Claudia Otto ist Anwältin. Außerdem gibt sie eine Zeitschrift heraus, forscht, baut Webseiten und startet Legal-Tech-Projekte. Ihr derzeitiges Lieblingsthema ist die Blockchain. Zu der hat sie eine klare Haltung: Für Anwälte ist das nichts.
Eigentlich wollte Claudia Otto Künstlerin werden, dann Mode-Designerin, dann Informatikerin. Schließlich wurde sie doch Juristin und startete eine vielversprechende Karriere: Dem Studium folgten Stationen bei Linklaters, Clifford Chance und schließlich Hengeler Mueller. Sie hatte nur ein Problem: "Meine vielen Interessen waren nie zusammenzubringen." Die meisten hätten sich fokussiert.
Otto tat das nicht. Sie gründete stattdessen eine eigene Kanzlei und beschloss, 50 Prozent ihrer Zeit nicht in klassische Beratung, sondern in Projekte zu investieren, die sie unter der Überschrift "Research & Development" zusammenfasst.
Der Schwerpunkt ihrer bisherigen Forschung und ihre zentralen Themen sind die Blockchain und auf ihr basierende Smart Contracts. Die Frau, die sich selbst als Digital Lawyer und Techie at Law bezeichnet, ist sicher, in diesem Bereich den größtmöglichen Beitrag leisten zu können. Für Juristen werfe er völlig neue Fragestellungen auf und sei weitgehend unreguliert. "Das ist ein großes unbespieltes Feld. Als Jurist muss man das Thema verstehen, und das ist nicht einfach." So werde auch der aktuelle Hype um das Thema gefüttert von Missverständnissen, unlauterem Marketing und gefährlichem Halbwissen. Claudia Ottos Kritik an der Blockchain betrifft deren Potenzial als Grundlage juristischer Anwendungen ebenso wie Gefahren im Daten- und Verbraucherschutz.
Blockchain-Anbieter scheuen die Verantwortung
Insbesondere die Frage nach der Haftung der Technologieanbieter treibt sie um. Bei täglichen Handelsvolumina im Milliardenbereich ist nachvollziehbar, dass die Unternehmen für Vermögensschäden ihrer Kunden nicht gerade stehen möchten. Deshalb wälzt zum Beispiel der Blockchain-Anbieter Ethereum sämtliche Risiken per AGB auf seine Nutzer ab.
Den meisten Anbietern ist selbst das zu riskant und sie verschleiern ihre Identität. "Als Verbraucher haben Sie einen Vertrag, wissen aber nicht, wer ihr Vertragspartner ist", warnt Claudia Otto. "In solchen Fällen kann ich auch als Juristin kein Rechtsgutachten erstellen. Ich kann ja noch nicht mal sagen, wo die Umsatzsteuer fällig ist, weil ich nicht weiß, wo die sitzen." Informationen, die auf der Webseite fehlen, findet die Anwältin, wenn sie Glück hat, über andere Kanäle wie die Twitter-Accounts der Betreiber.
Aber nicht nur das Versteckspiel der Anbieter ist ein Problem. Auch die dezentrale Natur einer Blockchain mit zehntausenden beteiligten Usern stellt Juristen vor Herausforderungen: "Man hat nicht mehr zwei Vertragsparteien, die sich namentlich kennen. Da hängen ganz viele Unbekannte mit dran", verdeutlicht die Frankfurterin.
Nutzer sind sich der meisten Risiken der Blockchain kaum bewusst. Kein Wunder, suggeriert die geschickte Vermarktung der Technologie doch Sicherheit, Anonymität und Marktreife. Schaut man genauer hin, bröckelt diese Fassadeschnell, ist Claudia Otto überzeugt. Heutige Nutzer müssten sich darüber im Klaren sein, dass sie Versuchskaninchen sind.
Content-Marketing für die Kanzlei mit Legal Tech
Dort, wo zumindest das Problembewusstsein vorhanden ist, gibt es offenbar einen großen Beratungsbedarf. Die Anwältin erreichen Anfragen potenzieller Mandanten aus der ganzen Welt. Auf der einen Seite bestätigt das die Kanzleigründerin in dem, was sie tut: "Es ist unglaublich zu sehen, wie gefragt die Kanzlei im Ausland schon ist." Auf der anderen Seite handele es sich oft um Menschen, die keine Zahlungsbereitschaft mitbringen.
Um über die Risiken aufzuklären, gibt Otto die Zeitschrift "Recht innovativ" heraus. Die erste Ausgabe, Anfang 2017 erschienen, gab es ausschließlich als PDF. Für weitere Ausgaben hat sie einen Verlag gefunden, der sie vierteljährlich auch in gedruckter Form herausgeben wird. Zielgruppe sei der Rechts- und IT-Bereich. Nach der Veröffentlichung hätten sich bereits einige große Unternehmen bei ihr gemeldet.
So zahlt ihre Forschung auf das Brot-und-Butter-Geschäft der Kanzlei ein - ein Paradebeispiel für Mandantengewinnung und –bindung durch Content Marketing. In absehbarer Zeit will die bisherige Einzelkämpferin ein bis zwei Kolleginnen in die Kanzlei holen, um die Nachfrage bedienen zu können.
2/2: Smart Contracts – weder "Smart" noch "Contract"
Während in den Publikumsmedien im Wochenrhythmus neue Kursrekorde der Cryptowährung Bitcoin verkündet werden, stürzen sich die inzwischen zahlreichen Legal-Tech-Konferenzen vor allem auf das Blockchain-Thema Smart Contracts. Nachvollziehen kann Otto die Begeisterung nicht:
"Das sind keine Verträge und smart sind sie auch nicht. Es sind nur Computerprogramme. Auf deren Sinn und Funktionalität kommt es nicht einmal an. Ein Verständnis dafür, was Smart Contracts eigentlich sind, fehlt erkennbar und wird auch durch Juristen in falsche Bahnen gelenkt." Die realen Möglichkeiten seien zu stark beschränkt, begründet sie ihre Skepsis, "ob bedingt durch das Interesse am Kennen des Gegenübers, durch Skalierungsprobleme, mangelnde Gleichzeitigkeit der Prozesse oder schlichtweg Technikunreife."
Die Smart-Contract-Anwendungsfälle, die immer wieder als Beispiel herangezogen werden, gingen stets zu Lasten des Verbrauchers, ist Claudia Otto überzeugt. Zum Beispiel die Fahrzeugsperre, wenn Leasingraten nicht gezahlt würden. In solchen Szenarien seien die Rechte der Kunden ausgehebelt und ein De-facto-Recht des Stärkeren etabliert. "Das ist eine Dystopie", warnt die Anwältin. "Smart Contracts lehne ich deshalb ab."
Smart Legal Contracts: Was wirklich automatisierbar ist
Um echte digitalisierte und automatisierte Verträge von solchen Computerprogrammen zu unterscheiden, wird von ihr und anderen Experten der Begriff "Smart Legal Contracts" vorgeschlagen. Auch ihnen steht Otto kritisch, aber weitaus offener gegenüber. "Wozu ist ein Vertrag da? Er soll doch nicht nur zum Beispiel die Miete einspielen."
Wollte man ihn aber komplett automatisieren, müsste man sämtliche Eventualfälle vorausahnen, um deren Rechtsfolgen im Code berücksichtigen zu können. Dann aber stehe der Aufwand in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen. "Man kann also immer nur einen sehr kleinen Teil automatisieren", fasst die Anwältin zusammen.
Wie ein Smart Legal Contract aussehen kann, hat Claudia Otto in ihrem Projekt "Prototyp eines automatisierten Wohnungsmietvertrags" skizziert. Daneben hat sie mit der "Fibonacci Law Firm" die Idee für ein juristisches Wissensmanagement-Tool auf Blockchain-Basis vorgestellt und mit "Nashgotiation" ein Dispute-Resolution-Tool auf Grundlage der Spieltheorie. Sollen dies Ausgangspunkte für Start-ups sein? Nicht unbedingt. Ihre Motivation sei das Interesse an den Themen, betont die Frankfurterin. Ausschließen will sie aber nicht, dass sich eines ihrer Projekte zum Start-up entwickelt: "Man muss ausloten, ob man Geschäft auf einer der Ideen aufbauen kann".
Kein Anwendungsfall für Anwälte erkennbar
Und die Blockchain? Otto hält sie nicht für geeignet, einem Smart Legal Contract als technologische Grundlage zu dienen: "Sie lagern Ihre Verträge schließlich auch nicht bei Unbekannten einsehbar auf deren Schreibtisch." Der einzige originär juristische Anwendungsfall kann ihrer Ansicht nach daher nur dort sein, wo Publizität erwünscht ist, bei öffentlichen Registern also.
Hier hält sie das Grundbuch für den interessantesten Ansatzpunkt. Ob ein Blockchain-Grundbuch auch realisierbar sei, hänge vom Gesetzgeber und der Sicherheit des Datenbestands ab. Unser etabliertes System mit Rechtsvorsorge und Beratung durch den Notar könne zwar beschleunigt werden, aber auch dafür gebe es besser geeignete Technologien, so die Juristin. Denn bei einer Blockchain dürfen nicht nur alle Nutzer alle Inhalte einsehen, sondern auch Eintragungen vornehmen. Will man wirklich, dass jeder Bürger das Grundbuch verändern darf? Entsteht dadurch öffentlicher Glaube?
Schließlich sei es ein Irrglaube, dass eine Blockchain die Kosten reduziert. "Man vergisst die notwendigen Mehrinvestitionen v.a. in erfahrene Entwickler, hochfrequente Wartungs- und Updateprozesse sowie eine konstante Angriffsabwehr."
Bei aller Kritik an den zurzeit gehandelten Konzepten bescheinigt Otto der Blockchain großes Potenzial: "Es ist eine unreife Technologie, die noch fünf bis zehn Jahre Entwicklung benötigt. Dabei werden sich die Anwendungsfälle herauskristallisieren." Sie verortet diese vor allem dort, wo es um hochredundante Datensicherung bei Unabhängigkeit von Umwelteinwirkungen auf einen zentralen Server geht. Für Anwälte aber sieht sie, Stand heute, keinen einzigen Anwendungsfall: "Wir sind Berufsgeheimnisträger. Eine Blockchain, deren Stärke im Teilen von Wissen liegt, steht unseren Pflichten aus dem Mandat diametral entgegen".
Der Autor Christian Dülpers ist Head of Product & Marketing Legal Tribune Online & Smartlaw bei Wolters Kluwer
Digital-Anwältin warnt vor dem Blockchain-Hype: "Smart contracts sind weder smart noch contracts" . In: Legal Tribune Online, 20.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24405/ (abgerufen am: 22.04.2024 )
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