Urteilsstil in Zivilgerichtsklausuren

Die Tech­niken der Bun­des­richter II

von Dr. Florian MetzLesedauer: 7 Minuten
Bei den Klausurschwerpunkten geht es ums Prädikat. Im Gegensatz zum Ersten Examen braucht es im Zweiten aber mehr als auswendig gelerntes Fachwissen. Was man sich in dieser Hinsicht von Spitzenjuristen abgucken kann, hat Florian Metz analysiert.

Prüfer in der Zweiten Juristischen Staatsprüfung betonen immer wieder, dass es bei der Bewertung von Klausuren nicht auf das Ergebnis, sondern auf Schwerpunktsetzung, eine überzeugende Begründung und Tiefe der Argumentation ankommt. Gelungene juristische Herleitungen im Urteilsstil entstehen dabei nicht zufällig. Vielmehr verwenden hervorragende Juristen bestimmte Schreib- und Argumentationstechniken, die in diesem Beitrag anhand eines Beispiels aus dem Zivilrecht vorgestellt werden sollen. Juristische Schreib- und Argumentationstechniken gewinnen im Assessorexamen an Bedeutung. Anders als in der Ersten Juristischen Staatsprüfung, liegen die Klausurschwerpunkte im Assessorexamen regelmäßig nicht auf allgemein-bekannten Rechtsfragen aus Lehrbüchern oder Skripten. Im Assessorexamen sollen Kandidaten detailreiche Aktenauszüge im Umfang von bis zu 25 Seiten argumentativ auswerten, sich für ein Ergebnis entscheiden und mithilfe der Kommentare eine überzeugende juristische Begründung für die konkrete Konstellation verfassen. Orientierungspunkte für juristische Schreib- und Argumentationstechniken im Urteilsstil finden sich in Entscheidungen der Spitzenjuristen am Bundesgerichtshof (BGH). Diese werden oft gelesen, regelmäßig zitiert und prägen damit die Rechtsprechungs- und Prüfungspraxis. Allerdings unterscheiden sich höchstrichterliche Entscheidung unter bestimmten Gesichtspunkten von erstinstanzlichen Entscheidungen der Amts- und Landgerichte, so dass für Rechtsreferendare vor allem kurze Begründungen des BGH als Leitbilder in Betracht kommen. Nachfolgend werden Techniken für den Aufbau einer juristischen Herleitung im Urteilsstil am Beispiel des BGH-Urteils vom 30.04.2014 (Az. VIII ZR 284/13) analysiert. Die Kläger kündigten als Vermieter den beklagten Mietern wegen Eigenbedarfs mit der Begründung, ihre Tochter wolle die Wohnung gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten beziehen. Die Mieter beriefen sich auf die Unwirksamkeit der Kündigung gemäß § 573 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), weil das Kündigungsschreiben den Namen des Lebensgefährten nicht enthalte. Während das Amtsgericht (AG) Essen die Kündigung für wirksam hielt, ging das Landgericht (LG) Essen von der Unwirksamkeit der Kündigung aus. Der BGH hielt die Kündigung wiederum für wirksam.

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Das Ergebnis von Anfang an festlegen

Ausgangspunkt jeder juristischen Herleitung ist die These, dass das Entscheidungsergebnis eindeutig aus einer Regelung folgt und daraus sprachlich abgeleitet werden kann. Die traditionelle Struktur für den Aufbau juristischer Argumentationen in Urteilen ist dadurch gekennzeichnet, dass – nach Feststellung des Ergebnisses in einem ersten Schritt (Obersatz) – der rechtliche Maßstab in einem zweiten Schritt definiert wird (Definition) und in einem dritten Schritt der allgemeingültige rechtliche Maßstab in Bezug zum konkreten Sachverhalt gesetzt wird (Subsumtion). Damit ähneln die Strukturen des Urteilsstils dem aus der Ersten Juristischen Staatsprüfung bekannten Gutachtenstil. Der Einstieg in Textabschnitte erfolgt in Urteilen über die Feststellung des Ergebnisses. Die Ergebnissätze können jeweils aus einem oder zwei Sätzen bestehen, positiv oder negativ formuliert werden und bereits eine kurze zusammenfassende Begründung enthalten. Im Beispielsfall wählen das AG Essen und das LG Essen folgende typische Satzstruktur für den Einstieg in die Begründetheit, während der BGH als Revisionsgericht keine entsprechende Formulierung verwendet: Die Klage ist [//nicht] begründet. Die Kläger haben einen [//keinen] Anspruch gegen die Beklagten auf Rückgabe der Wohnung aus § 546 BGB, denn… Als Einstieg in den Schwerpunkt der Fallkonstellation verwenden die Gerichte ebenfalls Teilergebnissätze. So wählt das AG Essen einen klar vom Gesamtergebnissatz abgegrenzten Teilergebnissatz, während das LG Essen die Sätze nicht klar voneinander abgrenzt und eine komplexere Satzstruktur wählt. Der BGH formuliert ebenfalls ein Teilergebnis zum Schwerpunkt, wählt dazu aber eine andere Struktur mit Aufnahme der Gegenposition: AG Essen Die Kündigung vom … entspricht den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 3 BGB. LG Essen Die … auf Eigenbedarf … gestützte Kündigung ist bereits aus formellen Gründen unwirksam… BGH Entgegen der Auffassung [der Beklagten] haben die Kläger den… Eigenbedarf im Kündigungsschreiben vom… ausreichend begründet. In der Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen sollte beim Einstieg in die Entscheidungsgründe, die Begründetheit und die Schwerpunkte der Klausur jeweils mit Ergebnissätzen gearbeitet werden. Wer die Gestaltungsvarianten für die Formulierung von Ergebnissätzen im Urteilsstil kennt und regelmäßig übt, kann sich im Assessorexamen innerhalb der Referenzgruppe auf einfache Weise positiv abgrenzen.

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2/2: Den Maßstab richtig anlegen

Zu den Schwerpunkten des Falles findet sich in der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Anschluss an das Teilergebnis die Beschreibung des relevanten rechtlichen Maßstabs. Im Beispielsfall steigt das AG Essen klassisch mit einer wörtlichen Wiedergabe des Gesetzes ein, während das LG Essen und der BGH das Regelungskonzept in eigene Worte fassen. Der Vorteil der von den Karlsruhern verwendeten Formulierung liegt darin, dass dem Leser die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 573 Abs. 3 BGB bereits mitgeteilt wird: AG Essen [Nach § 573 Abs. 3 BGB] sind die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters in dem Kündigungsschreiben anzugeben … LG Essen Gemäß § 573 Abs. 3 BGB hat der Vermieter die Kündigung zu begründen … BGH Gemäß § 573 Abs. 3 Satz 1 BGB setzt die Wirksamkeit einer Kündigungserklärung voraus, dass die Gründe für ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses im Kündigungsschreiben angegeben sind… Anschließend folgt das Kernstück jeder juristischen Herleitung – die Beschreibung des allgemeingültigen rechtlichen Maßstabs für die Beurteilung der konkreten Fallkonstellation. An dieser Stelle werden die Grundlagen für die Überzeugungskraft der Argumentation gelegt, denn hier liegt der Ansatzpunkt für die spätere Bezugnahme auf die konkreten Informationen des Klausursachverhalts. An dieser Stelle werden auch die für den konkreten Fall maßgeblichen Wertungen in Sprache gefasst. Dagegen ist bei vielen Referendaren vor allem durch das Auswendiglernen starrer Definitionen zur Vorbereitung auf die Erste Juristische Staatsprüfung die Fehlvorstellung angelegt, das Ergebnis der Entscheidung finde sich in einer auswendig gelernten Definition. Schon ein Blick in das Sammelsurium der vielfältigen Definitionsformulierungen im Kommentar zeigt, dass die juristische Praxis und Lebenswirklichkeit komplexer sind.

Die passende Definition aus dem Kommentar wählen

Im Kommentar finden sich unterschiedliche Formulierungsansätze für die Beschreibung des Regelungsgehalts einer Norm. Dabei werden die Formulierungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung aus einem individuellen Fall- und Definitionszusammenhang genommen und die argumentative Funktion der Definitionen ausgeblendet. So verwendet das LG Essen im Beispielsfall die Definition aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Begründung der formellen Unwirksamkeit der Kündigung, während der BGH eine etwas andere Formulierung zur Begründung des gegenläufigen Ergebnisses verwendet: LG Essen Nach … ist im Kündigungsschreiben die namentliche Benennung der Personen … nicht notwendig, wenn sie durch eine allgemeine Bezeichnung identifizierbar sind … BGH [Dem Zweck des § 573 Abs. 3 BGB] wird im Allgemeinen Genüge getan, wenn das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann … Hier wird deutlich, dass die Definition des Bundesverfassungsgerichts auf ein anderes Ergebnis ausgerichtet ist als die Definition des Bundesgerichtshofs. In der Klausursituation dürfen auswendig gelernte Definitionen daher weder unbesehen übernommen noch Definitionsbruchstücke aus der Kommentierung ohne Fallbezug aneinandergereiht werden. In der Zivilgerichtsklausur im Assessorexamen sollte bei den Klausurschwerpunkten der rechtlich relevante Maßstab identifiziert und mithilfe der Kommentare präzisiert werden. Mit der nötigen Routine kann man sich im Assessorexamen mit fallbezogenen Definitionen auf einfache Weise positiv abgrenzen. Dazu können die Techniken aus dem ersten Beitrag verwendet werden. Übungsfälle finden sich etwa im Klausurenkurs des Kammergerichts in Berlin.

Den Sachverhalt richtig einfließen lassen

Schließlich erfolgt nach einem Absatz die Übertragung der rechtlichen Maßstäbe auf die konkrete Fallkonstellation. Dabei wird regelmäßig im ersten Satz das Ergebnis nochmals mitgeteilt. Anschließend werden einzelne Definitionsbestandteile in Bezug zu konkreten Informationen aus dem Aktenauszug gesetzt und der Sachverhalt möglichst ausgeschöpft. Am Schluss folgt typischerweise die Auseinandersetzung mit Gegenargumenten der unterlegenen Partei. Im Beispielsfall formuliert der BGH den Textabschnitt zur Anwendung der rechtlichen Maßstäbe wie folgt: Nach diesen Maßstäben war es … nicht erforderlich, den Lebensgefährten in dem Kündigungsschreiben namentlich zu benennen. Das Begründungserfordernis soll gewährleisten … Insoweit reicht die Angabe, dass die Tochter in die größere Wohnung der Beklagten ziehen wolle, um dort mit ihrem Lebensgefährten einen gemeinsamen Hausstand zu begründen. Weiterer Angaben bedurfte es … nicht. Soweit [die Beklagten] … Zusammengefasst: Differenzierungspotential liegt im Assessorexamen bei den Klausurschwerpunkten, die in aller Regel für die Examenskandidaten neu und ungewöhnlich sind. Dabei erwartet der Prüfer eine juristische Herleitung der Ergebnisse aus dem Gesetz, bei der auswendig gelerntes dogmatisches Fachwissen alleine nicht weiterhilft. Vor diesem Hintergrund sollte für Rechtsreferendare ein zentrales Ziel der Examensvorbereitung darin liegen, unterschiedliche sprachliche Strukturen für die Gestaltung des Gesamttextes, der Textabschnitte zu den Schwerpunkten bis hin zu den Gestaltungsvarianten für die Formulierung einzelner Sätze zu erlernen. Wer grundlegende Strukturen der Rechtsanwendung beherrscht, kann seine Examensnoten im Assessorexamen themen- und rechtsgebietsübergreifend verbessern. Der Autor Dr. Florian Metz ist Referendarausbilder und leitet Probeexamina für die Zweite Juristische Staatsprüfung in Hessen. Der Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit liegt auf juristischen Schreibtechniken und juristischen Argumentationstechniken.

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