Niedersachsen ohne Hochschulgrad - Versehen oder Absicht?

Der ver­lo­rene Diplom-Jurist

von Marcel SchneiderLesedauer: 3 Minuten
Seit der Reform des niedersächsischen Hochschulgesetzes erhalten Juristen nach dem ersten Examen keinen akademischen Grad mehr. Die Fachschaften wollen das ändern und glauben, dass sich das Ministerium bewusst quer stellt.

Seit dem 1. Januar 2016 bestimmt § 8 Abs. 1 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG), dass Hochschulen für einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss den Bachelorgrad und für einen weiteren berufsqualifizierenden Abschluss den Mastergrad verleihen. Ziel ist es, die Umstellung auf das Bachelor-Master-System zu forcieren. Damit entfällt für alle, die in Niedersachsen erfolgreich ihre erste juristische Prüfung ablegen, der vormals verliehene Titel des "Diplom-Juristen" – und zwar ersatzlos, da das klassische deutsche Jurastudium im Bachelor-Master-System nicht abgebildet wird. Ein Zustand, den zunächst niemand bemerkte, auch nicht die letztlich betroffenen Studenten. "Eher zufällig ist einem unserer Mitglieder im Frühjahr 2016 aufgefallen, was die Regelung für Jurastudenten bedeutet, deren Studiengang ja bekanntermaßen nicht umgestellt worden ist", so Paul Poelker und Niklas Mühleis vom Fachschaftsrat Jura (FSR) der Universität Hannover. Seitdem setzt sich die Interessenvertretung auch im Namen der FSR der übrigen niedersächsischen Jura-Universitäten Osnabrück und Göttingen für die Wiedereinführung ein – mit bisher mäßigem Erfolg.

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"Das Ministerium stellt sich absichtlich quer"

"Natürlich haben wir uns auch im Studentischen Rat hochschulpolitisch mit der gesamten NHG-Novelle befasst. Die Tragweite, die § 8 Abs. 1 NGH haben würde, war aber nicht einmal der Fakultät geschweige denn der Universität bewusst", so die beiden FSR-Mitglieder. Tatsächlich lässt die Zusammenfassung, die das zuständige niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) zur Reform machte, nicht erahnen, dass damit die Abschaffung eines akademischen Grades für examinierte Juristen bezweckt sein könnte. Poelker weiter: "Wir haben daraufhin Kontakt zu den Landtagsfraktionen aufgenommen. Durch die Bank weg haben uns die politischen Ansprechpartner der Parteien bestätigt, dass man sich nicht darüber im Klaren gewesen sei, mit der Novelle auch die Abschaffung des Diploms für Juristen zu beschließen." Die Änderung habe nur Architekten und Ingenieure betreffen sollen, die statt des Diploms dann einen entsprechenden Bachelor- beziehungsweise Master-Titel bekommen sollten. Die jeweiligen Vertreter von CDU, SPD, FDP und den Grünen hätten den Studenten daher umgehend ihre Unterstützung zugesichert. Wenn es sich also nur um ein gesetzgeberisches Versehen handelt und man wohlgesinnte Volksvertreter hinter sich weiß, wieso hat sich dann seit über einem Jahr nichts geändert? Weil es vielleicht doch keine Panne seitens des MWK ist, wie die FSR-Mitglieder vermuten, sondern Absicht, so Mühleis: "Wir denken, dass sich das Ministerium bewusst quer stellt."

Niedersachsens Sonderweg

Ihre Annahme stützen die Studenten auf die Art und Weise, wie das MWK mit Kontaktgesuchen und Anfragen umgegangen sei: "Wir haben uns wegen der Sache mehrmals beim Ministerium erkundigt, auch die FDP-Fraktion hat eine Anfrage gestellt. Letztlich haben wir nach unserem offenen Brief versucht, ein Gespräch mit Vertretern des Ministeriums zu organisieren, und uns auch offiziell an Ministerpräsident Stephan Weil gewandt, um einen Termin bei der zuständigen Ministerin zu bekommen. Alles ohne Ergebnis", berichtet Poelker. Gegenüber LTO führt Jan Haude, Pressesprecher des Ministeriums, aus, dass das MWK bereits "ausführlich auf das Anliegen der niedersächsischen Jura-Fachschaften eingegangen" sei. Mit der NHG-Novelle sei der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge Rechnung getragen worden, womit eben auch "Anpassungen für die Rechtswissenschaften" erfolgt seien. Außerdem habe Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajic die niedersächsischen Jurafachschaften "aktuell" zu einem Gespräch eingeladen, so Haude. Der FSR bestätigt, zwei Tage nach der LTO-Presseanfrage ein entsprechendes Schreiben erhalten zu haben. Ein Termin steht noch nicht, die Hannoveraner Studenten werten die Einladung aber als gutes Zeichen. Für Mühleis bleibt trotzdem ein fader Beigeschmack: "Letztlich ist egal, ob die Abschaffung des Diploms Absicht oder ein Versehen war. Es spricht beides nicht für das MWK: Weder, einen Fehler nicht zugeben und korrigieren zu wollen, noch ein bewusstes Vorhaben im Rahmen einer großen Reform gleichsam durchschmuggeln zu wollen." Vorerst bleibt es also beim "Sonderweg, den Niedersachsen geht", sagt Poelker. "An fast allen anderen juristischen Fakultäten Deutschlands wird den Absolventen des ersten Staatsexamens der Hochschulgrad Diplom-Jurist beziehungsweise Magister iuris verliehen. Uns hingegen fehlt der Nachweis, nach fünf oder mehr Jahren Studium und der notwendigen Vorbereitungszeit überhaupt etwas geleistet zu haben."

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