Nach der Reform ist vor der Reform?

Anwaltsorientierung im Jurastudium

von Denis BasakLesedauer: 4 Minuten
Die Soldan-Tagung trägt die Überschrift "Anwaltsorientierung im Jurastudium". Dass von den knapp 100 Fachleuten gleichwohl mehr Grundlagenorientierung und Methodenkenntnis gefordert wurden, deutet auf einen Mentalitätswandel. Von Denis Basak.

Wer zu einer Soldan-Tagung zur Anwaltsorientierung im Jurastudium anreist, erwartet zunächst eine Klage über deren Fehlen und die falschen Impulse, die durch das Ziel – die Befähigung zum Richteramt – gesetzt würden. Die letzte größere Reform der Juristenausbildung 2002 sollte dem Studium unter anderem eine stärkere Anwaltsorientierung verleihen, die aber in der Lehrpraxis weitgehend in die Zusatzveranstaltungen verschoben werden. Schon deswegen gäbe es genügend Ansatzpunkte, über Änderungen im Studium nachzudenken, die Studenten stärker an die anwaltliche Tätigkeit heranführen. Auch dies wurde natürlich in Bielefeld besprochen, überraschenderweise aber standen andere Begriffe im Vordergrund. Selbst auf dem ausschließlich mit Anwälten besetzten Abschlusspanel herrschte der Tenor vor, dass eine stabile Wertebasis im Studium sowie die Fähigkeit, sich in neue Materien einzuarbeiten, wichtig seien. "Berufsfertige" Anwälte könne dagegen am Ende der Ausbildung niemand sinnvoll erwarten.

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Grundlagenorientierung und Methodenverständnis

Prominente Sprecherinnen und Sprecher wie etwa BGH-Richter Thomas Fischer oder Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer brachen eine Lanze für eine stärkere Grundlagenorientierung des Studiums, eine Kürzung der Pflichtstoffkataloge und eine Konzentration auf das Erlernen von Methodenkompetenzen. Offenbar hat das Papier des Wissenschaftsrats zur Juristenausbildung hier Früchte getragen: Die Forderung nach einer Stärkung von Fächern wie Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte oder Rechtspsychologie stieß auf allgemeine Zustimmung, obwohl diese weder im anwaltlichen Alltag eine unmittelbare Rolle spielen noch in der vorherigen Staatsprüfung unmittelbar greifbar umzusetzen wären. Wichtig sind sie aber für eine Juristenschaft, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist, die das Recht kritisch anwendet und ihren Verstand und ihr Wissen eigenständig einsetzt, um Konflikte gerecht zu lösen. Vor dem Hintergrund dieser Zielsetzung ließen sich freilich ganze Curricula kritisch nachprüfen – denn ob die derzeitige Form der Ausbildung sich diesem Lernziel tatsächlich verpflichtet fühlt, darf man wohl bezweifeln. Hier wäre eine Stärkung der Grundlagenfächer sicher ein Gedanke.

Lebenslanges Lernen statt umfassenden Wissens

Ein zweiter, ebenso wichtiger wie folgenreicher Aspekt war die vielfach unterstützte Forderung nach einer Abkehr von kanonischen Fächersammlungen, bei denen von den Studierenden umfassendes Wissen zu fordern sei. Besonders deutlich brachte Baer dies auf den Punkt, die unter dem Stichwort des "entgrenzten Wissens" darlegte, warum die exponentiell anwachsenden Mengen an Gesetzen und Rechtsinformationen, die zudem immer schneller veralten, zu einer Verschiebung der Anforderungen an Absolventen weg von präsenten Wissensbergen und hin zu Selbstlernkompetenzen führen muss. Heutige Jurastudenten müssen lebenslang damit rechnen, sich ständig in neue Materien einzuarbeiten, dementsprechend müsste dies auch die Lehre an den Universitäten abbilden. Gerade deswegen wollte auch die klare Mehrheit der Anwesenden die breite und offene Ausbildung zum "Einheitsjuristen" beibehalten und eine zu frühe Spezialisierung vermeiden. Damit wendeten sich auch die Standesvertreter der Anwaltschaft explizit von Forderungen früherer Jahre nach einer Spartenausbildung für den Anwaltsberuf ab – der kommende demografische Wandel lässt die Angst vor einer Anwaltsschwemme verblassen. Im Gegenteil wurde schon jetzt die Sorge geäußert, in naher Zukunft könne die Nachwuchsrekrutierung schwierig werden.

Änderungen am Staatsexamen?

Nicht einmal die sonst auf vielen Tagungen heilige Kuh des Staatsexamens blieb unangetastet. Fischers in seiner Zeit-Kolumne geäußerte Generalkritik am Staatsexamen als einer praxisfernen und demütigenden Prüfungsform, die reines Auswendiglernen ohne Verständnis fördere, fand nur leisen Widerspruch. Gleiches galt für die Idee, auch in den Klausuren der Ersten Prüfung Kommentare zuzulassen: Vielstimmige Zustimmung traf hier auf die relativ allein stehende Kritik des Leiters des JPA Hamm. Stärker in Richtung des eigentlichen Tagungsthemas zielte die unter anderem seitens der Veranstalter vom Institut für Anwalts- und Notarrecht der Universität Bielefeld gestellte Frage, ob man nicht auch rechtsberatende oder -gestaltende Aufgabenstellungen in der Ersten Staatsprüfung stellen könnte, um so einen wirksamen Anreiz für Studierende zu schaffen, sich mit diesen Formen der Rechtsanwendung lernend zu beschäftigen. Die Erwiderung des Leiters des OLG Hamm zeigte hier ein klassisches Henne-Ei-Problem: Die Prüfungsämter würden dies als Klausur nicht stellen wollen, weil die Studierenden es nicht beherrschen würden und daher katastrophale Ergebnisse zu erwarten wären. Dafür sollten solche Fragen eher in mündlichen Prüfungen erörtert werden. Die Auflösung dieses Dilemmas steht noch aus, eine grundsätzliche methodische Öffnung des Examens wurde jedoch von vielen Besuchern der Konferenz als grundsätzlich wünschenswert empfunden.

Anwaltsorientierung in vorhandenen Strukturen

Vorgestellt wurden aber auch eine Reihe von Projekten und Ideen, wie man Studierenden berufliche Rollenbilder schon im bestehenden Studium näher bringen könne. Das Spektrum reichte dabei von prozessualen Planspielen und Legal Clinics bis zu Expertengesprächen mit Anwälten im Rahmen von Schlüsselqualifikationsveranstaltungen. Getragen wurden diese allerdings überwiegend vom akademischen Mittelbau. Und so gehörte es zu den wenigen Klagen der Tagung, dass diese abgesehen von den anwesenden Referenten kaum Hochschullehrer erreichte. Das freilich könnte auch mit der Terminierung mitten im laufenden Semester zusammenhängen. So oder so: Aus didaktischer Sicht ist es eine ermutigende Entwicklung, wenn die Diskussion um Veränderungen im Jurastudium nicht (mehr) anhand der Frage möglichst effizienter wirtschaftlicher Verwertbarkeit unmittelbar nach Bestehen des 2. Staatsexamens geführt wird, sondern Grundlagen- und Methodenorientierung und eine Erziehung zum eigenständigen Denken gefordert werden. Der Autor Dr. Denis Basak forscht und lehrt zu deutschem und internationalem Straf- und Strafprozessrecht sowie Rechtsdidaktik in Frankfurt am Main.

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