Streitsache Studentenverbindung?

Drinnen oder draußen - drei Juristen berichten

von Andrea TiedemannLesedauer: 7 Minuten
Narbe im Gesicht, vulgäre Trinkgelage, konservative Einstellung – so sieht das Bild des Jurastudenten in einer Verbindung aus. Meist negative Schlagzeilen machen vor allem traditionelle Burschenschaften. Was ist dran an den Klischees? Warum entscheiden sich Studenten dennoch für die Verbindung? Und warum kämpfen andere dagegen? Drei Juristen mit ihrer ganz persönlichen Sicht.

Er bricht mit allen Klischees: Benedikt Sommer trägt seine Haare lang, dazu einen Bart, die Kleidung ist bevorzugt dunkel. Statt zur Bundeswehr zu gehen, hat der 25-Jährige ein Freiwilliges Soziales Jahr gemacht. Nicht gerade der Prototyp des "Burschen", wie Sommer von sich selber sagt. Und dennoch ist er einer. Der Jurastudent  ist Mitglied der St. V. Alemannia zu Konstanz. Mit dem medialen Klischeebild, das oft gezeichnet wird, kann er wenig anfangen. Die "Alemannia" ist nicht politisch motiviert, auch gefochten wird dort nicht. Zudem ist die  Verbindung kein reiner Männerbund: Unter den derzeit 21 Mitgliedern sind auch vier Frauen. Doch wie kam Sommer überhaupt zur Studentenverbindung? "Es ging darum, neue Leute kennenzulernen", sagt der Jurastudent, der über einen Mitbewohner die Verbindung kennenlernte, "und auch um Freibier", gibt er schmunzelnd zu. Schnell habe er den Eindruck gewonnen, dass man dort etwas "aufbauen und bewegen" könne. Und dabei alte Werte mit neuen verknüpfen. Ein besonders alter Wert ist das Lebensbundprinzip. Vereine sind aus Sicht eines Verbindungsmitglieds eher lockere Zusammenschlüsse, erklärt Sommer, "da geht man rein, dann wieder raus". Eine Verbindung sei anders – "uns verbindet mehr".

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Angst vor schlechter Presse

Doch so eng die Beziehungen innerhalb der Verbindung auch sein mögen – nach außen geben die Zusammenschlüsse sich oft distanziert. Bei der Recherche nach Juristen, die Mitglied einer Studentenverbindung sind, gab es vor allem eins: Schweigen. Versprochene Rückrufe kamen nicht, vertröstet wurde man immer wieder. Warum diese Zurückgezogenheit bei vielen Verbindungen? Sommer hat eine Vermutung: "Die meisten lehnen den Medienkontakt aus Angst vor schlechter Presse ab." In der Tat hat insbesondere die Deutsche Burschenschaft, ein Dachverband spezieller Burschenschaften, jede Menge Kritik geerntet, weil sie sich nicht deutlich genug von rechten Tendenzen in einigen Burschenschaften distanziert hatte. Auch in Verfassungsschutzberichten tauchen Hinweise auf diese Burschenschaften auf. Die Folge: Andere Burschenschaften treten aus dem Dachverband aus, weil sie nicht mehr dazugehören wollen. "Da beißt sich die Katze doch in den Schwanz", kommentiert Sommer – denn je mehr liberalere Verbindungen aus dem Dachverband austräten, umso mehr würden die Übriggebliebenen das bewahrheiten, was man ihnen vorwerfe.

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2/3: Bier auf Ex, Zigarre und ein sehr scharfer Fisch

Der Alltag in der Verbindung habe ihm zunächst mal einen "Kulturschock" verpasst, erzählt Sommer, denn vieles sei für ihn, der keine Vorerfahrungen mitbrachte, neu gewesen. Etwa die mittelalterlich anmutenden Rituale: "Wenn jemand mit einer degenähnlichen Klinge auf ein Brett schlägt, um für Ruhe zu sorgen," das könne schon mal sehr laut sein, erinnert der 25-Jährige  sich. Doch Neugier und Interesse überwogen das Schockmoment  – und der Studienanfänger ließ sich darauf ein, zog "aufs Haus" und lebte sich in die neue, ungewohnte Welt hinein: Wurde erst Fux, wie man die neuen Studenten nennt, später dann Bursche. Die Regeln, die zum Verbindungsleben dazugehören, lernte er vor allem bei den Konventen. Das Kneiplatein zum Beispiel: Sommer gewöhnte sich daran, dass man um das "Verbum" bittet, nicht um das Wort, dass nicht ein Lied, sondern ein "Cantus" angestimmt wird, und dass es sich nicht gehört, von einer Tafel einfach aufzustehen. Es sind Höflichkeitsregeln, für manchen vielleicht etwas altmodisch anmutend, die Teil des Verbindungslebens sind. Und die einen "spielerisch", wie Sommer sagt, auf das Berufsleben vorbereiten. Eine besondere Erfahrung war für den angehenden Juristen, der den Fachanwalt für Steuerrecht anstrebt, die "Brandung" - eine Art Initiationsritus, die jeder Fux nach dem ersten "Fuxensemester" absolviert. Mit Schuhcreme wird dabei der Oberkörper geschwärzt, dann müssen nacheinander ein Bier auf Ex getrunken, eine Zigarre geraucht und ein besonders scharf gewürzter Fisch gegessen werden. Und auch wenn ihm diese "scherzhafte Prüfung" persönlich nicht sonderlich gefallen habe, stärke dieses Ritual doch das Gemeinschaftsgefühl, beschreibt er seine Eindrücke. "Man macht es nun einmal, weil es alle machen", sagt Sommer.

Undemokratische Seilschaften oder gemeinsame Geschäftsgrundlage?

Ein Gemeinschaftsgefühl, dem Robert Winkler, ebenfalls Jurastudent, wenig abgewinnen kann. Er organisiert seit zwei Jahren das Projekt "Falsch verbunden", das einen kritischen Blick auf das Verbindungswesen in der Studentenstadt Freiburg bieten soll. Und damit gut zu tun hat – bei seinem Studienstart machte Winkler über 30 Verbindungen in der Stadt aus – "erschreckend", so sein Kommentar. Doch was genau stört ihn an Verbindungen? Es ist gerade der von Mitgliedern gepriesene Lebensbund, den er für bedenklich hält. Denn ein Ausstieg sei zwar theoretisch möglich, gestalte sich praktisch aber dennoch meist schwierig. "Es überwiegt dann der soziale Druck, drinzubleiben, weil man ja Vorteile genossen hat." Wie etwa eine günstige Wohnung, ein beruflicher Kontakt oder kostenlose Partys. Doch es geht auch noch um etwas anders: Der kritische Jurist empfindet es als "undemokratisch", wenn über Verbindungskontakte "Seilschaften" entstünden. Mit diesem Begriff wiederum kann Sommer nichts anfangen. Das Wort "Seilschaften" stamme schließlich vom Bergsteigen ab und bedeute, dass, wenn einer falle, die Gemeinschaft ihn halte. Bei  einer Verbindung handele es sich aber eher um ein Netzwerk. Eine Garantie auf einen Job, nur weil man wie der Chef in einer Verbindung war? Daran glaubt Sommer nicht – bei gleichwertigen Leistungen zweier Bewerber könne es aber durchaus ein Vorteil sein, sagt er. "Es ist wie eine Art gemeinsame Geschäftsgrundlage." Über bestimmte Umgangsweisen sei man sich dann einig.

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3/3: Geben und Nehmen

Dr. Andreas Blunk ist mittlerweile ein "Alter Herr". Er ist mit seinen 40 Jahren zwar nicht wirklich alt, doch jeder, der eine Verbindung mit Studienabschluss verlässt, bekommt diesen Titel. Blunk hat in Hannover studiert und sich damals der Schwarzburgverbindung Ostfranken Hannover angeschlossen – auch Großvater und Vater waren Mitglieder der Verbindung. Nun arbeitet er als Rechtsanwalt und Notar, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Nur weil ein Bewerber in einer Verbindung ist, würde Blunk ihm nicht den Vorzug geben. Die Verbindung biete aber sicher ein Netzwerk, um sich mit älteren Studenten auszutauschen oder auch mal einen Praktikumsplatz zu bekommen. Doch viel mehr als beruflich, sagt der Jurist, präge die Verbindung die persönliche Seite – und spricht aus eigener Erfahrung. "Es waren erste Schritte in die Selbstständigkeit." Putzdienste, Müll raustragen, Veranstaltungen planen – schon bald bekam der damals 22-Jährige Verantwortung innerhalb der Gemeinschaft. "Ich habe das Organisieren gelernt", sagt Blunk, "das war ein Erfolg, den ich nicht missen möchte". Doch wer sich auf eine Verbindung einlässt, sollte sich auch der Pflichten bewusst sein, sagt er: "Die Bereitschaft, Aufgaben zu übernehmen, sollte schon da sein." Und nach und nach sollten sich auch "Dissonanzen" unter den Mitgliedern legen, sagt Blunk. Schließlich muss man ja, einer Ehe ähnlich, ein Leben lang miteinander auskommen. Die Schwarzburg Verbindung Ostfranken stellt vor allem christliche Werte in den Mittelpunkt und ist laut eigener Aussage "die einzige farbentragende, nichtschlagende Studentenverbindung" für Studierende in Hannover. Als "farbentragend" bezeichnet man Verbindungen, deren Mitglieder die eigenen Farben der Verbindung tragen: am Band und auf der Mütze. Auch bei Blunks Verbindung werden Frauen aufgenommen – von den aktiven Mitgliedern ist derzeit etwa die Hälfte weiblich. Statt Beitrittsriten wie "Mutproben und Eintrinken" werden bei der Burschenprüfung Brauchtum wie zum Beispiel Liedtexte abgefragt. Und nach dem "Mäßigkeitsprinzip" lehnt die Verbindung studentisches Fechten sowie "Trinkunsitten, wie sie bei anderen Verbindungen leider öfter vorkommen", ab, lässt sie auf der eigenen Homepage wissen.

Nicht alle politisch, nicht alle schlagend

Verbindung ist nicht gleich Verbindung. Oft werden die Begriffe Verbindung und Burschenschaft als Synonyme verwendet, was sie aber nicht sind. Zur Verwirrung trägt möglicherweise bei, dass verbindungsübergreifend von "Bursch" oder "Bursche" gesprochen wird – was im Mittelalter lediglich ein anderes Wort für Student oder junger Mann war. Unter dem Oberbegriff Verbindungen, auch Korporationen genannt, gibt es neben Burschenschaften unzählige weitere Formen. Sie reichen von Corps, Landsmannschaften und christlichen Verbindungen über Turnerschaften, Sängerschaften. und Jagdverbindungen bis hin zu Exoten wie Ruderverbindungen. Landsmannschaften sind die älteste und seit jeher unpolitische Verbindungsform.. Im Mittelalter wurden die Studenten, ihrer Herkunft entsprechend, zu Landsmannschaften zusammengefasst. Ab dem 18. Jahrhundert gründeten sich die ersten Corps. Die erste Burschenschaft hingegen entstand erst Anfang des 19. Jahrhunderts und nahm in Anlehnung an die Uniform des Lützowschen Freikorps, in dem während der Befreiungskriege gegen Napoleon viele Studenten kämpften, die Farben Schwarz-Rot-Gold an. Das politische Engagement, damals für einen deutschen Nationalstaat, war vorrangiges Ziel dieser frühen  Burschenschaften, die auch heute noch eine politische Ausrichtung haben. Damit unterscheiden sie sich wesentlich von fast allen anderen Verbindungen, die sich nicht politisch betätigen, sondern sich stattdessen über die unterschiedlichsten Ziele, von Religion bis Sport, definieren. Weitere Unterschiede zeigen sich bei der Handhabung der sogenannten Mensur, also des studentischen Fechtens. Bei manchen ist dieses Pflicht, bei anderen ist es sogar untersagt, einige stellen es ihren Mitgliedern frei.

Stereotypes Männlichkeitsideal und elitäres Denken?

Dass er Verbindungen insgesamt skeptisch gegenübersteht, wird Kritiker Winkler angesichts dieser Unterschiede oft zum Vorwurf gemacht. Doch er bleibt dabei – und begründet seine kategorisch ablehnende Haltung so: Viele Verbindungen wiesen zumindest strukturelle Ähnlichkeiten auf und würden ein stereotypes Männlichkeitsideal vermitteln und das Gefühl, einer gesellschaftlichen Elite anzugehören, stärken. Wie viele Juristen in Verbindungen organisiert sind, ist nicht statistisch erfasst – nach groben Schätzungen sollen etwa zwei bis drei Prozent aller deutschen Studenten Mitglieder sein. Wie schnell sich jedenfalls der Blick auf das Thema "Verbindungen" an einem Standort ändern kann, zeigt die Entwicklung in Göttingen. Dort hatte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) noch 2011 ein  Programm angeboten, um Studenten den Ausstieg aus Verbindungen zu erleichtern. Nur vier Jahre später existiert die Hilfs-Hotline nicht mehr. Im neu gewählten AStA sitzen dafür zwei Verbindungsstudenten.

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