ICTY verurteilt Ratko Mladić zu lebenslanger Haftstrafe. Außerdem in der Presseschau: Pay-Pal Käuferschutz schützt nicht vor Zahlungsklagen, der EGMR verhandelt im Fall Berlusconi, Voßkuhle über Populismus
Thema des Tages
ICTY verurteilt Mladić: Der 74-jährige Ex-General der bosnischen Serben, Ratko Mladić, ist vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das Gericht befand ihn in 10 der 11 Anklagepunkte wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg mit 100.000 Todesopfern für schuldig und folgte mit der Verhängung des höchstmöglichen Strafmaßes der Forderung der Staatsanwaltschaft. Mladić war 1995 Befehlshaber der Einheiten in Srebrenica, die 8.000 muslimische Männer und Jungen ermordeten. Seine Taten gehören nach Meinung des Vorsitzenden Richters Alphonse Orie zu den "Abscheulichsten, die die Menschheit je gesehen hat". Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert und kündigte an, gegen das Urteil in Berufung zu gehen. Mladić selbst bezeichnete die Ausführungen des Gerichts aufgebracht als "Lüge" und wurde anschließend des Saales verwiesen. Das Verfahren mit 600 Zeugen ist das letzte des ICTY, der Ende des Jahres seine Arbeit einstellt. Es berichten SZ (Peter Münch), faz.net (Michael Martens) und taz (Tobias Müller).
faz.net (Simon Riesche) berichtet über Reaktionen Hinterbliebener. Im Interview mit der FAZ (Michael Martens) spricht der bosnische Schriftsteller Muharem Bazdulj über das Urteil und die immer noch unterschiedliche Klassifizierung des Srebrenica-Verbrechens durch die Kriegsparteien. Der ICTY konnte wenig zur Versöhnung beitragen und sei stets mehr "politische als rechtliche Institution" gewesen.
Für Peter Münch (SZ) zeigt das Urteil, "dass es jenseits aller Brutalität noch Gerechtigkeit gibt". In Bosnien fehle es dennoch an der nötigen "Versöhnung und gesellschaftlichen Veränderung". Erich Rathfelder (taz) begrüßt zwar das Urteil, meint aber, es "bleibe Bitterkeit", weil nur das Massaker von Srebrenica als Genozid eingestuft worden sei. Richard Herzinger (Welt) sieht einen "historischen Sieg für das internationale Recht.
Rechtspolitik
Hauptausschuss im Bundestag: Der Gutachter im Medien-und Presserecht Thomas Wierny erläutert auf juwiss.de, warum er die Einsetzung des "Hauptausschuss" genannten Sonderausschusses in der Phase bis zur Regierungsbildung für teilweise verfassungswidrig hält. Zustimmend geht er auf einen Antrag der Fraktion "die Linke" ein, stattdessen eine Vielzahl von Ausschüssen einzusetzen, wodurch die Reaktionsfähigkeit des Parlaments erhöht werde.
Thorsten Jungholt (Welt) kritisiert die Einsetzung des Hauptausschuss als "verfassungsrechtlich höchst umstrittenes Provisorium". Das Parlament solle endlich an die Arbeit gehen, denn es sei handlungsfähig, wenn es nur wolle.
Minderheitsregierung: Die SZ (Jasmin Siebert) erläutert Entstehung, sowie Vor- und Nachteile einer Minderheitsregierung.
Justiz
BGH zu Pay-Pal Käuferschutz: Der Bundesgerichtshof hat in einem Grundsatzurteil entschieden, dass der Käuferschutz des Unternehmens Pay-Pal nicht vor anschließenden Zahlungsklagen schützt. Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) meldet, hatte Pay-Pal zwei Käufern den Kaufpreis erstattet, woraufhin die Verkäufer Klage erhoben. Seit heute ist klar, dass im Falle der Rückerstattung des Kaufpreises bei Qualitätsmängeln grundsätzlich mit gerichtlicher Klärung gerechnet werden muss.
BFH zu Schenkungsteuer: Der Sponsor eines Regionalligisten muss nun Schenkungssteuer zahlen, weil er bei ihm angestellte Arbeitnehmer unentgeltlich im Fußballverein als Spieler einsetzte. Der Bundesfinanzhof sah darin laut lto.de aufgrund der Unentgeltlichkeit gerade keine Arbeitnehmerüberlassung, sondern eine Schenkung in Höhe des Arbeitsentgelts.
BVerfG zu Auslieferung: Das Grundrecht auf effektiven richterlichen Rechtsschutz gebietet, dass Gerichte bei Auslieferungsverfahren eigenständig prüfen, ob im Herkunftsland politische Verfolgung droht. Das entschied das Bundesverfassungsgericht nach Meldung der FAZ (Alexander Haneke) in einem am Mittwoch veröffentlichten Beschluss.
OVG Berlin zu Status von Syrern: Syrern droht nicht allein deshalb in Syrien Verfolgung, weil sie in Deutschland Asyl beantragt haben. Das hat das OVG Berlin laut taz (Susanne Memarnia/Alke Wierth) entschieden und damit die Praxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) bestätigt, nach der Syrern kein Asyl mehr nach der Genfer Flüchtlingskonvention, sondern nur subsidiärer Schutz zusteht, bei welchem der Familiennachzug bis 2018 ausgesetzt bleibt.
LG Stade zu Massenrausch: Der Psychotherapeut Stefan S., der Seminarteilnehmern verbotene Substanzen verabreicht hatte, ist am Mittwoch wegen Besitzes und Weitergabe von Betäubungsmitteln zu einem Jahr und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. In einem ausführlichen Bericht zeichnet die SZ (Peter Burghardt) die Geschichte des Falles nach.
LG Frankfurt zu Kuwait Airways: Die Universitätsassistentin Maria Lee und die Research Fellow Amalie Frese beschäftigen sich auf (verfassungsblog.de) (in englischer Sprache) mit der Frage, ob im Fall des israelischen Staatsbürgers, dem von Kuwait Airways die Beförderung verweigert wurde, eine andere gerichtliche Entscheidung möglich gewesen wäre. Dabei gehen sie auf einen ähnlichen Fall von 2013 ein, in dem das "US Departement of Transportation" letztlich von unangemessener Diskriminierung ausging. In Deutschland bedürfe es nun einer Entscheidung des BVerfG oder einer gesetzlichen Neuregelung im Luftfahrtrecht zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Nationalität.
Heinrich Wefing (Zeit) kritisiert das Urteil als "fatales Signal" und "weltfremd".
LAG Nürnberg zu Einigungsstelle: Der Rechtsanwalt Bernd Weller setzt sich auf dem Handelsblatt-Rechtsboard mit einer Entscheidung des LAG Nürnberg auseinander, das einen Arbeitgeber auf Grundlage von § 76a BetrVG dazu verpflichtet hatte, die Kosten für externe Anwälte als Betriebsratsbeisitzer einer Einigungsstelle zu übernehmen. Er beleuchtet mögliche Regressansprüche gegen Betriebsräte sowie deren Anwälte und gibt Praxistipps für Arbeitgeber.
OLG München - NSU/Plädoyers Nebenkläger: Die SZ (Anette Ramelsberger/Wiebke Ramm) schildert ausführlich die Schlussvorträge der Tochter und Ehefrau des ermordeten Dortmunder Kioskbesitzers Mehmet Kubasik im NSU-Prozess.
AG Esslingen - Windreich: Nach einem Exklusivbericht der FAZ (Klaus Max Smolka/Michael Anshelm/Markus Jung/Oliver Schmale) wollen Anleihengläubiger der insolventen "Windreich GmbH", unterstützt von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), einen Sonderinsolvenzverwalter einsetzen lassen. Sie werfen dem bisherigen Insolvenzverwalter Blümle vor, Vermögensgegenstände unter Wert verkauft zu haben. Insolvenzrechtler und die SdK gehen davon aus, dass das Insolvenzgericht den Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung möglicher Schadensersatzansprüche bestellen wird.
LG Freiburg - Mord an Joggerin: Wie die FAZ (Rüdiger Soldt) und die Welt (Gisela Friedrichsen) berichten, hat der Fernfahrer Catalin C. im Verfahren um die in Endingen am Kaiserstuhl vergewaltigte und getötete Joggerin Carolin G. am ersten Tag des Strafprozesses ein Geständnis verlesen lassen. Er verstehe selbst nicht mehr, warum er die Tat begangen habe.
AG Gießen – Schwangerschaftsabbruch: Die Welt (Christina Brause) stellt die Ärztin Kristina Hänel vor, die wegen verbotener Werbung für Schwangerschaftsabbrüche angeklagt ist und deren Fall am kommenden Freitag vor dem Amtsgericht Gießen verhandelt wird.
BGH zu fehlerhafter Protokollierung einer Aktionärsversammlung: Rechtsprofessor Ulrich Noack erläutert auf dem Handelsblatt-Rechtsboard eine Anfang Oktober ergangene Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu Formerfordernissen bei der notariellen Protokollierung von Aktionärsversammlungen. Der Gesetzgeber sei gefordert, die Nichtigkeitsgründe, insbesondere § 241 Nr. 1 AktG, als oft "überschießende Folge" einzuschränken.
LG Stuttgart – Schlecker-Prozess: Die Zeit (Marcus Rohwetter) befasst sich in einem ausführlichen Beitrag mit dem Schlecker-Prozess, in dem die Urteilsverkündung am kommenden Montag erwartet wird.
OVG Schleswig – Aldi Nord: Am Donnerstag soll das Urteil im Konflikt der Firmenerben von Aldi Nord verkündet werden. Die SZ (Michael Kläsgen) erörtert mögliche Auswirkungen auf die Zukunft des Konzerns.
StA Koblenz - Ermittlungen gegen Bleser: Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelt gegen den CDU-Bundestagsabgeordneten Peter Bleser wegen Untreue und Verstoßes gegen das Parteiengesetz. Laut SZ (Georg Heil/Susanne Höll/Ralf Wiegand) und spiegel.de (Matthias Bartsch) hat der Bundestag seine Immunität aufgehoben. Er soll Spenden in Höhe von insgesamt 135.000 Euro von einer Firma des früheren Geheimagenten Werner Mauss angenommen haben.
Recht in der Welt
EGMR - Berlusconi: Am Mittwoch wurde vor dem EGMR der Fall des italienischen Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi verhandelt, der sich dagegen wehrt, dass er aufgrund seiner Verurteilung wegen Steuerhinterziehung bis 2019 keine politischen Ämter mehr ausüben darf. Spätestens im Mai 2018 stehen die italienischen Wahlen an. Sein Anwalt geht von unzulässiger Rückwirkung aus, weil das der Verurteilung zugrundeliegende Severino-Gesetz erst 15 Jahre nach Berlusconis Taten in Kraft getreten war. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch/Oliver Meiler) und taz (Christian Rath).
Polen - Justizreform: 28 polnische NGO’s warnen in einer Erklärung, dass Polen infolge der Justizreform ohne unabhängige Gerichte "kein demokratischer Rechtsstaat" mehr sein werde. Wie lto.de berichtet, traf sich das polnische Parlament am Mittwoch, um über die von der PiS-Partei initiierten Reformen, durch die unter anderem der Landesjustizrat unter die Kontrolle der Parlamentsmehrheit gebracht werden soll, zu diskutieren. Indes droht Brüssel mit einem Verfahren nach Art. 7 des EU-Vertrags, welches Polen das Stimmrecht im EU-Ministerrat kosten könnte.
Sonstiges
Andreas Voßkuhle über Populismus: In einem Gastbeitrag setzt sich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle in der FAZ mit Populismus auseinander und gibt einen Ausblick auf den möglichen Umgang mit zunehmenden populistischen Strömungen. Es bedürfe der "beständigen argumentativen Auseinandersetzung" und konsequenter Sanktionen im Falle von "eindeutigen rechtlichen Grenzüberschreitungen". Nach einer begrifflichen Definition stellt er fünf Widersprüche zwischen populistischer Ideologie und dem Demokratieverständnis des Grundgesetzes heraus. Der Populismus stehe im Widerspruch zu dem "zentralen Begründungselement demokratischer Herrschaft", dass es eine "absolute Wahrheit" nicht gibt.
Im Ausland inhaftierte Deutsche: Die Bestrebungen der Bundesregierung, Kinder von deutschen IS-Kämpfern nach Deutschland ausfliegen zu lassen, nimmt die SZ (Ronen Steinke) zum Anlass, die Rechtslage in Bezug auf staatlichen Beistand für im Ausland inhaftierte Deutsche zu schildern. Die Regierung sei keineswegs zur Hilfe gezwungen, sondern habe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen breiten Entscheidungsspielraum, selbst wenn Menschenleben gefährdet seien.
Ehrung für Bürgerrechtsanwalt: Die taz (Simone Schlindwein) interviewt Ugandas führenden Bürgerrechtsanwalt Nicholas Opiyo, der am Donnerstag in Berlin von Bundespräsident Steinmeier für sein Engagement mit dem Deutschen Afrika-Preis geehrt wird.
Das Letzte zum Schluss
Müder Verdächtiger: Ein 26-Jähriger, der versucht hatte, fünf Türen eines Mehrfamilienhauses aufzubrechen, fühlte sich dort offenbar zu wohl und schlief kurzerhand ein, meldet spiegel.de.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/lmr
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 23. November 2017: Lebenslange Haftstrafe für Mladić / BGH zu Pay-Pal-Käuferschutz / Fall Berlusconi vor dem EGMR . In: Legal Tribune Online, 23.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25663/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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