Neubesetzung des Lehrstuhls für Rechtsphilosophie

Über­ra­schende Kehrt­wende in Bonn?

von Dr. Franziska KringLesedauer: 5 Minuten

Seit mehr als zwei Jahren ist der Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bonn unbesetzt. Das Ende einer langen Tradition drohte – das sorgte für Protest. Jetzt könnte sich eine Kehrtwende abzeichnen.

Am 8. Juli 2019 fand die Abschiedsvorlesung von Prof. Dr. Rainer Zaczyk, ehemaliger Inhaber des renommierten Lehrstuhls für Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Universität Bonn, statt. Auf der Homepage findet sich der Hinweis auf die letzte Vorlesung des Professors noch immer unter "Aktuelles". Seitdem ist nicht viel passiert am Lehrstuhl.

Seit mehr als zwei Jahren ist die Professur unbesetzt. Der Lehrstuhl genießt nicht nur in Deutschland, sondern auch auf internationaler Ebene einen hervorragenden Ruf. Die letzten drei Lehrstuhlinhaber, Professor Dr. Hans Welzel, Professor Dr. Dr. h.c. mult. Günther Jakobs und Professor Dr. Rainer Zaczyk, haben mit ihrer Forschung wichtige Beiträge zur Fortentwicklung der Disziplinen Rechtsphilosophie und Strafrecht geleistet. Welzel gilt als Begründer der finalen Handlungslehre im Strafrecht, nach der die Handlung "ein vom steuernden Willen beherrschtes, zielgerichtetes menschliches Verhalten" ist.

Das Institut für Rechtsphilosophie und Strafrecht blickt auf eine lange Tradition zurück. Diese drohte unlängst aufgrund von Schwierigkeiten bei der Neubesetzung des Lehrstuhls zu zerbrechen.

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Erster Versuch der Neubesetzung scheiterte im Frühjahr 2019

Ein erstes Verfahren zur Neubesetzung der Professur scheiterte im Frühjahr 2019 – dem Vernehmen nach wegen Befangenheit eines Kommissionsmitglieds.

Die Berufung eines Professors oder einer Professorin folgt festen Verfahrensschritten, die im Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen (HG NRW) und der Berufungsordnung der jeweiligen Universität geregelt sind. Die Universität Bonn informiert darüber ausführlich auf ihrer Homepage.

Nachdem das Rektorat die jeweilige Stelle freigegeben hat, setzt die Uni eine Berufungskommission ein, die ein Anforderungsprofil erarbeitet und Auswahlkriterien festlegt. Nachdem die Stelle ausgeschrieben wurde, werden geeignete Kandidatinnen und Kandidaten zum Probevortrag eingeladen. In einem zweiten Schritt finden nicht-öffentliche Gespräche der Berufungskommission mit den Vortragenden statt. 

Sodann erfolgt die Begutachtung durch externe Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler. Die Kommission erstellt auf Grundlage der Ergebnisse des gesamten Auswahlverfahrens den Berufungsvorschlag, den sie dem Fakultätsrat zur Entscheidung vorlegt. 

Neubesetzung platzte erneut

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik, Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Freiburg, hatte alle diese Schritte gemeistert. Am 31. Oktober 2019 hielt er einen Probevortrag zum Thema "Karl Marx über Verbrechen und Strafe". Damit setzte er sich gegen vier andere Bewerberinnen und Bewerber durch und stand kurz vor der Berufung auf den vakanten Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie. 

Das Berufungsverfahren scheiterte jedoch in letzter Sekunde: Dem Vernehmen nach drohte das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW der Universität mit einer Rüge, sollte sie Herrn Professor Pawlik tatsächlich den Ruf erteilen. Auf Nachfrage verwies das Ministerium darauf, dass die Hochschulen in der Trägerschaft des Landes ihre gesetzlichen Aufgaben im Rahmen ihrer Hochschulautonomie eigenverantwortlich unter der Rechtsaufsicht des Ministeriums wahrnähmen, § 76 Abs. 1 HG NRW. Zu Fragen der Rechtsanwendung stünden die Hochschulen daher mit dem Ministerium in einem engen Austausch. Die Universität Bonn habe das Berufungsverfahren dementsprechend im Rahmen der Hochschulautonomie eigenständig und eigenverantwortlich durchgeführt. Eine Beanstandung oder ein Abhilfeverlangen gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 HG NRW sei seitens des Ministeriums nicht an die Hochschule gerichtet worden.

Die Universität machte einen Rückzieher und die Berufung von Professor Pawlik platzte. Dem Vernehmen nach plante sie zunächst, den Lehrstuhl nicht wieder zu besetzen.

Protest auf nationaler und internationaler Ebene

Nunmehr ist der Lehrstuhl seit mehr als zwei Jahren unbesetzt. Das sorgt nicht nur in Deutschland für Protest: Im Frühjahr des Jahres 2021 unterschrieben knapp 50 spanischsprachige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen an Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW, den Rektor der Universität Bonn sowie den Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät gerichteten Brief. In diesem appellierten sie, die Entscheidung über die Nichtberufung von Professor Pawlik noch einmal zu überdenken.

Seit Jahrzehnten arbeitet der Bonner Lehrstuhl für Rechtsphilosophie und Strafrecht eng mit spanischsprachigen Strafrechtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern zusammen. Zahlreiche Unterzeichnende des Briefes haben an der Universität Bonn promoviert oder dort Forschungsaufenthalte absolviert. Diese Kooperation sehen sie in Gefahr.

"Rechtsphilosophie gehört an eine rechtswissenschaftliche Fakultät – in Bonn und anderswo"

Unlängst schlossen sich hierzulande rund 70 ehemalige Studierende und Doktoranden des Lehrstuhls sowie weitere der Rechtsphilosophie zugewandte Personen dem Protest an: Am 14. September 2021 richteten sie einen Brief an die Universität Bonn, da sie das Rechtsphilosophische Seminar in seinem Bestand in Gefahr sahen. Die Initiatoren sind Folke große Deters, Persönlicher Referent des Bürgermeisters von Hennef, und Dr. Thomas Jacob, Richter am Oberverwaltungsgericht NRW.

Sie vertreten die Meinung, "dass es an dieser traditionsreichen rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät auch künftig einen dem so wichtigen Grundlagenwissen verpflichteten Raum der Rechtsphilosophie und einen dazugehörigen Lehrstuhl geben sollte", heißt es in dem Brief, der LTO vorliegt. Es sei nicht verständlich, welch geringes Gewicht offenbar der akademisch bedeutenden Geschichte des Rechtsphilosophischen Seminars beigemessen werde.

Der Brief schließt mit einem klaren Statement: "Die Rechtsphilosophie gehört an eine rechtswissenschaftliche Fakultät – in Bonn und anderswo".

"Wir werden den Lehrstuhl angemessen hochkarätig wiederbesetzen"

Das scheinen auch die Verantwortlichen der Universität erkannt zu haben. In dem prompt versendeten kurzen Antwortschreiben, das der LTO ebenfalls vorliegt, heißt es: "Weder der Rechtswissenschaftliche Fachbereich noch die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät noch das Rektorat unserer Universität beabsichtigen, diesen sehr renommierten und international angesehenen Lehrstuhl auf Dauer unbesetzt zu lassen."

Der Schluss des Briefes lässt eine Kehrtwende erkennen: "Natürlich werden wir die hohe Tradition der Rechtsphilosophie an unserer Fakultät fortführen und den Lehrstuhl angemessen hochkarätig wiederbesetzen." Was das bedeutet, wurde auf Nachfrage nicht konkretisiert.

Verhaltener Optimismus bei den Initiatoren

Mitinitiator Folke große Deters zeigt sich verhalten optimistisch. Es komme darauf an, was diese Ankündigung zu bedeuten habe. "Eine rechtsphilosophische Bibliothek, die für einige Jahre nicht gepflegt wird, verliert sehr schnell an Qualität. Wenn über mehrere Semester keine rechtsphilosophischen Vorlesungen angeboten werden, bedeutet das, dass mehrere Jahrgänge ihr Examen machen, ohne die Chance einer Berührung mit rechtsphilosophischem und damit kritischem Denken zu haben."

Außerdem sieht er weitere Schwierigkeiten: Wenn ein Lehrstuhl über eine längere Dauer nicht mehr besetzt werde, sei die Gefahr groß, dass Stellen und finanzielle Mittel etwa im Zuge von Berufungsverhandlungen umgeleitet werden und eine Neubesetzung aus tatsächlichen Gründen unmöglich werde.

"Daher sind wir erst zufrieden, wenn klar ist, dass ein wie auch immer geartetes Stellenbesetzungsverfahren für die Professur nicht für die ferne Zukunft versprochen, sondern unverzüglich angegangen wird", so große Deters.

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