Law Clinics

Biete Rechtsrat, suche Praxiserfahrung

von Julia RuweLesedauer: 6 Minuten
Die Einführung des Rechtsdienstleistungsgesetzes im Jahr 2008 hat in Deutschland einem Modell zum Durchbruch verholfen, das es weltweit schon lange gibt: Jurastudenten erteilen ehrenamtlich Menschen Rechtsrat, die sich einen Anwalt nicht leisten können. Mittlerweile gibt es gut 20 solcher Law Clinics, bei denen angehende Juristen Praxis lernen und gleichzeitig Gutes tun können.

Katharina betritt den kleinen Beratungsraum, in dem einige Pflanzen und eine Kinderspielecke etwas Behaglichkeit schaffen. Sie trägt ein bodenlanges Kleid in dunklem Grün, ihr gleichfarbiger Schleier lässt nur ihr Gesicht unbedeckt. Etwas schüchtern folgt Mahmud, auf dem Arm den gemeinsamen zwei Monate alten Sohn. Der Mann, der ihnen vielleicht helfen kann, steht auf und geht mit einer einladenden Geste auf die Familie zu: "Darf ich Ihnen die Hand geben?" fragt Rudolf Klever die junge Frau. Den 74-jährigen Anwalt hat die jahrelange Berufserfahrung gelehrt, dass es manche Musliminnen verschreckt, wenn ein Mann ihnen einfach die Hand reicht. Klever ist einer der 22 Rechtsanwälte, welche die Law Clinic der Bucerius Law School ehrenamtlich unterstützen: In den Bereichen Aufenthaltsrecht und Asylrecht, Arbeitsrecht, Sozialrecht und Familienrecht berät jeweils ein Anwalt gemeinsam mit zwei Studenten der Bucerius Law School Menschen, die sich professionellen Rechtsrat sonst nicht leisten könnten. So geht es auch Katharina und Mahmud, deren echte Namen und Herkunft zum Schutz ihrer Anonymität lieber nicht gedruckt werden sollen. Sie ist vor sieben Jahren aus Osteuropa nach Deutschland gekommen. Auch er ist erst seit wenigen Jahren in Deutschland – allerdings lebt er hunderte Kilometer von Katharina und seinem Sohn entfernt in einem süddeutschen Asylbewerberheim, wo er auch residenzpflichtig ist. Formal befindet er sich nicht rechtmäßig in der Bundesrepublik, nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) ist seine Abschiebung lediglich ausgesetzt. Damit verbunden sind zahlreiche Beschränkungen: So hat es ihm die zuständige Behörde bisher nicht gestattet zu arbeiten. Und wann immer er Katharina und seinen Sohn in Hamburg sehen möchte, muss er die Behörde um Erlaubnis bitten.

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Probleme der Ratsuchenden erforschen und analysieren

"Der erste Schritt unserer Arbeit ist die Erforschung des Sachverhalts. Wenn die Ratsuchenden hier ankommen, wissen wir häufig nur, dass sie keinen Aufenthaltstitel besitzen. Bevor wir ihnen helfen können, müssen wir aber zunächst einiges über ihre Lebensverhältnisse in Deutschland erfahren", erklärt Klever seine Arbeit. Und so muss auch Katharina ihm zunächst einmal seine Fragen beantworten: Haben Sie in Ihrem Heimatland eine Ausbildung gemacht? Wollen Sie beide heiraten? Wissen Sie, warum Ihnen die Behörde die Arbeitserlaubnis nicht erteilt hat? Haben Sie in Hamburg Familie? Wie verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt? Unterstützt wird Klever an diesem Abend von Kai-Martin Gohmert. Der 29-Jährige ist – anders als die meist studentischen Legal Adviser der Bucerius Law Clinic – bereits fertig mit dem Studium, hatte aber Lust, sich auch während des Referendariats zu engagieren: "Mich hat die Idee begeistert, meine eigenen Kenntnisse einzusetzen, um Menschen dabei zu helfen, sich in unserem Rechtssystem zurechtzufinden". Gerade viele Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, glauben, dass ihre Chancen, hier bleiben zu dürfen, besser stehen, wenn sie keine Papiere vorweisen. Laut Gohmert ist bei vielen auch ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber allen staatlichen Strukturen tief verwurzelt: “Wir versuchen dann, ihnen zu erklären, dass sie mit ihren Anliegen häufig schon sehr weit kommen, wenn sie einfach nur mit den Behörden kooperieren, Anträge stellen, Nachweise über ihre Qualifikationen erbringen."

"Mandantenakquise" über die Diakonie

Vermittelt werden die Ratsuchenden durch die Beratungsstellen des Diakonischen Werks Hamburg. Sobald einer der dort arbeitenden Sozialarbeiter erkennt, dass die Person, die er berät, qualifizierte rechtliche Hilfe benötigt, vereinbart er einen Termin mit der Law Clinic. So ist auch sichergestellt, dass nur wirklich hilfsbedürftige Menschen den Weg zu den studentischen Beratern finden. Für Anna Barrera Vivero, die einzige festangestellte Mitarbeiterin der Bucerius Law Clinic, ist die Kooperation mit der Diakonie einer der Gründe, warum das Projekt so erfolgreich ist: "Uns ist sehr wichtig, dass nur diejenigen die Dienste der Law Clinic in Anspruch nehmen, die einen Anwalt nicht bezahlen können. So werden wir auch den Interessen der Anwaltschaft gerecht, die im Vorfeld unserer Gründung 2012 durchaus Bedenken hatte, dass die Law Clinic ihnen Mandaten abwerben könnte." In der Studentenschaft sei das Interesse an der Tätigkeit als Legal Adviser so groß, dass sich das Organisationsteam gezwungen gesehen habe, ein Auswahlverfahren einzuführen, fügt sie hinzu. Engagieren könne man sich aber nicht nur als Rechtsberater, sondern auch als Dolmetscher: "In unserem Dolmetscher-Pool sind mittlerweile auch Sprachen wie Arabisch oder Persisch vertreten, so dass wir selten auf externe Dolmetscher zurückgreifen müssen."

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2/2: Verbraucherrechte im Fokus

Während die Uni Hannover mit dem Modell der Legal Clinic von Studenten für Studenten vor wenigen Jahren noch eher ein Exot war, sind studentische Rechtsberatungen heute an vielen Universitäten Alltag. Neben dem Asyl-, Aufenthalts- und Sozialrecht haben diese dabei mittlerweile auch andere Rechtsgebiete für sich entdeckt. Die Consumer Law Clinic der Berliner Humboldt Universität (HCLC) ist so ein Beispiel: Seit 2012 werden dort Privatleute beraten, die Ärger mit ihrem Mobilfunk- oder Stromanbieter haben oder die ihre Ansprüche gegenüber Fluggesellschaften durchsetzen wollen. "In den letzten Jahren haben – etwa durch die neue Verbraucherrechterichtlinie oder die Fluggastrechteverordnung – viele verbraucherschützende Regelungen Eingang ins Zivilrecht gefunden. Das heißt aber noch lange nicht, dass die Unternehmen sich auch immer daran halten. Unwirksame AGB-Klauseln oder Airlines, die Schadensersatzforderungen wegen Flugverspätungen schlicht nicht erfüllen, sind keine Seltenheit", erklärt Angelika Metze, Mitarbeiterin der Humboldt Consumer Law Clinic. Das Angebot der HCLC richtet sich nicht nur an materiell Bedürftige, sondern grundsätzlich an alle, die als Verbraucher in Konflikt mit einem Unternehmen geraten sind. Denn gerade in diesen Fällen liegen die streitigen Summen häufig unterhalb einer Schwelle, ab der viele Betroffene einen Anwalt aufsuchen und vor Gericht ziehen. Bedingung für den Zugang zur HCLC ist deshalb, dass der Streitwert 1000 Euro nicht überschreitet.

Eingebettet in die universitäre Ausbildung

Dabei ist das Projekt fest in den Studienalltag integriert: Koordiniert durch zwei zivilrechtliche Lehrstühle der Humboldt-Universität und betreut von ehrenamtlichen Praktikern, werden die Teilnehmer der HCLC in einer einsemestrigen Theoriephase in Lehrveranstaltungen, die auch auf die universitäre Schwerpunktausbildung angerechnet werden können, auf ihre Tätigkeit vorbereit. Daran schließt sich dann das Praxissemester an, in dem die Studenten dann tatsächlich als Berater tätig werden. Sowohl bei der HCLC als auch bei der Bucerius Law Clinic arbeiten die angehenden Juristen stets mit einem Volljuristen zusammen; denn zwar ist das alte Rechtsberatungsgesetz, wonach praktisch jede Form der Rechtsberatung allein den Anwälten vorbehalten war, seit 2008 Geschichte. Aber auch das seither geltende Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) stellt die Rechtsberatung durch Jurastudenten immer noch unter den Vorbehalt ständiger anwaltlicher Kontrolle. Legal Adviser Kai-Martin Gohmert weist auf einen praktischen Nebeneffekt der Kooperation hin: "Man lernt, Schriftsätze und Vermerke zu schreiben, wir üben den Umgang mit Mandanten und Behörden. Und nebenbei knüpfen wir auch noch Kontakte zur Berufswelt." Er wird nun mit der Recherche im Fall von Katharina und Mahmud beginnen. Rechtsanwalt Klever hat ihm bereits eine lange Liste von Fragen gegeben, die es nun abzuarbeiten gilt: "Bisher gehen wir davon aus, dass wir dem Sohn unserer Mandantin zur deutschen Staatsbürgerschaft verhelfen können. Aber das Asylverfahren von Mahmud wird vermutlich eine härtere Nuss." Julia Ruwe studiert Jura in Hamburg und schreibt nebenbei als freie studentische Mitarbeiterin für LTO.

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