Jurafakultäten in der Coronakrise

Neu­land erobert

von Sabine Olschner und Sabine OlschnerLesedauer: 6 Minuten

Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben auch die Lehrpläne der Universitäten ganz schön durcheinandergewirbelt. Das Sommersemester 2020 – Chance oder Problem? Welche Lehre die juristischen Fakultäten ihren Studenten bieten.

Präsenzunterricht ist aufgrund der Abstandsregeln derzeit nicht möglich. Zu groß ist das Risiko, dass sich Studenten wie Lehrkräfte mit dem Coronavirus anstecken. Da bleibt nur eins: Veranstaltungen aus dem Hörsaal ins Internet verlegen. Die Jura-Dozenten und -Fakultäten haben sich dafür Einiges einfallen lassen, wie vier Beispiele zeigen.

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Ruhr-Universität Bochum: "Dozenten wählen ihre Methode selbst"

"Wir rechnen damit, dass dieses Semester keine Vorlesungen mehr stattfinden", sagt Prof. Dr. Jacob Joussen, Studiendekan der juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. "Entsprechend haben wir uns darauf vorbereitet, dass alle Veranstaltungen online laufen können." In kürzester Zeit hätten er und das Kollegium ein Komplettprogramm auf die Beine gestellt, das den gesamten Lehrplan des Semesters abdeckt. Einen Überblick, wann welche Veranstaltungen stattfinden, finden die Jurastudenten auf einem extra eingerichteten Portal ihrer Fakultät.

"Die Dozenten können selber entscheiden, in welcher Form sie ihre Vorlesungen anbieten wollen", erklärt Joussen. Manche nehmen Audio-Podcasts auf, unter Umständen verknüpft mit PowerPoint-Präsentationen, andere drehen Videos. Einige haben Online-Kurse vorbereitet, andere stellen Vorlesungsskripte und Videoaufzeichnungen aus vorherigen Semestern zur Verfügung. Organisiert werden die Veranstaltungen über die Lernplattform Moodle. Über die Videokonferenzplattform Zoom treffen sich Dozenten und Studenten zu virtuellen Sprechstunden und können so miteinander in Kontakt bleiben. Die Klausuren in der Vorlesungszeit finden online ohne Aufsicht statt: Innerhalb von zwei bzw. drei Stunden, je nach Klausurzeit, müssen die Prüflinge ihre Ergebnisse digitalisieren und dem Dozenten zumailen.

"Wir sind sehr froh, dass alle Lehrenden an einem Strang gezogen und mitgemacht haben, auch wenn vorher nur die wenigsten digitale Erfahrung hatten", sagt Joussen. Nur wenige Professoren, die auch bereits unter normalen Bedingungen Studenten im Ausland mit Online-Angeboten versorgt hatten, kannten sich aus. "Für uns anderen ist das alles Neuland", so der Studiendekan. Mithilfe von Anleitungen, wie die Technik zu nutzen ist, haben sowohl Dozenten als auch Studenten den Start des Sommersemesters schon einmal gut geschafft, resümiert der Professor. Und: "Sollten die Einschränkungen gelockert werden, können wir dank guter Vorbereitung jederzeit direkt auf Präsenzveranstaltungen umschalten."

Philipps-Universität Marburg: "Streamen alle Vorlesungen live"

Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Philipps-Universität Marburg setzt im laufenden Semester voll auf die Online-Plattform Zoom. "Alle unseren Vorlesungen werden live gestreamt", erklärt Prof. Dr. Sebastian Omlor, Studiendekan und Direktor des Marburger Instituts für das Recht der Digitalisierung. "Mit dieser Technik können Studierende Fragen stellen, Dozenten können ein Whiteboard nutzen oder Präsentationen zeigen. Das ist auch bei Veranstaltungen mit 400 Teilnehmern kein Problem." Schon als sich abzeichnete, dass Präsenzveranstaltungen nicht mehr möglich sein würden, begann die Rechtsinformatik des Fachbereichs, die Lehrenden zu schulen und sie mit der Technik für ihre Vorlesungen vertraut zu machen. Auch den Studenten wurde gezeigt, wie Zoom funktioniert.

Neben der synchronen Lehre – also den Live-Veranstaltungen mit den Dozenten – hat Omlor in gerade einmal vier Wochen zusammen mit dem Juraprofessor Dr. Stephan Lorenz von der LMU München auch asynchrone Lehrangebote zusammengestellt. Zielgruppe der terminunabhängigen Lehrinhalte sind vor allem Jurastudenten, die die Termine der Live-Streamings nicht wahrnehmen können, etwa weil sie kranke Angehörige pflegen müssen oder Probleme mit der Kinderbetreuung haben. Auf der Plattform www.semesterfutter.de finden angehende Juristen Podcasts, Übungen und Videos zum Lernen und zur Klausur- und Prüfungsvorbereitung. Zu jedem Fall gibt es zudem ein frei zugängliches umfassendes Literaturangebot von Beck online. Das Besondere an "Semesterfutter": Studenten von 92 Universitäten haben derzeit Zugriff auf die Literatur und die Offline-Angebote der Professoren.

Lehrveranstaltungen sind das eine – schriftliche Übungen und Klausuren das andere. "Wir haben aktuell unsere Hausarbeiten in den Übungen auf Online-Bearbeitung umgestellt", berichtet Omlor. "Unsere Studenten bekommen einen VPN-basierten Zugang zu den juristischen Datenbanken, die sie für die Aufgaben nutzen können." Wie die anstehenden Prüfungen zum Semesterende laufen werden, ist noch nicht abschließend geklärt. "Derzeit hoffen wir, sie mit genügend Abstand zwischen den Prüflingen an der Universität abhalten zu können."

Im Hinblick auf die Risikogruppen soll es auf jeden Fall im gesamte Semester digitale Lehrangebote geben. "Wir wollen niemanden zwingen, sich dem Risiko einer Erkrankung auszusetzen", betont der Studiendekan. Auch für Studenten aus dem Ausland, die derzeit nicht nach Deutschland kommen können, sind die Online-Angebote hilfreich. "Wir sehen den digitalen Schub nicht als lästige Pflicht, sondern als eine große Chance", sagt Omlor. Nach diesem Semester will der Fachbereich prüfen, was für zukünftige Situationen dieser Art noch verbessert werden kann.

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel: "Wir berücksichtigen, dass die Bibliothek geschlossen hat"

In Kiel hatten die meisten Dozenten bis zum Semesterstart am 20. April Angebote für die digitale Lehre entwickelt. "Die meisten hatten kaum Erfahrung damit, daher hat jeder eigene Formate entwickelt", berichtet Studiendekan Prof. Dr. Michael Stöber. Unterstützt wurden sie durch die Vizepräsidentin der Universität, Prof. Dr. Ilka Parchmann, und Prof. Dr. Janique Brüning, beide spezialisiert auf digitale Lehre und stellvertretende Studiendekanin der Fakultät. Stöber etwa nutzt YouTube, um seine Vorlesungen über einen Live-Stream zu präsentieren. Über den Chat können die Studenten Fragen stellen. Anschließend lädt der Professor das Video, unter Umständen mit etwas Nachbearbeitung, zum jederzeitigen Abruf auf YouTube hoch. "Andere Kollegen nutzen die Konferenztechnik von Zoom, für die die Universität mittlerweile Lizenzen angeschafft hat", sagt der Studiendekan. Ein paar wenige Dozenten stellen nur Leselisten und Materialien zum Selbststudium über die Lernplattform OpenOLAT bereit. Welche Angebote wann und in welcher Form zur Verfügung stehen, darüber informiert jeder Lehrstuhl seine Studenten individuell – zum Beispiel über die eigene Internetseite oder auch soziale Netzwerke.

Solange es keine Lockerungen gibt, läuft der Online-Betrieb erst einmal weiter. "Die Studierenden sind auf jeden Fall dankbar, dass sie kein Leersemester haben, und auch uns war es sehr wichtig, den Lehrbetrieb aufrechtzuerhalten", betont Stöber.

Für die Übungs-Hausarbeiten in den Semesterferien gab es eine Fristverlängerung und bei der Bewertung wird berücksichtigt, dass die Studenten in der letzten Phase keinen Zugang zur Universitätsbibliothek, sondern nur zu Online-Datenbanken hatten. Letzteres gilt auch für die Schwerpunktarbeiten. "Die Prüfungen im laufenden Semester bereiten uns noch etwas Kopfzerbrechen", so der Studiendekan. "Dafür haben wir noch keine endgültige Lösung gefunden." Für die Zwischenprüfungen und die Klausuren der Anfängerübungen kann sich die Universität selber einen Weg überlegen. Bei den Fortgeschrittenenübungen muss jedoch die Landesregierung mitentscheiden, wie diese durchgeführt werden sollen, da hier gegebenenfalls die Juristenausbildungsverordnung geändert werden muss.

Bucerius Law School Hamburg: "Mit Zoom arbeiten wir schon lange"

Als am 12. März die Nachricht eintraf, dass die Hochschule aufgrund eines Infektionsverdachts auf dem Campus sofort geschlossen werden musste, wurde eine Lerngruppe an der Bucerius Law School abgebrochen und bereits eine Stunde später auf Zoom fortgesetzt. Das Beispiel zeigt: Die Hamburger Hochschule traf die Einstellung des Präsenzunterrichts nicht ganz unvorbereitet. "Wir haben schon in den letzten Jahren damit angefangen, eine Infrastruktur für digitale Lehrprojekte aufzusetzen", berichtet Präsidentin Katharina Boele-Woelki. Außerdem stehen auf einer frei zugänglichen Website für Jurastudenten aus ganz Deutschland Materialien für das Selbststudium bereit: Aufzeichnungen von Vorlesungen, ein digitales Fallbuch und der Link zu einem YouTube-Kanal mit Lehrvideos.

"Auch mit Zoom arbeiten wir schon lange", sagt Law-School-Geschäftsführer Meinhard Weizmann. Über diese Plattform laufen nun in der aktuellen Situation Live-Webinare, die nach Angaben Weizmanns teils mehr Teilnehmer haben als die Präsenzveranstaltungen. Das Studierendensekretariat hat den Stundenplan so geplant, als seien alle an der Hochschule – eine Rückkehr in den normalen Lehrbetrieb sei jederzeit möglich. "Wir sind und bleiben schließlich eine Präsenzhochschule", betont die Präsidentin.

Für die private Hochschule ist der Umstieg natürlich etwas leichter als für staatliche Hochschule, nicht nur wegen der besseren finanziellen Ausstattung: Nur gut 100 Männer und Frauen pro Jahrgang studieren an der Bucerius Law School. An anderen Hochschulen nehmen oft mehrere Hundert Jurastudenten parallel an einer Lehrveranstaltung teil. Trotzdem ist der Aufwand hoch: Allein in den ersten zwei Wochen nach Schließung des regulären Hochschulbetriebs hätten 4.050 Hochschulangehörige und Studenten 295.045 Meeting-Minuten in 606 Meetings verbracht, so Weizmann. Bis zum Ende der Ausnahmesituation würden es noch weit mehr sein.

Innerhalb der Hochschule stehen Dozenten und Studenten Dienste und Plattformen wie Microsofts Office 365, SharePoint, Zoom und playposit zur Verfügung. Darüber hinaus nutzen die Studenten auch ihre privaten Messenger-Dienste und soziale Netzwerke für Arbeitsgruppen und Austausch. "Unsere Studierenden sind dankbar, dass wir ihnen ermöglichen, weiter zu studieren", so Weizmanns Eindruck. Für die Klausuren, die Ende März als "Open Book Exams" mit der Examenssoftware Wiseflow ins Home Office verlegt wurden, gab es die Möglichkeit eines Opt-outs. Auf Wunsch können die Studierenden die Klausuren später nachschreiben, wenn sie das wünschen. Allerdings hätten von dieser Möglichkeit nur sieben Prozent der Prüflinge Gebrauch gemacht.

Auch die Schnuppertage, an denen Studieninteressenten normalerweise die Hochschule besuchen, werden nun virtuell abgehalten, inklusive einer Live-Campusführung mit einem Kameramann. Ob sie ab dem nächsten Semester tatsächlich persönlich in der Hochschule sein können, wird sich zeigen.

Linktipp:

Der Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften stellt hier eine Linksammlung für das juristische Selbststudium bereit, in der es auch Hinweise auf online stattfindende Vorlesungen gibt.

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