Speed Reading zur Examensvorbereitung

Sch­neller lesen, sch­neller lernen

von Sabine OlschnerLesedauer: 5 Minuten
Angehende Juristen müssen während ihres Studiums viele Texte durcharbeiten. Wie schön wäre es, wenn man den Stoff zumindest schnell lesen könnte. Kann man - mit den richtigen Techniken bleibt sogar das Verständnis nicht auf der Strecke.

Eine gefühlte Ewigkeit brauchte Dr. Benedikt Flöter früher, um einen umfangreichen Roman zu lesen. "Das muss doch auch schneller gehen", glaubte der damalige Jurastudent und kaufte sich ein Trainingsbuch für Schnelllese-Techniken. "Das war für mich der Augenöffner, dass ich diese Techniken auch für mein Studium und die Examensvorbereitung anwenden könnte", erinnert sich Flöter, der mittlerweile bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Taylor Wessing als Anwalt für Gewerblichen Rechtsschutz arbeitet. Nachdem er die Übungen durchgearbeitet hatte, konnte er sein Lesetempo von rund 250 Wörtern pro Minute auf über 480 Wörter steigern. Bei dieser Zahl ist bereits berücksichtigt, wie viel Inhalt Benedikt Flöter tatsächlich vom Text behalten hat. 250 Wörter pro Minute ist genau der Durchschnitt, den deutschsprachige Leser beim normalen Lesen erreichen. "Mit Training sind maximal 600 Wörter möglich, das nennt sich das 'kleine Schnell-Lesen'", sagt Peter Rösler, Autor eines Sachbuchs zu dem Thema und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Schnell-Lesen. Naturtalente schaffen angeblich über 1500 Wörter pro Minute. "Die Trainer auf diesem Gebiet sind sich allerdings nicht einig, welche Lesegeschwindigkeiten tatsächlich erreichbar sind". Das Geheimnis der Naturtalente: Sie sprechen den Text im Kopf nicht mehr mit, sondern sie erfassen mit einem Blick mehrere Wörter aus mehreren Zeilen. Diese Technik wird als das "große Schnell-Lesen" bezeichnet und kann ebenfalls trainiert werden. Die dritte Säule des Schnell-Lesens ist das Lesemanagement. "Das sind Techniken, mit denen man aus großen Textmengen die wenigen relevanten Stellen findet, die man wirklich lesen will", erläutert Peter Rösler. Das machen viele Menschen schon ganz intuitiv – andere jedoch lesen Texte wirklich Wort für Wort, was entsprechend lange dauert. Das kleine Schnell-Lesen kann man sich mit ein wenig Übung selber beibringen. Peter Rösler sagt, wie es geht: "Der Trick ist, einen leichten Text einmal bewusst so schnell zu lesen, wie es geht, und dabei die Zeit zu stoppen. Das Ganze wiederholt man einige Tage später an einem anderen leichten Text – und wird merken, dass man automatisch schneller geworden ist. Da sich das Gehirn an die neue Geschwindigkeit gewöhnt, fühlt sich das Schnell-Lesen nach kurzer Zeit gar nicht mehr anstrengend an."

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Ziel: Möglichst viel verstehen

Nun geht es ja – vor allem bei der Examensvorbereitung – nicht nur darum, Texte möglichst schnell zu lesen, sondern auch möglichst viel von den Inhalten im Gedächtnis zu behalten. Dieser Wert wird "Effektive Leserate" genannt. Ein Beispiel: Bei einer Lesegeschwindigkeit von 250 Wörtern pro Minute und einem Verständnisgrad von 90 Prozent beträgt die effektive Leserate 225 Wörter pro Minute. Wie gut die persönliche effektive Leserate ist, lässt sich anhand von Tests im Internet überprüfen. Ziel von Schnell-Lesern ist natürlich, einen möglichst hohen Verständnisgrad zu erreichen. Nicht jeder Text sollte gleich schnell gelesen zu werde. "Es gibt nicht die eine Lesetechnik, man muss flexibel bleiben", betont Friedrich Hasse, Inhaber der Firma Improved Reading Ost, der unter anderem gestandenen Juristen aus Kanzleien und auch Jurastudenten an der Freien Universität Berlin das Schnell-Lesen beibringt. "Bei einem Fachaufsatz zu einem vertrauten Thema kann ein hohes Lesetempo sinnvoll sein", sagt Hasse. "Ein Urteil des Bundesgerichtshofes hingegen sollte ein Jurist langsamer oder auch mehrfach lesen, um keine wichtigen Details zu übersehen." Je nach Ziel, das mit dem Lesen erreicht werden soll, muss entschieden werden, ob Schnelligkeit oder Detailgenauigkeit wichtiger ist. "Man muss nicht 'auf Lücke' oder querlesen, um ein deutlich höheres Lesetempo zu erzielen" betont Hasse. Speed Reading sei auch bei vollständiger Texterfassung möglich. Im Zentrum steht dabei das sogenannte Chunken, also das Erfassen von Wortgruppen statt einzelner Wörter. Damit ist ein viel höheres Lesetempo möglich, weil die Augen weniger häufig anhalten. Gleichzeitig werden die Wörter zu sinnvollen Einheiten gebündelt, so dass auch das Textverständnis steigt. Dabei wird kein Wort ausgelassen oder übersprungen. Dass normales Lesen nicht optimal ist, wird laut Hasse schon daran deutlich, dass die Gedanken beim Lesen häufig abschweifen. Der Grund dafür: "Wir lesen zu langsam – unser Gehirn ist nicht ausgelastet, und wir werden leicht abgelenkt. Wer schneller liest, konzentriert sich besser. Und die Texte werden spannender, einfach weil unser Gehirn mehr zu tun hat."

Schneller als die Kommilitonen

Ein Naturtalent, das auch ohne Training Schnell-Lesen gelernt hat, ist die Rechtsanwältin Katrin Kirchert aus Berlin. "Ich habe schon als Kind viel und schnell gelesen. Das kam mir dann im Studium zugute", erinnert sich die Juristin. "Ich konnte Sachverhalte in Klausuren schneller erfassen als meine Kommilitonen und hatte daher mehr Zeit für die Lösung der Aufgaben." Kommentare im zweiten Examen hat sie nach einer kurzen Übergangsphase ebenfalls schneller gelesen als andere. "Das ist erheblich schwieriger, da die Texte in Kommentaren aus vielen Abkürzungen bestehen. Das Lesen dauert dann erst einmal länger, weil das Gehirn lernen muss, diese Abkürzungen in Wörter umzusetzen", so ihre Erfahrung. Auch heute noch profitiert die Expertin für Datenschutz von ihrem Schnell-Lese-Talent, um die Flut an Texten in ihrem Berufsalltag zu bewältigen. Auch Benedikt Flöter ist froh, sich schon früh mit dem Thema Schnell-Lesen beschäftigt zu haben. "Ich habe vor allem gelernt, mir zunächst einen Überblick über einen Text zu verschaffen, bevor ich mich ans Lesen begebe", sagt der Anwalt. Er schaut sich die Überschriften an, scannt vermeintlich interessante Textstellen auf Schlagwörter oder schaut sich bei Aufsätzen als erstes das Fazit an. Textteile, die er dadurch als wichtig herauskristallisiert hat, liest er anschließend im Detail langsam und genau. "Auch wenn ich dadurch einen Text zweimal bearbeiten muss, bin ich mit dieser Technik noch immer schneller, als hätte ich alles Wort für Wort gelesen." Wer nun Interesse am Schnell-Lesen bekommen hat, fragt sich vielleicht, wie lange es dauert, bis man das große Schnell-Lesen gelernt hat. "Man braucht allein schon zwei bis drei Monate, bis der Effekt des rein optischen Schnell-Lesens beim Teilnehmer erstmalig funktioniert", sagt Peter Rösler. "Bis dahin muss der Teilnehmer rund 30 bis 60 Stunden für Übungen investieren. Weitere Stunden sind nötig, um diesen Effekt zuverlässig zu wiederholen und so einzuüben, dass das optische Schnell-Lesen zu einer jederzeit einsetzbaren Lesetechnik wird." Der Vorteil für Jurastudenten: Sie lesen ohnehin sehr viel. In der Regel brauchen sie also keine extra Übungszeit für das Schnell-Lesen einzuplanen, sondern sie trainieren schon bei der täglichen Lektüre. Ein einleitendes Seminar oder Fachliteratur zum Thema Schnell-Lesen sollte also bei Juristen rasch zu sichtbaren Erfolgen führen.

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