Die juristische Presseschau vom 11. August 2022: BMJ will Besch­leu­ni­gung vor Gericht / BVerfG schützt Intim­sphäre beim Urin­test / Bar­bara Salesch kehrt zurück

11.08.2022

Das Bundesjustizministerium legt einen Entwurf für schnellere Gerichtsverfahren bei Infrastrukturprojekten vor. Beim Drogenscreening in Haft muss die Intimsphäre von Gefangenen geschützt werden. Richterin Barbara Salesch bekommt auf RTL eine neue Gerichtsshow.

Thema des Tages

Planung: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat einen Gesetzentwurf in die Ressortabstimmung gegeben, demzufolge Verfahren zu großen Infrastrukturprojekten vor den Verwaltungsgerichten abgekürzt werden sollen, wie die FAZ (Corinna Budras) erfahren hat. So sollen für zentrale Projekte künftig die Oberverwaltungsgerichte in erster Instanz zuständig sein. Für LNG-Terminals sowie für Projekte nach dem Energiesicherungsgesetz soll sogar das Bundesverwaltungsgericht erste Instanz werden. Des Weiteren soll ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot für die fraglichen Projekte etabliert werden. Darüber hinaus sollen mehr spezialisierte Senate an den Gerichten für große Infrastrukturprojekte eingerichtet werden. Außerdem soll die aufschiebende Wirkung von Widersprüchen begrenzt werden.

Rechtspolitik

Corona – Schutzmaßnahmen Herbst/Winter: In der deutschen Wirtschaft wachse die Sorge vor einem erneuten Chaos in Folge der geplanten Regeln für die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), wie das Hbl (Jürgen Klöckner) berichtet. Erwünscht seien "objektiv erklärbare, transparente Kriterien und dann eine hohe, flächendeckende Verlässlichkeit bei der Einhaltung".

Werner Bartens (SZ) kritisiert, dass die geplante Konzeption wenig regele, aber viele seltsame Ausnahmen zulasse. Der Vorschlag lese sich wie die Chronik eines angekündigten Chaos. Das Hickhack zwischen dem Bundesjustizminister und dem Bundesgesundheitsminister habe dem Vorhaben nicht gutgetan. So sei der Vorschlag nun "untauglich für die Umsetzung, medizinisch fragwürdig – und in seiner Verworrenheit dazu geeignet, die Bürger endgültig von weiteren Corona-Schutzmaßnahmen zu entfremden". Auch Linda Gerner (taz) meint, dass die Diskussion um die Novellierung des IfSG das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen gegen die Pandemie schwäche. Anstatt über eine vierte Impfung für alle zu diskutieren, sei es klüger, das zu bewerben, dessen Effektivität Expert:innen immer wieder betonten: die Maske.

Geschlechtliche Selbstbestimmung: Die FAZ (Stephan Klenner) erklärt die grundlegenden Änderungen im Eckpunktepapier für das geplante Selbstbestimmungsgesetz gegenüber dem bisherigen Transsexuellengesetz. Da es durch die geplante Gesetzesänderung einfacher werde, seine Geschlechtseintragung und seinen Vornamen zu wechseln, drohten nun juristische Probleme dort, wo das Recht zwischen Männern und Frauen unterscheide. Ein Beispiel seien Schulnoten im Fach Sport, wo bislang als männlich eingetragene Schüler:innen sich umtragen lassen könnten, um bessere Noten für ihr Abschlusszeugnis zu erzielen. Gleiche Bedenken gälten etwa beim sportlichen Eignungstest für die Polizei, Straftatbeständen wie dem Exhibitionismus oder im Strafvollzug.

Parteinahe Stiftungen: Im Leitartikel nimmt Marlene Grunert (FAZ) den Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zur AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung von voriger Woche zum Anlass, die gesetzliche Situation der Finanzierung von parteinahen Stiftungen unter die Lupe zu nehmen. Über die Stiftungsfinanzierung entscheide nach wie vor allein der Bundestag als Haushaltsgesetzgeber. Während die Grünen-Fraktion nun ein Stiftungsgesetz fordere, sei sich die SPD-Fraktion nicht sicher, ob nicht auch ein einfacher Beschluss im Haushaltsgesetz oder eine Verwaltungsvorschrift ausreichen könnte. Das Eigeninteresse der Parteien mit Blick auf ihre eigenen politischen Stiftungen dürfe laut der Autorin aber nicht so weit gehen, einen Erfolg der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht in Kauf zu nehmen. Es brauche in Zukunft endlich klare Regeln.

Justiz

BVerfG zu Intimsphäre bei Urintests: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Justizvollzugsanstalten bei Urintests im Rahmen von Drogenscreenings Rücksicht auf das Schamgefühl der Gefangenen nehmen müssen. Es sei ein großer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wenn Justizvollzugsbeamte während eines Urintests frei auf die Genitalien der Gefangenen schauen, um Manipulationen zu verhindern. Wenn Gefangene dies wünschen, müssen daher alternative Formen des Drogenscreenings eingesetzt werden. So sei in Nordrhein-Westfalen auch ein Bluttest möglich. Erfolg hatte die Verfassungsbeschwerde eines Häftlings aus Bochum. Es berichten FAZ (Marlene Grunert), taz (Christian Rath) und LTO.

BGH zu coronabedingtem Konzertausfall: Der Bundesgerichtshof hat laut LTO entschieden, dass der Ticketpreis für eine Veranstaltung nicht von Verkaufsstellen wie Eventim zurückgefordert werden kann, wenn die Veranstaltung wegen der Corona-Pandemie ausgefallen ist und ein Gutschein als Ersatz angeboten wurde. Die Klägerin hatte argumentiert, dass die Verkaufsstelle den Vertrag nicht erfüllt habe oder dass zumindest eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliege. 

BAG zu Corona-Quarantäneregeln: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass Arbeitgebende ihre Beschäftigten grundsätzlich weiter bezahlen müssen, wenn sie für Rückkehrende aus Corona-Risikogebieten härtere Quarantäneregeln als behördlich vorgeschrieben erlassen haben, wie spiegel.de schreibt. Der nun erfolgreiche Kläger hatte nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub in der Türkei ein Betretungsverbot für seinen Betrieb erhalten, obwohl er negativ auf das Coronavirus getestet war, und für die Zeit der Quarantäne dann kein Gehalt bekommen.

LG Berlin zu Hells Angels-Mord: Das Landgericht Berlin hat entschieden, dass ein Hells Angels-Mitglied, das am sogenannten Wettbüromord 2014 in Berlin beteiligt war, zurecht mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft worden ist, obwohl der Mann die Polizei kurz nach der Tat über mehrere Täter, den Schützen und den Auftraggeber informiert hatte. Nachdem er die Namen genannt hatte, verweigerte er jedoch jede weitere Aussage. Das Gericht stellte nun fest, dass der Verurteilte für eine Strafmilderung hätte mehr leisten müssen. Der BGH hatte ein erstes Urteil gegen den Mann mit Blick auf seine Aufklärungshilfe aufgehoben. Ein anderes Hells Angels-Mitglied war im ersten LG-Prozess als Kronzeuge anerkannt worden. Es berichtet die SZ (Verena Mayer).

LG Düsseldorf zu vergewaltigter Ukrainerin: Vor dem Landgericht Düsseldorf hat der Prozess gegen zwei Männer begonnen, denen vorgeworfen wird, sie hätten Anfang März auf einem Hotelschiff in Düsseldorf eine 18-jährige Frau aus der Ukraine vergewaltigt, wie die FAZ (Reiner Burger) schreibt. Die beiden Männer sollen die junge Frau kurz nacheinander, aber nicht abgesprochen, genötigt haben.

VG Berlin zu Carsharing: Am 1. August hat das Verwaltungsgericht Berlin einem Eilantrag der Unternehmen We Share und Share Now gegen geplante Sondernutzungsgebühren in Berlin für stationslose Carsharing-Angebote stattgegeben, wie taz Berlin (Claudius Prößler) und LTO berichten. Die Berliner Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) kündigte nun an, Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts einzulegen, um die nötigen Instrumente an der Hand zu haben, mit denen sie eine Elektrifizierung der Carsharing-Flotten sowie ein besseres Angebot in den Außenbezirken Berlins erreichen will.

VG Düsseldorf zu Affenpocken-Quarantäne: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat entschieden, dass die Anordnung einer dreiwöchigen Quarantäne für den Mitbewohner eines an Affenpocken erkrankten Mannes auch dann zulässig sei, wenn der Betroffene geimpft ist, wie spiegel.de berichtet. Das Gericht beanstandete, dass der verwendete Impfstoff in der EU noch nicht zugelassen sei und noch keine öffentlichen Daten über seine Wirksamkeit vorlägen.

Internationale Schiedsgerichtsbarkeit: Rechtsprofessor Gerhard Wagner schreibt in einem Gastbeitrag für die FAZ über die fortschreitende Einschränkung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, vom Scheitern des geplanten TTIP-Abkommens zwischen der EU und den USA über die Entscheidung des EuGH, dass Investitionsschutzstreitigkeiten innerhalb der EU nur von staatlichen Gerichten entschieden werden dürfen, bis hin zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Sportgerichtsbarkeit im Fall Pechstein. Der Autor stellt insbesondere die explosive Kraft der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch für Fälle über den Profisport hinaus dar.

Recht in der Welt

USA – Donald Trump: Der ehemalige US-Präsident Donald Trump war bei der Generalstaatsanwaltschaft New York wegen des Verdachts vorgeladen, die Zahlen seines Immobilienkonzerns frisiert und Banken, Versicherungen sowie die Steuerbehörden systematisch betrogen zu haben. Zu dem Termin, bei dem Trump Fragen der Generalstaatsanwaltschaft unter Eid beantworten sollte, ist er jedoch nicht erschienen. Er berief sich auf den Fünften Verfassungszusatz der USA (niemand muss gegen sich selbst aussagen). Da es sich bei dem Prozess aber um einen Zivilprozess handelt, dürfen es die Geschworenen durchaus als belastendes Indiz werten, wenn ein Beschuldigter sich weigert, Fragen zu beantworten. Es berichten SZ (Claus Hulverscheidt), FAZ (Sofia Dreisbach) und spiegel.de.

Sonstiges

Richterin Barbara Salesch: Ab Anfang September wird nach zehnjähriger Pause auf RTL wieder Richterin Barbara Salesch zu sehen sein. Ihre langjährige Gerichtsshow auf Sat 1 war 2012 abgesetzt worden. Die neue Sendung wird wochentags um 11 Uhr ausgestrahlt und "Barbara Salesch - Das Strafgericht" heißen. Die nachgestellten Prozesse sollen, anders als in der vorherigen Version, auf wahren Begebenheiten beruhen, wie LTO mitteilt.

Urheberrecht und Memes: Auf LTO widmet sich Rechtsprofessor Benjamin Raue der Frage, inwieweit es zulässig ist, fremdes Bildmaterial für die Meme-Herstellung zu verwenden. Er beleuchtet das Verbreiten von Memes in sozialen Medien aus Sicht des Urheberrechts. Eine Ausnahme könnte etwa über Lizenzen der Plattformanbieter selbst gelten, die sich auf Nutzende erstrecken können. Auch die neue Parodie- und Karrikaturschranke im Urhebergesetz könnte hier zur Anwendung kommen.

Aufhebungsvertrag: Im Expertenforum Arbeitsrecht beschäftigt sich der Rechtsanwalt Carsten Brachmann mit der Frage, ob es sich bei Aufhebungsverträgen in Arbeitsverhältnissen um eine rechtssichere Beendigung oder eher um eine risikobehaftete nachträgliche Befristung handeln könnte.

Strafverteidigung als Beruf: Im SWR-RadioReportRecht (Gigi Deppe) geht es um die Frage, warum Menschen sich dafür entscheiden, Strafverteidiger:in zu werden. Bekannte und erfolgreiche Anwält:innen werden befragt, warum sie diesen Beruf gewählt haben, was gute Strafverteidigung ausmacht und wie man gute Anwält:innen finden kann.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des Mediums.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/ls

(Hinweis für Journalist:innen) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.

 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 11. August 2022: BMJ will Beschleunigung vor Gericht / BVerfG schützt Intimsphäre beim Urintest / Barbara Salesch kehrt zurück . In: Legal Tribune Online, 11.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49285/ (abgerufen am: 17.04.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen