Werke Künstlicher Intelligenz als Patent: Eine gefähr­liche Lücke bleibt

Gastbeitrag von Prof. Dr. Mary-Rose McGuire

02.07.2019

In Osnabrück trafen sich Experten unterschiedlichster Disziplinen, um aktuelle Fragen rund um das Zukunftsthema Künstliche Intelligenz zu diskutieren. Mary-Rose McGuire mit der Analyse patentrechtlicher Ungewissheiten.

Das Patentrecht soll nach dem Willen des Gesetzgebers einen adäquaten Anreiz für Innovation setzen und diese schützen. Aktuell scheinen sich aber die Rollen zu verkehren: Das in der Künstlichen Intelligenz (KI) liegende Innovationspotential bietet Anlass, das Patentrecht zu reformieren. Während Kritiker genau das fordern, sind andere dafür, erst einmal das geltende Recht auszuloten:

Reichen die aktuellen Regelungen womöglich schon aus, um Antworten auf die Rechtsfragen geben, die die KI mit sich bringt? Und wenn ja, werden noch die Richtigen belohnt oder sind die juristischen Ergebnisse angesichts des wirtschaftlichen Potenzials der neuen Technologien unbefriedigend? Fragen, die sich sich die Teilnehmer der Carl Heymanns Patenttage am vergangenen Freitag stellten, die an der Universität Osnabrück stattfanden. Aber der Reihe nach.

Der Mythos von "menschlicher" und "künstlicher" Intelligenz

Das Konzept der KI wurde in den 1940er Jahren entwickelt. Dieser Zeit entstammt auch der Vergleich der "künstlichen" mit der "menschlichen" Intelligenz. Der Begriff ist bis heute üblich, obwohl ein neuronales Netz das menschliche Gehirn nicht im Ansatz simulieren kann. Das ist aber auch gar nicht das Ziel der aktuellen KI-Forschung, die ganz überwiegend an sogenannter schwacher KI arbeitet, also an Software, die dank großer Rechenkapazität und umfassender Datenbasis einzelne repetitive Aufgaben übernehmen kann. Dazu gehört es etwa, große Datensätze nach bestimmten Vorgaben zu sortieren oder eingehende Daten mit Vorbestehenden zu vergleichen. Bekannte Anwendungsbeispiele hierfür sind Navigationssysteme oder Spracherkennung wie Siri und Alexa.

Das Beispiel macht zugleich deutlich, dass der Begriff KI verfehlt ist. Denn wenn ein Mensch einen gesprochenen Satz fehlerfrei erkennt, wird uns das schwerlich das Attribut "intelligent" entlocken. Wirklich intelligent im eigentlichen Sinne wäre ein Computer allenfalls dann, wenn er eine dem Menschen ähnliche Autonomie entwickeln würde. Diese Zielsetzung verfolgt die Forschung zur sogenannten starken KI. Aktuell ist die Forschung von diesem (kontrovers diskutierten) Ziel aber so weit entfernt, dass es sich aktuell nicht um mehr als bloße Science Fiction handelt.

Allerdings: Auch in der schwachen KI steckt eine ganz erhebliche Forschungs- und Innovationsleistung. Zwischen der Programmierung der ersten Softwareversion und dem marktgängigen Produkt liegt eine zeit- und kostenintensive Entwicklungsphase, in der die KI für die konkrete Anwendung modelliert und mit Testdaten trainiert wird. Auf die erste Implementierung folgt eine Testphase, die weitere Daten liefert und eine Verfeinerung der Modellierung ermöglicht. Erst dann – nach fünf bis sieben Jahren – ist das KI-basierte Produkt marktreif.

Zu wenig Recht für zu viel Innovation?

Vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund erklärt sich auch das Interesse der Unternehmen an der Schutzfähigkeit von KI. Wer eine neue KI-Anwendung entwickelt, will die Kosten für Forschung und Entwicklung durch den Produktabsatz amortisieren. Das setzt voraus, dass die Mitbewerber seine Leistung nicht ohne seine Zustimmung verwenden dürfen. Was liegt da näher, als die Erfindung beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) oder beim Europäischen Patentamt (EPA) zum Patent anzumelden? Ist die Anmeldung erfolgreich, verleiht das Patent für die Laufzeit von 20 Jahren das alleinige Recht, die Erfindung gewerblich zu nutzen.

Ob das geltende Patentrecht sich auch für KI eignet, wird indes kontrovers diskutiert. Zweifler halten insbesondere den generellen Ausschluss von Algorithmen von der Patentfähigkeit für verfehlt. Demgegenüber wollen andere erst einmal das geltende Patentrecht auch auf die KI anwenden und allenfalls über punktuellen Reformbedarf nachdenken.

Unterscheiden zwischen KI als solcher und mit KI erzeugten Anwendungen

Für die grundsätzliche Beibehaltung aktuellen Rechts sprach sich am Freitag Lea Tochtermann aus, Juniorprofessorin an der Universität Mannheim. In ihrem Vortrag zur Frage nach der Schutzfähigkeit von KI (Kann diese überhaupt patentiert werden?) und deren Zuordnung (Wem steht das Recht auf das Patent zu?) gab sie zu bedenken, dass die aktuelle Diskussion zu undifferenziert sei und viele Kritikpunkte nur mit Blick auf starke KI zuträfen, die es aktuell noch gar nicht gebe.

Um die heute allein relevante Frage der Schutzfähigkeit schwacher KI zu prüfen, plädierte Tochtermann treffend für eine präzise Differenzierung, nämlich zwischen der KI "als solcher", also der Software, und den KI-Anwendungen, die sich in mit diesem Tool erzeugten Produkten niederschlagen. Für beide Gruppen ist Patentschutz nach aktuell geltendem Recht nur denkbar, wenn sie die allgemeinen Patentierungsvoraussetzungen erfüllen und nicht unter einen Ausschlusstatbestand fallen.

Grundsätzlich werden Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind. Für KI liegt die erste Hürde in der Technizität, die nur vorliegt, wenn ein technisches Problem mit technischen Mitteln gelöst wird. In der Regel ist die KI als solche aber ein bloßes Tool, das – entsprechend trainiert und modelliert – später zur Lösung konkreter Probleme eingesetzt werden kann. Dieses Potenzial reicht für die Technizität nicht aus. Auch die erfinderische Tätigkeit als qualitative Anforderung ist nicht ohne weiteres anzunehmen. Verbreitet sich nämlich KI weiterhin so rasant, könnte sie bald Stand der Technik – und damit nicht mehr ausreichend erfinderisch – sein.

Aktuelles Patentrecht prinzipiell für KI geeignet

Diese Frage bedarf allerdings keiner endgültigen Klärung, wenn KI als solche an einem Patentierungsausschluss scheitert. So sind mathematische Methoden und Datenverarbeitungsprogramme vom Patentschutz ausgenommen. Tatsächlich ist KI als solche meist von diesem Ausschluss mathematischer Methoden erfasst. Das ist auch ein angemessenes Ergebnis, würde doch ein Schutz des Algorithmus die Innovation erheblich hemmen. Hier ist nämlich zu bedenken, dass KI multifunktional einsetzbar und die Recherche nach fremden Rechten daher besonders schwierig wäre. Zu groß wäre daher das Risiko, dass ein redlicher Erfinder versehentlich ein fremdes KI-Patent verletzt.

Eine Patentierung kommt demgegenüber in Betracht, wenn die Anwendung von KI zur Lösung eines technischen Problems eingesetzt wird. Als Beispiel nannte Tochtermann am Freitag ein Leichtmetallbauteil für die Flugzeugindustrie, dessen Konstruktion mit Hilfe von KI auf eine Weise optimiert wird, die Menschen nie eingefallen wäre. Letzterer hat aber immerhin das Problem – Reduktion von Gewicht ohne Verlust der Festigkeit  – ebenso wie die Möglichkeit erkannt, dass der Einsatz von KI zur Lösung dieses Problems sinnvoll beitragen könnte. So lässt sich nicht nur die Schutzfähigkeit mit Hilfe von KI als Tool erstellter Erzeugnisse bejahen, sondern auch die Frage klären, wem das Patent zusteht: dem Erfinder, der KI einsetzt.

Ein Risiko für Entwickler bleibt

Die nüchterne Analyse zeigt, dass das Patentrecht durchaus KI kann. Offen bleibt allerdings, ob das geltende Recht damit die von Forschung und Unternehmen erbrachte Leistung ausreichend belohnt.

Denn die KI als solche – und damit ihr Entwickler – ist wie gezeigt vom Patentschutz ausgeschlossen. Das Patentrecht greift aktuell erst ein, wenn der Einsatz von KI zu einer konkreten Anwendung geführt hat. Dazwischen klafft eine große, zeit- und kostenintensive Lücke, in der aus der KI-Software eine Industrieanwendung oder ein Produkt wird: Training, Modellierung und Testphase.

Die Autorin Prof. Dr. Mary-Rose McGuire ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Recht des Geistigen Eigentums sowie deutsches und europäisches Zivilprozessrecht. Zusammen mit Ulrike Voß, Christian Osterrieth und Chistian Stoll sowie der Wolters Kluwer Deutschland GmbH, zu der auch LTO gehört, veranstaltete sie die diesjährige, gleichnamige Veranstaltung am vergangenen Freitag in Osnabrück.

Zitiervorschlag

Werke Künstlicher Intelligenz als Patent: Eine gefährliche Lücke bleibt . In: Legal Tribune Online, 02.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36209/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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