Was tun ohne Prädikatsexamen?

"Zwei aus vier" und andere Lösungs­wege

von Sabine OlschnerLesedauer: 5 Minuten
Absolventen mit zweimal Vollbefriedigend oder besser stehen alle Türen offen: Gericht, Staatsanwaltschaft, Großkanzlei – sie haben die Wahl. Und alle anderen? Sie können clever planen und von rückläufigen Absolventenzahlen profitieren.

Die zwei Staatsexamina, die Juristen absolvieren müssen, haben es in sich: Mit einem Vollbefriedigend, mit dem sich Absolventen anderer Fachrichtungen gar nicht erst zu bewerben brauchen, gehören Jura-Absolventen schon zu den besten 15 (erstes Examen) beziehungsweise 18 (zweites Examen) Prozent. Noten sind dabei für die klassischen juristischen Berufe der ausschlaggebende Faktor bei der Einstellung – entsprechend gute Chancen haben alle, die mindestens zweimal neun Punkte aus ihren Examina vorweisen können. Vor allem Großkanzleien legen viel Wert auf exzellente Studienabschlüsse, haben aber vermehrt um ihren Nachwuchs kämpfen. Und das, obwohl sie mit immer höheren Einstiegsgehältern von bis zu 140.000 Euro Jahresbrutto Grundgehalt um die Top-Absolventen buhlen: "Die Auswahl über Noten ist ein heikles Thema in der Branche", verrät die Personalerin einer großen Wirtschaftskanzlei, die nicht genannt werden will. "Natürlich behauptet jeder, er suche nur Kandidaten mit den besten Noten. In der Realität werden aber oft auch Bewerber mit weniger als 18 Punkten in Summe eingestellt." Dass viele es so halten, erkenne sie zum Beispiel daran, wenn Anwälte anderer Großkanzleien sich für einen Wechsel bei ihr bewerben - und damit auch ihre Abschlussnoten offenlegen. Häufig wird bei den Großen deshalb die "2-aus-4-Regel" angewandt: Hat der Bewerber "nur" in einem Examen ein Vollbefriedigend erreicht und die begehrte Note beim anderen Examen (knapp) verpasst, kann er das durch einen LL.M.-Abschluss oder eine Promotion ausgleichen. "Auch Kandidaten, die wir vor dem Berufseinstieg schon über ein Praktikum oder im Referendariat kennen und schätzen gelernt haben, müssen nicht unbedingt über ein Prädikatsexamen verfügen", berichtet die Personalerin weiter. Anders sei es auch gar nicht möglich, genügend Anwälte zu bekommen – so viele exzellente Absolventen, wie gebraucht würden, gebe der Markt gar nicht her. Und so einige von ihnen entscheiden sich auch bewusst gegen die Arbeit in einer Großkanzlei. Warum wird trotzdem solch ein Geheimnis um die Einstellungspraxis gemacht? "Weil unsere Mandanten von uns nur die beste Rechtsberatung und damit Top-Kandidaten erwarten", lautet die Antwort aus der Wirtschaftskanzlei.

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Spezialisierung und wirtschaftliche Kenntnisse gleichen aus

Großkanzleien sind natürlich nicht die einzigen Arbeitgeber. Mittelständler und Boutiquen legen zwar auch Wert auf ordentliche Noten, achten aber stärker als die internationalen Player darauf, dass der Einsteiger zum Team passt oder – vor allem bei den Boutiquen – Erfahrungen aus dem gefragten Rechtsgebiet mitbringt. Johanna Eyser, Mitglied im Vorstand der Rechtsanwaltskammer Berlin, kennt sogar Anwälte, die eine Ausbildung als Krankenpfleger gemacht haben und im Sozialrecht arbeiten. Oder Verkehrsrechtsanwälte, die Erfahrung in der Automobilbranche gesammelt haben. "Durch den Blick über den Tellerrand gehen sie ganz anders an ihre Anwaltstätigkeiten heran", meint Eyser. Das wüssten spezialisierte Arbeitgeber wie auch potenzielle Mandanten besonders zu schätzen. Sich mit einer eigenen Kanzlei selbstständig zu machen, sei regelmäßig ebenfalls eine gute Option für alle Juristen, die kein Prädikatsexamen haben, so die Expertin. So fragt keiner nach den Noten, sondern nur nach den Leistungen in der Praxis. Außerdem beobachtet Eyser, dass selbst der Staatsdienst in einigen Bundesländern von seinen hohen Notenanforderungen abrückt und häufig Abschlüsse zwischen sieben und acht Punkten als Voraussetzung für die Arbeit als Richter oder Staatsanwalt genügen lässt. Der Grund ist auch hier derselbe: "Es fehlt schlichtweg der juristische Nachwuchs", so die Anwältin. "Natürlich wollen auch wir die Besten", sagt Bärbel Kuhlmann, Partnerin in der Ernst & Young Law GmbH (EY Law), die zusammen mit Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern von EY multidisziplinäre Beratungsleistungen in allen Bereichen des Wirtschaftsrechts anbietet. "Zu den Besten gehören aus unserer Sicht Kollegen mit exzellentem juristischen Fachwissen, gepaart mit wirtschaftlichem Sachverstand." Sie kenne aber auch hervorragende Juristen, die nicht in der Lage waren, ihr Wissen in beiden Examina vollständig zu zeigen. "Deshalb leisten sie trotzdem exzellente Arbeit", erklärt Kuhlmann, für die auch andere Qualifikationen der Bewerber wichtig sind: Auslandserfahrung, Sprachkenntnisse sowie eine Affinität für Steuerberatung, Wirtschaftsprüfung und Unternehmensberatung sind Pluspunkte. Letzteres gelte natürlich noch mehr für Bewerber, die in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von EY in den Unternehmensbereichen Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung arbeiten wollen, wo erst keine juristischen Prädikatsexamina erwartet würden.

Soft Skills zählen auch bei Behörden

Auch viele Behörden legen das Gewicht eher auf persönliche Qualifikationen als auf Noten. "Bei uns genügt mindestens ein Befriedigend", berichtet Hedwig Kaschube, Leiterin des Personalreferats bei der Bundesnetzagentur. "Wir haben aber auch Mitarbeiter, die mit der Note 'gut' abgeschlossen und sich bewusst für uns und gegen eine Großkanzlei entschieden haben." Kaschube achtet bei der Auswahl neuer Mitarbeiter darauf, dass sie universell im Haus eingesetzt werden können, denn nicht selten wechseln die Juristen etwa vom Justiziariat in ein Fachreferat, wo sie sich zum Beispiel mit Regulierungsfragen zum Netzausbau beschäftigen. "Interdisziplinäres Arbeiten, Teamfähigkeit und die Bereitschaft, früh Verantwortung zu übernehmen, sind uns besonders wichtig." Die Aussicht auf interessante und sinnvolle Aufgaben für die Allgemeinheit, auf eine Verbeamtung und eine bessere Work-Life-Balance als in Großkanzleien seien oft genannte Gründe für die Arbeit in einer Behörde. Möglichkeiten, auch ohne Prädikatsexamen einen interessanten Job zu finden, gibt es also genug – sofern man im Vorfeld plant. "Gerade für Absolventen mit durchschnittlichen oder schlechteren Studienabschlüssen ist es von Vorteil, sich bereits in der Ausbildung Gedanken über alternative Karrierewege jenseits ausgetretener Pfade zu machen", empfiehlt Jörg-Christian Lorenz, Anwalt und Autor von Karriereratgebern für Juristen. Interessante Nischenbereiche können Juristen zum Beispiel im Bankwesen, als Steuerberater, als Wirtschaftsprüfer, in Interessen- und Wirtschaftsverbänden, in Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen, im Versicherungswesen, als Journalisten, PR-Manager oder Assistenten der Geschäftsführung finden, so Lorenz. "Künftige Absolventen sollten frühzeitig für sich eruieren, wo ihre Interessens- und Tätigkeitsschwerpunkte liegen und eventuell notwendige Zusatzqualifikationen erwerben." Praktika oder frühes Netzwerken mit potenziellen Arbeitgebern könnten hier helfen. Außerdem rät Lorenz, sich nicht allein darauf zu verlassen, welche Stellen gerade angeboten werden. "Die meisten Bewerber konzentrieren sich bedauerlicherweise allein auf das rein passive Vorgehen. Dadurch werden jedoch eine Reihe wertvoller Gelegenheiten vergeben, schon während der Ausbildung etwas für bessere Jobchancen zu tun." Diesen Luxus sollten sich seiner Ansicht nach aber gerade juristische Absolventen ohne Prädikatsexamen dann doch nicht erlauben.

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