Tipps für den Sitzungsdienst der Staatsanwaltschaft

"Man ist nicht da, um ein höf­li­ches Gespräch zu führen"

Interview von Katharina UharekLesedauer: 6 Minuten

Was darf ich die Zeugen fragen, was ziehe ich an – und wo sitze ich überhaupt? Solche Fragen stellen sich viele Referendar:innen vor ihrem ersten Sitzungsdienst für die Staatsanwaltschaft. Der ehemalige Staatsanwalt Tolga Akdemir gibt Tipps. 

LTO: Herr Akdemir, Sie wollen mit Ihrer Plattform youra.info vor allem Referendar:innen dabei helfen, sich besser auf den Sitzungsdienst vorzubereiten. Ist das nicht eigentlich Aufgabe der Arbeitsgemeinschaften? 

Tolga Akdemir: Das stimmt, eigentlich ist es die Aufgabe der Justiz und der Länder, die Referendar:innen entsprechend vorzubereiten. Ich denke aber, dass eine tiefergehende Auseinandersetzung aufgrund der begrenzten Zeit und des Rahmens oft zu kurz kommt. Ich selbst war zum Start meiner Arbeit als Staatsanwalt in Foren unterwegs, um Antworten zu finden und habe dabei gemerkt, dass viele Fragen offen geblieben sind. Der Kurs ist daher auch sehr gut für Berufseinsteiger:innen geeignet.

Wie haben Sie selbst die Vorbereitung auf den Sitzungsdienst erlebt? 

Wir haben damals einen guten Ausbilder gehabt. Trotzdem wurde bei uns zur Vorbereitung nach meiner Erinnerung lediglich ein zehnseitiges Skript ausgeteilt. Dabei sind einige Dinge zu kurz gekommen und es fehlte mir an einer eingehenden Auseinandersetzung mit der Thematik. Was mache ich denn als Referendar, wenn ein Angeklagter nicht kommt oder ich das Strafmaß für einen Strafbefehl bestimmen soll? Mir fehlten da die Details.

Was ist das Wichtigste bei der Vorbereitung auf den Sitzungsdienst? 

Das Wichtigste ist ausreichend Zeit zur Vorbereitung einzuplanen. Die Sitzungsvertreter:innen sollten sich mit der Akte vertraut machen, um die Einzelheiten des Verfahrens erfassen zu können. Dabei sollten vor allem rechtliche Eventualitäten beachtet werden, wenn diese sich andeuten. Vielleicht kommen weitere Straftatbestände in Betracht oder es fallen schwerwiegende Fehler auf. Es ist entscheidend, sich genug Zeit dafür zu nehmen und den Fall gut zu durchdenken. 

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"Einfache Sachverhalte mit wenigen Zeugen"

Worauf sollte beim Lesen der Akte ein besonderes Augenmerk gelegt werden?

Das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Ich habe meist zu Beginn geschaut, ob die Akte vollständig und alles Notwendige enthalten ist. Danach kann man mit der Anklage beginnen und anschließend den Ermittlungsbericht lesen. Dabei sollte man insbesondere auf Zeugenaussagen achten, da diese oft Anhaltspunkte für konkrete Nachfragen bieten und somit zu einer umfangreicheren Beweisaufnahme führen können. Auch darauf können Referendar:innen sich aber gut vorbereiten. 

Schon beim Lesen der Handakte sollte man gründlich überprüfen, ob die Aussagen konsistent erscheinen. Bei mehreren Zeug:innen kann darauf geachtet werden, ob Details ähnlich wiedergegeben wurden oder worin Unterschiede bestehen. Relevant sind auch die Eigenheiten des Zeugen. Welchen Bezug gibt es zu dem oder der Angeklagten und zu den Opfern? Vielleicht zeichnet sich schon in diesem Verfahrensstadium ein Zeugnis- oder Aussageverweigerungsrecht ab. 

Mit welchen Delikten müssen Referendar:innen bei einer Sitzungsvertretung rechnen? Kann es sein, dass eine Anklage wegen sexueller Belästigung oder schwerer Körperverletzung verlesen werden muss?

Das richtet sich grundsätzlich nach dem jeweiligen Strafrahmen des Deliktes und der Zuständigkeit des Gerichts. Der § 142 GVG setzt hier gewisse Grenzen. Ich denke aber, dass die Verwaltungen im Übrigen besonders darauf achten, Referendar:innen nur solche Verfahren zuzuteilen, die auch zu bewältigen sind. In der Regel wird es sich auf einfache Sachverhalte mit wenigen Zeugen beschränken - Diebstahl, Körperverletzung, oft auch Straßenverkehrsdelikte. Man sollte sich davon allerdings nicht täuschen lassen, auch diese Verhandlungen können wirklich kompliziert werden.  

Oft sind es die banalen Dinge, die verunsichern. Was soll ich anziehen - und woher weiß ich, wo ich mich hinsetzen muss?

Ich würde vorschlagen, dass man sich für den Sitzungsdienst nicht zu leger anzieht. Wenn man sich beim Eintreten in den Saal noch fragt, ob man statt der Jeans nicht doch lieber eine Anzughose hätte tragen sollen, verunsichert das bloß. Ich empfehle deshalb das zu tragen, womit man sich selbst sicher fühlt.

Tja und wo man sitzt, weiß auch der erfahrene Staatsanwalt manchmal nicht, denn es gibt keine allgemeingültige Regel. Das unterscheidet sich von Gericht zu Gericht. Woran man es vielleicht erkennen könnte, sind alte Gerichtssäle, bei denen ein Platz noch ein Stück weit erhöht ist. Manchmal erkennt man es auch an der Art des Stuhls und sonst kann man einfach den Urkundsbeamten fragen. 

Worauf muss ich bei einer Zeugenbefragung achten und was darf ich fragen?  

Man kann in der Verhandlung alles fragen, was von Relevanz ist und der Wahrheitsfindung dient. Ich würde allen Referendar:innen raten, sich nicht zu scheuen, Fragen zu stellen. Man ist nicht da, um ein höfliches Gespräch zu führen, sondern um dafür zu sorgen, dass die Wahrheit zu Tage kommt. Ich habe bei Zeugen und Angeklagten deshalb auch nicht selten mehrfach mit derselben Frage nachgehakt.  

Es ist hilfreich, offene Fragen zu stellen. Wenn man Zeug:innen erstmal erzählen lässt, merkt man schnell, dass das Erinnern ein assoziativer Prozess ist, dem Raum gegeben werden muss. Fragen zum Nebengeschehen machen es möglich, spätere Aussagen abzuklopfen. Indem man beispielsweise fragt, ob es geregnet hat, um welche Tageszeit etwas geschehen ist oder aus welcher Richtung die Personen sich genähert haben, kann man spätere Zeugenaussagen anhand dieser Details auf die Probe stellen.

"Man hat nur Watte im Kopf"

Wie kann ich auf unvorhergesehene Situationen reagieren?

Auch wenn ich mich damit wiederhole: Wenn man sich ausreichend vorbereitet fühlt, was den Sachverhalt und die Details angeht, kann man auch besser reagieren. Man hat dann oft eine andere Freiheit im Denken. Diese Freiheit geht mit der Aufregung verloren - und dann hat man nur Watte im Kopf. 

Oft ist in Gerichtsverhandlungen alles auf Geschwindigkeit getrimmt. Halbstündig werden die Fälle abgearbeitet. Sobald der oder die Sitzungsvertreter:in allerdings den Eindruck gewinnt, dass es genau jetzt darauf ankommt, was als Nächstes passiert und ich mir unsicher bin, sollte um eine Pause gebeten werden. Dann kann man in Ruhe etwas nachschlagen, das Plädoyer vorbereiten oder mit dem zuständigen Staatsanwalt Rücksprache halten. Das ist immer besser, als den anderen gefallen zu wollen. Da die Referendar:innen in der Ausbildung sind, sollten sie sich die Freiheit rausnehmen, um Hilfe zu bitten. 

Zum Ende einer Verhandlung müssen im Plädoyer konkrete Anträge gestellt werden. Wie finde ich das richtige Strafmaß?

Im Vergleich zu anderen Rechtssystemen ist die Strafzumessung und die Höhe der Strafe in Deutschland relativ pauschal gehalten. Es gibt wenig Hilfestellungen. Im Zivilverfahren gibt es Schmerzensgeldtabellen oder Ähnliches, so etwas gibt es im Strafrecht aber gerade nicht. Im Vorfeld kann man sich bei der Staatsanwaltschaft erkundigen, ob es eine Hausverfügung gibt, in der Vorschläge für bestimmte Delikte enthalten sind. Das kann beispielsweise bei Jugendstrafverfahren, Straßenverkehrsdelikten oder beim Sozialversicherungsbetrug der Fall sein. Ansonsten lohnt es sich, bei seinem Ausbilder nachzufragen, denn auch hier kommt es auf den Einzelfall und auf Erfahrung an. 

"Immer möglich, eine Pause zu erbitten"

Viel gefürchtet und nicht selten: Wie schaffe ich es, in der Sitzung auf die Schnelle eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden?

In den meisten Fällen kündigt sich eine mögliche Gesamtstrafe schon an, wenn man sich den aktuellen Bundeszentralregisterauszug vor Augen führt. Dann kann man sich entsprechend vorbereiten und sich das Rechnen in der Verhandlung vereinfachen. Wenn man doch davon überrumpelt wird, ist es immer möglich, eine Pause zu erbitten. Vorher sollten alle Informationen vorhanden sein, beispielsweise die Zusammensetzung einer ggf. früheren Gesamtstrafe, die in ihre Einzelstrafen aufzulösen ist.

Welchen Fauxpas sollten Sitzungsvertreter:innen um jeden Preis vermeiden? 

Vor bestimmten Verhaltensweisen möchte ich nicht warnen, auch um die anfängliche Aufregung nicht unnötig zu erhöhen. Ich möchte aber dringend dazu raten, Arroganz und Überheblichkeit zu vermeiden. Letztendlich kochen alle nur mit Wasser und es zahlt sich aus, gelassen und entspannt in die Verhandlung zu gehen. Es ist aber ebenso wichtig, nicht nachlässig an das Ganze heranzugehen, sondern sich um der Menschen willen gut vorzubereiten. Mit einem gesunden Maß an Selbstvertrauen kann dann eigentlich nichts mehr schief gehen. 

Tolga Akdemir ist ehemaliger Staatsanwalt und betreibt die Plattform youra.info, auf der Referendar:innen und angehende Staatsanwält:innen sich anhand von Videos auf die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft vorbereiten können. 

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