – vor allem in den Agrargebieten jenseits der Elbe –, wurde sie nun zu einem gleich mehrfach heiklen.
So galt die mangelnde Versorgung der Bevölkerung mit Speisekartoffeln als der Skandal der deutschen Kriegswirtschaft schlechthin. Die alternative Steckrübe wurde zum Symbol für den Hungerwinter des Jahres 1916/17.
Entsprechend wurden, unter den Voraussetzungen eines insgesamt noch "schlanken Staates", Agrarrohstoffe unter ein Regime öffentlicher Verwaltung gestellt. Zugleich wuchs der Bedarf, diente der Alkohol doch als das selbstverordnete Psychopharmakon im Millionenheer der körperlich und seelisch teils schwer belasteten Soldaten.
Hugo von Strauß und Torney (1837–1919), Senatspräsident am Oberverwaltungsgericht Berlin, klagte 1916 in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des "Deutschen Vereins gegen Mißbrauch geistiger Getränke", dass der Alkoholgebrauch im Heer "eine Ausdehnung gewonnen [habe], welche nicht nur die Gesundheit schädigt, sondern auch die Manneszucht gefährdet und den Dienst schädigt". Darauf seien "in ursächlichem Zusammenhang" die Mehrzahl der Disziplinlosigkeiten sowie die verbreiteten Geschlechtskrankheiten zurückzuführen.
Das erste Branntweinmonopol organisierte der deutsche Oberbefehlshaber im bisher russischen Teil Polens, der nun (bis 1918) als Generalgouvernement Warschau unter deutscher Verwaltung stand.
2/2: Trotz Trunkenheit in der Öffentlichkeit
Kritik daran blieb nicht aus. Der sozialdemokratische Rechtsanwalt und Reichstagsabgeordnete Dr. Oskar Cohn (1869–1934) äußerte Bedenken, weil das neue deutsche Alkoholmonopol in den besetzten Gebieten Polens und Litauens an Markttagen zu massiven Vorfällen von Trunkenheit in der Öffentlichkeit führte, wenn Geld und Monopol-Alkohol zusammenkamen – Zustände, wie sie die katholische und jüdische Bevölkerung zu Zeiten des älteren russischen Monopols stets beklagt hatte.
Im Übrigen müsse es befremden, dass bei den "außerordentlich großen Umsätzen mit Alkohol", die unter deutscher Monopolverwaltung in Polen und Litauen produziert würden, "der Zivilbevölkerung Deutschlands, übrigens auch den Truppen im Laufe der Zeit eine große Menge von Nahrungsmitteln entzogen" werde.
"Denn die Materialien", brachte der Abgeordnete in Erinnerung, "woraus dieser Schnaps hergestellt wird, sind doch dieselben, die sonst zur Brotbereitung oder als Zukost zu Fleisch oder Gemüse zu dienen haben. Ich verstehe auch nicht, warum gerade von militärischer Seite ein solches Alkoholmonopol eingeführt wird, angesichts der Gefahr, daß Soldaten sich durch die Zivilbevölkerung Alkohol besorgen und sich ebenfalls dem Trunke hingeben."
Geburtsstunde "unseres" Branntweinmonopols
Gegen Ende des Ersten Weltkriegs war jedoch auch im Reich einerseits ein Wirtschaftsverwaltungsrecht zur Bewirtschaftung von Agrarrohstoffen etabliert, andererseits stieg angesichts zerrütteter Staatsfinanzen die Attraktivität des Branntweinmonopols als potenzieller Einnahmequelle.
Das "Gesetz über das Branntweinmonopol", veröffentlicht als Anlage zum "Gesetz über Änderungen im Finanzwesen" vom 8. April 1922 (Reichsgesetz-blatt I, S. 335 ff., 405 ff.), bildete den Ausgangspunkt für jenes Monopol, das mit dem Jahr 2017 nun sein Ende findet. Es regelte in fast manischer legislativer Kleinarbeit, dass die Alkoholdestillation zukünftig allein in staatlichen Monopolbetrieben sowie konzessionierten sogenannten Verschlussbrennereien zugelassen sei.
Letzteres betraf vor allem Obstbrennereien, die den Alkohol zwar nicht an die Monopolverwaltung abzuliefern hatten, dafür aber – bemessen an der Obstmaische – eine Abgabe entrichteten.
Vielfach regelte der Gesetzgeber des Jahres 1922 in absurd wirkender Detailgenauigkeit Dinge, die später in Verordnungstexte oder die Abgabenordnung überführt werden sollten, beispielsweise den Gefahrenübergang an Vergällungsmitteln, mit denen der Industriealkohol versetzt wird, oder die Oblie-genheiten, mit denen der Brenner dem Aufsichtsbeamten die Aufsichtsarbeit erleichtern sollte – z.B. indem er ihm Beleuchtung zur Verfügung stellte.
Von der Einnahmequelle zur Subventionsmethode
Sollte das Branntweinmonopol über eine Hektolitereinnahme, eine fingierte Handelsspanne, den "Branntweinaufschlag" sowie den Monopolausgleich bei Importen zunächst Einnahmen für den Reichs-, später den Bundeshaushalt bringen, wandelte sich das Monopolsystem im Lauf seiner Geschichte von 1922 bis 2017 zu einer landwirtschaftlichen Subventionsmethode.
Im Prinzip galt es, das in kleineren Brennereien erzeugte Ethanol einzusammeln und an die Pharma- oder Getränkeindustrie zu verkaufen. Die EU-Kommission genehmigte 2010 hierzu noch Subventionen in Höhe von rund 80 Millionen Euro jährlich.
Unter ordnungspolitischem Druck stand dieses System aber bereits seit 1970, als die Frage vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) kam, ob Deutschland für aus Italien importierten Alkohol eine als Monopolausgleich bezeichnete Abgabe erheben dürfe. Mit der "Cassis de Dijon"-Entscheidung monierte der EuGH branntweinrechtliche Mengenvorgaben für geistige Getränke als Verkehrshindernis im gemeinsamen europäischen Markt (EuGH Urt. v. 20.02.1979, Az. 120/78 REWE).
Zuletzt wurde der Vorteil des in den vergangenen zehn Jahren Stück für Stück beendeten Monopolsystems noch in der Subventionierung von ökologischen Nischen gesucht, etwa in der Verspritung von Fallobst der berühmten Streuobstwiesen.
Wirklich funktioiert hat das System für den Staat offenbar nur in Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeiten. Mit einem einzigen Ballon Monopol-Ethanol, mittels Zuckercouleur vom Apotheken- zum Trinkalkohol umgefälscht, ließen sich etwa nach dem Zweiten Weltkrieg mehrere Jahre (!) eines Jurastudiums finanzieren, wie glaubwürdig überliefert wurde.
Vor dem Hintergrund eines allgemein allzu niedrigen Preisniveaus für Ethanol hat das Monopol erst seine wirtschaftliche und nun auch seine juristische Basis verloren: Eine schöne Friedensdividende für den Subventionsstaat, wenn man so will.
Autor: Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Ohligs.
Martin Rath, Zum Ende des Branntweinmonopols: Der Schnaps gehört dem Marktgesetz . In: Legal Tribune Online, 31.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/26233/ (abgerufen am: 05.05.2024 )
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