Simulation des Internationalen Strafgerichtshofs

"Ein bisschen wie Boston Legal"

von Anna K. BernzenLesedauer: 4 Minuten
Die Verteidigerin studiert an der Uni Regensburg, die Verhandlung findet im New Yorker Sheraton Hotel statt: Kein typisches Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof, sondern die erste Simulation einer solchen Verhandlung im Rahmen der National Model United Nations. Die Jurastudentin Daniela Ring hat teilgenommen und mit Anna K. Bernzen über ihre Erfahrungen gesprochen.

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"Verehrte Richter, was ist das wichtigste, bedeutendste Dokument der Demokratie in der westlichen Welt? Die Verfassung des ersten modernen Staates, die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika, der ersten modernen Demokratie der Welt, einer Republik für alle Menschen, die Freiheit und Gerechtigkeit für jeden bietet." Äußerlich gibt sich Daniela Ring zu Beginn ihres Eröffnungsplädoyers souverän. Im seriösen Hosenanzug steht sie hinter dem mit blauer Tischdecke verhängten Konferenztisch. Sieben Augenpaare sehen ihr von der anderen Seite des kleinsten Saals des New Yorker Sheraton Hotels her gespannt zu, als sie zu ihren Notizen greift. Innerlich jedoch herrscht bei der 22-Jährigen höchste Anspannung. Bloß die englischen Fachbegriffe richtig aussprechen, bloß nicht zu oft auf die vorbereitete Rede gucken! "Daher möchte ich mich nun auf dieses Dokument beziehen", fährt sie fort.

Aus Regensburg für die Slowakei nach New York

Mit dem Eröffnungsplädoyer, das Daniela Ring im Sheraton vorträgt, beginnt die Verhandlung Saif Al-Islam Gaddafis und Mohammed El Senussis vor dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Doch wie die Wahl des Verhandlungsortes und das Alter ihrer Verteidigerin deutlich machen, ist dies nicht das tatsächliche Verfahren des Diktatorensohns und des libyschen Adeligen. Daniela Ring nimmt mit der Delegation der Universität Regensburg an den amerikanischen National Model United Nations (NMUN) teil. Vom 1. bis 5. April sind die süddeutschen Studenten dort als Vertreter der Slowakei unterwegs. Das UN-Planspiel, bei dem politisch interessierte Studenten und Studentinnen die Arbeit der Vereinten Nationen nachstellen, findet bereits seit 1946 statt. Doch in diesem Jahr fand erstmals zusätzlich zur Arbeit in den Komitees eine Simulation der Verhandlung vor dem IStGH statt. Die nachgestellten Fälle – neben Gaddafi wird der kongolesischen Milizenchefs Thomas Lubanga verurteilt – werden auch in der Realität gerade von den Richtern in Den Haag beurteilt.

Statt 400 Zuhörern nur sechs Anwälte und sieben Richter auf Zeit

Daniela Ring"Ursprünglich war ich einem UN-Komitee zugeteilt. Als die Organisatoren der NMUN zur Bewerbung für den Moot Court aufriefen, habe ich mich aber rasch umentschieden", sagt die Jurastudentin, die derzeit das siebte Semester absolviert. Statt sich den Sitzungssaal des Komitees mit 400 Teilnehmern teilen und Redezeiten von einer halben Minute einhalten zu müssen, bereitete sie sich mit fünf anderen Studenten und Studentinnen aus aller Welt auf die Rollen der Anklage, Verteidiger und Opferanwälte vor. In den beiden jeweils zweitägigen Verhandlungen, die von sieben jungen Teilnehmern in der Rolle der internationalen Richter geleitet werden, halten Daniela und ihre US-amerikanische Teamkollegin nicht nur je ein emotionales Eröffnungs- und Schlussplädoyer. Sie erläutern auch ihre zuvor eingereichten schriftlichen Positionspapiere und stellen sich an zwei Nachmittagen den mehrstündigen Nachfragen der Richter.

Nachts um 3 Uhr per Skype geplant

"Wir werden zeigen, dass die Staatsanwaltschaft nicht nachweisen kann, dass diese Straftaten tatsächlich von den Angeklagten begangen wurden", fährt Daniela in ihrem Eröffnungsplädoyer fort. Nun auch innerlich etwas selbstsicherer blickt sie über die mit Notizen und Gesetzesausdrucken übersäten Konferenztische hinweg die Richter an, bevor sie ihren nächsten Punkt darlegt. Ein Vierteljahr intensiver Vorbereitung ist in diese Verhandlung geflossen. Im Januar erfuhr sie, dass ihre Teampartnerin aus dem US-amerikanischen Arizona stammte. Um 3 Uhr morgens überbrückten die beiden per Skype eine achtstündige Zeitverschiebung. Daniela übernahm die Vorbereitung der Anklage im Fall Lubanga; eines Falls, über den sie vorher kaum etwas wusste. "Gerade dieser Sprung ins kalte Wasser hat mich jedoch gereizt. Denn weder mit dem Sachverhalt noch mit dem internationalen Strafrecht hatte ich mich vorher auseinandergesetzt."

"Auf internationaler Ebene ist richtig Theater!"

Neben der Studienarbeit schrieb sie an dem Positionspapier im Falle des Milizenchefs: Die Hintergründe des Falles, die einschlägigen Gesetzesvorschriften und dazugehörigen Beweise, ein Schlussplädoyer und ein Vorschlag für das Strafmaß gehören hinein. "Wir mussten etwa nachweisen, dass Lubanga Kindersoldaten einsetzte, sie unter 15 Jahren waren und Lubanga das wusste", sagt Daniela zur Illustration. Per E-Mail sandten sich die beiden angehenden Juristinnen Recherchen und Beweisvorschläge zu, in New York würfelten sie einige Tage vor Beginn der NMUN ihre Unterlagen zusammen. Am Morgen nach der feierlichen Eröffnungszeremonie im Ballsaal des Hotels dann Daniela Rings erster Auftritt im Fall Gaddafi: Nach dem Vertreter der Anklage ist ihr Eröffnungsplädoyer an der Reihe. Und Daniela stellt fest: "Auf internationaler Ebene ist richtig Theater! Man darf seine Aussagen bunt ausschmücken, durch den Raum laufen und laut werden, ein bisschen wie in der Anwaltsserie Boston Legal." Anschließend zwei Stunden lang von den Richtern gelöchert zu werden, war so anstrengend wie ungewohnt: "Im deutschen Jurastudium muss man seinen Standpunkt schließlich nicht häufig mündlich verteidigen."

Zweimal Freispruch, zweimal verurteilt

Dass Gaddafi letztlich des Mordes verurteilt und wegen Vergewaltigung freigesprochen wurde, überraschte die junge Juristin ebenso wenig wie ein ähnliches Urteil im Fall Thomas Lubangas – es entsprach der Beweislage. Doch auch wenn sie und ihre Partnerin jeweils nur einen Teilerfolg errungen hatten, Daniela Ring wird einiges aus New York mit nach Regensburg nehmen: "Ich habe gelernt mit unbekannten Gesetzen zu arbeiten, auf Englisch zu verhandeln und mich auf internationalem Parkett zu bewegen." Und ein Plädoyer mindestens ebenso emotional zu beenden wie Boston-Legal-Anwalt Alan Shore: "Verehrte Richter, nicht nur sind die Angeklagten nicht schuldig, sie sind in der Tat unschuldig."

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