Wahlstation am Supreme Court of Israel

Kleines Gericht - ganz groß

von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten
Referendarin Lena Schenk hat ihre Wahlstation beim Supreme Court of Israel in Jerusalem absolviert. Dass man das oberste Gericht dort zwischenzeitlich "niederwalzen" wollte, war nur eines von vielen aufregenden Erlebnissen.

Lena Schenk verbrachte ihre dreimonatige Wahlstation Anfang des Jahres am Supreme Court of Israel in Jerusalem. Für dieses außergewöhnliche Ziel hat sie sich aufgrund ihrer persönlichen und fachlichen Neigungen entschieden. Weit gereist ist sie nämlich schon immer gerne: mit dem Jugendchor nach Chile, für ein Kolping-Projekt nach Indien und später als Studentin für ein Erasmus-Auslandsjahr nach Istanbul. Ihr Examensschwerpunkt unter dem Titel "Internationalisierung der Rechtsordnung" verbindet diese Liebe zur großen weiten Welt mit einer weiteren Leidenschaft, die auch für ihre Station als geprüfte Rechtskandidatin bei der Bundestagsverwaltung verantwortlich war: Schenk mag Öffentliches Recht. "Das Bürger-Staat-Verhältnis hat mich schon immer interessiert, insbesondere an der Schnittstelle zur Politik", sagt die Referendarin und ergänzt: "Für meine Wahlstation wünschte ich mir einen Bezug zum internationalen Recht, vorzugsweise in einem kleineren Land und gerne auch mit einer sprachlichen Herausforderung." Letztendlich wurde es Israel: Im Internet stieß sie bei ihren Recherchen auf das unbezahlte "Foreign Law Clerkship" am Supreme Court of Israel, dem höchsten israelischen Gericht. Vergleichbar ist das Angebot mit einem Praktikum, nur dass man wesentlich selbstständiger und ohne konkrete Vorgaben arbeitet – weder in zeitlicher Hinsicht noch was die Arbeitsweise anbelangt.

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Leben in Israel: Religion und Politik überall

Für die Bewerbung hatte Schenk einige Hürden zu nehmen. So brauchte sie etwa das Empfehlungsschreiben eines Professors, musste eine schriftliche Arbeitsprobe einreichen und Fragen zu Personalien und Lebenslauf beantworten. Im April 2014 schickte sie ihre Bewerbung an den Supreme Court – typisch deutsch fast ein halbes Jahr zu früh. Als sie schon gar nicht mehr damit rechnete, erhielt sie im Dezember 2014 die Zusage. In Jerusalem angekommen, gab es einige Dinge, an die sich die zu dieser Zeit 28-Jährige gewöhnen musste – unter anderem an horrende Mietpreise: "Zugegeben: Mein Zimmer lag in einer guten Wohngegend, aber bei 600 Euro für zehn Quadratmeter musste ich erstmal schlucken", resümiert Schenk. Bezahlt hat sie die drei Monate in Jerusalem von ihrer Unterhaltsbeihilfe für Referendare und Rücklagen. Auch die religiös-gesellschaftlichen Konventionen in Jerusalem waren für Schenk nicht immer einfach zu durchschauen. So gibt es Viertel, in denen sie trotz großer Hitze vorsichtshalber sehr konservative Kleidung trug, um bei den Gläubigen nicht anzuecken. Überhaupt sind Religion und Politik die dominierenden Themen im Alltag. Schenk dazu: "Ich hatte immer das Gefühl, meine Worte mit besonderer Vorsicht wählen zu müssen. Die religiösen und politischen Fronten in der Gesellschaft gaben mir das Gefühl, jederzeit unabsichtlich Irritationen auslösen zu können." Im Umgang mit den in Jerusalem lebenden Menschen erfuhr Schenk ein hohes Maß an Offenheit, Neugier und Direktheit: "Man kommt sowohl mit Einheimischen als auch Auswärtigen schnell ins Gespräch. Intensive Diskussionen mit zunächst völlig fremden Leuten sind dort keine Seltenheit. Zur Verständigung im öffentlichen Leben hat ordentliches Englisch vollkommen ausgereicht." Nicht so bei der Arbeit: Dort wäre es ohne fachspezifische Sprachkenntnisse nicht gegangen.

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2/2: Wichtige Entscheidungen von "berühmten" Richtern

Der Supreme Court of Israel hat gerade einmal 15 Richter und ist als oberstes Gericht in doppelter Funktion tätig: Er ist nicht nur die letzte Instanz in Zivil- und Strafsachen, sondern als High Court of Justice auch eine Art Verfassungsgericht in staatlichen Angelegenheiten, kurz "Bagatz" genannt. "Politische Parteien, Parlamentsmitglieder und Menschenrechtsorganisationen bringen ihre Konflikte gerne vor das Bagatz, weil sie dort besonders medienwirksam werden. In Bagatz-Verfahren werden auch häufig einstweilige Verfügungen beantragt, die von einem einzelnen Richter entschieden werden. Dadurch werden die Namen der Richter sehr bekannt", erklärt Dan Assan, Rechtsanwalt und Notar aus Tel Aviv sowie erster Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Juristenvereinigung. So genießen sowohl die Richter als auch der Supreme Court als Institution ein sehr hohes Ansehen in der Gesellschaft. Schenk war einem Richter zugeteilt, der sie aus aktuellem Anlass im Bereich des öffentlichen Rechts arbeiten ließ: Die "Knesset", das israelische Parlament, hatte gerade eine Reform des Asyl- und Flüchtlingsgesetzes beschlossen. Danach sollten Flüchtlinge für einen längeren Zeitraum in Lager gebracht und festgehalten werden können, die mehr oder weniger direkt in der Wüste liegen und entsprechend schlecht angebunden, ausgestattet und versorgt sind. Das Bagatz musste Stellung zur Verfassungsmäßigkeit des neuen Gesetzes beziehen. "Insbesondere bei so wichtigen Entscheidungen unterstützen einige der Richter ihre Argumentation gerne durch einen Vergleich mit anderen Rechtsordnungen", sagt Schenk. "Deshalb bestand eine meiner Hauptaufgaben darin, die Gesetzgebung und Rechtsprechung der deutschen Flüchtlingspolitik zu verfolgen, zu analysieren und die Erkenntnisse zusammenzufassen." Letztendlich erklärte das Bagatz die Reform zumindest für teilweise verfassungswidrig.

Eine Prise Ausnahmezustand

Besonders in Erinnerung blieb Schenk der Tag, an dem der national-religiöse Politiker Moti Yogev aus dem rechten Flügel forderte, den Supreme Court mit Bulldozern dem Erdboden gleichzumachen: "Das war ein Aufruf, der für deutsche Verhältnisse unvorstellbar ist. In den Tagen nach der heftigen Parlamentsdebatte hatte ich den Eindruck, dass deutlich mehr Sicherheitspersonal am Gericht war, als es ohnehin schon der Fall ist." Ausgelöst hatte den Vorfall die Entscheidung des obersten Gerichts, zwei Gebäude in der jüdischen Siedlung Bet El im militärisch besetzten Westjordanland von der Armee abreißen zu lassen. Assan erläutert die Brisanz der Debatte: "Die jüdischen Siedler hatten die Gebäude auf dem Grundstück palästinensischer Eigentümer errichtet und schon lange darin gewohnt. In dem dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde-Verfahren kam es zunächst zu vielen Verzögerungen, bis der Supreme Court schließlich den Abriss anordnete." Yogev empörte sich daraufhin und verlangte, die Armee solle statt der zwei Gebäude den Supreme Court abreißen – ein Skandal, der Parlament und Presse noch Wochen danach beschäftigte. "Das Gefühl von Freiheit und Sicherheit in Deutschland ist nach dieser Erfahrung gar nicht mehr so selbstverständlich", blickt Schenk zurück. "Insgesamt war es eine sehr lehrreiche und spannende, menschlich und beruflich ungemein bereichernde Erfahrung. Ich würde jederzeit wieder ein Foreign Law Clerkship in Jerusalem absolvieren." Mit ihrem Richter blieb sie auch nach ihrer Rückkehr nach Berlin in Verbindung: Aus aktuellem Anlass hat sie ihm noch für einige Zeit aus der Ferne zugearbeitet.






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