Juristenausbildung in der Corona-Pandemie

Droht im Rechts­re­fe­ren­da­riat ein langer Bewer­ber­rück­stau?

von Markus SehlLesedauer: 6 Minuten

Einstellungstermin gestrichen, Plätze reduziert, längere Wartezeiten: Weil Prüfungen wegen der Coronakrise verschoben wurden, scheiden zurzeit weniger Referendare aus dem Dienst aus. Nicht jedes Bundesland kann sich das leisten.

Als Mitte August das Schreiben vom Prüfungsamt kam, hat sich Robert gewundert. Dann hat er sich geärgert. Er hatte zuvor das Erste Staatsexamen abgelegt und sich danach für das Referendariat in Schleswig-Holstein beworben. Dafür können sich Bewerber in eine von zwei Listen eintragen. Kandidaten in der Leistungsliste werden entsprechend der Examensnote eingestellt, die Warteliste hingegen berücksichtigt – wie der Name vermuten lässt – die Zeit, die Bewerber schon auf einen Referendariatsplatz warten.

Zum 1. Oktober 2020 sollte es für Robert endlich losgehen, er rechnete fest mit einem Platz über die Warteliste, hatte man ihm doch am Telefon – wenn auch unverbindlich – vermittelt, dass die von ihm angesammelte Wartezeit sehr wahrscheinlich ausreichen werde.

Dann das Schreiben: Es gebe plötzlich doch keinen Referendariatsplatz mehr für ihn. Schuld sei die Coronakrise, die zu Engpässen bei der Einstellung von Referendaren führe, teilte man Robert in dem Schreiben mit. Robert heißt nicht wirklich Robert, er will seinen richtigen Namen aber lieber nicht in diesem Beitrag lesen, er fürchtet Konsequenzen für seine Ausbildung. Sein Name ist der Redaktion bekannt.

Er ärgert sich vor allem darüber, dass es im Vorfeld und auch während des Telefongesprächs mit dem Prüfungsamt keinen Hinweis auf den Engpass gegeben habe. "So konnte ich mich auch nicht rechtzeitig in einem anderen Bundesland bewerben", sagt der junge Mann. LTO erreichten noch weitere Zuschriften von Absendern, denen es ganz ähnlich wie Robert geht und die sich Sorgen machen, wie sie die plötzlich zusätzlichen Monate bis zum Beginn des Referendariats überbrücken sollen. Vor allem aber befürchten sie, dass sich durch die Coronakrise ein langfristiger Bewerberrückstau bilden könnte, der ihren persönlichen Referendariatsbeginn um Monate nach hinten verzögern könnte.

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Schleswig-Holstein hat einen Engpass

In der Tat wird das Land Schleswig-Holstein zum Oktobertermin nur 20 Referendare einstellen, normalerweise sind es pro Einstellungstermin sechsmal im Jahr jeweils etwa 50. Zunächst hatte man sogar nur fünf Referendare im Oktober einstellen wollen, das Landesjustizministerium hatte sich dann aber für noch zusätzliche 15 Stellen eingesetzt, wie ein Sprecher auf LTO-Anfrage mitteilte.

Der Justizverwaltung macht zu schaffen, dass aufgrund der Coronakrise eine Menge Examensklausuren verschoben werden mussten. Entsprechend hat sich auch der Abschluss des Referendariats für die Kandidaten des Zweiten Staatsexamens verzögert. Das Land muss damit mehr Referendaren weiter Unterhaltsbeihilfe zahlen als im Haushalt eigentlich vorgesehen ist, weil der übliche Einstellungs- und Ausscheidezyklus gestört ist.

Für das Land bedeutet das zusätzliche Ausgaben, für Bewerber einen verschärften Wettbewerb um Referendariatsplätze. Zum Vergleich: Wer für den kommenden Oktobertermin einen Platz über die Leistungsliste erlangen wollte, brauchte mindestens 10,31 Punkte im Ersten Staatsexamen – in den Terminen zuvor waren es dagegen regelmäßig um die 8,5 Punkte gewesen.

Einen längerfristigen Rückstau befürchtet man seitens des Landesjustizministeriums aber nicht. Denn für die nächsten Monate habe man zusätzliche Referendarstellen eingeplant. So hoffe man, den Rückstau relativ zeitig wieder abbauen zu können, teilte das Ministerium mit.

NRW sagte Termin komplett ab, Berlin reduzierte die Plätze

Eine LTO-Umfrage unter den Landesjustizministerien zeigt, dass die Lage in Schleswig-Holstein keine Ausnahme ist, Verschiebungen und Engpässe gibt es auch in anderen Ländern. Viele Bundesländer wollen die Folgen der Corona-Pandemie für den Einstellungsbetrieb aber durch verschiedene Maßnahmen abmildern.

In Nordrhein-Westfalen (NRW) war etwa der Einstellungstermin für den April sehr kurzfristig komplett entfallen. Aufgrund der Pandemiesituation hätte keine qualitativ hochwertige Ausbildung in diesem Monat gesichert werden können, begründete man dort die Entscheidung. Für den darauf folgenden Einstellungstermin im Mai habe das Land aber seine Kapazitäten entsprechend aufgestockt, die Bewerber aus April seien zusätzlich aufgenommen worden. Zu einem Rückstau komme es nicht mehr, hieß es auf LTO-Anfrage.

Das Land Berlin musste indes für seinen Einstellungstermin im Mai Plätze reduzieren. Statt normalerweise 144 wurden nur 30 Bewerber angenommen. Pandemiebedingt sei die Ausbildung von zwei Arbeitsgemeinschaften mit je 15 Personen gerade noch als umsetzbar angesehen worden, wie die Justizsenatsverwaltung mitteilte.

Hinzu kommt: In der Hauptstadt erhalte man bereits seit vielen Jahren stets weitaus mehr Bewerbungen für den juristischen Vorbereitungsdienst als Ausbildungsplätze zur Verfügung stünden, was die Situation noch verschärfe. Insgesamt habe sich die Wartezeit für Bewerber durch die reduzierte Einstellung im Mai aber nur leicht verlängert, so die Justizsenatsverwaltung. Zu den folgenden Einstellungsterminen dafür mehr Bewerber anzunehmen, wie man es in NRW getan hat, sei in Berlin wegen der Auslastung der Raumkapazitäten, die der Referendarabteilung zur Verfügung stehen, nicht möglich. Dabei betonte man, dass Berlin im Vergleich zu den anderen Ländern ohnehin überproportional viele Ausbildungsplätze anbiete.

Berliner bewerben sich in Brandenburg

Die Entscheidungen aus der Hauptstadt bekommt man nun in Brandenburg zu spüren. Aus dem Landeshaushalt sind zusätzliche Mittel bewilligt worden, erklärte das Landesjustizministerium. Das lockt Bewerber aus der Berlin an: "Aufgrund der verringerten Anzahl von Referendareinstellungen in Berlin für den Einstellungstermin Mai 2020 hat sich die Bewerberzahl in Brandenburg erhöht. Dadurch kommt es auch hier zu längeren Wartezeiten", teilte das Brandenburgische Justizministerium mit.

Abgesehen davon hat sich auch in Brandenburg die Gesamtzahl der Referendare im Dienst des Landes erhöht. Die Einstellungen erfolgten aber trotzdem zu den geplanten Terminen und ohne reduzierte Platzanzahl. Lediglich für 16 Referendare habe sich das Referendariat wegen ausgefallener Prüfungen im Mai um einen Monat verlängert, wie es auf LTO-Anfrage hieß.

Hessen reagiert gelassen

Die übrigen Länder verzeichneten keine Einschränkungen bei der Einstellung neuer Referendare. So hat zum Beispiel Hessen seine Prüfungen wie geplant durchgeführt. Allerdings gab es auch hier Verschiebungen, wie das Ministerium mitteilte, weil einige Kandidaten wegen pandemiebedingter Einschränkungen von der Prüfung zurückgetreten seien. Das Land hatte seinen Examenskandidaten die Wahl gelassen, ob sie trotz der Pandemie die Prüfungen ablegen wollen. Die Kandidaten, die von diesem Wahlrecht Gebrauch gemacht haben und von der Prüfung zurückgetreten sind, seien somit zwei bzw. vier Wochen länger im Referendariat geblieben als eigentlich vorgesehen.

Dass Hessen recht gelassen und flexibel agieren kann, hat einen Grund: Das Haushaltsrecht in Hessen ermögliche es, die Referendare auch auf anderen freien Stellen im Geschäftsbereich des Ministeriums der Justiz zu führen, sodass zu jedem Zeitpunkt ausreichend Stellen für die reguläre Neueinstellung zur Verfügung gestanden hätten, wie das Landesjustizministerium erläuterte.

Sachsen und Hamburg schaffen zusätzliche Stellen

Auch in Sachsen entschieden sich manche Referendare wegen Einschränkungen im Prüfungsbetrieb dazu, ihre Klausuren statt im Juni erst im Dezember zu schreiben. Von diesem Angebot haben knapp 50 Kandidaten Gebrauch gemacht, teilte das dortige Landesjustizministerium mit. Diese Kandidaten bleiben damit ein halbes Jahr länger im Dienst des Landes. Sachsen will dafür zusätzliche Stellen für den Übergangszeitraum bis Mai 2021 schaffen

Auch in Hamburg wurden Kandidaten des ausgefallenen Prüfungstermins im April rund zwei Monate länger weiter beschäftigt, die damit verbundenen Mehrkosten trage der Dienstherr, hieß es in der Antwort auf die LTO-Anfrage.

Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern erhöhen die Einstellungszahlen

In Niedersachsen konnten im Prüfungsdurchgang März 48 Referendare nicht wie geplant ihr Examen ablegen. Alle Prüfungen konnten im Mai 2020 nachgeholt werden, wie das Landesjustizministerium mitteilte. Wegen der Verschiebung der Klausuren von April in den Juni 2020 werde aber ein Großteil des Prüfungsdurchgangs September 2020 erst im Oktober 2020 das Examen ablegen können. Das betreffe über 100 Prüflinge. Alle Betroffenen blieben aber im Dienst des Landes. Änderungen bei der Neueinstellung hätten sich nicht ergeben und seien auch nicht zu erwarten.

Gar keine Einschränkungen oder Veränderungen melden das Saarland, Thüringen, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Bremen. Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern gehen stattdessen sogar gegen den Trend und meldeten gegenüber LTO "deutliche Erhöhungen" bei den Einstellungen zum Sommer bzw. Herbst 2020 im Vergleich zu den Vorjahren.

Nachwuchsjurist Robert aus Schleswig-Holstein hat sich nun jedenfalls erst einmal übergangsweise auf einen Job in einer Kanzlei beworben. "Insgesamt habe ich mit meiner schon angesammelten Wartezeit wohl noch Glück gehabt. Für andere Bewerber, die weniger gesammelt haben und auch nicht über die Leistungsliste ins Referendariat gelangen, kann das hierzulande zu einer unangenehmen Zwangspause werden". Aktuell ist Robert optimistisch, dass er immerhin zum Winter sein Referendariat in Schleswig-Holstein antreten kann.

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