Die juristische Presseschau vom 16. Februar 2018: Prüf­ver­fahren gegen Pog­gen­burg / Rüge durch EU-Kom­mis­sion / Merkel trifft Yil­dirim

16.02.2018

Die Staatsanwaltschaft Dresden leitet ein Prüfverfahren gegen Poggenburg ein. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommission rügt soziale Netzwerke, Ansprüche Kohls wohl nicht vererbbar, türkischer Ministerpräsident trifft Merkel. 

Tagesthema

Prüfverfahren gegen AfD-Landesvorsitzenden: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat auf eine private Strafanzeige hin gegen den sachsen-anhaltischen AfD-Landesvorsitzenden André Poggenburg ein Prüfverfahren wegen Volksverhetzung eingeleitet. In seiner Rede am politischen Aschermittwoch hatte er in Deutschland lebende Bürger türkischer Herkunft unter anderem als "Kümmelhändler" und "Kameltreiber" verunglimpft. Auch der Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland Gökay Sofuoğlu kündigte eine Strafanzeige an. Der AfD-Vorsitzende Gauland und Poggenburg selbst beriefen sich auf Politsatire am Aschermittwoch, während sich der Co-Vorsitzende Meuthen von den Aussagen distanzierte. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verurteilte die Äußerungen nachdrücklich und sprach von Politikern, "die Maßlosigkeit in der Sprache, Rücksichtslosigkeit und Hass in ihrer Haltung zu einer eigenen Strategie machen". Auch Bundesjustizminister Heiko Maas verurteilte die Äußerungen scharf und der SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs forderte eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Es berichten SZ (Jens Schneider) , FAZ (Markus Wehner/Stefan Locke/Reinhard Bingener), taz (Sabine Am Orde/Konrad Litschko) und zeit.de.

Rechtspolitik

Soziale Netzwerke: Die EU-Kommission rügt laut netzpolitik.org (Ingo Dachwitz) und lto.de in einem Papier den Umgang der sozialen Netzwerke Facebook und Twitter mit Verbraucherschutzregeln. Trotz auf Drängen von EU-Behörden erfolgter Verbesserungen würden Nutzer nur unzureichend über die Löschung von Inhalten, die Änderung allgemeiner Geschäftsbedingungen sowie etwaige Kündigungsrechte informiert. Die Kommission will im April eine Verbraucherschutzrechtsreform vorstellen und Justizkommissarin Vera Jourova fodert Konsequenzen durch Sanktionen.

Musterfeststellungsklagen: Der Rechtsanwalt Burkhard Schneider kritisiert auf lto.de das im Koalitionsvertrag vorgesehene Konzept der Einführung von Musterfeststellungsklagen als nicht mehr zeitgemäß. Verbraucher hätten dabei die Möglichkeit, sich der Musterfeststellungsklage eines qualifizierten Vereins ohne eigenes Prozessrisiko anzuschließen. Durch das dem Beklagten drohende Risiko einer Vielzahl von Folgeprozessen, bei denen es zudem den Klägern überlassen bleibe, sich auf die Bindungswirkung des Musterurteils zu berufen, sei die prozessuale Chancengleichheit gefährdet. Es bedürfe nunmehr der Entwicklung neuer Schlichtungs- und Versicherungskonzepte.

§ 219a StGB:  Im Bundestag wird laut deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) fraktionsübergreifend über eine Änderung des § 219a Strafgesetzbuch diskutiert, der Werbung und Information in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche untersagt. Kommende Woche sollen erstmals konkrete Abschaffungsanträge von Grünen, Linken und vermutlich der SPD geprüft werden.

Justiz

BGH zu Amazon Warensuchmaschine: Der Bundesgerichtshof hält es laut SZ (Wolfgang Janisch) und FAZ (Hendrik Wieduwilt) grundsätzlich für rechtmäßig, dass Kunden im Rahmen einer Warensuche bei Amazon auch billigere Alternativvorschläge von anderen Herstellern angezeigt werden. Sofern diese deutlich als Konkurrenzartikel gekennzeichnet seien, liege hierin keine Markenrechtsverletzung. Trotzdem sei Amazon aber nicht als reiner Technologieanbieter zu betrachten, sondern für die Trefferliste selbst verantwortlich.

OLG Köln – Maike Kohl-Richter: Im Berufungsverfahren um die Schadensersatzansprüche Helmut Kohls gegen seinen Ghostwriter Heribert Schwan und dessen Verlag vor dem Oberlandesgericht Köln, hat die vorsitzende Richterin Margarete Reske laut taz.de (Christian Rath) und SZ (Hans Leyendecker) erkennen lassen, dass sie im Einklang mit der bisherigen BGH-Rechtsprechung wohl nicht von einer Vererbbarkeit der Ansprüche auf Maike Kohl-Richter ausgeht. Genugtuung wegen einer Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts könne durch eine Schmerzensgeldzahlung nur erreicht werden, wenn der Geschädigte noch lebe. Kohl-Richters Anwälte hatten sich darauf berufen, dass für einen ehemaligen Bundeskanzler als "absolute Person der Zeitgeschichte von herausragender Bedeutung" andere Maßstäbe gelten müssten. Das Gericht regte einen Vergleich an.

OLG Hamburg – mutmaßliche IS-Kämpfer: Vor dem Oberlandesgericht Hamburg läuft seit acht Monaten der Prozess gegen drei Syrer, die verdächtigt werden, als Anhänger des sogenannten Islamischen Staates gezielt nach Deutschland geschickt worden zu sein. Obgleich alles auf einen Freispruch hindeutete, gestand der 27-jährige Mohamed A. am Dienstagabend überraschend, vom IS ausgebildet und nach Deutschland geschickt worden zu sein. Nach Meldung der SZ (Ronen Steinke/Georg Mascolo) will der Staatsschutzsenat nun erneut die Beweisaufnahme einleiten.

LG Mosbach – Online-Apotheke Doc Morris: Nach einer Entscheidung des Landgerichts Mosbach ist die Verkaufspraxis der Online-Apotheke Doc Morris in Deutschland wettbewerbswidrig und verstößt gegen das Arzneimittelgesetz (AMG). Der bislang nach einer vorherigen Online-Beratung durchgeführte Lagerverkauf finde nicht, wie in § 43 AMG vorgesehen, in einer Apotheke statt und sei auch kein Apothekenversandhandel, so lto.de.

LG Dortmund – Rufmord: Der Immobilienentwickler Anno August Jagdfeld wirft der Signal-Iduna Gruppe in einem Prozess vor dem Landgericht Dortmund Rufmord vor, wohingegen Aufsichtsratschef Reinhold Schulte die Vorwürfe zurückweist. Über Jagdfeld, der unter anderem das Adlon-Hotel wiederaufgebaut hat, waren durch einen Anlegeranwalt Untreuevorwürfe unter Anteilseignern von Adlon-Fonds verbreitet worden. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet ausführlich über die Hintergründe des Prozesses.

Recht in der Welt

Türkei – Deniz Yücel: Bei ihrem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim in Berlin hat Angela Merkel laut SZ (Nico Fried), taz.de (Tobias Schulze) und Welt (Silke Mülherr) die "besondere Dringlichkeit" der Freilassung Deniz Yücels betont. Nachdem Yildirim am Vorabend in einem Fernseh-Interview Hoffnung auf die baldige Freilassung des seit über einem Jahr ohne Anklage inhaftierten Journalisten geweckt hatte, berief er sich gegenüber der Kanzlerin auf die hohe Arbeitsbelastung der türkischen Gerichte. Er hoffe aber, dass man "in kurzer Zeit" zu einem Ergebnis kommen werde und es sei Aufgabe der Politik, die Arbeit der Gerichte zu erleichtern.

Ungarn – Flüchtlingsaktivisten: Die ungarische Regierung unter Premier Victor Orbán hat drei neue Gesetzentwürfe im Parlament eingebracht, um das Engagement von Flüchtlingsaktivisten zu bekämpfen. Wie die SZ (Peter Münch) berichtet, droht nun eine Strafsteuer von 25% auf alle ausländischen Spenden an NGO’s und ausländische Mitarbeiter könnten des Landes verwiesen werden. Der Menschenrechtsbeauftragte des Europarats, Nils Muižniek, kritisierte die Aggressivität der Maßnahmen, die im Zusammenhang mit der Kampagne Orbáns gegen den Milliardär George Soros stehen, welcher sich weltweit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzt.

Juristische Ausbildung

Sexismuskritik und Abwehrreaktionen: Der Arbeitsstab Ausbildung und Beruf des Deutschen Juristinnenbundes gibt auf dem Grund-und Menschenrechtsblog der Humboldt-Law-Clinic Antworten auf gängige Abwehrreaktionen im Zusammenhang mit Sexismuskritik in der juristischen Ausbildung und spricht sich für eine realistische Abbildung verschiedener Lebenswirklichkeiten in Ausbildungsfällen aus. Es bedürfe künftig der intensiven Auseinandersetzung mit struktureller Ungleichheit und Geschlechterhierarchien.

Sonstiges

Beschlagnahme von Bitcoins: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Judith Sikora erläutert auf juwiss.de die strafprozessuale und polizeirechtliche Umsetzung der Beschlagnahme und Sicherstellung von Bitcoins und geht auf mögliche Probleme bei einem sich anschließenden Verkauf ein. Sie zeigt auf, wie Bitcoins im Rahmen illegaler Kaufgeschäfte anonym eingesetzt werden können und erörtert die Rechtsnatur der Kryptowährung. Insbesondere sei problematisch, dass die Ermittlungsbehörden ohne gleichzeitige Sicherstellung des in einer digitalen Geldbörse (wallet) gespeicherten privaten Schlüssels, nicht auf die Bitcoins zugreifen können.

Bundesliga 50+1 Regel: Laut lto.de (Hasso Suliak) plant die Deutsche Fußball Liga in den nächsten Wochen eine ergebnisoffene Überprüfung der 50+1 Regel, welcher zufolge Vereine sich bei der Ausgliederung auf Kapitalgesellschaften grundsätzlich mehr als die Hälfte der Stimmanteile vorbehalten müssen. Die Regel soll die Übernahme der Entscheidungsmacht durch Großinvestoren verhindern, wohingegen sich ihre Kritiker auf die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga berufen.

Menschenrechte und Wirtschaftspolitik: Der Verfassungsrechtler und Universitätsdozent Viljam Engström setzt sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit dem Einfluss von Menschenrechten auf die Entwicklung ökonomischer Reformen und wirtschaftlicher Strukturpolitik auseinander. Unter Bezugnahme auf die Weltwirtschaftskrise beleuchtet er die Auswirkungen von Sparmaßnahmen auf soziale Sicherungssysteme. Eine Annäherung von Ökonomen und Menschenrechtsanwälten in diesen Fragen sei zu begrüßen, um zur Lösung grundlegender Konflikte eine gemeinsame Basis zu schaffen.

Das Letzte zum Schluss

Einsam im Kloster: Ein Kloster im bayerischen Altomünster war vom Vatikan aufgelöst worden und auf die Erzdiözese München und Freising übergegangen. Diese verlangte die Räumung des Klosters, woraufhin schließlich alle Bewohner zum Auszug bewegt werden konnten. Alle Bewohner? Nein, eine unbeugsame Nonnenanwärterin hört nicht auf, den Räumungsklagen Widerstand zu leisten. Das VG München lässt ein Verfahren wegen der Nichteinhaltung von Brandschutzbestimmungen laut lto.de bis zur Entscheidung im Zivilverfahren vor dem LG München II nun vorerst ruhen. Die ausgebildete Juristin kann also weiterhin allein in einer der geschätzt 200 Klosterzellen wohnen bleiben.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/lmr

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. Februar 2018: Prüfverfahren gegen Poggenburg / Rüge durch EU-Kommission / Merkel trifft Yildirim . In: Legal Tribune Online, 16.02.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27067/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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