Vorwürfe gegen Staatsanwalt im Neukölln-Komplex

Ber­liner Exa­mens-Prüfer wehrt sich gegen Zwangs­pause

von Dr. Markus SehlLesedauer: 3 Minuten

Weil sein Name im Beschluss für den Untersuchungsausschuss zu einer rechtsextremistischen Anschlagsserie in Berlin-Neukölln auftaucht, lässt die Justiz einen Staatsanwalt temporär nicht mehr im Examen prüfen. Der wehrt sich vor dem VG.

"Die juristischen Staatsprüfungen sind für die Kandidat*innen eine in hohem Maße herausfordernde Situation. "Damit beginnt ein Schreiben vom 16. August 2022, mit dem die Berliner Senatsverwaltung für Justiz einen ihrer langjährigen Prüfer, einen Berliner Oberstaatsanwalt, vorübergehend von Examensprüfungen freistellt. Die Senatsverwaltung sorgt sich, dass der Einsatz des Oberstaatsanwalts die Examenskandidaten in der Prüfungssituation zusätzlich belasten könnte.

Was war passiert? Der Name des Prüfers F. taucht abgekürzt im Beschluss für den Untersuchungsausschusses zu einer rechtsextremistischen Straftatenserie im Berliner Bezirk Neukölln auf. Von 2016 bis 2019 waren in der Gegend insgesamt rund 70 Anschläge vor allem auf Menschen verübt worden, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. 23-mal wurden Brände gelegt. Beim Amtsgericht Tiergarten laufen dazu mittlerweile Strafverfahren. Die Ermittlungen zogen sich über Jahre hin und waren von Pannen und gegenseitigen Vorwürfen in der Staatsanwaltschaft begleitet. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus versucht derzeit aufzuklären, was genau schiefgelaufen ist. Er hat im Mai 2022 seine Arbeit aufgenommen.

Die Justizsenatsverwaltung befürchtet laut der Begründung in diesem Zusammenhang nun "zusätzliche Fragestellungen und Zweifel" an ihrem Prüfer, die die Belastungen der Kandidatinnen und Kandidaten noch verstärken könnten. Die Prüfenden würden seitens des Prüfungsamtes durchgängig um ganz besondere Zurückhaltung in ihrem Auftreten gebeten. Nun sei also eine Situation eingetreten, die aus Sicht des Prüfungsamtes nicht mehr diesem Anspruch genügt.

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Der Neukölln-Komplex und gegenseitige Vorwürfe in der Berliner Staatsanwaltschaft

Der Name des Oberstaatsanwalts taucht in dem öffentlichen 7-seitigen Beschluss in zwei Fragen auf. Einmal: "Aus welchen Gründen wurde die Äußerung, die eine Befangenheit von Oberstaatsanwalt F. möglich erscheinen ließ, nicht an Vorgesetzte und Aufsichtsbehörden übermittelt?" Und bei der Anschlussfrage: "Welche Ergebnisse erbrachte eine diesbezügliche Überprüfung und welche Veranlassungen wurden auf diese Ergebnisse hin getroffen? Erfolgte nach den Umsetzungen der Staatsanwälte S. und F. eine Revision der bis dahin erfolgten Verfahrensführung und wenn ja, mit welchem Ergebnis?" Die Fragen beziehen sich auf eine Entdeckung bei der Berliner Staatsanwaltschaft, die im Herbst 2020 schlagartig für Aufmerksamkeit sorgte.

Eine Anwältin stieß in Akten zu einem der Brandanschläge auf die Auswertung eines Handy-Gruppenchats. Ein Verdächtiger aus den Ermittlungen zur Anschlagsserie hatte laut Chat geschrieben: "Also die Staatsanwaltschaft ist auf unserer Seite, der ist AfD-Wähler." Jemand fragt im Chat, ob der Staatanwalt das so gesagt habe. Antwort: "Angedeutet". Ein ungeheurer Verdacht. Die Generalstaatsanwältin handelte, versetzte zwei Staatsanwälte zog die Ermittlungen an sich. Dafür erntete sie damals nicht nur Anerkennung, die Vereinigung der Berliner Staatsanwälte kritisiert sie, sprach von "einem unfassbaren Vertrauensverlust in die Justiz". Kann die Bemerkung eines Neonazis unmittelbar dienstrechtliche Konsequenzen für einen Staatsanwalt haben?

Eilverfahren beim Verwaltungsgericht Berlin

Der Untersuchungsausschuss hört derzeit die Betroffenen aus Neukölln, in den kommenden Terminen bis Jahresende ist eine Zeugenbefragung des Staatsanwalts F. weder geplant noch von den Fraktionen beantragt, das teilte die Geschäftsstelle des Ausschusses auf Anfrage mit.

F. soll nach dem Willen der Senatsverwaltung nicht mehr zu Prüfungen herangezogen werden, solange der Untersuchungsausschuss seine Arbeit noch nicht abgeschlossen habe. Seine grundsätzliche Bestellung zum Prüfer bleibe davon unberührt. Sie begründe jedoch kein Beschäftigungsverhältnis und damit keinen Anspruch, zu bestimmten Prüfungen herangezogen zu werden, so die Begründung der Senatsverwaltung. Ob die verwaltungsrechtlich Bestand haben wird, wird sich bald zeigen.

Der Prüfer wehrt sich gegen seine Freistellung mit einem Eilverfahren beim Verwaltungsgericht (VG) Berlin. Ein entsprechendes Verfahren ist dort anhängig, wie die Pressestelle des VG auf Nachfrage bestätigte. Details wurden nicht mitgeteilt. Mit einer Entscheidung ist in den nächsten Wochen zu rechnen.

*Anm. d. Red.: Text in der Version vom 31.10.2022, 19.50 Uhr. Zuvor war im Text unzutreffend die Rede vom NSU-Komplex statt zutreffend dem Neukölln-Komplex.

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