Juristenausbildung 4.0

Das E-Examen kommt

von Roland SchimmelLesedauer: 4 Minuten

Andere Themen standen zwar auch auf dem Programm – am meisten interessierte die Teilnehmer aber das E-Examen, das nicht mehr lange auf sich warten lässt, wie Roland Schimmel nach einer Veranstaltung an der Uni Passau zu berichten weiß.

Die Vorstellung, die mäßig beliebten fünfstündigen Klausuren, aus denen sich die juristischen Staatsprüfungen zum größeren Teil zusammensetzen, nicht mehr mit der Hand schreiben zu müssen, sondern komfortabel auf dem – womöglich sogar eigenen – Computer, ist attraktiv. Bye bye Schreibkrampf ("Mein Karpaltunnelsyndrom hat mein Examen ruiniert!"), hello Schreikrampf ("Oh mein Gott, es kam Immobiliarsachenrecht dran!").

Niemand würde die gelegentlichen Katastrophenmeldungen des Typs "Klausurpaket auf dem Versandweg verlorengegangen – Kandidaten dürfen neu schreiben" vermissen, die mit digitaler Verfügbarkeit der Prüfungsleistungen der Vergangenheit angehören würden. Auch die immer wieder einmal geäußerte Sorge, wegen besonders unleserlicher oder besonders schöner Schrift diskriminiert zu werden, hätte sich erledigt.

Das Thema beschäftigt Prüfer wie Geprüfte - und so rückte es unverhofft in den Mittelpunkt einer Tagung der Universität Passau, die unter dem Titel "Juristenausbildung 4.0 – Digitalisierung in Praxis, Studium und Prüfung" stattfand. Wer block chain law und Legal Hackathons erwartet hatte, sah sich enttäuscht; bestens informiert wurde aber, wer sich hinsichtlich computerisierter Examensprüfung kundig machen wollte.

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Wer schreibt denn künftig noch von Hand?

Weitgehende Einigkeit bestand darin, dass im 21. Jahrhundert die Möglichkeit geschaffen werden müsse, Prüfungsleistungen auch in der Klausursituation digital abzufassen. Schlimmstenfalls leide künftig unter dem altmodischen Prüfungsformat die Attraktivität des juristischen Studiums, denn: Welche Angehörigen einer Generation, die von der Krabbelgruppe bis zur Abiturklausur wischend, diktierend und mit automatischer Wortergänzung arbeitend groß geworden ist, werden sich noch für ein Studium entscheiden, an dessen Ende sie Prüfungen von Hand schreiben müssen?

Die Haltung der Referenten zum elektronischen Examen war fast ausnahmslos positiv - abgesehen vielleicht von Bedenken hinsichtlich der zu erwartenden Kosten. Eine kritische Perspektive anzudeuten blieb dem einzigen studentischen Referenten vorbehalten, der darauf hinwies, das Schreiben mit der Hand sei neurobiologisch gesehen vorteilhafter für das Lernen. Nur: Die Examensklausuren sind gerade kein Teil des Lernens mehr.

Solange es im Belieben des Kandidaten steht, ob die Klausur hand- oder computerschriftlich geschrieben wird, wird jeder so lernen und geprüft werden können, wie es ihm am besten passt. Und bislang scheinen die Prüfungsämter das E-Examen nicht obligatorisch einführen zu wollen, zumal das womöglich nur nach einer Gesetzesänderung zulässig wäre.

Erwarten die Examenskorrektoren bald mehr?

Wenig thematisiert wurde indes, ob die elektronische Anfertigung der Prüfungsarbeiten inhaltliche Veränderungen erwarten lässt. Erste Erfahrungswerte, die diverse Referenten teilten, versprechen einen Umfangszuwachs der Examensklausuren von etwa zehn Prozent. Da wird man künftig beobachten müssen, ob die Möglichkeit, mittels Copy-paste-Funktion beliebig oft geringfügig variierte Textbausteine zu verwenden, auch den Erwartungshorizont der Prüfer verändert.

Seit etwa zehn Jahren experimentieren daher die Landesjustizprüfungsämter – und in Sachsen-Anhalt ist die elektronische Klausuranfertigung bereits Realität. Allerdings steckt der Teufel im Detail: Die erforderliche EDV-Ausstattung ist teuer in der Anschaffung und im Unterhalt, zumal sie erhöhten Anforderungen genügen muss: Zeitweilige Systemausfälle sind kaum hinnehmbar, Dokumente müssen regelmäßig automatisch gespeichert und gegebenenfalls wiederhergestellt werden können und gleichzeitig Täuschungsversuche technisch ausgeschlossen sein. Und ob eine Bring-your-own-device-Gestaltung dem Grundsatz prüfungsrechtlicher Gleichbehandlung genügt, ist nicht ganz einfach zu beantworten.

Digital das abzubilden, was mit 20 Blättern krakelig beschriebenen Papiers halbwegs leicht möglich ist, ist also keineswegs trivial. So zeichnet sich ab, dass in einem ersten Schritt des elektronischen Examens zunächst nur die Bearbeitung digital erfolgen wird. Sachverhalt und Gesetzestexte werden vorerst in konventioneller Papierform auf dem Tisch liegen bleiben. Später, so zumindest der Ausblick in Passau, werden auch die Aufgabe und die Hilfsmittel – also gegebenenfalls auch Kommentare und Datenbanken –digital verfügbar sein. Zu erwarten (und zu bezahlen) sind also Examensarbeitsplätze mit zwei oder drei großformatigen Monitoren pro Kandidat.

Während die Prüfungsämter in kleineren Bundesländern weniger Hürden zu überwinden haben und schneller praktikable Lösungen finden können, werden Studenten und Referendare in den größeren noch ein wenig warten müssen. Aber auch zum Beispiel Nordrhein-Westfalen will nach nunmehr zehnjähriger Experimentierphase voraussichtlich in den 2020er Jahren das elektronische Examen einführen.

Und nebenher: ein wenig Rechtsdidaktik

Neben einem Blick auf Gegenwart und Zukunft der Examensklausur erlaubte die Tagung aber auch einen Blick auf Gegenwart und Vergangenheit der juristischen Fachdidaktik. Den Anlass für die Tagung gab nämlich erst das zehnjährige Bestehen des Passauer Instituts für Rechtsdidaktik. In den vergangenen Jahren sind nicht nur Institute und Kompetenzzentren gegründet und Professorenstellen einschlägig ausgeschrieben und besetzt worden. Mittlerweile bewerben Fachverlage auch Lehrbücher zum materiellen Recht mit dem Adjektiv "didaktisiert".

Man kann also sagen: Die Rechtsdidaktik ist im Alltag der Juristenausbildung angekommen. Und zwar so sehr, dass das Wort "Didaktik" unter den 15 Referatsthemen noch genau einmal auftauchte – und im Verlauf der Veranstaltung praktisch nicht mehr fiel.

Das mag man als gutes Zeichen werten. Ebenso gut könnte man aber leise skeptisch fragen, ob die großen Themen bereits so gründlich geklärt sind, dass nur noch darüber geredet werden muss, ob und wann die elektronische Prüfungsform die handschriftliche ersetzt oder ergänzt. Manchem Beobachter aus der Ferne mag dieses Thema als reine Technizität erscheinen, gemessen etwa daran, ob die Prüfung eigentlich das Richtige prüft und ob das auf die richtige Art geschieht.

Die Tagung selbst fand übrigens im sympathisch-altmodischen Präsenzformat statt. Auf einen Livestream haben die Veranstalter zugunsten eines Hashtags verzichtet (#jurA40). Der Tagungsband wird übernächstes Jahr erscheinen. Gedruckt.

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