Themenwoche Semesterbeginn

Juristen am Meeresgrund und andere Klischees

von Anna K. BernzenLesedauer: 4 Minuten
Besserwisser, Bücherschlepper, Brillenträger: Die Vorurteile, mit denen Jurastudenten regelmäßig konfrontiert werden, sind seit Generationen unverändert unfreundlich. LTO präsentiert sechs Sprüche, denen Du Dich zwischen Immatrikulation und Examensfeier ausgesetzt sehen kannst und wie Du sie parierst. Achtung: Kann den nicht-juristischen Freundeskreis rasant reduzieren!

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Klischee 1: "Jura – da muss man doch immer Gesetze auswendig lernen, oder?"

Gegenfrage: Wenn wir alle Gesetze auswendig können, warum schleppen wir dann immer diese dicken, roten Bücher mit uns herum? Sicher, auf dem Weg zur Uni den Schönfelder in der einen und den Sartorius in der anderen Hand zu tragen, ist auf Dauer günstiger als ein Jahresabonnement im Fitnessstudio – und mit einem Eigengewicht von bis zu 2,5 Kilo pro Buch wahrscheinlich genauso effektiv. Klar, beim vierteljährlichen Einsortieren der umfangreichen Nachlieferungen trainieren wir toll unsere Feinmotorik und frischen ganz nebenbei unsere Kenntnisse in Erster Hilfe auf, wenn wir uns zum wiederholten Mal an den hauchdünnen Seiten der BGB-Novelle in die Finger schneiden. Aber mal ehrlich, für Paragraphen und Artikel gilt: Wissen heißt, zu wissen wo’s steht. Und fast alles steht in den roten Büchern. Deshalb sind die ja so dick.

Klischee 2: "Du, ich hab’ da so ein Problem mit meinem Vermieter..."

Ach, Du hast ein Problem mit deinem Vermieter? Wie ärgerlich. Also, ärgerlich für dich, dass du in meinem ersten Semester bei jedem noch so schlechten Juristenwitz vor Lachen fast vom Stuhl gefallen wärst. Hättest du mich bloß nicht immer wieder gefragt, was zehn Juristen am Meeresgrund sind (ein guter Anfang, findest du), sondern einmal ernsthaftes Interesse an meinem Studium gezeigt. Hätte ich dir zum Beispiel erklären dürfen, wie unser Kommunalwahlrecht funktioniert, würdest du das Panaschieren heute sicher nicht für eine edle Art der Speisenzubereitung halten. Stattdessen hast du mich Besserwisser genannt, als ich beim Scrabble-Spiel mithilfe meiner Europarechts-Notizen beweisen konnte, dass "Kompetenz-Kompetenz" ein echtes Wort ist. Du hast ja recht: Ich wüsste, wie du es deinem Vermieter heimzahlen kannst. Aber ich will kein Besserwisser sein. Du kannst ja mal selber nachgucken. Das einschlägige Gesetz hat auch nur knapp 2500 Paragraphen.

Klischee 3: "Ohne Perlenohrringe und Polohemd gibt es euch Juristen wohl nicht?"

Ja, die Dichte an Jogginghosen, schlabberigen Sweatshirts und ausgelatschten Turnschuhen könnte auf dem Campus in Nähe der juristischen Fakultät höher sein. Nein, unsere Hörsäle werden nicht standardmäßig auf Minusgrade heruntergekühlt, wie es die auch im Sommer omnipräsenten Schals mit dem rot-schwarz-beigen Karomuster suggerieren. Doch längst haben wir Juristen das Stylingmonopol über edle Segelschuhe, dezente Perleno-hrringe und steil aufgestellte Polohemdkragen verloren. Und auch Medizinstudenten haben die Bequemlichkeit der Schuhe mit den weißen Sohlen und grünen Krokodilen längst erkannt. Doch selbst wenn demnächst alle Politikwissenschaftlerinnen Perlenohrringe zu ihrem Lieblingsschmuckstück erklären, ein Accessoire wird ganz sicher immer uns Juristen vorbehalten bleiben: die dicken, roten Gesetzestexte.

Klischee 4: "Juristen sind doch asozial: Reißen Seiten aus Büchern und übermalen wichtige Textstellen."

Klar! Wo andere Studenten in ihrem Rucksack Stifte, Bücher und Schokoriegel transportieren, stecken bei uns Jurastudenten Teppichmesser und schwarzer Filzstift. Hinter den Regalen trennen wir damit in der Mittagspause fein säuberlich die spannendsten Aufsätze aus dem Sammelband heraus. Was wir so nicht vor den neugierigen Blicken der Kommilitonen schützen können, wird eben kräftig übermalt. Doch die technische Entwicklung hat auch die juristischen Fakultäten erreicht und macht aus diesem Klischee so langsam Geschichte. Wer schleppt schon die über 90 Bände des Staudingers in die Nachbarbibliothek, wenn die Kommilitonen alles auch in der Online-Datenbank nachlesen können? Es lohnt sich eben nicht mehr, Ausbildungszeitschriften mühsam mit dem Teppichmesser zu zerpflücken, wenn man jeden rausgerissenen Artikel mit einem Klick im Netz abrufen kann.

Klischee 5: "Zwei Juristen, drei Meinungen."

Also, das stimmt auf keinen Fall! Oder etwa doch? Mal gucken, was der BGH dazu sagt. Wir geben ja zu, in den ersten Vorlesungswochen hat uns die oft geradezu babylonische Meinungsvielfalt zu scheinbar simplen Problemen auch irritiert. Wo war das rote Häkchen hin, das uns in den Schularbeiten am Ende der mühsam erarbeiteten Lösungsskizze mit der vollen Punktzahl belohnte? An seine Stelle traten auf einmal seitenlange Wellenlinien am sauber gezogenen Korrekturrand. Statt "richtig" oder "falsch" hieß es jetzt "vertretbar", manchmal auch "abwegig". Oder bist du bloß neidisch, weil du den Unterschied zwischen Wahrscheinlichkeits- und Möglichkeitstheorie nicht erkennst. Wie, das verstehst du nicht? Macht nichts, wir haben auch zwei Semester gebraucht.

Klischee 6: "Könnt ihr nicht mal normal reden!? 'Streitig' – das ist doch kein Wort!"

Um ehrlich zu sein: So richtig normal reden können wir spätestens ab dem zweiten Semester nicht mehr. Wir machen das auch gar nicht mit Absicht. Man muss sich das vorstellen wie bei "Germany’s Next Topmodel". Da üben die Mädchen vor laufender Kamera monatelang, wie ihre "Handetasche" so richtig "lebändig" wird. Wenn sie dann nach der letzten Folge mal wieder mit ihren Nicht-Model-Freundinnen shoppen gehen, baumelt ihr Exemplar eben immer noch total "lebändig" an ihrem Arm. Sich die richtige juristische Ausdrucksweise anzutrainieren ist auch eine echte "challenge", wie Modelmama Heidi es ausdrücken würde. Wenn unsere Sätze dann endlich so wichtig klingen wie die des Professors, freuen wir uns über die zurückgegebene Klausur wie Heidis Mädels über das wöchentliche Foto. Und wollen bestimmt nie wieder unlebä... – juristisch klingen.

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Thema:

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