Immer noch keine Digitalkompetenz im Jurastudium

Weiter lernen ohne Zukunft

Gastkommentar von Tianyu YuanLesedauer: 5 Minuten
In Heidelberg fragen sich Erstsemester, mit welchem Stift sie ins Jurastudium starten sollen. In London sehen währenddessen über 2.000 Legal Geeks, wie Digitalisierung Jura verändert. Zeit, die Ärmel hochzukrempeln, meint Tianyu Yuan.

Vor mehr als einem Jahr betitelten Daniel Mattig und Nico Kuhlmann ihren Aufruf zu mehr Legal Tech im Jurastudium mit "Lernen ohne Zukunft". Dieser Beitrag kann als kleines Echo aus 2018 angesehen werden. Und es kann dem damaligen Titel leider nur ein "Weiter" voranstellen. Zwischen dem Erstsemesterempfang der juristischen Fakultät der Universität Heidelberg und der Legal Geek Konferenz in London lagen keine zwölf Stunden. Während ich auf der einen Veranstaltung ernsthaft gefragt wurde, mit welchem Stift ein idealer Start in das Jurastudium gelingt, wurde wenige Stunden später in einer alten Fabrikhalle in Shoreditch mit über 2.000 Menschen aus aller Welt begrifflich scharf geschossen: "digital transformation", "artificial intelligence", "machine learning". Jedenfalls alles sehr "disruptive", wohin man auch sah und hörte. Vor allem im direkten Vergleich damit kam beim Gedanken an Heidelberg Sorge auf. Wenn überhaupt, dann konnte ich dem Stift-Gespräch allenfalls einen Hauch von Harry-Potter-Romantik abgewinnen. Der juristische Zauberlehrling startet in das universitäre Abenteuer mit einer bedachten Auswahl des perfekten Zauberstabs. Dumm nur, dass auch dem schönsten Füllfederhalter kein echter Zauber innewohnt. Fast magisch erschienen dagegen die Anwendungen, die sich dem Publikum in London präsentierten. Erstaunlich war auf der Konferenz in diesem Jahr, dass die juristische Ausbildung einen Themenschwerpunkt darstellte. Als zahlenmäßig größter Ausbilder von Juristen in Großbritannien war die University of Law zudem als einer der Hauptsponsoren mit von der Partie.

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Digitalkompetenzen brauchen Raum im Jurastudium

Wenn man die juristischen Staatsexamina als Maß aller Dinge ansehen möchte, scheint es auf den ersten Blick besonders nützlich zu sein, von Hand unter Zeitdruck möglichst große Mengen Text auf Papier bringen zu können. Weil abgesehen von den Kommentaren - im Assessorexamen - und Gesetzbüchern keine anderen Wissensquellen sichtbar sind, darf man annehmen, dass die Prüflinge dabei auf ihre biologischen Speicherkapazitäten im Kopf zurückgreifen. Welch' großartige analoge Leistung! Schade nur, dass sie im Digitalzeitalter nur noch von zweifelhaftem Wert ist. Nicht erst seit gestern ist der Computer dem Menschen bei der präzisen Speicherung und Wiedergabe von Inhalten weit überlegen. Und auch die Ausführung eines Algorithmus gelingt unfassbar viel schneller, während der Jurist mühevoll aus Erinnerungsecken ein Prüfungsschema zusammenkratzt. Dennoch verfolgen die Rahmenbedingungen der Examensprüfung das Rational, Juristen zu defizitären Maschinen auszubilden. Dazu kann nicht häufig genug die triviale Feststellung wiederholt werden: Menschen sind die besseren Menschen, nicht die besseren Maschinen. Um digitale Maschinen aber als Werkzeuge bedienen zu können, dürfen wir uns nicht darauf verlassen, dass jedes Tool anwendertolerant wie ein iPhone wird. Insbesondere wenn es darum geht, juristische Arbeits- und Geschäftsprozesse kreativ und innovativ weiter zu entwickeln, müssen auch Juristen Kommunikationsfähigkeiten in Richtung IT aufweisen. Dazu muss der Jurist natürlich kein Programmierer werden, allerdings ist ein technisches Grundverständnis zwingend erforderlich. Ansonsten sprechen Juristen und Entwickler knallhart und hartnäckig aneinander vorbei. Es ist an der Zeit, dass Universitäten aktiv Raum dafür schaffen, dass Digitalkompetenzen Teil des Jurastudiums werden. Man darf annehmen, dass ein bisschen mehr Rückkoppelung an die Realität den Studierenden als Digital Natives sogar Spaß bereiten könnte. Traumhaft wäre es, wenn auch die Justizprüfungsämter sich endlich in diese Richtung bewegen würden. Und es tut sich was, wie jüngst gleich zwei Bundesländer zeigten: In Hamburg wollen SPD und Grünen evaluieren, ob und wie künftig Examensklausuren IT-gestützt abgelegt werden können, in Sachsen-Anhalt beginnt im April 2019 schon der erste Testdurchlauf für Referendare. Es sollte nicht vermessen sein, zu erwarten, dass die juristische Ausbildung Studierenden Kompetenzen vermittelt, die in der praktischen Arbeit des 21. Jahrhunderts nachgefragt werden. Diese ist digital und vielfach kompetenzübergreifend kollaborativ.

In die Klasse der Nutzlosen?

Es gibt bereits etliche Beispiele aus dem In- und Ausland, die zeigen, dass bereits im Studium innovative Tools aus der Praxis eingesetzt oder zumindest gezeigt werden können. So bietet das Expertensystem Neota Logic bereits in Kollaboration mit etlichen angelsächsischen Universitäten  sein  Tool zu Ausbildungszwecken an. Auch in Deutschland finden sich solche Beispiele. So soll die Software des Legal-Tech-Unternehmens Bryter es künftig den Studenten der Law Clinic an der Humboldt-Universität Berlin ermöglichen, mehr Verbraucher in Rechtsfragen zu beraten. In Sachen Ausbildung fasst Legal Tech ebenfalls zunehmend Fuß an deutschen Universitäten, wie z.B. mit der Legal Tech Vorlesung von Martin Fries an der Universität Freiburg  oder der Ringvorlesung Legal Tech an der Universität Passau. Von einer Institutionalisierung sind all diese Veranstaltungen aber noch weit entfernt. Dabei scheint die Zeit zu drängen, dass Juristen mehr Legal Tech geboten bekommen. Der bekannte Historiker Yuval Harari prognostiziert, dass Künstliche Intelligenz und Automatisierung eine globale Klasse der Nutzlosen hervorbringen wird, deren Fähigkeiten vom Arbeitsmarkt in keiner Weise mehr nachgefragt werden.  Diese Prognose mag übertrieben und zu pessimistisch erscheinen. Aber kann sie ausgeschlossen werden, wenn deutsche Juristen auch in zehn Jahren noch an Stift und Papier in der Form ausgebildet werden, wie es heute geschieht? Auf der Konferenz in London hat das Startup Luminance bei mir einen besonders tiefen Eindruck hinterlassen. Die Mitarbeiter erzählten, dass ihre KI und der machine-learning-Algorithmus sprachagnostisch seien und mit jeder Sprache etwas anzufangen wüssten. Dazu wurde mir prompt die automatisierte Analyse deutschsprachiger juristischer Dokumente demonstriert. Sollte dies tatsächlich zutreffen, ist es an der Zeit, dass wir Juristen in Deutschland die Ärmel hochkrempeln und die digitale Arena betreten, welche Unternehmen und große Kanzleien längst für sich nutzen. Dazu braucht es die Unterstützung der Institutionen, die uns ausbilden.

Es gibt viel zu gewinnen

Erst vor wenigen Tagen hat eine Studie des Weltwirtschaftsforums zur globalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschland zum Innovationsweltmeister gekürt. Ist das nicht Anlass und Ansporn genug, dass auch unsere juristischen Fakultäten in der Ausbildung ein wenig Mut aufbringen und innovativ tätig werden? Es scheint ja so, als ob Deutschland dafür beste Voraussetzungen bietet. Zu guter Letzt muss ich natürlich einräumen, dass auch dieser Beitrag ein ganz besonders deutscher ist und viel Gejammer auf sehr hohem juristischem Ausbildungsniveau enthält. Allerdings soll dieses Gejammer Motivation und Ansporn sein. Dass wir selbst in Sachen Ausbildung auch mit Blick nach England gar nicht so schlecht dastehen, sieht man etwa daran, dass dort als große Innovation ab Ende 2020 ein staatliches Solicitors Qualifying Examination eingeführt werden soll. Damit hätten es dann in ein paar Jahren auch die Briten endlich zum Staatsexamen geschafft. Der Autor Tianyu Yuan ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Heidelberg und promoviert zur Automatisierung in der Subsumtion. 2016 hat er das Legal Tech Startup LEX superior, welches sich der Digitalisierung der juristischen Ausbildung widmet.  

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