Mit Jura nach Managua

Where the streets have no name

von Claudia KornmeierLesedauer: 7 Minuten
Zwingend ist ein Auslandsaufenthalt für das Jurastudium nicht. Trotzdem zieht es viele Studenten raus aus den deutschen Hörsälen. Möglichkeiten gibt es genug. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Praktikum bei der deutschen Botschaft in der Hauptstadt Nicaraguas? Ein Erfahrungsbericht über den Behördenalltag in einer Stadt ohne Straßennamen zwischen Stromabschaltungen und Briefen der Trinidad Santisima.

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An alle, die erst mal bei Google nachlesen müssen, was bzw. wo Managua ist: Es ist seit 1858 die Hauptstadt von Nicaragua, dem größten und zweitärmsten Land Zentralamerikas. Die Stadt hat um die zwei Millionen Einwohner, ist Erzbischofssitz, hat mehr Universitäten als Studenten, ist wichtigster Industriestandort des Landes am Panamerican Highway. Nach einem Erdbeben 1931 wurde die Altstadt wieder aufgebaut. Nach dem Erdbeben von 1972 nicht. Die Straßen haben keine Namen, was nach Überlieferung der Hauptstadtbewohner die Band U2 zu ihrem Song "Where the streets have no name" inspiriert haben soll. Meine Adresse in Managua lautete: vom Restaurant La Plancha Nr. 2 zwei Blöcke Richtung See am Supermarkt Pali vorbei. "Richtung See" heißt "nach Norden", wenn man in den Westen will muss man "nach unten" sagen, weil dort die Sonne untergeht – "nach Osten" heißt entsprechend „nach oben“. "Nach Süden“ hieß – soweit ich mich erinnere – wirklich einfach „nach Süden".

Wie ich dort hingekommen bin: Wer will schon nach Managua

Ich wollte nach zehn Monaten Erasmus in Madrid noch ein paar Monate in Lateinamerika dranhängen. Irgendwie wollte ich das Ganze aber auch mit meinem Jurastudium rechtfertigen. Also bewarb ich mich online für ein Praktikum bei einer deutschen Botschaft. Man kann bei der Bewerbung neun Wunschorte angeben. Ich gab also so gut wie jedes spanischsprachige Land in Süd- und Zentralamerika an. Da wohl jeder Jurastudent nach Buenos Aires, aber keiner nach Managua will, bekam ich den Platz.

Behördenalltag I: Der Bericht – Daseinsberechtigung des deutschen Diplomaten

Die erste, wahrscheinlich von unterdrückter Sorge geprägte Reaktion meiner Mutter war: "Was willst du denn da? Kaffee pflücken?" Unberechtigt ist die Frage selbstverständlich nicht. Also, was tut man als Viertsemester in einer deutschen Botschaft in Managua? Berichte verfassen und an die Heimatfront schicken – das ist wohl der Daseinszweck deutscher Diplomaten. Das Auswärtige Amt bleibt so über die Vorgänge im Ausland informiert. In Berichten, an denen ich mitgearbeitet habe, ging es um die Situation der Homosexuellen in Nicaragua, diverse Grenzkonflikte Nicaraguas mit seinen Nachbarn oder die Verwicklung eines Präsidentschaftskandidaten in einen Bankenskandal. Da Nicaragua ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungshilfe ist, werden Land und Leute nicht nur in groß angelegten Projekten unterstützt, sondern auch mit so genannten Kleinstprojekten: der Aufbau einer Schule oder Bonbonfabrik, die Ausbesserung von Zäunen für eine Schafszucht. Diese Projekte muss die Botschaft mindestens einmal besuchen und überprüfen. Ich war bei der Einweihung von zwei Solarpanelen einer Bauernkooperative dabei. Nach diversen Ansprachen wurden die Panelen vom Priester mit Weihwasser bespritzt. Daneben gab es natürlich auch klassische Behörden-Schreibtischarbeit, etwa die Bearbeitung von Anträgen auf Sozialhilfe oder konsularische Hilfe.

Behördenalltag II: Im Namen der Trinidad Santisima

All das war "interessant". Viel mehr Spaß macht es aber von Geschichten zu erzählen wie der des alten Mannes, der einmal die Woche vorbeikam und im Namen der Trinidad Santisima einen eng beschriebenen, kaum lesbaren Brief abgab, der in einem selbstgebastelten Umschlag steckte und mit detaillreichen Raketenzeichnungen und Beschussszenarien verziert war. Der letzte Deutsche, der in Nicaragua im Gefängnis saß, hat es dorthin geschafft, indem er sich zum Honorarkonsular von Aipotu (Anm.: das ist Utopia rückwärts) mit Stempeln und Marken im Pass gemacht hatte, um in Zentralamerika "Revo-Cola" (die Brause für den Alt-Revoluzzer) zu vermarkten. Gespräche mit Evo Morales und Fidel Castro hatte er schon aufgenommen.

Was ich nicht vergessen werde I: La Carreterra vieja

An den Wochenenden ging es auf Ausflüge quer durchs Land. Einer führte mich in die Stadt León. Die Hinreise ist angenehm, Managua und León sind durch den eingangs erwähnten, gut ausgebauten Panamerican Highway verbunden. Auf dem Rückweg lasse ich mich nach zehn Minuten Fahrt auf dem leoneser Kopfstein- und Schlaglochpflaster zu der Bemerkung hinreißen: "Zum Glück fahren wir nicht die ganze Zeit auf so einer Straße!" Ich versuche, zu schlafen, schlage aber ständig mit dem Kopf gegen die Fensterscheibe oder das Koffergitter über mir. Was ist hier eigentlich mit der Straße los? Das Problem: Es gibt zwei Buslinien von León nach Managua. Den Express-Bus und den Bus "carretera vieja". Der Express-Bus fährt über den Highway; der Bus "carretera vieja" – wie der Name sagt – über die alte Straße. Der Busfahrer muss Serpentinen fahren, um den Schlaglöchern auszuweichen. Mehr als 20 Kilometer die Stunde sind da nicht drin.  Im Straßengraben grasen Pferde und Kühe. Eine Geier-Gang wartet auf ihre Gelegenheit. Und plötzlich bimmelt es im Bus. Es gibt im ganzen Land, in jeder Stadt, den gleichen Eisverkäufer. Er fährt einen Handwagen der Marke "Eskimo" mit sechs kleinen Glocken die Straßen auf und ab. Irgendwer muss den hinteren Notausgang des Busses geöffnet haben und schon fährt auch der Eisverkäufer Bus.

Was ich nicht vergessen werde II: Offizielle Stromabschaltungen

Ralf, der deutsche Konsul, kreuzt den Gang der Botschaft mit einer wadengroßen Campinglampe, so ein Ding, mit dem der Leuchtturmwärter bei "Elliot das Schmunzelmonster" seinen Turm erleuchtet. Die Laterne ist nicht für den nächsten Ausflug ins nicaraguanische Hinterland gedacht, sondern für zu Hause. Der Strom wird in Managua regelmäßig abgeschaltet, was zwar angekündigt wird, aber dann meist länger dauert als geplant. Nicht zu vergessen: In Nicaragua wird es bereits um halb acht dunkel und erst ab halb sieben so langsam wieder hell. Ein Tag fängt dann ungefähr so an: Schweißgebadet aufwachen, weil der Ventilator ausgegangen ist, bei Kerzenschein duschen, in der Wasserlache vor dem Kühlschrank ausrutschen und mit dem zweiten Fuß in die Ameisenarmee treten, die schon auf dem Weg zum Kühlschrank ist, am Ende aber froh sein, dass diesmal nur die Strom- und nicht auch die Wasserversorgung ausgefallen ist.

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Was man sonst noch dort tun kann

Ein Praktikum bei der Deutschen Botschaft ist nicht die einzige Möglichkeit, um als Jurastudent nach Managua zu gehen. Wer sich für Entwicklungsarbeit interessiert, kann sich etwa bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) um ein Praktikum oder eine Wahlstation während des Referendariats bewerben. Anders als in anderen Ländern bietet die Deutsche Auslandshandelskammer in Nicaragua dagegen weder Praktika für Juristen noch Referendarstellen an.

Wie man am besten hinkommt

Natürlich kann man direkt nach Managua fliegen. Die Flüge nach San José in Costa Rica sind aber billiger. Von dort kommt man unproblematisch mit dem Bus weiter nach Managua.

Wo man wohnen kann

Die Botschaft hilft zwar nicht direkt bei der Wohnungssuche, schickt aber eine Art Leitfaden zu mit den üblichen Tipps: Geld wechseln (auf der Straße, nicht in Banken), kein Leitungswasser trinken (Brechdurchfallgefahr), Unterkünfte. Ich habe so eine Bleibe in der Casa Miriam gefunden, einer NGO mit Studentinnenwohnheim. Dort werden zwei Zimmer zu etwas höheren Preisen (120 Dollar pro Monat) an ausländische Studentinnen vermietet. Der Kontakt läuft unkompliziert über E-Mail auf Spanisch. Praktische Informationen für den Alltag (Einreise, Aufenthalt, Wohnen, Reisen etc.) in Nicaragua gibt die GIZ auf ihrer Internetseite.

Wie man das bezahlen kann

Finanziert hat mir die Reise zumindest teilweise der DAAD mit einem "Kurzstipendium für Auslandspraktika an  Studierende auslandsbezogener Studiengänge an deutschen Hochschulen/Förderung von selbstbeschafften Praktika in internationalen Organisationen/Praktika in deutschen Außenvertretungen". Dass Jura nicht wirklich ein auslandsbezogenes Studium ist, war kein Problem. Für die Bewerbung um das Stipendium  muss man unter anderem einen Sprachnachweis vorlegen.

Woran man sich als deutscher Jurist gewöhnen muss

An die überlebensgroße Justitia im Vorgarten des Kollegen.

Was man in der Freizeit machen kann

Reisen. Von Managua aus fährt so ziemlich in jede Ecke des Landes ein Bus. Wer gerne Boot fährt, der sollte den Lago Nicaragua überqueren mit einem Stopp auf dem Archipel Solentiname, wo einst der Dichter, ehemalige Priester und FSLN-Revolutionär Ernesto Cardenal eine klosterähnliche christliche Kommune gründete. Von Solentiname aus kann man den Rio San Juan bis zum Atlantik entlangfahren.

Was man unbedingt mitbringen sollte

Den nicaraguanischen Rum Flor de Caña. Sehr gut und in Deutschland quasi nicht zu bekommen. In Nicaragua dagegen an jeder Ecke.

Was man unbedingt gesehen haben sollte

Einen Vulkan, den der Urwald eingenommen hat. Ein Ozelot, wenn man Katzen mag. Ich durfte einen im Naturreservat Indio Maíz im Häuschen der guardabosques erleben. Wir unterhielten uns über das Reservat, als plötzlich etwas um meine Beine strich und ich dachte, oh starke Katze. Ich schaute an meinen Beinen herunter und sah, oh große Katze mit Riesentatzen und wahnsinnig großen Augen. Die "Katze" war ein acht Monate alter, zugelaufener Tigrillo. Managuas Stadtbusse. Es gab die Linien 102, 104, 119, 118, 116, 165, 195 und die MiniRuta 4. Warum MiniRuta und warum 4, blieb unklar. Die Busse waren alte, aussortierte Schulbusse aus den USA, von den Fahrern liebevoll geschmückt mit Plüschdelphinen, Diskokugel und Stroboskopbeleuchtung oder Bibelzitaten an den Wänden. Außerdem gab es noch "BlueBird", dessen Fahrer wohl lieber Pilot geworden wäre.

Empfehlen kann ich Stadt, Land und Praktikum jedem, der...

... die Arbeit und das Leben deutscher Diplomaten kennen lernen will. ... Lust auf Lateinamerika hat, aber nicht nach Argentinien will. ... ein sinnvolles Jura-Praktikum mit ein bisschen Abenteuer verbinden will. ... sein Spanisch ausprobieren möchte. Denn auch wenn die Umgangssprache zwischen den Botschaftsangehörigen natürlich Deutsch ist, kommt man ohne Spanischkenntnisse nicht weit. Konferenzen werden fast ausschließlich auf Spanisch geführt, auch Vertreter der EU-Staaten wählen häufiger als Englisch Spanisch als Verhandlungssprache. ... gerne in Hängematten schläft.

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