Der Numerus Clausus erneut in Karlsruhe

Stu­di­en­plätze für alle?

von Arne-Patrik HeinzeLesedauer: 7 Minuten
Ein VG hat dem BVerfG gesetzliche Regelungen zur Hochschulplatzvergabe zur Kontrolle vorgelegt. Die Abschaffung der Zulassungsbeschränkung steht eher nicht im Raum, wohl aber gerechtere Vergabekriterien, erläutert Arne-Patrik Heinze.

Die Zahl der Studienplätze nimmt leicht zu - allerdings nicht ansatzweise im gleichen Maße wie die der Bewerber: Noch immer gibt es für viele Studiengänge mehr Interessenten als Kapazitäten vorhanden sind. Dabei werden Studienplätze in unterschiedlicher Art und Weise vergeben. Während die Studienplatzvergabe für einige Fächer von den Hochschulen beziehungsweise Universitäten (im Folgenden Hochschulen) direkt abgewickelt wird, gibt es für andere Studiengänge die zentrale Bewerbung für Studienplätze über die Stiftung für Hochschulzulassung (Hochschulstart) und deren Online-Portal, so etwa für Studienplätze der bundesweit zulassungsbeschränkten Humanmedizin. Die Studienbewerbungen über Hochschulstart werden im Rahmen der errechneten Kapazität zu vergebender Studienplätze (sogenannte innerkapazitäre Studienplätze) im Wesentlichen in drei Vergabekategorien eingeteilt: 20 Prozent der Plätze werden nach der Abiturnote vergeben, 20 Prozent nach Wartezeit und 60 Prozent nach dem Auswahlverfahren der jeweiligen Hochschule. Im Rahmen einer Studienplatzklage hat das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nun gesetzlichen Regelungen der Hochschulplatzvergabe zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt. Bei dem Vorlageverfahren nach Art. 100 Grundgesetz (GG) geht es aber eher nicht um eine Abschaffung der absoluten Zulassungsbeschränkung (Numerus Clausus), sondern im Kern um drei konkrete Vorlagefragen. Erstens hält das VG es für verfassungswidrig, dass es keine Landesquoten gibt. Es wird also nicht das Bundesland berücksichtigt, in dem der Bewerber seine Allgemeine Hochschulreife erlangt hat. Das ist nach Auffassung der Gelsenkirchener aber notwendig, weil die Abiturabschlüsse der Länder untereinander unvergleichbar seien. Zweitens sei es verfassungswidrig, dass die nach Wartezeit zu vergebenden Plätze an die seit dem Abschluss der Hochschulreife vergangene Zeit geknüpft sind. So könne es passieren, dass sich durchgehend Bewerbende von Personen "überholt" werden, die sich nicht durchgehend beworben haben, weil deren Abschluss länger zurückliegt. Drittens habe die Abiturnote zu viel Gewicht, weil sie sowohl bei den nach der Bestenquote zu vergebenden Plätzen als auch bei den nach den Auswahlverfahren der Hochschulen zu vergebenden Plätzen berücksichtigt wird.

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Bisherige Rechtsprechung zum Einklagen eines Studienplatzes

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zur Studienplatzvergabe mehrere grundlegende Entscheidungen getroffen. Die Karlsruher Richter haben dabei einen grundsätzlichen Anspruch auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte angenommen. Rechtlich ist dieser Anspruch im Kern auf Grundrechte gestützt, nämlich die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG und den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Letzterer kann, soweit er nicht beispielsweise im Rahmen eines Vorlageverfahrens objektiv anhand einer Norm zu prüfen ist, nur in Verbindung mit einem subjektiven Recht geltend gemacht werden. Als klassische Abwehrrechte gegen den Staat kann in diese Grundrechte nur unter bestimmten Voraussetzungen eingegriffen werden. Die Versagung einer Leistung ist dabei nur als Eingriff zu werten, wenn die Leistung rechtlich vorgesehen ist. Ausnahmsweise können Grundrechte aber auch sogenannte Leistungsrechte in Form originärer und derivativer Leistungsrechte sein. Bei derivativen Leistungsrechten wird eine Teilhabe innerhalb begrenzter Kapazitäten gewährt. Das BVerfG ist in seinen Grundsatzurteilen davon ausgegangen, dass grundsätzlich ein derivatives Leistungsrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG besteht. Entsprechend hat es die Versagung eines Studienplatzes aufgrund des Numerus Clausus als Eingriff gewertet, für den es erhöhte Anforderungen gibt. Da es sich bei der Versagung um eine Berufszulassungsregelung handelt, gelten insoweit besonders strenge Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeit. Eine absolute Zulassungsbeschränkung für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung ist deshalb nach Ansicht der Karlsruher nur verfassungsgemäß, wenn sie (unter anderem) in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet wird. Zudem müssen die Auswahl und die Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber sowie unter möglichst weitgehender Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen.

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2/2: Rechtsstaatswidriges Handeln der Behörden und Gerichte

Aktuell mag es zwar die theoretische Chance auf einen Studienplatz für jeden Bewerber mit Hochschulzulassungsvoraussetzungen geben – faktisch jedoch nicht. Bei zum Teil 15 Wartesemestern erscheint es unrealistisch, einen derartigen Zeitraum in jungen Jahren effizient überbrücken zu können – mit der Ungewissheit, ob nach 7,5 Jahren auch tatsächlich der heiß ersehnte Studienplatz zugeteilt wird. Hinzu kommt, dass die Hochschulen und Gerichte mittlerweile viel Aufwand betreiben, um die Kosten einer Studienplatzklage für Bewerber zur Abschreckung in die Höhe zu treiben. So splitten einige Gerichte Eilanträge zum Beispiel künstlich in zwei Verfahren auf, soweit rechtlich innerkapazitär und außerkapazitär vorgetragen wird. Außerkapazitär sind solche Studienplätze, die von der Hochschule fehlerhaft nicht vergeben wurden und erst im Nachhinein in einem Gerichtsverfahren aufgedeckt werden. Obwohl es sich beim innerkapazitären und außerkapazitären Studienplatz faktisch um denselben Studienplatz handelt, können durch diese künstliche Splittung doppelte Gerichtskosten und doppelte Anwaltskosten auf Seiten der Hochschulen produziert werden. Zum Teil bescheiden Hochschulen auch völlig unnötig außerkapazitäre Anträge, um Studenten neben dem Eilantrag zusätzlich in die Klage zu zwingen und somit wiederum die Kosten in die Höhe zu treiben - obwohl eine Klage wegen Untätigkeit noch nicht droht. Innerkapazitär werden darüber hinaus der Ablehnungsbescheid über Hochschulstart sowie die Bescheide der Auswahlverfahren der Hochschulen gesplittet, um auch so weitere Einzelverfahren mit jeweiligen Gerichts- und Anwaltskosten zu produzieren. Erschwerend kommen einerseits die begrenzte Zahl der Hochschulen, die bei Hochschulstart angegeben werden können, und andererseits die Vorgaben vieler Hochschulen hinzu, als Präferenz an Platz 1 oder Platz 2 gesetzt zu werden. Faktisch wird damit schon die Bewerbungsmöglichkeit auch im Hinblick auf eine spätere Studienplatzklage drastisch eingeschränkt. Wie in vielen Behörden wird nicht rechtsstaatlich besonnen, sondern gegen den Bürger agiert. Die vom BVerfG seinerzeit vorgegebene Berücksichtigung der Ortswahl erfolgt bei Studiengängen wie Humanmedizin nur noch in der Theorie.

Eine "unbeliebtere" Hochschule gibt es fast immer

Einige Verwaltungsgerichte tendieren dabei ebenfalls wie die Behörden zu staatsnahen Entscheidungen. So wird zum Beispiel von Gerichten in Hamburg oder in Nordrhein-Westfalen für Studiengänge, die von den Hochschulen direkt vergeben werden – so etwa auch für die Rechtswissenschaften -, vertreten, dass die Bedürftigkeit für einen Eilantrag nur gegeben ist, wenn der Studienplatz nicht an einer anderen Hochschule zulassungsfrei erlangt werden kann. Das ist aber sehr oft der Fall, da es so gut wie immer irgendwo eine "unbeliebte" Hochschule gibt, die nicht so viele Bewerber hat. Außerdem wird etwa in Baden-Württemberg der Gleichheitsgrundsatz in manchen Konstellationen in ebenso verfassungswidriger Weise nicht auf die jeweilige juristische Person beschränkt. Dabei verkennen die Gerichte: Da Hochschulen regelmäßig eigenständige juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, besteht ein Anspruch aus Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG jedenfalls bei Studienplätzen, die nicht bundesweit zentral vergeben werden, gegenüber jeder Hochschule als in der Regel eigenständige juristische Person - und zwar unabhängig davon, dass der Bewerber letztlich nur einen der Plätze, auf die er Anspruch hätte, annehmen kann, oder einen bereits erhaltenen für einen neuen Studienplatz wieder aufgeben muss. Insoweit ist lobend hervorzuheben, dass das VG Gelsenkirchen im konkreten Fall für den Studiengang Medizin den Mut hatte, von der Möglichkeit der konkreten Normenkontrolle Gebrauch zu machen und die Vorlage derart zu begründen, dass sie nicht mangels substantiierten Vortrages nicht angenommen wurde.

Die kommende Numerus-Clausus-Entscheidung

Die zu erwartende Entscheidung des BVerfG im Oktober kann möglicherweise zu erheblichen Veränderungen führen. Die Bedenken der Gelsenkirchener über die Landesquoten wegen unterschiedlicher Abituranforderungen der Länder sind plausibel, aber faktisch kaum greifbar. Es müsste durchgehend das Abitur jedes Bundeslandes nach einem Schlüssel neu bewertet werden, um Vergleichbarkeit zu schaffen - und das im Grunde jedes Semester neu, weil die Länder Anforderungen und Schulsysteme ständig verändern. Außerdem gibt es auch innerhalb der Bundesländer erhebliche Unterschiede, die zwar vielleicht rechtlich nicht zwingend zu berücksichtigen sind, faktisch jedoch erneut zu ungerechten Ergebnissen bei der Studienplatzvergabe führen. Zusätzlich hätte eine Landesquote erhebliche Auswirkungen auf andere Bereiche. So müsste zum Beispiel bei der Vergabe von Referendariatsplätzen für Juristen wegen ebenfalls unterschiedlicher landesrechtlicher Erster Juristischer Prüfungen ebenso vorgegangen werden. Jede Personalstelle für Referendare dürfte auch insoweit nicht nur eigene "Landeskinder" gesondert behandeln, sondern müsste ebenfalls Landesquoten schaffen. Letztlich sind die Unterschiede beim Abitur ein Problem des Föderalismus, das aus Karlsruhe nur schwer zu lösen sein wird.

Obiter dictum zur Vergabe außerkapazitärer Studienplätze?

Hinsichtlich der Kritik, dass "Gelegenheitsbewerber" lange wartende, sich durchgehend Bewerbende "überholen" können, ist denkbar, dass das BVerfG die insoweit geregelte Vergabe für unverhältnismäßig erachtet und damit aus der Welt schafft. Auch die Übergewichtung der Abiturnote ist in der Tat verfassungsrechtlich bedenklich, weil sie einerseits doppelt und andererseits in erheblicher Weise maßgeblich ist. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Karlsruher diesen Umstand als unverhältnismäßig erachten werden, sodass die Gewichtung der Abiturnote zukünftig in geringerem Umfang erfolgen muss. Interessant ist, dass die vom Verfassungsgericht zu klärenden innerkapazitären Vergabekriterien auch die Vergabe der außerkapazitären Studienplätze im Rahmen der Studienplatzklagen betreffen. Viele Gerichte vergeben außerkapazitäre Plätze anhand aller oder einiger Kriterien, die auch innerkapazitär gelten. Da jedenfalls die außerkapazitären Plätze nicht zentral vergeben werden, wird es spannend, ob sich das BVerfG in diesem Kontext auch zur verfassungswidrigen Anwendung des Gleichheitsgrundsatzes auf die jeweilige juristische Person durch einige Gerichte (wie im Beispiel oben genannt etwa Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hamburg) äußern wird - womöglich durch ein obiter dictum. Der Autor Dr. Arne-Patrik Heinze ist als Rechtsanwalt für Studienplatzklagen und Prüfungsanfechtungen sowie wissenschaftlich als Fachautor aktiv. Zudem ist er bundesweit als Dozent im Öffentlichen Recht tätig.

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