Die juristische Presseschau vom 30. Oktober 2019: Anklage gegen Syrer / Eini­gung zu Mie­ten­de­ckel / Aus­sage zu Cum-Ex

30.10.2019

Generalbundesanwalt erhebt Anklage gegen mutmaßliche syrische Folterer. Außerdem in der heutigen Presseschau: Ulrich Battis' Meinung zum Berliner Mietendeckel und am LG Bonn lässt sich ein Kronzeuge zum Themenkomplex Cum-Ex ein.

Thema des Tages

OLG Koblenz – Syrische Geheimdienstler: Wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und weiterer Verbrechen hat der Generalbundesanwalt Anklage gegen zwei frühere mutmaßliche syrische Geheimdienstmitarbeiter beim Oberlandesgericht Koblenz erhoben. Die Angeschuldigten sollen Misshandlungen in einem berüchtigten Gefängnis in Damaskus verantwortet bzw. Beihilfe hierzu geleistet haben, berichten SZ (Ronen Steinke u.a.) und lto.de.

In einem separaten Kommentar bezeichnet Ronen Steinke (SZ) die weltweit erste Anklage "gegen Schergen des Assad-Regimes" als "starkes Signal". Auch wenn Straflosigkeit die Regel sei und wohl "auch fortan" bleibe, könne der symbolische Charakter der Anklage gegen vermeintliche Befehlsempfänger gar nicht überschätzt werden. Niemand habe hier "das Recht zu gehorchen".

Rechtspolitik

Mietendeckel: Im Gespräch mit lto.de (Annelie Kaufmann) erläutert Rechtsprofessor Ulrich Battis seine Auffassung zur Verfassungsmäßigkeit des vom Berliner Senat beschlossenen sogenannten Mietendeckels. Der mittlerweile als Of Counsel tätige Staatsrechtler hält es nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Beschluss zur Mietpreisbremse für wahrscheinlich, dass die Berliner Bestimmungen zu einem Mietenmoratorium auch in Karlsruhe Bestand haben werden, jene zu einer Mietobergrenze "jedoch nicht". Deren landesweite Geltung verstoße gegen den grundgesetzlichen Gleichheitssatz.

Geheimdienstüberwachung "Gamerszene": Mit den nach dem Terroranschlag von Halle (Saale) vorgebrachten rechtspolitischen Vorschlägen einer stärkeren polizeilichen und geheimdienstlichen Überwachung einer sogenannten Gamerszene setzt sich Rechtsprofessor Marc Liesching auf community.beck.de kritisch auseinander. Der ausführliche Beitrag analysiert bereits bestehende rechtliche Möglichkeiten der Internetregulierung und bemängelt, dass diese "Instrumentarien für eine effektivere Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet auch unterhalb der Schwelle der StGB-Tatbestände … zum Teil nicht angewandt" würden.

Verbandssanktionen: In einem Gastkommentar für das Hbl kritisiert Rechtsanwalt Alexander Reuter das im Bundesjustizministerium geplante Verbandssanktionengesetz als verfassungsmäßig verbotene "Sippenhaft". Gleich dieser würden durch die angestrebten Unternehmenssanktionen "bewusst die Falschen" getroffen, nämlich die Anteilseigner. Der Verband "AG, GmbH, KG et cetera" sei nurmehr "ein Stapel Papier beim Notar". Wolle man sein Verhalten steuern, müssten die Handelnden "stärker ins Visier" genommen werden. In der FAZ macht Rechtsanwalt Niko Härting darauf aufmerksam, dass das geplante Gesetz auch die Verhängung von Bußgeldern wegen Verstößen gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) nicht erleichtere. Bußgelder könnten immer noch nur wegen vorsätzlichem oder fahrlässigem Handeln von Personen verhängt werden. Die Hürde eines solchen Nachweises lasse sich auch nicht von Datenschutzbehörden überwinden.

Beleidigungen im Netz: Die Bundesregierung plant eine schnellere und effektivere Ahndung von Beleidigungen im Internet. Als Teil eines der taz (Christian Rath) vorliegenden Papiers zum Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität solle hierzu zum einen der Strafrahmen erhöht, es sollen zum anderen aber auch Plattformbetreiber verpflichtet werden, entsprechende Posts der Polizei zu melden. Ein Beschluss über das Paket ist für den heutigen Mittwoch geplant. Entwürfe für Gesetzesänderungen, auch des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, sollen bis zum Ende des Jahres folgen.

Patientenrechte: Kaja Klapsa (Welt) erinnert an das bislang nicht umgesetzte Vorhaben der Großen Koalition, Patientenrechte zu stärken. Hilfreich wäre etwa eine Absenkung der Beweislast im Falle von Schadensersatzklagen nach Behandlungsfehlern. Die bisher notwendige Kausalität von Fehler und gesundheitlichem Schaden mache entsprechende Verfahren "schnell aussichtslos".

Trennungskinder: Der Welt (Sabine Menkens) liegt ein Thesenpapier einer vom Bundesjustizministerium eingesetzten Expertengruppe zur Reform des Sorge- und Umgangsrechts sogenannter Trennungskinder vor. Nach diesem würde auf ein "gesetzliches Leitbild" verzichtet und stattdessen die gemeinsame Betreuung durch beide Elternteile erleichtert werden.

Justiz

BVerfG – EZB-Anleihekaufprogramm: Durch einen beim Bundesverfassungsgericht gestellten Eilantrag wollen Kritiker der Europäischen Zentralbank die Bundesbank vom Vollzug der für den November von der EZB angekündigten Wiederaufnahme eines Anleihekaufprogramms befreien. Dies berichten lto.de und Welt (Holger Zschäpitz).

BVerwG – "Gangsta Rap": Das Bundesverwaltungsgericht verhandelt am heutigen Mittwoch über die Zulässigkeit der von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien verfügten Indizierung des 2014 vom Rapper Bushido veröffentlichten Albums "Sonny Black". Die Instanzgerichte hatten die Frage unterschiedlich bewertet. Weil sich nach dem Mord an Walter Lübcke "eine beklemmende Ahnung von der Kraft böser Worte breit" mache, erfahre die Frage nach dem adäquaten Umgang "mit Hassrede, mit Gewaltverherrlichung, mit Verächtlichmachung" neue Brisanz, schreibt die SZ (Wolfgang Janisch). Dabei sei auch beachtlich, dass gerade diese Elemente das jugendgefährdende Potenzial der Musiksparte Gangsta Rap ausmachten. Ein weiterer Beitrag der SZ (Quentin Lichtblau) rekapituliert die Karriere Bushidos und dessen Konflikte mit dem Gesetz und Musikerkollegen.

BAG zu Verzugspauschale: Im September 2018 urteilte das Bundesarbeitsgericht, dass die sogenannte Verzugspauschale nach § 288 Abs. 5 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Arbeitsrecht keine Anwendung findet. Immer wieder weichen allerdings Instanzgerichte von dieser rechtlichen Einschätzung ab, zuletzt etwa das Landesarbeitsgericht Sachsen im Juli. Die Gründe und mögliche Konsequenzen erläutert vertieft Rechtsanwalt Alexander Willemsen auf lto.de.

BayVerfGH – "Leitkultur"-Kurse: Nach Klagen der Landtagsfraktionen der SPD und Grünen verhandelte der Bayerische Verfassungsgerichtshof zur Verfassungsmäßigkeit sogenannter Leitkultur-Grundkurse. Diese wurden durch das im Januar 2017 im Freistaat in Kraft getretene Integrationsgesetz eingeführt, erläutert lto.de. Zur Teilnahme würden Migranten verpflichtet, die sich dem Erlernen der deutschen Sprache verweigerten oder die hiesige Rechts- und Werteordnung missachteten. Die Kläger sehen in der Anordnung und dem Begriff der Leitkultur das Bestimmtheitsgebot verletzt. Ein Urteil soll am 3. Dezember verkündet werden.

OLG Stuttgart – Porsche SE: Nach Meldung der FAZ (Oliver Schmale) hat das Oberlandesgericht Stuttgart zwei Berufungsverfahren zu Schadensersatzansprüchen gegen die Porsche SE wegen Verletzung von Informationspflichten im Zusammenhang des Diesel-Skandals ausgesetzt. Das Gericht wolle zunächst den Ausgang zweier bei den Oberlandesgerichten Stuttgart und Braunschweig anhängigen Kapitalanleger-Musterverfahren abwarten.

LG Bonn – Cum-Ex: Das Strafverfahren zu Cum-Ex-Steuerdeals fand am Landgericht Bonn mit der Vernehmung des als Benjamin Frey bekannt gemachten Kronzeugen seine Fortsetzung. Über die Aussage des Steueranwalts, einem Mann mit "Gefühl für Sprache" berichtet u.a. Hbl (René Bender u.a.). Der Zeuge habe umfassend dargelegt, wie seine Kanzlei unter Beteiligung des Steuerexperten Hanno Berger und dessen vielfältigen Kontakten "massive Steuerhinterziehung mit einem gewissen Stolz" betrieben habe. Weitere ausführliche Berichte finden sich in FAZ (Marcus Jung), zeit.de (Jennifer Lange u.a.) und SZ (Jan Willmroth/Nils Wischmeyer).

LG München+ zu Auslandsklausel: Durch ein Anerkenntnis hat die beklagte Deutsche Krankenversicherung eine Sachentscheidung zur Wirksamkeit der krankenversicherungsrechtlichen Auslandsklausel verhindert, berichtet die SZ (Stephan Handel). In dem Prozess hatte der Fußballprofi Holger Badstuber für die Zeit einer Verletzung von der Beklagten Krankentagegeld auch für die Zeit eines kurzfristigen Auslandsaufenthaltes gefordert. Dies habe die Beklagte unter Verweis auf die sogenannte Auslandsklausel verweigert. Nachdem das Gericht erkennen lassen habe, dass es in Zeiten von E-Mails und Smartphones den ursprünglichen Zweck der Klausel – eine dauerhafte Verfügbarkeit des Kranken für etwaige Untersuchungen – für "nicht mehr zeitgemäß" halte, habe die Versicherung die Forderung anerkannt. (+ I, II nach Berichtslage unklar)

LG Hamburg – Anwalt: Nach Meldung der FAZ (Matthias Wyssuwa, leicht ausführlicher auf faz.net) ist es am Landgericht Hamburg zu einem Vorfall unter Beteiligung eines ehemaligen Anwalts gekommen. Der Mann, erstinstanzlich wegen Veruntreuung von Mandantengeldern zu einer Haftstrafe verurteilt, hatte sich im Eingangsbereich des Gerichts offenbar selbst mit einem Messer verletzt, anscheinend in der Absicht, die Berufungsverhandlung seiner Sache zu verschleppen.

VG Berlin – Klimapolitik: Am morgigen Donnerstag verhandelt das Verwaltungsgericht Berlin zu einer von Greenpeace und drei Bauernfamilien erhobenen Klage, mit der die Bundesregierung dazu verpflichtet werden soll, ihr 2007 beschlossenes Klimaschutzprogramm umzusetzen. Die Kläger machten geltend, dass die damals beschlossene Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes der Höhe nach durch geeignete Maßnahmen doch noch erreicht werden könne, schreibt die taz (Christian Rath) über die "allerdings etwas bemühte" Argumentation der Kläger.

VG Aachen zu Reichsbürger: Der durch Facebook-Kommentare und ein Schreiben an das Bundesverwaltungsamt angestellte Rückschluss auf eine Zugehörigkeit zur sogenannten Reichsbürger-Szene kann die atomrechtliche Zuverlässigkeit des Verfassers beseitigen. Dies entschied das Verwaltungsgericht Aachen in einem von lto.de gemeldeten Fall. Die von der Atomaufsicht verfügte Entfernung des mutmaßlichen Reichsbürgers aus einer Tätigkeit beim Rückbau des Forschungsreaktors Jülich erfolgte damit rechtmäßig.

VG Braunschweig zu Pestiziden: Die SZ (Markus Balser/Michael Bauchmüller) macht darauf aufmerksam, dass am heutigen Mittwoch die für das Bundeslandwirtschaftsministerium laufende Berufungsfrist gegen Urteile des Verwaltungsgerichts Braunschweigs zu Genehmigungen für bestimmte Pestizide abläuft. In den Entscheidungen seien umweltschonende Auflagen kassiert worden, für die das Gericht keine gesetzliche Grundlage erkennen konnte. Das Ministerium habe angegeben, auf eine Berufung verzichten zu wollen.

BfV-Beobachtungen: Die FAZ (Reinhard Müller) zeichnet die Beobachtungen "beider Sieger der Landtagswahl in Thüringen" durch das Bundesamt für Verfassungsschutz und die hieraus folgenden gerichtlichen Auseinandersetzungen nach. Letztere bewiesen, dass das BfV "freilich kein abschließendes Urteil" über die Verfassungstreue von Politikern treffen könne, seine öffentlich gemachten Einschätzungen aber einer gerichtlichen Kontrolle unterlägen.

Anwaltschaft und Technologie: Anwaltschaftliche Berufsregeln sehen bislang und auf absehbare Zeit keinen verpflichtenden Einsatz technologischer Hilfsmittel vor. Gerade in der Bearbeitung von Großmandaten mit entsprechenden Datenmengen komme eine umsichtige Mandatsbearbeitung aber bereits bei einer angemessenen Sachverhaltsaufklärung kaum mehr um den Einsatz IT-gestützter Technologien herum, wie der Rechtsanwalt und Co-Founder eines Rechtsdienstleisters und Softwareentwicklers Clas-Steffen Feuchtinger auf lto.de darlegt.

Recht in der Welt

USA – Diskriminierung: Weil er bei Beförderungen wegen seiner Homosexualität übergangen wurde, sprach ein US-amerikanisches Gericht einem Polizisten eine Entschädigung von knapp 20 Millionen Dollar zu. spiegel.de berichtet.

Sonstiges

Tötung von Terroristen: Für den FAZ-Einspruch untersucht Josef Alkatout, Rechtsanwalt und Dozent für internationales Strafrecht, die völkerrechtlichen Probleme von Tötungen wie jener des Chefs des sogenannten IS, Abu Bakr al Bagdadi. Angesichts der wohl weiterhin währenden Aktivität seiner Gruppe dürfte die ständige Bekämpfung von Mitgliedern "weiterhin zulässig" sein. Dagegen habe dem 2011 getöteten Osama Bin Laden angesichts dessen nicht mehr vorhandenen Einflusses auf Al-Kaida der Status eines schutzbedürftigen Zivilisten zugestanden.

§ 59 StGB: Aus der anwaltlichen Berufspraxis erinnert Udo Vetter (lawblog.de) an die Sanktionsmöglichkeit Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59 Strafgesetzbuch. "Fast nie" hätten "Richter und auch Staatsanwälte das Zwischending zwischen Einstellung und Strafe" auf dem Schirm, dabei ermögliche die Sanktion eine durch Bewährungszeit gesicherte gerichtliche Einwirkung auf den Angeklagten und erspare diesem gleichzeitig einen Strafregistereintrag.

Das Letzte zum Schluss

Vergesslichkeit: Vergesslichkeit schützt selten vor Strafe, einen am Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt Angeklagten allerdings vor einer Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen. Nach dem von lto.de berichteten Fall hatte der Mann einen im Rahmen eines einvernehmlichen Liebesspiels im Körper seiner Sex-Partnerin deponierten Dilator nach ihrer Bitte zwar nicht weiter eingeführt, aber eben auch nicht entfernt. Der Fremdkörper musste schließlich operativ entfernt werden.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. Oktober 2019: Anklage gegen Syrer / Einigung zu Mietendeckel / Aussage zu Cum-Ex . In: Legal Tribune Online, 30.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38461/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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