Am 10. Februar 2017 startet mit der "Berlin Legal Tech" eine Konferenz zu den praktischen Folgen der Digitalisierung des Rechtsmarkts. Im Mittelpunkt stehen Anwendungen für den Alltag des Juristen, erklären Stephan Breidenbach und Florian Glatz.
Welches Potenzial bieten digitale Technologien für die konkrete Arbeit von Juristinnen und Juristen? Welche ihrer Chancen lassen sich nutzen, ohne dabei Risiken und Nebenwirkungen aus dem Blick zu verlieren?
Es gibt kaum einen Bereich, in dem die Folgen digitaler Technologien und die technologische Unterstützung der eigenen Arbeit, also der "Legal Tech", noch so unterschätzt werden wie in den juristischen Professionen.
Um dem abzuhelfen, widmet sich die "Berlin Legal Tech" am 10. Februar den praktischen Konsequenzen der Digitalisierung für die juristische Praxis. Die Konferenz bildet den Abschluss einer insgesamt dreitägigen Veranstaltung, die am 8. Februar mit einem zweitägigen "Hackathon" beginnt – mit dem Konferenztag aber auch zu einem separaten Besuch und Gedankenaustausch einlädt.
Der Wandel hat bereits begonnen
Die Konferenz nimmt sich hierzu unter anderem der "Industrialisierung" juristischer Dienstleistungen, dem "Machine Learning" sowie den Herausforderungen der Infrastrukturen an, die durch "Block Chains" auf die Welt der Juristen zukommen.
Die Veranstalter sind überzeugt, dass die Rechtsberatung schon jetzt vor der Herausforderung steht, sich zu verändern – und dies in einer grundlegenden Form.
Digitalisierung kommt zwar nur mit Verzögerung auch im Recht an, doch die Veränderungen versprechen, tiefgreifend zu wirken. Denn hochgradig strukturierte und formalisierte Bereiche des wirtschaftlichen und sozialen Handelns sind besonders geeignet, digitalisiert zu werden. Dem setzt zwar die eigenwillige Natur der menschlichen Sprache noch Widerstände entgegen – und sie ist als Transportmedium für Informationen im Recht dominant –, auch ist die in der juristischen Kommunikation übermittelte Bedeutung meist hochgradig strukturiert und formal-komplex, gilt aber nicht als wirklich kompliziert. Dies begünstigt die Digitalisierung juristischer Arbeitsfelder erheblich.
Die Konferenz geht auf die drei praktisch wichtigsten Säulen der Digitalisierung im Recht ein, die "Industrialisierung", die "Intelligenz" sowie die "Vernetzung".
Industrialisierung durch Standardisierung
Unter Wirtschaftsprüfern ist die Entwicklung bereits angekommen, die Juristen werden folgen. Ihre Tendenz lässt sich unter dem Begriff der Standardisierung subsumieren: Digitale Tools, also Legal Tech, erlauben heute die "Industrialisierung" auch von Rechtsdienstleistungen, indem sie eine Standardisierung auf hohem Niveau ermöglichen.
Beispielsweise können Verträge mit Vertragsgeneratoren erzeugt werden, die das beste Expertenwissen so abbilden, dass auch ein wenig erfahrener Nutzer – oder sogar ein Laie –, einen sehr guten, rechtssicheren Vertrag machen kann, wie etwa smartlaw.de zeigt.
Industrialisiert wird auch die Abwicklung von Standardrechtsfällen. Darauf bauen neue Geschäftsmodelle, wie die Durchsetzung der Rechte von Fluggästen oder von Verkehrsteilnehmern auf, Beispiel geben flightright.de bzw. geblitzt.de.
Kommunikationsketten zwischen einer Vielzahl von Parteien wie Verbrauchern, Unternehmen und Behörden können wegen ihres kerngleichen Inhalts und Formats weitgehend maschinell automatisiert werden. Mittels intelligenter Verfahren kann die noch in der Zukunft liegende Digitalisierung der Kommunikationsschnittstellen, etwa zwischen Behörden und Bürgern, durch innovative Unternehmen vorweggenommen werden. Massenweise vorkommende Fälle, die einzeln kaum den Aufwand lohnen, werden so zur lohnenswerten Dienstleistung.
Darin drückt sich auch ein Bedarf aus: Steigende Komplexität des Rechts verlangt mehr Rechtsrat und verursacht wieder steigende Kosten. Hier hilft die Industrialisierung, die Kosten zu senken und sogar mehr Recht für größere Verkehrskreise zu erschließen.
Bald werden es Generatoren nicht nur für einzelne Verträge, sondern für ganze Rechtsgebiete ermöglichen, mit feinsten Bausteinen komplizierte Texte zu erstellen. Zunächst für Anwälte, unter Umständen immer häufiger ohne Anwälte.
Anwälte werden Prozesse und Systeme designen, mit denen ihre Klienten selbstständig agieren können. Ein Konzern, der tausende von Verträgen am Tag abschließt, braucht dafür mehr als nur Anwälte, er braucht intelligente Systeme.
Intelligenzzuwachs durch "Machine Learning"
Ein Ansatzpunkt für Legal-Tech-Innovationen ist noch sehr sperrig: die natürliche Sprache. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Digitalisierung des Rechts in der Entwicklung von Verfahren, die Computern die Erschließung und Kontextualisierung des semantischen Bedeutungsgehalts von Texten ermöglichen, die in natürlicher Sprache verfasst wurden.
Die gängige Bezeichnung für diese Verfahren ist "Machine Learning". Hier wirken sich inzwischen neue Zugangswege aus. Statt wie noch in den 1990er Jahren an der Entwicklung formaler Sprachmodelle zu arbeiten, die dann als Grundlage für semantische Textanalysen dienen, erzeugen durch Software und Hardware simulierte neuronale Netze diese Modelle heute selbst, angepasst an die Bedürfnisse von Maschinen.
Die einst in mühevoller Kleinstarbeit zusammengestellten formalen Datenbasen dienen heute lediglich der Validierung und dem Training künstlicher Intelligenzen.
Wie lange es noch dauern wird, bis wir dem Computer eine Frage stellen, die "er" mit einer selbständigen Lösung beantwortet, ist noch offen. Die aktuellen Möglichkeiten gelten jedoch bereits als so vielversprechend, dass es sich zurzeit keine Großkanzlei weltweit leisten kann, das Thema "Künstliche Intelligenz" zu vernachlässigen. Denn überall, wo große Textmengen bearbeitet werden müssen, führt an ihr kein Weg vorbei, zum Beispiel bei einer Due Diligence.
Die Zukunft der Vernetzung: Blockchain
Gegenwärtig erfordert es noch starke Vorstellungskraft, sich eine Welt auszumalen, in der nicht mehr die natürliche Sprache, totes Pflanzenmaterial in Papierform und Druckerschwärze die rechtliche Kommunikation tragen.
Als eine womöglich grundstürzende Innovation könnte sich die Blockchain herausstellen, eine neue Netzwerk-, Datenbank- und Softwaretechnologie, deren sozioökonomische Bedeutung von manchen mit der Entwicklung des Internets selbst gleichgesetzt wird. Bekannt wurde das Arbeitsprinzip der Blockchain vor allem durch die Bitcoin, eine dezentrale digitale Währung. Es handelt sich jedoch um eine Technologie, deren Anwendungsmöglichkeiten weit über den elektronischen Zahlungsverkehr hinausreichen.
Abstrakt formuliert erlauben es die Protokolle, die eine Blockchain antreiben, einer Gemeinschaft von Akteuren, in Echtzeit einen dauerhaften Konsens über die Beschaffenheit der Welt innerhalb ihres Netzwerks herzustellen. Auf dieser dezentralen, dynamisch evolvierenden Datenbasis können individuelle Beziehungen zwischen einzelnen Akteuren auf völlig neue Art und Weise automatisiert werden.
Revolution öffentlicher wie privater "Verbundenheit"
Konkret gesprochen ermöglicht die Blockchain Verträge, die sich selbst durchsetzen. Software tritt an die Stelle von Vertragsbestandteilen. Smart Contracts werden diese autonom agierenden Software-Agenten in einer Blockchain genannt. Anstatt wie rechtliche Verträge gegenseitige Obligationen der Parteien zu definieren, sind Smart Contracts eher mit einem Warenautomaten zu vergleichen, der auf mechanische Weise beispielsweise die Erfüllung der ihm geschuldeten Kaufpreisforderung erzwingt, indem erst dann die Nutzung der Kaufsache digital freigeschaltet wird.
In Netzwerken wie Bitcoin, die dem ganzen Internet offenstehen, ermöglicht die Blockchain ein dezentrales, anonymisiertes Interagieren. Vertrauen in Mittler, zum Beispiel in Banken, wird durch anonymisiertes Vertrauen auf technischer Basis ersetzt. Kollaborative Entscheidungsfindung in Gremien, Organisationen und Unternehmen kann auf der Blockchain abgebildet werden. Lieferketten lassen sich komplett transparent gestalten. Für Musik und Texte eröffnen sich neue Vertriebswege.
Aber auch in nicht-öffentlichen, in zwischenbetrieblichen und inter-institutionellen Bereichen erlaubt Blockchain ein ganz neues Organisationsparadigma mit voraussichtlich erheblichen Konsequenzen für die klassische, also die juristische "Vertrauensinfrastruktur".
Kongress wird konkret: Berlin Legal Tech
Der Kongress führt am 10. Februar Forscher und Entwickler mit Anwälten und Unternehmensjuristen zusammen. Legal Tech hat das Potenzial, die Effektivität und Qualität juristischer Arbeit grundlegend zu verbessern. Was ist heute bereits möglich? Was muss jetzt schon im Blickfeld sein, um morgen nicht den Anschluss zu verlieren? Was sind die Trends für die nächsten zehn bis 15 Jahre, die bereits jetzt erste Schritte erfordern, um in der Zukunft des Rechts eine Rolle zu spielen?
Tipp: Informationen zum Programm und zur Teilnahme am Kongress Berlin Legal Tech finden Sie unter berlinlegal.tech.
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IT & Recht: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21946 (abgerufen am: 14.11.2024 )
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