Humanisierung des Jurastudiums

Reformen statt Bologna

von Martin RathLesedauer: 5 Minuten
Verdirbt das Jurastudium den Charakter? Empirische Untersuchungen aus den USA zeigen, dass positive Eigenschaften der Studenten regelrecht "zersetzt" werden. Gerät die Studienreform hierzulande zum bürokratischen "Bologna-Prozess", so fokussiert die US-Diskussion auf Sorgen und Nöte der Studenten. Ein Blick auf Reformbewegungen dort- und hierzulande von Martin Rath.

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Besonders liebevoll gehen die Herren über Recht und Unrecht in den USA ja nicht mit sich um: "Wie nennt man 5.000 tote Anwälte auf dem Meeresgrund?", fragt ein nicht zuletzt unter US-Juristen verbreiteter Witz, um als Antwort zu geben: "Einen guten Anfang." Ob die deutschen Universitäten mit ihren Studienanfängern besonders liebevoll umgehen, liegt wohl im Auge des Betrachters. Dessen ungeachtet wird man in diesen Tagen vielen fröhlichen, ja stolzen Gesichtern begegnen – Studienanfängern im Fach Rechtswissenschaften, deutlich daran zu erkennen, dass sie mit den frisch erworbenen Dünndruckausgaben deutscher Gesetze durch die Straßen und Lokale der Universitätsstädte lustwandeln.

Lustgefühle im Jurastudium – gehen (nicht) von allein weg

Lustgefühle werden noch von fast jedem Jurastudium beseitigt, so viel steht fest. Die Gründe dafür wurden schon endlos benannt, seit mindestens 40 Jahren kreist das Fach um Reformdiskussionen, mit überschaubaren Erfolgen. Der "Freischuss" etwa, in den 1990er-Jahren eingeführt, mag zu kürzeren Studienzeiten beigetragen haben, was die Examensangst betrifft ist er aber vielleicht mehr Symptom als Therapie. Manches ist nach wie vor angreifbar, wobei auch dies natürlich im Auge des Betrachters liegt: Ob es didaktisch wirklich sinnvoll ist, Jurastudenten vom ersten Semester an ausschließlich so genannte "Gutachten" schreiben zu lassen, ist zweifelhaft. Nicht nur Außenstehende befremdet das jedenfalls. Die Fälle, die "gutachterlich" abgehandelt werden, sind mitunter schlicht abstrus, manchmal sprengt die Fallkonstellation sogar die Grenzen des naturwissenschaftlich Denkbaren. Aber dieses Abstandnehmen von der Lebenswirklichkeit findet im Lehrbetrieb selbstredend seine Verteidiger. Das akademische Prüfungswesen, auf Korrekturassistenzen gestützt, verteilt traditionell schlechte Noten, was eine Beurteilung des individuellen Leistungsstands erschwert und darüber hinaus – dem Staatsexamen sei Dank – auch keinen Aufschluss über die Ausbildungsqualität zulässt. Schließlich das juristische Synonym für Angst und Zeitnot: das Staatsexamen mit seiner – wie es Bernhard Großfeld 1999 formulierte – "objektiv nicht zu bewältigenden Stoffülle".

Amerika, du hast es besser?

Der emeritierte Juraprofessor Großfeld hätte es seinerzeit gerne gesehen, hätten die Gerichte begonnen, die Stofffülle des Ersten Juristischen Staatsexamens zu beschneiden. Von Rechts wegen, sei sie doch zu einer "unverhältnismäßigen Zugangssperre" in der Berufswahl geworden, Art. 12 Grundgesetz sei einschlägig. Aber wohl auch der Humanität wegen, weil Angst und Zeitnot keine guten Lehrerinnen für den juristischen Nachwuchs sind. Für einen deutschen Rechtsgelehrten waren das drastische Worte. Mit weitaus böseren Worten gehen seine US-amerikanische Kollegen mit der dortigen Juristenausbildung ins Gericht: "Furcht und Ekel" stellte die Juraprofessorin Barbara Glesner Fines als verbreitete Gefühle unter Jurastudenten fest, ihr Aufsatz "Fear and Loathing in the Law Schools" , 1991 erschienen, gab den Anstoß für eine Reformbewegung unter mehr als 400 Rechtsgelehrten, Änderungsbedarf aufzudecken und die Ausbildungspraxis zu verändern.

Furcht und Ekel in der US-Juristenausbildung

Was Barbara Glesner Fines allein aus eigener Anschauung an der US-amerikanischen Juristenausbildung zu kritisieren wusste, war die Konzentration auf das reine Faktenlernen, die bloße Anwendung von Dogmatik – und sie schloss mit dem Appell, die professionellen Werte des juristischen Berufs zu betonen: Frieden zu schaffen, Probleme zu lösen und an Recht und Gerechtigkeit zu arbeiten. Inzwischen kann sich die Diskussion in den USA längst auch auf empirische, besser gesicherte Befunde stützen. Lawrence S. Krieger, Juraprofessor in Florida, legte 2007 eine Untersuchung vor, derzufolge Jurastudenten – bereits im ersten Ausbildungsjahr – eine deutlich stärkere psychische Veränderung durchmachten als Studenten anderer Fächer. Ihr "Sinn für Wahrhaftigkeit und Selbstständigkeit" würde an den Law Schools "geradewegs, manchmal mit Nachdruck" zersetzt, ihre Überzeugung, kompetent zu sein, ginge verloren und das Gefühl der Jurastudenten, als Teil der menschlichen Gesellschaft anzugehören, würde an den Law Schools mit Füßen getreten. Diese Fakten mögen noch vergleichsweise "weich" sein. Zu den harten Fakten Kriegers zählen aber unter anderem auch Vergleiche zum Gebrauch von Alkohol und anderen Suchtmitteln – der, seinen Untersuchungen zufolge, an den Law Schools signifikant höher liegt als unter Studenten anderer Fächer. Susan Grover von der William & Mary School of Law zog aus solchen Feststellungen den Schluss, dass das Jurastudium zu einem negativen Wandel in den Wertvorstellungen und in der Persönlichkeit der angehenden Juristen führe – was sie mit Beunruhigung als Quelle von seelischer Not im Berufsstand identifiziert. Seelische Not, die vielleicht zu zynischen Witzen über Anwälte am Meeresgrund verleitet?

Deutsche Juristen – Reform nur à la Bolognese?

Zu den Veränderungen, die Lawrence Krieger vorschlägt, gehören rein pragmatische Lösungen, beispielsweise eine Verlagerung von Teilen der Ausbildung auf akademisch betreute Selbstlerngruppen.  Er wünscht sich aber auch juristische Fakultäten, deren Lehrer nicht nur ermutigt werden, ihre expliziten Botschaften an die Studenten selbstkritisch zu prüfen, sondern auch ihre impliziten, subkutan vermittelten. Nachholbedarf lässt sich in dieser Beziehung auch für deutsche Lande unschwer feststellen. Wie leicht geht doch manchem Dozenten hierzulande der Satz "Geld hat man zu haben" über die Lippen, aller Wahrscheinlichkeit nach in einer "BGB-AT"-Vorlesung für Studienanfänger. Didaktisch hat der Satz dort natürlich seinen Platz als implizite Voraussetzung einer funktionsfähigen Zivilrechtsordnung. Doch wie viele akademische Lehrer ermuntern an dieser Stelle wohl zu einer kritischen Diskussion? Und welcher Professor denkt darüber nach, welche Botschaft er vermittelt, sollte er eine etwaige Diskussion einfach abwürgen? Für die selbstkritische Reflexion über die eigene didaktische Verantwortung ist derweil vielleicht wirklich zu wenig Platz, läuft hinter den hochschulpolitischen Kulissen noch die Diskussion über Sinn und Unsinn von "Bologna". Ob und wann der "Bachelor" zum ersten juristischen Studienabschluss wird, welche Funktion das Staatsexamen dabei hat und wie alles weitergehen soll, diese Fragen wurden in den vergangenen zehn Jahren ähnlich heftig und bockig verhandelt wie der Wert des dreigliedrigen Schulsystems. Im Jahr 2011 oder 2012 werden sich die Justizminister vielleicht dazu äußern, welche Form das Jurastudium erhalten soll. Wünschenswert wäre derweil eine Diskussion, die aus den US-amerikanischen Erfahrungen lernt. Vermutlich lassen sich viele didaktische Konzepte, die berühmte sokratische Methode etwa, nicht so einfach von der kleinen US-amerikanischen Lerngruppe auf die 300-köpfige Anfängervorlesung hierzulande übertragen. Was aber in den USA in jedem Fall besser läuft, ist der Ansatz der rechtswissenschaftlichen, der selbstkritischen Reflexion: Während dort eine soziologische, empirische Untersuchung über den Geisteszustand der Jurastudenten ganz selbstverständlich ihren Weg in die rechtswissenschaftliche Publizistik findet, wird man danach in juristischen Fachzeitschriften hierzulande wohl noch lange suchen müssen.

Weiterlesen:

Das Washburn Law Journal dokumentiert als vorläufigen Höhepunkt der US-amerikanischen Diskussion ein Symposium zur "Humansierung der Juristenausbildung". Ein interessantes Beispiel für die öffentliche Reflexion juristischer Ausbildungspraxis in den USA bietet das Blog Best Practices for Legal Education, das man sich in ähnlich frischer Form auch von deutschen Hochschulgelehrten wünschte. Eine eher bürokratisch-hochschulpolitisch enggeführte Reformdiskussion, wie sie hierzulande unter dem Stichwort "Bologna" geführt wurde, bringt natürlich etwas weniger frischen Stoff hervor, zu finden in der Dokumentation von Jens Jeep. Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Köln.

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