Die juristische Presseschau vom 30. Dezember 2020: Pri­vi­le­gien für Geimpfte? / Bald Ent­schei­dung zu Ass­ange / Buß­gelder gegen Unter­nehmen

30.12.2020

Zwischen den Jahren wird über die rechtlichen Implikationen der Corona-Schutzimpfung debattiert. In Großbritannien wird in Kürze zur Auslieferung Julian Assanges entschieden und das Bundeskartellamt verhängt Millionen-Bußgelder.

Thema des Tages

Corona – Impfung: Die ersten regulären Impfungen gegen Corona-Infektionen haben stattgefunden. Dass sich Geimpfte fortan darauf berufen können, von coronabedingten Einschränkungen befreit zu werden, soll nach dem weiterhin einhelligen Meinungsbild der Bundesregierung unbedingt vermieden werden. Zu diesem Zweck könnte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz um ein weiteres Kriterium, eben jenes der Impfung erweitert werden, so ein etwa von der taz (Christian Rath) berichteter Vorschlag des rechtspolitischen Sprechers der SPD-Bundestagsfraktion, Johannes Fechner. Auch eine Ergänzung des AGB-Rechts sei denkbar. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ist dabei noch nicht sicher, ob Geimpfte andere Menschen nicht vielleicht doch anstecken könnten. Hierauf machen spiegel.de (Simon Book u.a.) und FAZ (Alexander Haneke) in ausführlichen Beiträgen aufmerksam. Aus eben jenem Grund lehnt Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) ab, Infektionsschutzmaßnahmen für Geimpfte zu lockern, so die SZ (Constanze von Bullion/Michael Kläsgen). Im Gespräch mit bild.de (Julian Reichelt) gibt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) an, bei der Frage von Privilegien für Geimpfte "hin- und hergerissen" zu sein. Zugangsbeschränkungen anhand des Impfstatus seien nach seiner Einschätzung tatsächlich eine Frage des Privatrechts.

LTO (Pia Lorenz) befragt Rechtsprofessor Steffen Augsberg zur Thematik. Das Mitglied des Deutschen Ethikrates folgert aus dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zumindest für Private die grundsätzliche Freiheit, Geimpfte zu bevorzugen. Derartige Überlegungen seien indes hinfällig, solange es keinen in großer Masse wahrnehmbaren Impfschutz gebe. Die Ablehnung sogenannter Sonderrechte für Geimpfte klinge "mehr nach moralischem Tadel denn nach rechtlicher Reflexion". Rechtsprofessor Josef Franz Lindner kritisiert im Verfassungsblog die von Spahn bemühte Solidaritäts-Argumentation, die angesichts der dekretierten Impfreihenfolge wohl eher "der moralischen Überhöhung eigener politischer und rechtlicher Entscheidungen" diene. Wolle man keinen "Lockdown für alle" auf eine unabsehbare Zeit, müsse nun verfassungsrechtlich diskutiert werden, wie "vertretbare und hoffentlich auch befriedende Lösungsmöglichkeiten" aussehen könnten.

In einem separaten Kommentar erinnert Alexander Haneke (FAZ) an den Inhalt des grundgesetzlichen Gleichheitssatzes. Sobald sichergestellt sei, dass von Geimpften keine Ansteckungsgefahr ausginge, könnten diese auch das Recht ableiten, nicht mehr unter die Infektionsschutzregeln zu fallen. Tobias Schulze (taz) macht geltend, dass nicht "Sonder-", vielmehr Grundrechte zur Debatte stünden. Deren Einschränkung legitimiere sich durch den andernfalls rasanten Anstieg von Infektionen. Entfalle diese Gefahr, müssten auch die Einschränkungen aufgehoben werden. Auf den "permanenten Rechtfertigungsdruck" für freiheitseinschränkende Maßnahmen macht auch Jost Müller-Neuhof (Tsp) aufmerksam. So wie es "viel Verständnis" für die festgelegte Impf-Reihenfolge gebe, könne es auch Verständnis "dafür geben, dass ein Restaurant zunächst nur Geimpfte einlassen möchte". Gegen die aktuelle Ungewissheit würden keine neuen Gesetze helfen, vielmehr Geduld.

Spanien – Corona-Impfung: Aus Spanien berichtet die taz (Reiner Wandler) über Pläne des Gesundheitsministeriums, in einem nationalen Impfregister Personen zu vermerken, die eine angebotene Impfung verweigern. Das Register solle datenschutzrechtlichen Ansprüchen genügen und "weder veröffentlicht noch geteilt" werden. Nach Aussage eines Landes-Gesundheitsministers sollte über die Erfassung Verweigerern ein späterer Einwand, sie hätten keinen Zugang zum Impfmittel gehabt, abgeschnitten werden.

Rechtspolitik

Verbandsklage: Gegen die aktuell bei Berlin im Bau befindliche sogenannte Gigafactory des Autobauers Tesla hat nun auch ein bayerischer Naturschutzverein eine Klage erhoben. Nach Bericht des Hbl (Dietmar Neuerer) ruft dies Politiker wie den stellvertretenden Vorsitzenden der Union im Bundestag, Carsten Linnemann, auf den Plan, das Umweltverbänden zustehende Verbandsklagerecht auf solche zu beschränken, die unmittelbar betroffen sind. Nach Hinweis des im Text zitierten Staatsrechtlers Joachim Wieland schließe das Unionsrecht derartige Einschränkungen aus. Daniel Delhaes (Hbl) bemerkt in einem Kommentar, dass in der laufenden Legislaturperiode bereits vier Gesetze zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungsverfahren auf den Weg gebracht worden seien. Dieses geltende Recht müsse auch von Tesla beachtet werden.

Personenbeförderung: Kurz vor Weihnachten hat das Bundeskabinett die vom Verkehrsministerium vorgestellte Novellierung des Personenbeförderungsgesetzes gebilligt. Die FAZ (Kerstin Schwenn) schreibt, dass die Neuerungen im Wesentlichen eine Legalisierung der Angebote von Firmen wie Uber vorsehe. Das herkömmliche Taxigewerbe solle dafür das Privileg behalten, Kunden spontan aufzunehmen. Kommunen sollten das Recht erhalten, "vor Ort passgenaue Angebote" zu erlauben.

KI und Urheberrecht: Nach der vor knapp zwei Jahren verabschiedeten EU-Richtlinie über das Urheberrecht im Digitalen Binnenmarkt arbeitet die EU derzeit an einer Fortschreibung dieser Regeln für geschützte Werke, die durch oder mithilfe von Künstlicher Intelligenz geschaffen wurden. Nach Rechtsprofessorin Louisa Specht im Recht und Steuern-Teil der FAZ ist allerdings bereits ein Schutzbedürfnis – als Voraussetzung einer solchen Regulierung – fraglich und dürfte sich vor allem aus "dem Wunsch ergeben, Rechtssicherheit für den Schutz von KI-Werken insgesamt herzustellen".

Gesetzesänderungen: Die mit dem anstehenden neuen Jahr in Kraft tretenden Gesetzesänderungen mit unmittelbaren Auswirkungen für Verbraucher werden in einer Übersicht des Hbl (Frank M. Drost) dargestellt. Von besonderer Bedeutung dürften die weitgehende Abschaffung des Solidaritätsbeitrags und eine bis zum 31. August verlängerte Frist für die Abgabe von Steuererklärungen für das Jahr 2019 sein.

Corona – Einschränkungen: Torsten Krauel (Welt) spricht sich gegen den Eindruck aus, mit der fortwährenden Diskussion über eine Verlängerung des gegenwärtigen Lockdowns "stochere die Politik im Nebel" und sei nicht in der Lage, eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Der Vierwochenrhythmus der Ministerpräsidentenrunde zur Diskussion anstehender Maßnahmen sei im novellierten Infektionsschutzgesetz festgelegt, um möglichst passgenau reagieren zu können.

Corona – Gewerbemieten: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ bezweifelt Rechtsanwalt Joachim Wichert einen großen Nutzen der jüngsten gesetzgeberischen Klarstellung für coronabetroffene Gewerbemieter. Sind deren Räumlichkeiten nicht oder nur eingeschränkt nutzbar, soll nun eine Vermutung für eine Störung der Geschäftsgrundlage gelten und auf dieser Grundlage den Mietern eine Vertragsanpassung ermöglichen. Gerade dieses Verhandlungsmoment helfe jedenfalls kurzfristig nicht und lagere das Problem "auf die Vertragsparteien aus".

Justiz

BVerfG – Mietendeckel: In einem ausführlichen Bericht zu Auswirkungen des Berliner Mietendeckels teilt das Hbl (Heike Anger u.a.) mit, dass das Bundesverfassungsgericht noch im ersten Halbjahr 2021 über die gegen die Regelung erhobenen Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollanträge entscheiden wird. Nach der Einführung des Deckels hätten sich die gegen die Regelung vorgebrachten Bedenken bewahrheitet, so die im Text zitierten Vertreter von Immobilienverbänden.

BVerfG zu BND-Hintergrundgesprächen: Nach einem erst jetzt bekannt gewordenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von vor einem Jahr muss der Bundesnachrichtendienst Themen und Inhalte vertraulicher Hintergrundgespräche auch gegen den Willen beteiligter Journalisten öffentlich machen. Das BVerfG wies damit eine Verfassungsbeschwerde eines solchen, unbenannt gebliebenen Journalisten gegen ein gleichlautendes Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom September 2019 zurück, berichtet der Tsp (Jost Müller-Neuhof).

BVerfG zu Kundus-Luftangriff: Auch die SZ (Wolfgang Janisch) würdigt nun den Mitte Dezember ergangenen Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Bundeswehr-Luftangriff im afghanischen Kundus. Zwar nicht "im Ergebnis", jedoch "in einem zentralen Punkt" sei den Ausführungen des Gerichts zu entnehmen, dass eine Amtshaftung für staatliches Unrecht durchaus möglich sei. Die Thematik würde zudem in einem beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängigen Verfahren vor einer Entscheidung stehen.

BVerwG 2020: Die fünf wichtigsten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts aus 2020 stellt LTO (Hasso Suliak) vor. Ganz ohne Corona-Zusammenhang wurde in Leipzig zur verneinten Kontrollpflicht der Bundesregierung für US-Drohneneinsätze, einer "Kopftuch-Auflage" ohne gesetzliche Grundlage, dem Bau des Fehmarnbelttunnels, dem dem Portal Abgeordnetenwatch verweigerten Auskunftsanspruch zu Parteispenden sowie kirchlichen Mitspracherechten bei Sonntagsarbeit geurteilt.

OLG Bremen zu Ivan Klasnic: Der frühere Profi-Fußballer Ivan Klasnic hat sich nach insgesamt zwölfjähriger Prozessdauer mit seinem früheren Arbeitgeber Werder Bremen vergleichsweise über Schadensersatz und Schmerzensgeld von mehr als vier Millionen Euro geeinigt. Bereits das Landgericht Bremen hatte 2017 schwerwiegende Behandlungsfehler durch Vereinsärzte festgestellt, schreibt spiegel.de. Diese hatten trotz auffällig schlechter Nierenwerte Klasnic, der mittlerweile mit seiner dritten Spenderniere lebt, Schmerzmittel verabreicht.

OLG Naumburg zu Anschlag auf Synagoge: Nachdem der zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte Stephan B. die Revisionsfrist hat verstreichen lassen, ist seine Verurteilung wegen des Anschlags auf die Synagoge von Halle durch das Oberlandesgericht Naumburg rechtskräftig. Zwei Nebenkläger hätten dagegen Revision mit dem Ziel erhoben, die rechtliche Würdigung des auf sie verübten Angriffs prüfen zu lassen, berichtet zeit.de.

Home Office/Thüringer Justiz: Richter und Staatsanwälte im Freistaat Thüringen haben massive Probleme damit, ihre Arbeit auch im Home Office zu erledigen. Nach Angaben des Justizministeriums verfügten nur "grob geschätzt" zehn Prozent der Betroffenen über die Möglichkeit, mit ihren – zur Verfügung gestellten Notebooks – über sogenannte VPN-Tunnel sicher auf das Gerichtsnetzwerk zuzugreifen, schreibt LTO.

Recht in der Welt

Großbritannien – Julian Assange: Vor der am 4. Januar anstehenden erstinstanzlichen Entscheidung eines Londoner Gerichts über das US-amerikanische Auslieferungsbegehren zu Julian Assange kommentiert Wolfgang Kaleck auf netzpolitik.org, dass eine weitere Strafverfolgung Assanges die Pressefreiheit in der ganzen Welt fundamental bedrohe. Für den im Team Assanges tätigen Berliner Rechtsanwalt steht mit der jetzigen Entscheidung auch "das Prinzip, als Journalist und Autor, wenn auch in unkonventionellen neuen Medien, Informationen zu empfangen und weiterzuverarbeiten" in Frage. Angesichts der in den USA gegen Assange erhobenen Vorwürfe einer Gefährdung der öffentichen Sicherheit dränge sich ein Vergleich zum deutschen Journalisten Carl von Ossietzky auf. Es stehe zu befürchten, dass dem britischen Gericht die Tragweite einer möglichen politischen Verfolgung des Auszuliefernden nicht bewusst sei.

Türkei – Osman Kavala: Das türkische Verfassungsgericht hat eine Beschwerde des Kulturmäzens Osman Kavala gegen seine nunmehr drei Jahre währende Untersuchungshaft verworfen. Die Haft wegen verschiedenster Vorwürfe im Zusammenhang des gescheiterten Putschversuchs vom Juli 2016 verletzten weder das Recht Kavalas auf Freiheit noch jenes auf Sicherheit. Die Berichte von FAZ (Rainer Herrmann) und spiegel.de erinnern daran, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits im Dezember 2019 die sofortige Freilassung Kavalas angeordnet hatte. Hieraufhin wurde ein neuer Haftbefehl erlassen, der Gegenstand des jetzigen Verfahrens war.

Türkei – Can Dündar: Der in der vergangenen Woche wegen Spionage zu einer 27-jährigen Haftstrafe verurteilte türkische Journalist Can Dündar erzählt auf zeit.de die Story hinter seiner Verurteilung.

Sonstiges

BKartA: Das Bundeskartellamt hat im zu Ende gehenden Jahr wegen verbotener Absprachen Bußgelder gegen 19 Unternehmen in einer Gesamthöhe von 358 Millionen Euro verhängt. Die Möglichkeit, als Kronzeuge gegen andere beteiligte Unternehmen aufzutreten, hätten dabei 13 Unternehmen in Anspruch genommen, so die Behörde nach einer von LTO berichteten Mitteilung. In einem Kommentar behauptet Svenja Bergt (taz), dass Bußgelder in Millionenhöhe zwar gut klingen würden, einem Unternehmen wie Facebook aber "nicht ernsthaft weh" täten. Angesichts oft jahrelanger Gerichtsverfahren zu marktmissbrauchenden Geschäftspraktiken wäre es für Wettbewerbsbehörden notwendig, "gerade im Digitalbereich" einzugreifen, um eine "absehbar problematische Marktmacht zu verhindern."

Verbraucherschutz: In einem ausführlichen Interview mit der FAZ (Corinna Budras/Marcus Jung) spricht Klaus Müller als Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband über seine größten Aufreger in diesem Jahr, über gesetzgeberische Notwendigkeiten, um Verbrauchern mehr Wahlfreiheit beim Abschluss und der Beendigung von Verträgen zu ermöglichen, über die Aussichten, gerade im Reisebereich das Vorkasse-Prinzip abzuschaffen, sowie die Entstehung des Vergleichs im Musterfeststellungsverfahren zum Diesel-Skandal.

Das Letzte zum Schluss

Party People: Vor einem Monat war an dieser Stelle von einem mittlerweile ehemaligen ungarischen EU-Abgeordneten zu lesen, der sich seine Feierlaune auch in Lockdown-Zeiten nicht vermiesen lassen wollte. Ähnliches hat nun auch Cottbus zu bieten: Wie bild.de und FAZ (Markus Wehner) berichten, löste die dortige Polizei eine lautstarke Feier mit neun Teilnehmenden auf. Als mutmaßliche Gastgeberin fungierte eine Stadtverordnete der AfD. Nach Polizeiangaben habe sie sich gegenüber dem Versuch, ihre Personalien feststellen zu lassen, "aggressiv verhalten". Ein anderer Partygast habe einen Polizisten gewürgt.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage. 

Sie können die tägliche lto-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren. 

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Dezember 2020: Privilegien für Geimpfte? / Bald Entscheidung zu Assange / Bußgelder gegen Unternehmen . In: Legal Tribune Online, 30.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43862/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen