Die juristische Presseschau vom 31. August 2018: Chemnitzer Haft­be­fehl mit Folgen / Gesetz­ent­wurf gegen Abmah­nungen / Sar­razin und die Mus­lim­kri­mi­na­lität

31.08.2018

Wer den Chemnitzer Haftbefehl verbreitet, kann Ärger bekommen. Außerdem in der Presseschau: Justizministerin Barley will gegen missbräuchliche Abmahnungen vorgehen und Kriminologe Feltes hat Sarrazins "kriminologische" Aussagen analysiert.

Thema des Tages

Chemnitzer Haftbefehl: Ein Mitarbeiter der JVA Dresden hat gestanden, den Haftbefehl gegen den mutmaßlichen Messerstecher von Chemnitz mit seinem Smartphone photographiert und weitergegeben zu haben. Der Mann wurde inzwischen suspendiert, meldet spiegel.de. In Bremen durchsuchte die Polizei die Wohnung des Bürgerschafts-Abgeordneten Jan Timke (Bürger in Wut). Timke hatte den Haftbefehl auf Facebook verbreitet, so spiegel.de. Im Interview mit spiegel.de (Jörg Breithut) erläuterte der Anwalt Joerg Heidrich, dass es nach § 353d Strafgesetzbuch verboten ist, amtliche Dokumente eines Strafverfahrens vorzeitig zu veröffentlichen. Darunter falle auch das Teilen und Retweeten in sozialen Netzwerken.

Christian Rath (taz.de) findet die Aufregung über den verbreiteten Haftbefehl übertrieben. Der Rechtsstaat sei nicht in Gefahr. Es werde mit doppelten Standards gewertet, was nur der rechten Propaganda nutze. Allerdings sei die Veröffentlichung des Haftbefehls kein Whistleblowing, weil kein Missstand aufgedeckt werde. Die Inhalte des Haftbefehls wären sowieso bald bekannt geworden.

Rechtspolitik

Abmahnungen: Bundesjustizministerin Barley hat einen Gesetzentwurf gegen missbräuchliche Abmahnungen vorgelegt, über den die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet. So wolle Barley den Kreis der abmahnberechtigten Vereine verengen. Der "fliegende Gerichtsstand" solle abgeschafft werden. Außerdem sollen sich Abgemahnte leichter gegen Missbrauch wehren können, indem ihnen der Ersatz der Anwaltskosten gesichert wird. Der Entwurf definiert auch "missbräuchliche" Abmahnungen.

Singularzulassung am BGH: Die Bundesregierung will sich mit der Singularzulassung für zivilrechtliche BGH-Anwälte erst beschäftigen, wenn die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) entsprechende Vorschläge vorlegt, berichtet lto.de (Pia Lorenz). Die BRAK hat hierfür einen Ausschuss eingerichtet, der bei der BRAK-Hauptversammlung am 14. September erste Ergebnisse vorstellen will.

Pakt für den Rechtsstaat: Der im Koalitionsvertrag vorgesehen Pakt, der zur Schaffung von 2.000 neuen Richterstellen vor allem in den Ländern führen soll, kommt nicht voran, schildert nun auch lto.de (Hasso Suliak). Ein für Mitte September geplantes Staatssekretärs-Treffen von Bund und Ländern wurde abgesagt, weil Bundesinnen- und Bundesjustizministerium dem Kanzleramt keine Vorlagen lieferten. Am 5. September soll im Rechtsausschuss des Bundesrats über einen Antrag aus NRW beraten werden, doch Bayern hat die Verschiebung beantragt.

Justiz

BSG zu Arbeitslosengeld nach Freistellung: Bei der Berechnung des Arbeitslosengelds muss eine vorhergehende Freistellung berücksichtigt werden. Das entschied das Bundessozialgericht laut spiegel.deDas bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses gezahlte und abgerechnete Geld müsse bei der Bemessung einbezogen werden. Damit beanstandete das BSG die bisherige Praxis der Agentur für Arbeit.

BVerfG zu EU-Schule: Nun beschäftigt sich auch FAZ-Einspruch (Constantin van Lijnden) mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Rechtsschutz an Europäischen Schulen. Nicht nur bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf eine supranationale Organisation müsse dort ausreichender Grundrechtsschutz gewährleistet sein, sondern fortdauernd. Einzelne Fehlurteile der dortigen Instanzen sprächen aber noch nicht gegen ausreichenden Rechtsschutz. Es müsse vielmehr deren gesamte Rechtsprechung ausgewertet und als unzureichend qualifiziert werden.

BGH  Mord an Chinesin: Der BGH verhandelte über den Sexualmord an einer chinesischen Studentin in Dessau. Das Landgericht hatte den Haupttäter zu lebenslanger Haft verurteilt, seine Freundin, die das Opfer ins Haus gelockt und an der Vergewaltigung teilgenommen hatte, nur zu einer Jugendstrafe wegen sexueller Nötigung. Der BGH verhandelte jetzt nur über die Strafe der jungen Frau. Die Revision von Staatsanwaltschaft und Nebenklage erstrebt auch bei ihr eine Mordverurteilung, aber wohl ohne Erfolg, wie die BadZ (Christian Rath) berichtet. Das Urteil soll am 6. September verkündet werden.

LG Leipzig  Mordversuch an Syrer: Das Landgericht Leipzig verhandelt seit Wochen über einen Vorfall in Torgau. Dem 44-jährigen Angeklagten wird vorgeworfen, einem 21-jährigen Syrer auf offener Straße zwei Mal in die Brust geschossen zu haben. Zuvor soll es einen Streit gegeben haben, bei dem auch ausländerfeindliche Parolen fielen. Außerdem wurden beim Angeklagten mehrfach Nazi-Bilder gefunden. Die Anklage geht aber nicht von einem fremdenfeindlichen Motiv aus, wie die taz (Konstantin Nowotny) berichtet. Das Urteil wird für den 20. September erwartet.

LG Hamburg  Insolvenz KTG Agrar: Der Insolvenzverwalter des ostdeutschen Agrarkonzerns KTG Agrar verlangt vor dem Landgericht Hamburg von acht ehemaligen Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern Schadensersatz in Höhe von 189 Millionen Euro. Er wirft ihnen Insolvenzverschleppung vor. Das Gericht macht dem Kläger und den Gläubigern am ersten  Prozesstag Hoffnung, so die FAZ (Christian Müßgens). Auch ein Vergleich sei möglich. Vorab berichtete lto.de.

Klagen von VW-Anlegern: Das HBl (Laura de la Motte u.a.) gibt einen Überblick über Klagen von VW-Anlegern, die Schadensersatz im Zusammenhang mit verspäteter Information über den Diesel-Skandal fordern. Am 10. September beginnt vor dem Oberlandesgericht Braunschweig ein KapMuG-Verfahren, dem sich Tausende Anleger angeschlossen haben. Weitere 5.000 Anleger sowie Großinvestoren planen unter Koordination der Aktionärsschutzvereinigung DSW mit einer Anwaltskanzlei, der Bündelungsplattform Myrights und dem Prozessfinanzierer Fortress Investment einen weiteren Prozess.

Recht in der Welt

Israel  Siedlungsbau:  Das Jerusalemer Bezirksgericht entschied jetzt, dass der östlich von Ramallah – zumindest teilweise auf palästinensischem Privatland – errichtete Siedlungsaußenposten Mitzpe Kramim rechtens sei, obwohl das Land vorher nicht (wie üblich) vom Militär konfisziert worden war. Das Bezirksgericht habe seine Rechtsprechung dabei extraterritorial ausgeweitet und weitere juristische Innovationen vorgenommen, so die FAZ (Jochen Stahnke). Das Urteil erleichtere damit weiteren Siedlungsbau.

Türkei  Immunität eines Richters: Die türkische Assistenzprofessorin Bilge Erson Asar beschäftigt sich auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) mit dem Fall des Richters Aydın Sefa Akay, der zum  "Residualmechanismus für die Internationalen ad hoc-Strafgerichtshöfe" (MICT) gehörte. Die Türkei inhaftierte ihn 2016, weil sie ihn als Gülen-Anhänger einstufte und ignorierte dabei seine völkerrechtliche Immunität. Die Autorin kritisiert, die Türkei hätte die UN wenigstens um Aufhebung der Immunität des Richters bitten sollen und die UN hätte Richter Akay trotz seiner Inhaftierung wiederwählen sollen.

Türkei  Yücel-Klage: Nun berichten auch taz (Wolf Wittenfeld) und FAZ über die Klage des Journalisten Deniz Yücel gegen den türkischen Staat. Weil Yücel rund ein Jahr lang willkürlich in U-Haft saß verlangt er umgerechnet 400.000 Euro für Verdienstausfall, Anwaltskosten und Schmerzensgeld. Am 25. September soll eine erste Anhörung stattfinden.

Südafrika  SADC-Individualbeschwerden: Der Postdoc-Forscher Felix Lange analysiert auf verfassungsblog.de (in englischer Sprache) ein Urteil des südafrikanischen High Courts vom März. Danach verstieß es gegen die südafrikanische Verfassung, dass Südafrika ein Protokoll unterzeichnete, das dem Tribunal der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) die Jurisdiktion für Individualbeschwerden entzog.

Sonstiges

Sarrazin und die Muslimkriminalität: Der Kriminologe Thomas Feltes kritisiert in der FAZ die Aussagen des Ökonomen Thilo Sarrazin zur höheren Kriminalität von Muslimen in dessen neuem Buch. Feltes konstatiert eine "Vermischung von unvollständig wiedergegebenen statistischen Zahlen, drastischen Einzelfällen, tendenziösen Stellungnahmen und Ergebnissen von Studien, die einer genaueren wissenschaftlichen Nachprüfung nicht standhalten". Sarrazin bediene nur Vorurteile.

Bayerisches Familiengeld: Bundessozialminister Hubertus Heil (SPD) besteht darauf, dass das bayerische Familiengeld in Höhe von 250 - 300 Euro pro Kind, das ab September ausbezahlt werden soll, auf Hartz IV-Leistungen angerechnet werden muss. Bayern hält das Familiengeld jedoch für eine zweckgebundene Leistung, die nicht der Existenzsicherung diene. Die SZ (Henrike Rossbach/Anna Günther) schildert den Konflikt.

V-Mann bei Amri: Hans-Georg Maaßen, der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, hat dem Bundestag einen V-Mann im Umfeld des Attentäters Anis Amri verschwiegen und das Parlament bewusst falsch informiert, berichtet die Welt (Florian Flade). Dazu kommentiert Ronen Steinke (SZ): "Die Debatte, ob Hans-Georg Maaßen noch tragbar ist in seinem Amt, wird Fahrt aufnehmen. Wer als Spitzenbeamter das Parlament belügt, der tritt die Verfassung mit Füßen."

beA: Eine Anmeldung zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach ist nur noch am heutigen Freitag möglich, bevor dieses am Montag neustartet und eine passive Nutzungspflicht für Anwälte beginnt. Darauf weist lto.de (Pia Lorenz) hin. Am Donnerstag war die Anmeldung von 7 bis cirka 17 Uhr nicht möglich.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/chr

(Hinweis für Journalisten)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 31. August 2018: Chemnitzer Haftbefehl mit Folgen / Gesetzentwurf gegen Abmahnungen / Sarrazin und die Muslimkriminalität . In: Legal Tribune Online, 31.08.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30677/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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