Ehrenamtliche Bewährungshilfe

Wegweiser weg vom Gefängnis

von Anna K. BernzenLesedauer: 5 Minuten
Objektiver und subjektiver Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld: In der Klausur sind Delikte schnell geprüft und bejaht, über Hintergründe von Täter und Tat erfährt man wenig bis nichts. Bei ihrer Tätigkeit als Bewährungshelferinnen lernen drei junge Juristinnen auch diese Seite des Strafrechts kennen. Die Arbeit hält schöne und schlimme Momente bereit, und kann auch bei der Berufswahl helfen.

Anzeige

"Gucken Sie mal, was ich dabei habe!" Die Tür ist kaum hinter Peter Gutsche (Name geändert) ins Schloss gefallen, da kramt er schon in seiner Tasche. Stolz zieht er zwei kleine Bücher hervor: "2013" steht auf dem einen, "2014" auf dem anderen. "Ich habe mir Terminkalender gekauft. Für dieses und für das nächste Jahr!" Müller nimmt eines der Bücher und schlägt es auf. Für manche Tage hat er in den schmalen Spalten etwas notiert. "Da stehen schon alle Termine mit Ihnen drin", sagt er und zeigt auf den Tag ihres nächsten Treffens. Die Verabredungen, die Gutsche so eifrig notiert hat, sind solche mit Martina Müller. Die 28-jährige ist Wirtschaftsrechts-Studentin und ehrenamtliche Bewährungshelferin, unter anderem für Gutsche. Möglich macht dies § 56d Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB), der vorsieht, dass Gerichte neben oder statt den hauptamtlichen auch ehrenamtliche Bewährungshelfer bestellen dürfen. Allein in Baden-Württemberg, wo Müller sich engagiert, wurden zuletzt etwa 600 Ehrenamtliche in der Bewährungshilfe eingesetzt.

Zum Amt, zum Arzt, zum Anti-Aggressionstraining

Martina Müller und ihre Kollegen haben dabei dieselben Rechte und Pflichten wie die hauptberuflichen Helfer: Sie begleiten Menschen wie Peter Gutsche zum Arbeitsamt oder zum Arzt, helfen bei der Wohnungssuche oder dem Schuldenabbau, erklären, was das Schreiben der Behörde bedeutet oder wer bei Problemen in der Familie helfen kann. Auch die Zusammenarbeit mit dem Gericht gehört zu ihren Aufgaben. Muss der Klient als Auflage ein Anti-Aggressionstraining besuchen, kontrolliert Müller für den Richter, ob er dort auch hingeht. Ein- bis zweimal pro Monat trifft die Studentin sich dafür mit jedem ihrer Klienten. Ist in der Zeit seit dem letzten Gespräch viel passiert, sitzen die beiden einige Stunden zusammen und reden über die Probleme. Kann die Studentin dem Klienten nicht selbst helfen, vermittelt sie ihn weiter, zum Beispiel an eine Schuldnerberatung. Doch manchmal gibt es auch zwischen den festen Terminen kurzfristig ein Problem. Wenn Post von einem ungeduldigen Gläubiger kommt, der am liebsten gleich morgen vollstrecken will, muss Müller für ihre Klienten telefonisch erreichbar sein. Dann kommt sie auch mal am Wochenende vorbei und hilft mit dem Antwortschreiben. Ihre Aufgabe als Bewährungshelferin sieht sie so: "Ich will wie ein Wegweiser für meine Klienten sein: Ich zeige ihnen, wo sie langgehen können und unterstütze sie auf ihrem Weg."

"Ich habe mir vorab viele Gedanken gemacht"

Doch nicht immer sind die Erlebnisse der ehrenamtlichen Bewährungshelfer auf diesem gemeinsamen Weg erfreulich. Fast drei Monate konnte Katharina Czerwensky ihren Klienten nicht erreichen. Mitten in der Examensvorbereitung hatte die Jurastudentin das Ehrenamt als Bewährungshelferin begonnen. Doch Jannik Maier (Name geändert), 18 Jahre alt und mehrfach vorbestraft, kam zu keinem der vereinbarten Termine. Auch telefonisch oder per Brief konnte sie ihn nicht erreichen. Zuletzt blieb nur noch die Drohung: Arbeitet Jannik nicht mit, wird die Strafaussetzung widerrufen. Das hieße: Gefängnis. "Schlimm" seien diese Monate gewesen, erinnert Czerwensky sich. Dass die Arbeit auch mal unangenehm werden könnte, war ihr schon vor dem ersten Termin mit Maier bewusst. "Ich habe mir vorab viele Gedanken gemacht. Etwa, ob ich als junge Frau von den Klienten ernstgenommen werde", sagt sie. Auch Familie und Freunde machten sich anfangs Sorgen, besonders um die Sicherheit der 23-Jährigen. Mit schwerer Kriminalität haben ehrenamtlichen Bewährungshelfer es allerdings nicht zu tun: Viele Klienten sind wegen Delikten wie Diebstahl oder Körperverletzung verurteilt worden. Sexualstraftaten, Tötungsdelikte und ähnliches übernehmen dagegen die Hauptamtlichen.

"Die Bewährungshilfe hat mir gezeigt, wie gut es mir geht"

Doch auch die vergleichsweise geringfügigen Delikte, mit denen die Ehrenamtlichen zu tun haben, entstammen meist einer anderen gesellschaftlichen Realität. Mit Straftätern hatten viele zuvor weder privat noch beruflich zu tun: Nur knapp 30 Prozent der in Baden-Württemberg tätigen Bewährungshelfer haben beruflich Erfahrungen in der sozialen Arbeit gesammelt, die übrigen sind zum Beispiel Juristen oder Lehrer, Techniker oder Wirtschaftswissenschaftler. Und so ändert sich mit der Arbeit oft auch die eigene Perspektive. Katharina Czerwensky etwa geht seit dem Beginn des Ehrenamts anders mit ihren Mitmenschen um: "Mir hat die Arbeit geholfen, meine Vorurteile abzubauen. Ich gehe jetzt offener auf Menschen zu", sagt sie. Und Martina Müller stellte fest: "Die Bewährungshilfe hat mir gezeigt, wie gut es mir geht." Doch nicht nur persönlich können junge Juristen an ihrer Aufgabe als ehrenamtliche Bewährungshelfer wachsen. Für Franziska Rückert bietet das Ehrenamt die Möglichkeit, ihre berufliche Perspektive zu testen. "Ich habe für mich das Strafrecht als Tätigkeitsfeld im Blick. Momentan würde ich gerne den Beruf der Strafverteidigerin ergreifen. In der Bewährungshilfe kann ich die verschiedenen Facetten dieser Arbeit, insbesondere die Verknüpfung von Recht und sozialer Arbeit kennenlernen", sagt Rückert. Pünktlich zu Beginn ihres Referendariats bekam die 25-Jährige jetzt die Verantwortung für ihren ersten Klienten übertragen.

Nicht nur für angehende Strafrechtler eine wichtige Erfahrung

Umgekehrt können die Klienten auch von Rückerts Erfahrungen profitieren: Am Bewährungsgericht ihres derzeitigen Klienten absolviert sie beispielsweise momentan ihre erste Referendarstation. Da wird der Ansprechpartner für sie schon mal auf dem kurzen Dienstweg herausgesucht. Auch wenn Fristen einzuhalten sind oder der Gerichtsvollzieher an die Tür klopft, kann die junge Juristin die Probleme ihres Klienten einordnen und mit ihrem Wissen aus den BGB- und ZPO-Vorlesungen helfen. Doch unabhängig davon, ob es der Job des Strafverteidigers sein soll oder die berufliche Zukunft eher im Zivil- oder öffentlichen Recht liegt: Wichtig kann die Erfahrung als Bewährungshelfer für jeden jungen Juristen sein, da sind sich die drei einig. Franziska Rückert ist der Meinung: "Wer das Richteramt ergreift, sollte wissen, welche Folgen mit der Verhängung einer Gefängnisstrafe verbunden sind." Und Katharina Czerwensky ergänzt: "Ich muss mich wirklich mit dem Menschen hinter der Straftat beschäftigen. Hier heißt es nicht einfach: A hat einen Diebstahl begangen. Hier redet man mit A und hört, warum er das getan hat."

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Bewährung

Verwandte Themen:
  • Bewährung
  • Ehrenamt
  • Jurastudium
  • Studium

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter