Auf diplomatischer Mission

Verwaltungsstation an der deutschen Botschaft in Hanoi

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 5 Minuten
Das Gehalt durchschnittlich, die Lebensumstände kompliziert, die Anforderungen hoch. Dennoch landet das Auswärtige Amt Jahr für Jahr auf den vordersten Plätzen, wenn frisch examinierte Juristen gefragt werden, in wessen Dienste sie am liebsten treten würden. Was es mit der Faszination der Ferne auf sich hat, erkundete Constantin van Lijnden drei Monate lang an der deutschen Botschaft in Hanoi.

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Donnerstag, 06:50, durch die zellofanfoliendünnen Fenster dröhnt vietnamesischer Gesang auf einer poppigen Melodie in mein Zimmer und in mein Bewusstsein. Ich kann den Text zwar nicht verstehen, aber mitsingen, schließlich höre ich ihn seit Monaten. Er markiert den Anfang der Durchsagen des staatlichen (Propaganda-)Radios, welche 2x pro Tag durch die Straßenzüge der Hauptstadt hallen, mit Ausnahme einiger edlerer Wohnviertel, in denen die Expat-Lobby ein Ende der Zwangsbeschallung hat durchsetzen können. An Schlaf ist so nicht mehr zu denken, also mache ich mich durch ein Gewirr enger, überfüllter und abgasgeschwängerter Gassen auf den Weg zur Arbeit – ein Spießroutenlauf, bei dem es gilt, von den vier Millionen Mofas der Stadt nach Möglichkeit nicht überrollt zu werden. Wenigstens die Botschaft ist eine Oase der Ruhe; das ehemals der befreundeten DDR gewährte Grundstück liegt zentral und ist dennoch einigermaßen vom Straßenlärm geschützt. Daran muss man sich gewöhnen: Hanoi ist laut, dreckig und ungemütlich. Aber es ist auch fremdartig und bezaubernd – zum Beispiel, wenn man abends selbst am Lenker eines Rollers sitzt, unter rot leuchtenden Transparenten das Ufer des Westlake entlangfährt, an einer der vielen Garküchen mit Seeblick Halt macht und für eine Summe, für die man in Deutschland kein Mineralwasser serviert bekommt, süffiges Frischbier und brutzelnde Teigtaschen verspeist. Wer hier nicht bloß als armer Referendar, sondern als Entsandter des Auswärtigen Amtes für drei bis vier Jahre lebt, der kommt auch noch in den Genuss weiterer Vorzüge. So zum Beispiel des niedrigen Lohnniveaus, das es erlaubt, mehrere persönliche Bedienstete zu beschäftigen, die einem vom Autofahren bis zum Waschen, Kochen und Putzen all die Lästigkeiten des Alltags abnehmen.

Abwechslung ist das ganze Leben

Freilich nur bis zur nächsten Versetzung. Die führt einen vielleicht nach Stockholm. Oder Nairobi. Oder – so ist es vorgesehen – für jede zweite, spätestens dritte Station zurück nach Berlin. Dabei wechseln nicht nur die Umgebung, der Freundeskreis und der Lebensstandard, sondern auch das Aufgabenfeld: Der ehemalige Kulturdezernent macht auf einmal Wirtschaft, der Visa-Experte übernimmt die politische Beziehungspflege. Das ist zugleich Fluch und Segen des Diplomatendaseins: Niemand läuft Gefahr, den Job als eintönig zu empfinden, aber wer beruflich und privat nicht über maximale Flexibilität verfügt, der kann vom stämdigen Bäumchen-wechsle-dich leicht zerrieben werden. Referendare, die mit ihrer Verwaltungs- oder Wahlstation an einer deutschen Auslandsvertretung ein ernstes berufliches Interesse verknüpfen, tun deshalb gut daran, sich bei der Wahl des Dienstorts nicht allzu sehr zu schonen. In New York kommt man für drei Monate sicher leichter zurecht als in Yangon, aber im Auswärtigen Dienst muss man beidem gewachsen sein. Außerdem sollte vorher Klarheit darüber bestehen, was die Stage im Lichte des vielfältigen und lokal völlig unterschiedlichen Aufgabenfeldes liefern kann: Eine Momentaufnahme – nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Verwaltungsverfahren bleibt Verwaltungsverfahren

Während meiner Station wurde ich - wie dies bei Rechtsreferendaren üblich ist - vorwiegend in der Rechts- und Konsularabteilung eingesetzt. Konkret bedeutete das, Remonstrationsbescheide und Klageerwiderungen zu verfassen, um die Ablehnung von Visumsanträgen zu begründen. Da schafft die Juristerei auf einmal ein Gefühl der Vertrautheit: Verwaltungsverfahren bleibt eben Verwaltungsverfahren, ob nun in Düsseldorf oder in Hanoi, bloß, dass in materieller Hinsicht bislang unbekannte Normen –das AufenthG und der Visakodex– zur Anwendung kommen. Deutlich ungewohnter ist da schon der Einsatz bei sogenannten Ehegatteninterviews, gleichzeitig in Deutschland und Vietnam durchgeführten Befragungen der Brautleute zur Ermittlung einer etwaigen Scheinehe. Dabei geht es weniger schlüpfrig zu, als der Leser vermuten mag: Ein "Ausforschen des inneren Ehelebens" sieht die Rechtsprechung als unzulässig an, so dass der Katalog sich in einfachen Fragen nach dem gegenseitigen Kennenlernen, den Hobbies des jeweils anderen und den familiären Verhältnissen erschöpft. So mancher Kandidat geht mit intimen Details jedoch auch ungefragt recht freigiebig um: Gleich am ersten Tag erlebte dieser Autor die Ablehnung einer DVD, welche der Antragsteller zum Beweis der Tatsache vorzulegen gedachte, dass das eheliche Miteinander zwischen ihm und seiner Holden sich in wirklich jeder Hinsicht so einvernehmlich gestaltet, wie man dies von frisch Vermählten im Allgemeinen annimmt.

Von Smalltalk und großen Reden

Das ist zunächst unterhaltsam, bleibt es aber nicht ewig. Spätestens nach dem zehnten Antragsteller, der gerade noch den Namen seiner Ehefrau nennen kann, aber schon bei Angaben zu ihrer Schul- und Berufsbildung ins Straucheln gerät, fragt man sich, was man da eigentlich gerade macht. Wer über ein wenig Eigeninitiative und außerdem nette Kollegen verfügt, der kann aus dem Tagesgeschäft der RK-Abteilung aber immer wieder einmal ausbrechen. Eine geeignete Gelegenheit dazu sind etwa die Besuche deutscher (Ministerial-)Beamter an der Botschaft. Während meiner Zeit in Hanoi waren dies u.a. der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, der Leiter des Referats für internationale Beziehungen im Bundesjustizministerium und der Leiter der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption. Alle drei hatten ein je mehrtägiges Programm in Hanoi zu absolvieren, welches Gespräche mit Vertretern der diversen vietnamesischen Justizbehörden beinhaltete. Und in allen drei Fällen hatte ich die Möglichkeit, mich anzuschließen und das Geschehen hautnah zu verfolgen. So kam ich dazu, in einem muffigen Konferenzzimmer zu sitzen und in die finsteren Minen der Beamten  des Ministeriums für öffentliche Sicherheit zu blicken. Oder auf einer Konferenz den vietnamesischen Justizminister über die bevorstehende Verfassungsänderung dozieren zu hören. Oder ein paar Wochen später seinem Vize beim Abendessen zuzuprosten. Bei diesen Gelegenheiten lernt man auf der einen Seite die glanzvolleren Momente des Diplomatenlebens kennen -  auf der anderen aber auch seine sozialen Verpflichtungen und rhetorischen Mühseligkeiten. Wie gut einem das alles am Ende gefällt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Spannender als drei Monate in der Gemeindeverwaltung von Hintertupfingen ist es allemal, aber auch teurer und aufwendiger. Wenn der Funke überspringt, kann man sich beim Auswärtigen Amt bewerben, wo stets Rechtswissenschaftler gesucht werden. Wer den – höllisch schweren – Aufnahmetest übersteht, der kann die deutsche Fahne bald selbst im Ausland hochhalten.

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