Hessische Examensprüfer auf Wanderschaft

Wer lehrt, der prüft – außer bei den Juristen

von Prof. Dr. Georgios GounalakisLesedauer: 7 Minuten
Nach massiver Kritik will Hessen die Examensprüfer auf Wanderschaft schicken anstatt die Kandidaten den Hochschulorten zuzulosen. Eine negative und unverhältnismäßige Entwicklung in der Juristenausbildung, findet Georgios Gounalakis.

Niemand käme ernsthaft auf die Idee, Abiturienten in ihrer mündlichen Prüfung durch Lehrer anderer Schulen anstatt durch die der eigenen prüfen zu lassen, nur um von fairen und objektiven Prüfungsbedingungen sprechen zu können. Zum Glück müssen tatsächlich weder Schüler noch Lehrer zu den mündlichen Abiturprüfungen landesweit an jeweils andere Gymnasien reisen. Genau das soll sich aber bei der Ersten Juristischen Staatsprüfung ab Herbst dieses Jahres in Hessen ändern. Die Prüfungskommission, die in der Regel aus einem Hochschullehrer und zwei Praktikern besteht, soll künftig hessenweit an die vier möglichen Prüfungsorte Frankfurt, Gießen, Marburg und Wiesbaden reisen, um die mündliche Pflichtfachprüfung abzunehmen. Bislang ist es üblich, dass zwar die Praktiker reisen, die Hochschullehrer aber nur die Kandidaten ihrer Heimatuniversität geprüft haben - und dies aus guten Gründen. Denn die geplante Änderung ist offensichtlich unangemessen und damit unverhältnismäßig. Sie berücksichtigt weder die Interessen der Studierenden noch die Interessen der juristischen Fakultäten an einem geordneten Unterricht. Auch blendet sie die Praxis anderer Studiengänge auf Staatexamen ebenso aus wie die gegenläufige Tradition, die andere Länder in der Ausbildung von Juristen haben.

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Alles für die Objektivität der Prüfung

In anderen deutschen Studiengängen, die mit einem Staatsexamen abschließen, wie etwa in den verschiedenen Sparten der Medizin, der Lebensmitteltechnik oder dem Lehramt, werden die Studierenden wie selbstverständlich durch Professoren ihrer eigenen Universität geprüft. Keines der dafür zuständigen Prüfungsämter ist dabei auf die Idee der landesweiten Prüferverschickung gekommen. Das hessische Justizprüfungsamt (JPA) hat indes ohne vorherige Rücksprache mit den betroffenen Fakultäten in einem Schreiben an die Prüfer jüngst angekündigt, dass sich die Prüfungspraxis ab Herbst ändern soll, nachdem sich eine probeweise im Frühjahr durchgeführte Verschickung der Studierenden an einen anderen Prüfungsort als den Studienort nicht bewährt hat. Vordergründig soll laut Schreiben die Gewährleistung einer hochwertigen Ausbildung und die Schaffung gleicher Bedingungen in der juristischen Staatsprüfung das tragende Argument für die hessenweite Versendung der Prüfer sein. Beides ist aber in der jetzigen Prüfungspraxis mehr als gewährleistet, da jeder Kandidat neben zwei Praktikern auch von einem der Professoren, die er von der Universität kennt, geprüft wird. In Wahrheit geht es um die Sicherstellung der Objektivität der Staatsprüfung. Warum aber, fragt man sich, will das JPA päpstlicher sein als der Papst und kommt erst jetzt auf diese Idee? Die staatliche Juristenprüfung basierend auf der preußischen Juristenausbildung ist doch seit Anfang des 20. Jahrhunderts bundesweit etabliert.

War die Prüfung früher weniger objektiv?

Das Bemühen um Objektivität kann nicht ernsthaft dazu dienen, die Prüfungen der zurückliegenden Jahrzehnte als nicht objektiv zu brandmarken. Dann stellte sich der Staat nämlich selber ein Armutszeugnis für seine zurückliegende Prüfungskultur aus. Und der mitschwingende Vorwurf, beamtete Hochschullehrer deutscher juristischer Fakultäten seien bei der Prüfung nicht objektiv, sondern bevorzugten willkürlich einzelne Kandidaten, ist schon ein starkes Stück. Er entbehrt jeder Grundlage und ist entschieden zurückzuweisen. Diesen Vorwurf erhebt im Übrigen auch kein anderes staatliches Prüfungsamt außerhalb der Rechtswissenschaften. Fest steht: Bereits jetzt ist die Objektivität hinreichend gesichert, weil die Kommissionen nach dem Zufallsprinzip bei jeder Prüfungskampagne neu zusammengewürfelt werden und die Kandidaten erst zwei Wochen vor der mündlichen Prüfung überhaupt erfahren, vom wem sie geprüft werden. Und dass ein Prüfer in der Kommission nicht unberechtigt gute oder schlechte Noten vergibt, darauf achten die jeweils anderen beiden.

Schlechte Noten sind juristische Tradition

Auch die Notengebung kann kein Grund für die geplante Änderung gewesen sein. Sie ist bei Juristen traditionell schlecht. Dies liegt unter anderem daran, dass die Anforderungen an die Erste Juristische Prüfung und insbesondere an die staatliche Pflichtfachprüfung in allen Bundesländern sehr hoch, um nicht zu sagen zu hoch sind, sodass sie kaum mit gutem Erfolg erfüllt werden können. Die Studierenden bereiten sich zwar intensiv auf die Prüfung vor. Dennoch erreichen nur etwas über 15 Prozent der Absolventen ein Vollbefriedigend oder besser während gute 30 Prozent überhaupt nicht bestehen. Die große Masse der Juristen rangiert im ausreichenden und befriedigenden Bereich. Ihnen wird regelmäßig ins Stammbuch geschrieben, nur juristisches Mittelmaß zu sein. Etwas besser fällt das Examen zwar dann insgesamt aus, wenn die universitäre Schwerpunktprüfung hinzukommt. Da Arbeitgeber und vor allem der Staat aber allein auf das Ergebnis der staatlichen Prüfung achten, kommt der Pflichtfachprüfung eine herausragende Bedeutung zu. Warum also die ohnehin schwierige Prüfungssituation noch weiter verschärft werden soll, erschließt sich selbst Eingeweihten nicht ohne weiteres. Dass Länder wie Berlin oder Nordrhein-Westfalen bereits die Prüfer "verschicken", ist kein Argument für Hessen und oder andere Bundesländer, mit einer unverhältnismäßigen Anpassung nachzuziehen. Ebenso wenig greift das Argument, man habe ansonsten uneinheitliche Prüfungsanforderungen zu befürchten: Nirgends sind diese besser standardisiert und vereinheitlicht als in den Juristenausbildungsgesetzen der Bundesländer. Im Gegenteil: das aktuelle Vorhaben zeigt, wie einmal mehr Prüfungsanforderungen mit dem einseitigen Blick durch die nationale Scheuklappen-Juristen-Brille unnötig verschärft und völlig überzogen werden.

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2/2: Deutsche Juristenausbildung ist eigenbrötlerisch

Die deutsche Juristenausbildung ist, was hierzulande oft nicht ausreichend gewürdigt wird, europaweit, wenn nicht gar in der ganzen westlichen Welt, singulär und isoliert. Zwar ist eine in allen Bundesländern gleichwertige und solide Juristenausbildung, die die erforderliche Ausbildung für den Zugang zu den juristischen Berufen sicherstellt, unabdingbar und ein guter Grund für die staatliche Organisation des Examens: Der funktionierende Rechtsstaat ist zwingend auf eine hochwertige juristische Ausbildung und auf gut ausgebildete Juristen angewiesen. Das heißt aber nicht, dass diese Aufgabe nicht auch die Universitäten in gleicher Weise erfüllen können. Im Gegenteil: Die universitäre Prüfung ist im Ausland die Regel und das deutsche juristische Staatsexamen einmalig auf der Welt. Dabei wird man nicht generell sagen können, dass in anderen demokratisch verfassten Systemen westlicher Prägung der Rechtsstaat nicht oder deutlich schlechter funktioniert, weil die Juristen von der Universität und nicht vom Staat geprüft werden. Die erste juristische Staatsprüfung, in der nach Abschluss des Studiums das gesamte juristische Wissen punktgenau und umfassend in jedem Detail und in jeder Problemstellung abgefragt wird, sucht auf der Welt indes ihres gleichen. Es sind enorme Anforderungen, die den deutschen angehenden Juristen abverlangt werden. Und dass sie dadurch deutlich bessere Juristen werden als anderswo, sodass sich der betriebene Aufwand um vermeintlich mehr Objektivität lohnt, ist nicht belegt. Dies zeigt sich nirgends deutlicher als anhand der internationalen Rechtsberatung: Dort dominieren weltweit U.S.-amerikanische und englische, nicht aber die angeblich am besten ausgebildeten deutschen Juristen.

Prinzip der Einheit von Prüfung und Lehre gefährdet

Üblich für die allermeisten juristischen Prüfungen der westlichen Welt ist ein abgeschichtetes System universitärer Prüfungen. Das Examen wird also schrittweise und Semesterweise erlangt. Und nach Ablegung der Prüfungen im letzten Prüfungsjahr (der Abschlussprüfung) haben die Studierenden das Examen in der Tasche. Mancherorts kommt noch die Anfertigung einer Abschlussarbeit (Magisterarbeit) hinzu. Kennzeichnend für alle Prüfungen ist dabei, dass sie an der jeweiligen Heimatuniversität der Studierenden von den jeweilig dort Lehrenden abgenommen werden. Dies trifft gleichermaßen für Europa wie für Nordamerika, Kanada und Australien zu. Dieser Befund gilt sowohl für die Semesterprüfungen wie für die juristischen Abschlussprüfungen. Die Objektivität dieser Prüfungen wird dabei nirgends auf der Welt ernsthaft in Zweifel gezogen. Der Grund für die Prüfung am Studienort ist das Prinzip der Einheit von Prüfung und Lehre. Die Studierenden sollen von denjenigen geprüft werden, die auch das jeweilige Fach lehren. Dies hat zwei Gründe: Zum einen nimmt das den Studierenden eine gewisse Prüfungsangst, wenn sie ihre Prüfer aus der Vorlesung kennen. Zum anderen wird dadurch der Anreiz der Studierenden erhöht, die jeweilige Vorlesung auch zu besuchen. Die Prüfungssituation an sich ist für die Studierenden schon psychisch belastend. Dies gilt umso mehr für die Staatsprüfung. Sie sollte nicht zusätzlich verschärft werden. Und dass dem deutschen System des juristischen Staatsexamens im Ausland mit großem Unverständnis begegnet wird, es mitunter gar als unmenschlich bezeichnet wird, sollte uns zu denken geben. Der jetzige Weg jedenfalls, der die Kluft zwischen unserem System und dem anderer Länder in Europa und der westlichen Welt noch weiter vertieft, ist ein Irrweg, der noch mehr in die deutsche Isolation führt. Auch kann das JPA nicht wollen, dass an den Universitäten künftig nur noch Geistervorlesungen stattfinden, weil die Studierenden es nicht mehr für notwendig erachten sie zu besuchen. Und auch den weiteren Ansturm auf die privaten Repetitorien zur Vorbereitung auf die Staatsprüfung, die gegenwärtig bereits 70 Prozent der Studierenden besuchen, und die damit verbundene Belebung des Geschäfts mit der Prüfungsangst, kann niemand ernsthaft wollen.

Ortsprüfung an der Heimatuniversität als Maßstab

Deshalb sollte die geplante Organisation hochschulübergreifender mündlicher Prüfungen im Interesse der Studierenden im Prüfungsamt nochmals überdacht werden. Und man sollte es auch in Hessen beim bisherigen, in vielen Jahrzehnten bewährten System der mündlichen Prüfung am Studienort der Kandidaten belassen. Aus den genannten Gründen sollte stattdessen darüber nachgedacht werden, künftig in die mündlichen Prüfungskommissionen wieder zwei Hochschullehrer zu berufen. Im alten Prüfungssystem mit vier Prüfern war die Kommission paritätisch besetzt. Eine stärkere Präsenz der Lehrenden sollte im Interesse der Einheit von Prüfung und Lehre und letztlich im Interesse der Studierenden künftig wieder gewährleistet werden. Die Kluft zu dem universitären Prüfungssystem anderer Länder ist schon groß genug. Sie sollte nicht weiter vertieft werden. Der Autor Prof. Dr. Georgios Gounalakis ist Professor für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung und Medienrecht an der Philipps-Universität Marburg.

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