Legal Tech: Vor­sicht vor dem Hype

von Konstantin Filbinger

11.12.2017

2/2: Was kann Legal Tech?

Bei der Sachverhaltsdarstellung im Transaktionsgeschäft können intelligente Programme die Arbeit von Immobilienrechtlern teilweise entbehrlich machen. Ein Gerät scannt Grundbuchauszüge nebst Mietverträgen und stellt möglicherweise deal-relevante Informationen binnen Minuten übersichtlich dar. Der Mandant spart Geld, die Kanzlei Associates.

Auf Seiten wie flightright.de oder geblitzt.de übernimmt der Computer die rechtliche Würdigung. Das Programm verschafft sich alle für den Sachverhalt relevanten Informationen, wie die Zuverlässigkeit des jeweiligen Blitzgeräts oder die Verspätung des Fluges. An dieser Stelle zeigt sich interessanterweise eine Parallele zwischen den Rechtsfragen, welche die genannten Seiten automatisiert beackern: Die rechtliche Struktur ist simpel, der Sachverhalt ist gerichtsfest.

Die sogenannte Blockchain kann etwa dazu eingesetzt werden, digital kommunizierende ("smarte") Verträge zu vollziehen. Was komplex klingt, ist eigentlich ganz einfach. Ein über die Blockchain abgewickelter Autokauf schaltet zum Beispiel den digitalen Autoschlüssel für den neuen Eigentümer frei, wenn ein innerhalb der Chain definierter Preis auf dem Verkäuferkonto landet. Hier kommen Informatiker ins Spiel: Denn die müssen korrekt programmieren, welche Aktion ein bestimmtes Ereignis auslösen soll.  

Welche Bedingungen aber gelten, muss trotzdem verhandelt werden – und dazu braucht es Menschen. Die Blockchain schaut nämlich nicht von alleine in die Köpfe der Beteiligten. Darüber hinaus kann sie Informationen (großvolumiger) Transaktionen dokumentieren und manche Leistungen automatisiert vollziehen.

Computerprogramme können also bestimmte Prozesse des Zuhörens und des Bewertens übernehmen.

Warum es doch Menschen braucht

Für die allermeisten Tätigkeiten sind aber Menschen unabdingbar. Nur ein Anwalt erkennt etwa auch missverständlich kommunizierte Begehren und trennt daraufhin Wesentliches von Unwesentlichem. Wirklich gut zuhören können Computersysteme einfach nicht.

Dasselbe gilt für die rechtliche Bewertung. Simpel strukturierte Anspruchsgrundlagen mögen den Einsatz automatisierter Systeme begünstigen. Allerdings setzt dies auch einen gerichtsfesten Sachverhalt voraus. Von öffentlich dokumentierten Flugverspätungen abgesehen erweist sich der Anwendungsbereich als überschaubar.

Nicht unbedeutend ist in diesem Zusammenhang auch die Funktion des Rechts. Rechtsfrieden schaffen kann nur Recht, das in der Praxis zu gerechten Ergebnissen führt. Im besten Fall passt kein Blatt zwischen Recht und Rechtsgefühl. Menschliches Gerechtigkeitsempfinden lässt sich aber schwer in einen Algorithmus packen. Und an dieser Stelle kommt der Vogel Strauß ins Spiel:

Im alten Rom musste wie heute der Halter dafür haften, wenn das eigene Haustier einem Dritten Schaden zufügte. Da die Römer meist Hunde, Katzen oder Pferde besaßen, sprach das damalige Recht von "Vierbeinern". Besonders wohlhabende Römer leisteten sich exotische Tiere, etwa einen Vogel Strauß. Irgendwann biss ein solcher während eines Gartenfests die Frau eines ehemaligen Konsuls. Hätte eine Klage hier Aussicht auf Erfolg? Die Ratio der Norm leuchtet uns Anwälten unmittelbar ein: Der Halter soll für von seinem Tier verursachte Schäden haften. Ein "Vierbeiner" kann deshalb auch mal nur zwei Beine haben. Ob ein Computer dies ähnlich sehen würde?

Es darf bezweifelt werden, ob ein Watson naheliegende Analogien erkennt oder die Entwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorhergesagt hätte. Und es wird vermutlich noch ein wenig dauern, bis Alexa inhaltlich substanziiert beantwortet, wem die Fräsmaschine gehört.

Auch das Abwägen von häufig nicht quantifizierbaren Risiken bleibt Anwaltssache. Insbesondere erweist sich menschliches Einfühlungsvermögen gepaart mit Kreativität häufig als guter Ratgeber: So mancher Gesellschafterstreit wurde nicht mit Paragraphen ausgefochten, sondern mit weisen Worten und guten Gesten beigelegt.

Wen betrifft Legal Tech wirklich?

Die neuen Möglichkeiten im Legal Tech-Bereich betreffen daher vor allem Großkanzleien und vereinzelte, kleinere Rechtsbereiche. Die Anwendungen ersetzen nicht, sondern ergänzen nur.
Das Brot-und-Butter-Geschäft der allermeisten Anwälte ist nicht in Gefahr, weil innovative Programme deren typische Arbeitsschritte kaum gleichwertig imitieren können.

Trotz der begrenzten Einsatzmöglichkeiten müssen sich Anwälte irgendwann damit auseinandersetzen, wie sie digitale Technologie zur Automatisierung betrieblicher Abläufe einsetzen: Für welche Vertrags- oder Klagearten lohnt sich die Erstellung von Vorlagen, mittels derer die Copy-Paste-Funktion zur Allzweckwaffe juristischer Effizienz wird? Wie kann ich Beratungsprodukte standardisieren und skalieren, die am Ende trotzdem zum individuellen Bedürfnis des Mandanten passen? Ein kreativer Jurist findet hier neue Wege, die Zeit sparen, Kosten senken und dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen. Die blinde Anwendung von Formeln und Formularen verbietet sich aber, der menschliche Verstand bleibt unabdingbares Korrektiv in einer am Mandantenbegehren orientierten Beratung.

Neue Technologien können und werden zu einer erheblichen Zeitersparnis bei genuin juristischen Arbeitsabläufen führen. Vor allem im Transaktionsgeschäft von Großkanzleien wird der Einsatz spezieller Software relevant und bewirkt Kosteneinsparungen.

Die neueren Aspekte der Digitalisierung berühren die allermeisten Anwälte jedoch kaum. Binärkodierte Denker ersetzen wohl keine 150.000 Juristen, sondern eher nur ein Prozent davon. Es besteht also Grund zur Hoffnung auf das Überleben der Anwaltszunft. Wenn an Heiligabend dann kein Programmierlehrbuch unter dem Christbaum liegen sollte, ist das vielleicht gar nicht so schlimm.  

Der Autor Konstantin Filbinger ist Rechtsanwalt bei Theopark Rechtsanwälte Steuerberater in Nürnberg. Er hat unter dem Label Jura Digital Lehrbücher zum Zivilrecht verfasst. *

*Anm. d. Red.: Hier waren zunächst zwei inhaltslose Domains angeführt.

Zitiervorschlag

Konstantin Filbinger, Legal Tech: Vorsicht vor dem Hype . In: Legal Tribune Online, 11.12.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25949/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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