Praktikum am Internationalen Seegerichtshof

Kaum Fälle, trotzdem span­nend

Interview mit Moritz MoelleLesedauer: 4 Minuten
Vielen Juristen ist nicht bekannt, dass auch Deutschland ein internationales Gericht beheimatet – den Internationalen Seegerichtshof in Hamburg. Noch weniger wissen, dass Studenten dort Praktikum und Referendare Wahlstation machen können. Moritz Moelle war von Oktober bis Dezember 2009 im Legal Office des Gerichts und hat sich keinen Tag gelangweilt, auch wenn sich der Gerichtshof erst mit 19 Fällen befasst hat.

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LTO: Herr Moelle, unter fachfremden Juristen ist der 1996 gegründete Internationale Seegerichtshof eher unbekannt. Worüber entscheiden die Hüter des Seevölkerrechts? Moelle: Das Gericht befasst sich vor allem mit zwischenstaatlichen Streitigkeiten rund um die Rechte und Pflichten, die sich aus dem UN-Seerechtsübereinkommen ergeben, welches von der Mehrheit der Staaten (mit Ausnahme der USA und einigen anderen) ratifiziert worden ist. In diesem Jahr entschieden die Richter zum Beispiel einen Streit über den Verlauf der Seegrenze zwischen Bangladesch und Myanmar.  Regelmäßig streiten Staaten vor dem Gericht auch über die Freilassung von Schiffen, wenn ein Land ein fremdes Schiff mit der Begründung festgesetzt hat, dass illegal in seiner ausschließlichen Wirtschaftszone gefischt worden sei. LTO: Sie haben ein Praktikum im Legal Office des Gerichts absolviert. Was war Ihre Motivation dafür?

Moelle: Ich hatte zuvor bereits ein Praktikum in der International Law Commission gemacht. Das ist die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (UNO), die von der Generalversammlung zur Fortentwicklung des Völkerrechts eingesetzt wurde und – wenn man so will – die Legislative der UNO ist. Ich wollte das Völkerrecht gerne auch noch aus einer anderen Perspektive kennenlernen. Da bot sich das Praktikum am internationalen Seegerichtshof an. Zumal es mich gereizt hat, auch ein neues Rechtsgebiet kennenzulernen. LTO: Wie aufwändig war das Bewerbungsverfahren? Moelle: Das war relativ unkompliziert. Man musste lediglich ein Formular von der Homepage des Gerichtshofs ausfüllen und dazu diejenigen Unterlagen einreichen, die bei den meisten Bewerbungen normal sind (Noten im Studium, Empfehlungsschreiben etc.). Eine mündliche Auswahlrunde gab es nicht.

"Es ist hilfreich, wenn man Englisch und Französisch spricht"

LTO: Die offiziellen Gerichtssprachen sind Englisch und Französisch. Wie gut müssen die eigenen Sprachkenntnisse sein, wenn man ein Praktikum am Seegerichtshof machen möchte? Moelle: Es wird erwartet, dass man zumindest eine von beiden Sprachen sehr gut beherrscht, wobei egal ist, ob es sich um Englisch oder Französisch handelt, da beide Sprachen gleichberechtigt sind. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist es aber hilfreich, wenn man beide Sprachen spricht. Einer der Legal Officers zu meiner Zeit war französischer Muttersprachler und hat es sehr geschätzt, mit jemandem arbeiten zu können, der seine Sprache beherrscht. LTO: Und wie viel muss man vom Seerecht wissen? Immerhin ist das für viele Studenten und Referendare ja eher terra incognita. Moelle:  Es hilft natürlich, wenn man schon ausgeprägte Kenntnisse im Seevölkerrecht besitzt, allerdings ist das keine zwingende Voraussetzung. Ein Lehrbuch zum Seevölkerrecht sollte man sich vorher aber mal anschauen. Und gute allgemeine Kenntnisse im Völkerrecht sind auch empfehlenswert. LTO: Was waren Ihre Aufgaben als Praktikant? Moelle: Ich musste zum Beispiel untersuchen, wie sich die Rechtsprechung zur maritimen Grenzziehung entwickelt hat. Ich habe aber auch mitgeholfen, den wöchentlichen Pressespiegel zu erstellen, in dem überblicksartig alle Artikel der führenden Zeitschriften und Magazine zusammengefasst, die für den Seegerichtshof von Relevanz sind. Außerdem muss jeder Praktikant einen Aufsatz zu einem Thema mit Bezug zum Seegerichtshof verfassen und diesen vor den Mitarbeitern und gegebenenfalls auch den Richtern präsentieren. Ich habe einen Artikel über die maritime Friedenssicherung und die Proliferation Security Initiative geschrieben. LTO: Und wie kam der bei Ihren Kollegen an? Moelle: Die Resonanz war sehr positiv – veröffentlicht habe ich den Aufsatz allerdings nicht.

"Man wird als Vollzeit-Mitarbeiter angesehen"

LTO: Der Seegerichtshof hat sich seit seinem Bestehen erst mit 19 Fällen befasst. Von den 22 Richtern ist nur der Gerichtspräsident stets anwesend, während die anderen Mitglieder des Gerichts außerhalb der Verhandlungen in ihrem Heimatland ihrer normalen beruflichen Tätigkeit nachgehen. Wie ausgelastet ist man als angesichts dessen als Praktikant? Moelle: Während meines Praktikums war kein Fall anhängig – erst gegen Ende meiner Zeit wurde eine Klage zugestellt. Trotzdem war ich voll ausgelastet. Meine Kollegen haben mich als Vollzeit-Mitarbeiter angesehen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die eigentliche Bearbeitung von Klagen nur einen Teil der juristischen Arbeit ausmacht. So müssen Berichte für die Treffen der Mitgliedstaaten des Seerechtsübereinkommens verfasst werden. Auch bereitet das Legal Office die jährlichen Zusammenkünfte der Richter vor, in denen administrative Entscheidungen getroffen werden und fachliche Diskussionen stattfinden. Die Nichtanwesenheit der Richter bedeutet daher nicht weniger Arbeit. LTO: Gab es ein besonderes Ereignis, an das Sie sich erinnern? Moelle: Ja. Der Besuch des Präsidenten der Kapverden, der mit einer riesigen Entourage und Polizeieskorte anreiste. Allerdings muss man sagen, dass es am Seegerichtshof immer wieder Besucher diplomatischen Ranges gibt – meist aber halt mit weniger Tamtam. LTO: Würden Sie das Praktikum weiterempfehlen? Moelle: Auf jeden Fall! Man bekommt man einen Einblick in die Justiz auf der Ebene des Völkerrechtes. Außerdem hat man die Möglichkeit, mehrsprachig in einem internationalen Umfeld zu arbeiten – und das auch noch in der schönen Stadt Hamburg. Nicht zuletzt dank der familiären Atmosphäre am Seegerichtshof ist das Praktikum dort eine sehr schöne Erfahrung. LTO: Herzlichen Dank für den Erfahrungsbericht! Moritz Moelle hat Rechtswissenschaften in Freiburg, Genf und Leiden studiert. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Columbia University in New York City, forscht er nun im Rahmen seiner Promotion zur Haftungsverteilung zwischen internationalen Organisationen für unerlaubte Handlungen in Friedensmissionen am Lauterpacht Centre for International Law der Universität Cambridge, England. Weitere Infos zum Praktikantenprogramm des Internationalen Seegerichtshofs finden Sie hier. Die Fragen stellte Jens Kahrmann per E-Mail.

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