Rezension "Briefe an junge Juristen"

Fazit: Folge Deinem Herzen

von Katja GersemannLesedauer: 4 Minuten
Karriereplanung via Münztelefon und Lebensläufe ohne Auslandsaufenthalte: In einer Neuerscheinung geben 32 erfahrene Juristen Einblicke in den eigenen Werdegang. Ratschläge an den Nachwuchs sind inklusive.

Es ist eine Binse, dass Juristen gerne über sich selbst reflektieren, möglicherweise viel mehr als Angehörige anderer universitärer Disziplinen. Das passiert oft augenzwinkernd bis zur Selbstverliebtheit und ist deswegen bisweilen schwer erträglich, ob es nun in Medienbeiträgen oder Büchern stattfindet. Pünktlich zur Vorweihnachtszeit erschien nun das Werk "Briefe an junge Juristen" und der kritische Leser fragt sich im ersten Moment: Ist das wieder so eine zähe Selbstbespiegelung? Das Line-up der Autoren weckt jedenfalls Interesse: Es reicht vom renommierten Strafverteidiger Hanns W. Feigen über den früheren Richter am Bundesverfassungsgericht Wolfgang Hoffmann-Riem oder den Schriftsteller Georg M. Oswald bis hin zur Ex-Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Insgesamt 32 Juristen schrieben auf insgesamt 168 Seiten auf, warum sie sich für die Rechtswissenschaften begeistern und geben jungen Juristen Rat in Sachen Karriereplanung. Vielleicht darf man an dieser Stelle die Quintessenz der meisten Briefe vorwegnehmen. Sie lautet: Folge deinem Herzen. So weit, so erwartbar. Dennoch dürfte so mancher Beitrag Jura-Studierenden oder Referendaren wertvollen Input liefern. Allen vorweg der von Jochen Neumeyer. Der ehemalige Korrespondent der Deutschen Presseagentur und heutige Diplomat  beschreibt seinen wechselhaften Lebensweg so plastisch und unterhaltsam, dass er angehenden Juristen, die verzweifelt nach Sinn und Perspektive ihres Tuns suchen, ein wenig Hoffnung spenden dürfte. Und Dankbarkeit: So erinnert Neumeyer an das Prä-Internet-Zeitalter mit Münztelefonen, von denen aus er sich mit seinen Eltern umständlich über die ZVS-Bewerbung beriet. Sorgen, die heute keiner mehr kennt.

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Jurastudium damals und heute

Überhaupt sind in diesem Buch die Digital Immigrants unter sich – schließlich  geht es hier darum, auf seine Karriere zurückzublicken und kluge Ratschläge zu geben.  Dennoch treffen Welten aufeinander. Präzise analysiert das Elisabeth Roegele, Exekutivdirektorin Wertpapieraufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Sie beschreibt ein Studium in einer Zeit, in der noch regelmäßig an einem Ort studiert wurde und Auslandsaufenthalte eher die Ausnahme als die Norm waren und fragt sich, ob sie einen Bewerber mit vergleichbarem Lebenslauf heute überhaupt noch einstellen würde. Ihre Ausführungen dürften besonders solche Studierenden interessieren, die nicht wie die gefühlte Mehrheit der Kommilitonen aus gutbürgerlichem Milieu mit üppigem Finanzpolster für die Ausbildung stammen. "Absolut rührend", meint denn auch einer der Herausgeber, Prof. Dr. Joachim Jahn über Roegeles Ausführungen. Der Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung aus Berlin und Honorarprofessor an der Universität Mannheim hat die Hälfte der Briefeschreiber akquiriert und freut sich, wie offen einige der Fachleute über ihren Weg berichtet haben. Sein Co-Kurator Tobias Gostomzyk, Professor am Institut für Journalistik an der Technischen Universität Dortmund, hatte das Konzept der Briefe an junge Juristen bereits vor rund fünf Jahren schon einmal in weniger umfangreicher Form für die Ausbildungszeitung Juristische Schulung realisiert. Neun der damals zehn veröffentlichten Briefe finden sich im aktuellen Werk wieder – was erklärt, warum der vor zwei Jahren verstorbene Konrad Redeker unter den Schreibern ist. Erfreulich pragmatisch wird im Briefekonvolut das Thema "Frauen in der Juristerei" angegangen, besonders von Dr. Barbara Mayer. Die berufspolitisch engagierte geschäftsführende Partnerin der Sozietät Friedrich Graf von Westphalen & Partner beschreibt klar und kurzweilig, wie Juristinnen sich in Kanzleien behaupten können.

Karriere hat auch (viel) mit Zufall zu tun

So einen Ansatz hätte man sich auch von Christine Hohmann-Dennhardt gewünscht. In was die jüngst von Daimler zu Volkswagen gewechselte Compliance-Chefin nicht alles Einblick geben könnte! Wie ist es, einen  Seitenwechsel aus der geordneten Welt der Justiz in die Wirtschaft zu vollziehen, wie setzt man sich als Juristin an der Spitze eines Autobauers inmitten von Kollegen mit Ellbogenmentalität durch? Doch Hohmann-Dennhardt bleibt beim Abstrakten. Glücklicherweise bleibt die Vorstandsfrau aus der Automobilbranche damit eine Ausnahme. Genau wie bei der Verwendung von Fußnoten: Einige Autoren können sich das akademische Arbeitsmittel  selbst hier, beim Schreiben einer Feierabendlektüre, nicht verkneifen. Einer von ihnen ist Stephan Detjen. Aber der Chefkorrespondent des Deutschlandradios und Leiter des Hauptstadtstudios darf das, denn sein Beitrag, in dem er Schein und Sein von Juristen am Beispiel von Karl May und Karl-Theodor zu Guttenberg nachzeichnet, ist bestes Entertainment. Er erlaubt sich einen einzigen Rat:  Lesen Sie die Briefe an junge Juristen mit Vergnügen, aber grundsätzlich auch mit Vorsicht. Damit liegt er sogar auf Linie der Herausgeber. "Bei der Arbeit an diesem Buch überraschte mich, wie sehr Karrieren oft vom Zufall abhängen", sagt Gostomzyk. "Das sollte jungen Juristen bewusst sein." Wer diese fatalistische Einsicht erträgt, kann sich zu Weihnachten zurücklehnen, lesen - und sich zur Sicherheit vielleicht trotzdem zu Strategien für die kommenden 40 Berufsjahre inspirieren lassen. Das Buch "Briefe an junge Juristen" ist im November 2015 im Beck-Verlag erschienen, ISBN 978-3-406-67653-6, 19,80 € (D), gebundene Auflage, 183 Seiten.

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