Die juristische Presseschau vom 25. Januar 2022: Kritik an Kir­chen­recht / Hoff­nungs­schimmer für Ass­ange / Zustim­mung zu E-Examen

25.01.2022

Nach "Out in Church" fordern kirchliche Verbände und Justizminister Buschmann Reformen des kirchlichen Arbeitsrechts. Julian Assange kann vor britischen Supreme Court ziehen. Jurastudierende und Referendar:innen finden Laptop-Examen gut.

Thema des Tages

Kirchliches Arbeitsrecht/Queere Beschäftigte: In Deutschland wächst der Druck auf die katholischen Bischöfe, sich für eine kirchenrechtliche Reform der arbeitsrechtlichen Bestimmungen im Hinblick auf queere Personen einzusetzen. Zwanzig katholische Verbände forderten in einem Schreiben an die Bischöfe, Diskriminierungen und Ausgrenzungen, insbesondere im kirchlichen Arbeitsrecht, zu unterbinden. Auslöser war die Initiative "Out in Church", bei der sich am Montag 125 haupt- und ehrenamtliche sowie ehemalige Mitarbeitende der Kirche als queer geoutet haben. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) forderte daraufhin, dass auch die Kirche dem Diskriminierungsverbot Rechnung tragen müsse. Es berichten die FAZ (Thomas Jansen/ Heike Schmoll), SZ (Annette Zoch), taz (Linda Gerner/Patricia Hecht u.a.) und spiegel.de (Annette Langer).

Rechtspolitik

Corona — Impfpflicht: In Interviews mit der FAZ (Kim Björn Becker) und mit spiegel.de (Severin Weiland) erläutert der FDP-Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann einen von ihm mitinitiierten Gruppenantrag, Ungeimpfte zunächst zu einem Aufklärungsgespräch mit einem Arzt zu verpflichten und in einem zweiten Schritt gegebenenfalls nur eine Impfpflicht für Über-50-Jährige einzuführen.

Im FAZ-Einspruch erläutert der Grünen-Bundestagsabgeordnete Till Steffen den von ihm am Freitag mitpräsentierten Gruppenantrag für eine Impfpflicht für alle Volljährigen. Eine Impfpflicht für Ältere sei nicht ausreichend, weil auch Jüngere "andere Menschen, die anfälliger für schwere Verläufe sind" gefährdeten.

Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz kritisiert auf dem Verfassungsblog einen Beitrag der Rechtsprofessorin Ute Sacksofsky von voriger Woche. Darin hatte sie bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht auf das Empfinden der Kritiker:innen abgestellt, weil die Wissenschaft immer eine Wissenschaft der Mehrheit sei. "Letztlich wird von Ute Sacksofsky ein grundrechtsdogmatischer Radikalrelativismus gepredigt, der dann allen Menschen zugesteht, ihre persönlichen Wahrheiten auf Kosten anderer zu pflegen – eine Ellenbogen-Esoterik der Selbst-Empfindsamen."

Schengen-Grenzkodex: Rechtsprofessorin Anna Lübbe kritisiert auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) den Vorschlag der EU-Kommission zur Änderung des Schengen-Grenzkodex. Darin sei eine Legalisierung des Pushbacks von Flüchtlingen vorgesehen, ohne minimale rechtsstaatliche Garantien. 

Justiz

OLG Frankfurt/M. zu Haftung bei Mietauto: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat eine Mietwagenfirma zur Zahlung eines Schmerzensgelds in Höhe von 90.000 Euro und einer monatlichen Schmerzensgeldrente in Höhe von 160 Euro verurteilt, nachdem eine Kundin bei einem Unfall mit einem nicht verkehrssicheren Fahrzeug unter anderem ihren Arm verlor. Es gehöre zu den "Kardinalpflichten" des Vermieters, ein verkehrssicheres Auto zur Verfügung zu stellen. Daher könne sich das Unternehmen nicht auf einen Haftungsausschluss in den Allgemeinen Geschäftsbedingen (AGB) berufen, wonach es nur bei grobem Verschulden oder fahrlässiger Pflichtverletzung haftet. LTO und spiegel.de berichten.

OLG Naumburg — IS-Rückkehrerin Leonora M.: An diesem Dienstag beginnt vor dem Oberlandesgericht Naumburg im Justizzentrum Halle der nicht-öffentliche Prozess gegen die IS-Rückkehrerin Leonora M. Die Bundesanwaltschaft wirft ihr die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und einen Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vor. 2015 schloss sie sich im Alter von 15 Jahren dem Islamischen Staat in Syrien an und wurde 2020 aus einem kurdischen Gefangenenlager zurückgeholt. In Syrien soll sie ihren Ehemann unterstüzt, andere Frauen bespitzelt und eine jezidische Sklavin gekauft haben. Die taz (Konrad Litschko) berichtet.

LG München I — Staudammbruch in Brasilien: Die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) unterstützt vor dem Landgericht München I die erweiterte Klage gegen den TÜV Süd wegen des Staudammbruchs in Brasilien, bei dem im Januar 2019 Menschen und Häuser im Schlamm begraben wurden. Aus Brasilien haben inzwischen 1112 Menschen Klage mit einem Schadenersatzvolumen von 436 Millionen Euro erhoben. Die Kernfrage ist, ob deutsche Konzerne auch für ihre ausländischen Filialen haften. Es berichtet die SZ (Klaus Ott).

ArbG Frankfurt/M. zu DWS-Kündigung: Das Arbeitsgericht Frankfurt/M. hat eine Klage der ehemaligen Nachhaltigkeitschefin der Deutsche-Bank-Tochter DWS, Desiree Fixler, gegen ihre Kündigung abgewiesen. Fixler berief sich auf das Maßregelungsverbot (§ 612a BGB), sie habe ihren Arbeitgeber auf Greenwashing bei seinen Fonds hingewiesen. DWS argumentierte, Fixler sei noch während der Probezeit gekündigt worden. Im Prozess ging es vor allem um die Frage, wann Fixlers Arbeit begann und wann die Probezeit endete. Das Urteil wurde noch nicht begründet. Es berichten die SZ (Meike Schreiber) und das Hbl (Anke Rezmer).

Corona — Thüringer Gerichte: Die Thüringer Rechtsanwaltskammer fordert die sofortige Aufhebung aller coronabedingten Zugangsbeschränkungen an Thüringer Gerichten. Nach Aussage der Kammer bedeuteten sie einen "nicht hinnehmbaren Eingriff in die Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens." Der Deutsche Anwaltsverein sieht in den Beschränkungen ebenfalls eine "nicht vertretbare Einschränkung des Zugangs zum Recht." LTO berichtet.

NS-Prozesse: Der Rechtsanwalt David Schönberg und der Historiker Efraim Zuroff (Simon-Wiesenthal-Center) kritisieren in der Welt den "unangemessenen" Schutz der Persönlichkeitsrechte der angeklagten KZ-Beschäftigten. Es sollte erlaubt sein, ihr Foto zu zeigen  und ihren vollen Namen* zu erfahren. "In den Gesichtern von Menschen, die wegen Beihilfe zum Mord angeklagt werden, könnten Millionen von Deutschen ihre eigenen Großeltern sehen. Die deutsche Gesellschaft tut sich weiterhin schwer, die umfassende Schuld dieser Menschen zu akzeptieren und ihr ins Gesicht zu sehen."

Politische Richter:innen: Die FAZ (Marlene Grunert) analysiert anhand der Beispiele der AfD-Politiker Jens Maier und Thomas Seitz die Kehrseite der Unabhängigkeit des Richteramts: Zum Schutze der Unabhängigkeit hätten Disziplinarverfahren hohe Hürden und Richter:innen seien nur sehr schwierig wieder aus dem Amt zu bekommen. Daher würde es helfen, wenn die Justiz im Bewerbungsverfahren zur Überprüfung der Bewerber:innen zumindest freie Quellen effektiver nutzen würde.   

Recht in der Welt

Großbritannien — Julian Assange: Nachdem der Londoner High Court im Dezember das Auslieferungsverbot von Julian Assange an die USA aufgehoben hat, gab er auf Antrag der Anwälte nun überraschend grünes Licht für den Gang zum britischen Supreme Court. Wenn das oberste Gericht den Fall annimmt, würde es im Kern um die Frage gehen, unter welchen Bedingungen der High Court als Berufungsgericht diplomatische Versprechungen des Staates, der die Auslieferung verlangt (USA), in seine Urteilsfindung aufnehmen durfte, wenn sie der ersten Instanz nicht gegeben wurden. In den USA drohen dem 50-jährigen Australier wegen Spionagevorwürfen bis zu 175 Jahre Haft. Die USA haben erst im Berufungsverfahren Zusagen zu den Haftbedingungen des suizidalen Assange gegeben. Es berichten FAZ, taz (Daniel Zylbersztajn), LTO, spiegel.de (Michael Sontheimer) und netzpolitik.org (Constanze Kurz).

Die SZ (Thomas Kirchner/Ronen Steinke) hinterfragt die Arbeit des UN-Sonderberichterstatters für Folter Nils Melzer. Der Schweizer Rechtsprofessor, der Assange für das Opfer eines Komplotts hält, stütze sich bei seinen Aktivitäten gegen Misstände in westlichen Staaten auffällig häufig auf russsische und rechtspopulistische Quellen, die er nicht immer gründlich prüfe. Melzer betonte, er lasse sich nicht vereinnahmen.

Polen — Verfassungsgericht: Die FAZ (Reinhard Veser) stellt die wichtigsten Köpfe des von Gefolgsleuten der Regierungspartei PiS kontrollierten polnischen Verfassungsgerichts und ihre teilweise rechtsstaatswidrigen Positionen vor. An diesem Dienstag werde das Gericht erneut über Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (faires Verfahren) verhandeln. Weitere anstehende Verfahren betreffen das Recht des Europäischen Gerichtshofs, Zwangsgelder gegen Polen zu verhängen, sowie das Europäische Emissionshandelssystem.

Polen — Auschwitz: Die polnische Staatsanwaltschaft hat einer niederländischen Touristin eine Geldstrafe auferlegt, nachdem sich die 29-Jährige von ihrem Ehemann im ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor dem Lagertor mit der Aufschrift "Arbeit macht frei" fotografieren ließ und dabei den Hitlergruß zeigte. spiegel.de berichtet.

USA — Affirmative Action/Harvard: Der US-amerikanische Supreme Court hat angekündigt, sich mit dem Zulassungsverfahren der Eliteuniversität Harvard zu befassen. Streitig ist die "Affirmative Action", die Schwarzen den Zugang zu Bildungsinstitutionen erleichtern soll, was manche Konservative aber als Diskriminierung anderer Ethnien werten. Mit einer Entscheidung sei erst im Juli 2023 zu rechnen. spiegel.de berichtet.

Juristische Ausbildung

E-Examen: Nach den Ergebnissen der Digital Study 2021 sprechen sich 75 Prozent der Jurastudierenden mit einem deutlichen "Ja" bzw. einem "eher Ja" für das Schreiben der Examensklausuren am PC aus. In den beiden Vorjahren waren es nur rund 50 Prozent. Auch bei den Referendar:innen stieg der Anteil von rund 75 auf 81 Prozent. Die Zustimmung für einen Zugang zu juristischen Online-Datenbanken während der Klausur stieg bei Studierenden um acht Prozent auf 64 und bei Referendar:innen um zwei Punkte auf 65 Prozent. LTO (Marcel Schneider) berichtet.

Sonstiges

Raser: Die Polizei hat ein Ermittlungsverfahren wegen eines illegalen Straßenrennens gegen den tschechischen Millionär Radim Passer eingeleitet, der mit seinem Bugatti auf einer deutschen Autobahn unter Ausnutzung des fehlenden Tempolimits 417 km/h gefahren ist. Die SZ (erweiterte sueddeutsche.de-Fassung) und FAZ (Reinhard Bingener) berichten.

Ersatzfreiheitsstrafe: Die Referendarin Elena Blessing und die Studentin Natalia Loyola Daiqui erörtern auf dem Verfassungsblog die Rechtspraxis und die Rechtsgrundlagen der Ersatzfreiheitsstrafe. Sie halten es für verfassungswidrig, dass eine richterliche Anhörung mitunter ausbleibt und schlagen vor, dass die Staatsanwaltschaft diese von Amts wegen mit Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe veranlassen könnte.

Das Letzte zum Schluss

Maske als Drogenversteck: Die Polizei am Kölner Hauptbahnhof hat am Samstag zwei Männer kontrolliert und dabei insgesamt 33 rezeptpflichtige Pillen entdeckt, die in die Innenseiten ihrer Mund-Nase-Masken eingearbeitet waren. Sie bekamen Anzeigen wegen des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und frische Masken. Die SZ berichtet.

 

* korrigiert am Erscheinungstag um 15 Uhr. Hier war zunächst von "Adressen" der Täter die Rede. Es geht aber neben den Photos um den "vollen Namen" der Täter.


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lto/tr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. Januar 2022: Kritik an Kirchenrecht / Hoffnungsschimmer für Assange / Zustimmung zu E-Examen . In: Legal Tribune Online, 25.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47308/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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