Die juristische Presseschau vom 30. September 2020: Geständnis im Doping-Pro­zess / Auf­takt im Stadler-Ver­fahren / Pol­ni­sche Ver­fas­sungs­rich­terin im Gespräch

30.09.2020

Der sogenannte Doping-Arzt erklärt sich ausführlich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. In München beginnt das Strafverfahren gegen Ex-Audi-Chef Rupert Stadler. Die Welt interviewte die Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichts. 

Thema des Tages

LG München II – Doping-Arzt: Im Dopingprozess am Landgericht München II hat der angeklagte Arzt Mark S. die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in einer ausführlichen Erklärung weitgehend eingeräumt. Eine Gewinnerzielungsabsicht habe er aber nicht gehabt, so spiegel.de (Matthias Fiedler). Die von seinen Kunden erhobenen Beiträge seien zur Deckung seiner Unkosten verwendet worden, gesundheitliche Schaden der betroffenen Sportler habe er unbedingt vermeiden wollen. In einer Seite Drei-Reportage beschreibt die SZ (Claudio Catuogno) die angewendeten Praktiken ausführlich und fragt – da die Kunden von S. wohl eher "aus Mittelklasseläufern und Hinterherlangläufern" bestanden - wer eigentlich jene versorge, "die tatsächlich mal was Großes gewonnen haben".

Auch Christoph Becker (FAZ) meint in einem Kommentar, es gebe "jede Menge Konkurrenten, die weit erfolgreicher sind als Mark S. und seine Sportler". Insofern stimme dieses Zitat der Erklärung: "Doping ist an der Tagesordnung, wenn man erfolgreich sein will".

Rechtspolitik

Corona-Einschränkungen: Gudula Geuther (deutschlandfunk.de) kritisiert die Entscheidungsfindung bei grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Begründungen würden "bestenfalls in Pressestatements oder Talkshows gegeben", im Übrigen entscheide ein regelmäßig wiederkehrender "Machtkampf der Länderchefs" über die Reichweite von Maßnahmen. Nach nunmehr einem halben Jahr der Pandemie seien Bundestag und Länderparlamente dazu berufen, das Wesentliche zu entscheiden.

Infektionsschutzrecht: In einem Interview mit der FAZ (Stefan Tomik) legt die Akademische Rätin Andrea Kießling ihre Auffassung dar, dass ein Großteil der grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen auf Grundlage des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) rechtswidrig waren und sind. Auch die zwischenzeitlichen Novellierungen des IfSG hätten es nicht vermocht, konkrete Voraussetzungen für Einschränkungen zu benennen. Die Pandemie sollte den Anlass zu einer grundlegenden Überarbeitung des IfSG bieten, so die Herausgeberin eines Kommentars zum Gesetz.

EU-Rechtsstaatlichkeit: Sowohl Hans-Peter Siebenhaar (Hbl) als auch Eric Bonse (taz) kritisieren in Kommentaren die von der deutschen Ratspräsidentschaft zu verantwortende Aufweichung der Anfang Juli beschlossenen Kopplung von Auszahlungen des Corona-Wiederaufbaufonds an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien in den Empfängerländern. Die jüngsten Ausfälle des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban gegen EU-Kommissarin Vera Jourova bewiesen, dass es ein Fehlschluss sei, von einer Kompromissbereitschaft Orbans auszugehen.

Sanierungs- und Insolvenzrecht: Die EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz vom Juni 2019 hat nationale Gesetzgeber zur Schaffung vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren aufgefordert. Das Bundesjustizministerium hat nun einen Referentenentwurf vorgelegt, der von Rechtsanwalt Johannes Landry auf LTO als "großer Wurf" vertieft gewürdigt wird. Im Kern schaffe der Entwurf einen neuen "Restrukturierungsrahmen", der Unternehmen, die von einer Zahlungsunfähigkeit bedroht sind, eine eigenverantwortlich zu bewältigende Alternative gegenüber dem häufig als Makel empfundenen Insolvenzantrag eröffne.

Fleischindustrie und Werkverträge: Rechtsprofessor Stefan Greiner kritisiert im Recht und Steuern-Teil der FAZ das geplante gesetzliche Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie wegen einer "grundlegenden Koordinatenverschiebung im Verhältnis von unternehmerischer Selbstorganisation und staatlicher Steuerung", für die Covid-19 einen "willkommenen Anlass" biete. Skandalöse Zustände in der Fleischindustrie seien längst bekannt und Abhilfen vorhanden.

Justiz

EuGH – Rundfunkbeitrag und Barzahlung: Nach Auffassung des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof kann der Rundfunkbeitrag grundsätzlich auch in bar beglichen werden. Zwar greife eine diesbezügliche Bestimmung des Gesetzes über die Deutsche Bundesbank in die ausschließliche Zuständigkeit der Union für Währungsangelegenheiten ein, so LTO (Manuel Göken) über die nun erstatteten Schlussanträge. Es sei aber Aufgabe des vorlegenden Bundesverwaltungsgerichts, die Tragweite der Norm zu prüfen. Im Weiteren gelte, dass nationale Einschränkungen von Bargeldzahlungen ein öffentliches Interesse erfüllen müssten. Die SZ (Wolfgang Janisch) berichtet ebenfalls.

BGH zu Befangenheit: Für die Annahme der Besorgnis der Befangenheit eines Richters genügt es, wenn dieser eigene Ansprüche gegen eine Prozesspartei ernsthaft in Erwägung zieht. Dies entschied (anders als das OLG Frankfurt/M. als Vorinstanz) Ende Juli der Bundesgerichtshof. Wie LTO berichtet, hatte der Vorsitzende Richter eines Berufungssenates den Parteien eines Streits um Ansprüche wegen des Dieselskandals mitgeteilt, eigene Ansprüche durch einen Vertragsanwalt des ADAC prüfen zu lassen. Hiermit sei laut BGH die Grenze der bloßen Gruppenbetroffenheit überschritten worden.

BSG zu Syndikusanwälten: Die jüngste Entscheidung des Bundessozialgerichts, durch die im jahrelangen Streit zur rentenrechtlichen Behandlung von Syndikusanwälten Klarheit geschaffen wurde, wird nun auch von Rechtsanwalt Martin Schaffhausen im Recht und Steuern-Teil der FAZ behandelt. Das BSG hatte klargestellt, dass die von Syndikusanwälten gezahlten Mindestbeiträge an Versorgungswerke als "einkommensbezogene Pflichtbeiträge" i.S.d. sozialgesetzlichen Bestimmungen anzusehen sind.

OLG Düsseldorf – Nord Stream 2: Die Nord Stream 2 AG hat ihre beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegte Beschwerde gegen die Weigerung der Bundesnetzagentur, die Pipeline von der EU-Gasmarktregulierung freizustellen, nun begründet. Das Hbl (Klaus Stratmann) berichtet ausführlich zu dem 79 Seiten starken Schriftsatz, in dem argumentiert wird, die noch nicht fertig gestellte Pipeline sei "wirtschaftlich-funktional" doch vor dem entscheidenden Stichtag fertig gestellt gewesen. Die betreffende EU-Richtlinie wird von der AG als überflüssig kritisiert.

OLG Frankfurt/M. - Mord an Walter Lübcke: Bei der für Donnerstag erwarteten Entscheidung über die Fortdauer der U-Haft des Mitangeklagten Markus H. ist wohl mit einer Freilassung H.s zu rechnen, vermutet spiegel.de (Julia Jüttner). H.s Ex-Freundin, die ihn im Ermittlungsverfahren noch schwer belastete, äußerte sich am 19. Verhandlungstag vor Gericht deutlich zurückhaltender. H.s Verteidigung konnte zudem belegen, dass die Ex-Freundin in einem Sorgerechtsstreit um das gemeinsame Kind sehr einseitig gegen H. ausgesagt hatte. 

LG München II – Ex-Audi-Chef Stadler: Am heutigen Mittwoch findet der erste von 181 angesetzten Verhandlungstagen zur strafrechtlichen Aufarbeitung des Dieselskandals bei Audi statt. Coronabedingt in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim wird das Landgericht München II gegen den früheren Vorstandsvorsitzenden Rupert Stadler, den Motorenentwicker Wolfgang Hatz sowie zwei Ingenieure zum Vorwurf des Betrugs durch die Entwicklung und den Einsatz einer Schummelsoftware in Dieselfahrzeugen verhandeln. Der hierdurch entstandene Schaden soll sich auf mehr als drei Milliarden Euro belaufen. Über das Verfahren berichten u.a. Welt (Daniel Zwick) und LTO. FAZ (Marcus Jung/Henning Peitsmeier) und Hbl (Rene Bender/Volker Votsmeier) bringen ausführliche Überblicke in Frage-und-Antwort-Form.

LG Aachen – erfundenes NSU-Opfer: Die Strafkammer des Landgerichts Aachen betreibt ihre Wahrheitssuche im Verfahren gegen Rechtsanwalt Ralph W. "akribisch", schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm) über den Prozess zum Mandat einer nicht existierenden Nebenklägerin im NSU-Verfahren. Ein befreundeter Anwalt des Angeklagten habe ausführlich dargelegt, wie ein inzwischen verstorbener Belastungszeuge auch ihm die Vermittlung eines Mandats gegen eine Provision angeboten habe. Der Angeklagte schweigt weiterhin.

LG Potsdam – Horst Mahler: Nach Informationen der taz (Konrad Litschko) wird das Landgericht Potsdam am 8. Oktober über die Rechtmäßigkeit von Auflagen entscheiden, die die zuständige Staatsanwaltschaft München gegen den vor seiner Haftentlassung stehenden früheren Rechtsanwalt Horst Mahler verhängt hat. Neben einer fünfjährigen Führungsaufsicht solle der Holocaustleugner auch geplante Publikationen vor der Veröffentlichung dem Landeskriminalamt anzeigen. In seiner hiergegen erhobenen Beschwerde habe Mahler wiederum mit antisemitischen Ausfällen reagiert.

LG Berlin – rechtsextreme Droh-Mails: Wiebke Ramm (spiegel.de) kritisiert in einem Kommentar die Entscheidung des Landgerichts Berlin, bei der Verlesung eines psychiatrischen Gutachtens zum Zustand Andre M.s, dem eine Störung des öffentlichen Friedens durch die Versendung zahlreicher Droh-Mails vorgeworfen wird, die Öffentlichkeit auszuschließen. Das bisherige Verfahren hätte bereits "eine ganze Reihe intimer Details" zum Leben des Angeklagten offengelegt, erst ihre "professionelle Einordnung" erlaube die Einschätzung der Beweggründe des Angeklagten.

AG Hamburg zu Gangster-Rapper: Unter anderem wegen Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz hat das Amtsgericht Hamburg einen als "Gzuz" bekannten Gangster-Rapper zu einer anderthalbjährigen Haftstrafe sowie einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt. In der mündlichen Urteilsverkündung sei dem Rapper auch dessen Selbstinszenierung als notorischer Gesetzesbrecher vorgeworfen worden, schreibt die SZ (Max Sprick). Die ausgesprochene Strafe übersteige die Forderung der Staatsanwaltschaft.

AsylbLG-Mustervorlage: Die taz (Christian Rath) berichtet zu einer von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) erstellten Mustervorlage, durch die Sozialgerichte die Verfassungsmäßigkeit der Leistungssätze für Flüchtlinge nach dem Asylbewerberleistungsgesetz dem Bundesverfassungsgericht vorlegen können. Die Mustervorlage mache geltend, dass (die höheren) sogenannten Hartz-IV-Leistungen bereits das Existenzminimum markierten und kein sachlich gerechtfertigter Grund für geringere Leistungen existiere. Auch die zusätzliche Absenkung der Leistungen für Flüchtlinge in Sammelunterkünften wird beanstandet. In einem Gastbeitrag für die Welt legt GFF-Juristin Sarah Lincoln die Beweggründe für die Mustervorlage dar.

Recht in der Welt

Polen – Justizreform: In einem ausführlichen Interview mit der Welt (Philipp Fritz/Klaus Geiger) wehrt sich Julia Przylebska, seit 2016 amtierende Präsidentin des polnischen Verfassungsgerichts, gegen den Vorwurf, die Gerichte in ihrer Heimat seien gegenüber der Regierung nicht unabhängig. Tatsächlich fehle eine "sachliche Debatte", Kritik an den polnischen Reformen folge häufig "oberflächlichen Bewertungen".

Schweiz – Grundrechte für Tiere: In Schweizer Kanton Basel-Stadt wird demnächst über eine Verfassungsänderung abgestimmt, durch die "nichtmenschlichen Primaten" ein Grundrechtsschutz gewährt werden soll. Der Bericht der taz (Christian Rath) schlägt in seinem Bericht einen Bogen zu einer vom Verein Peta beim Bundesverfassungsgericht "im Namen der Ferkel" erhobenen Verfassungsbeschwerde, mit der die Praxis der betäubungslosen Kastrierung dieser Tiere beendet werden soll. Eine Entscheidung des BVerfG stehe aus.

China/Hongkong – Aktivist: Joshua Wong, der "bekannteste" Aktivist Hongkongs, steht vor seiner Verurteilung, berichtet die Welt (Maximilian Kalkhof). Ihm werde die Teilnahme an einer nicht genehmigten Versammlung sowie ein Verstoß gegen das Vermummungsverbot vorgeworfen.

Sonstiges

Verbraucherschutz: In einem Interview mit der SZ (Markus Balser) spricht Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, über seine negativen Verhandlungs-Erfahrungen mit VW, mögliche neue Forderungen im Zusammenhang des Dieselskandals, seine Einschätzung zur Musterfeststellungsklage und Herausforderungen im Umgang mit Internet-Konzernen.

"Gesicht zeigen": Eine Liste von 40 erfolgreichen lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans- und intergeschlechtlichen (LGBT+) Juristen und Juristinnen hat das Karrierenetzwerk ALICE veröffentlicht. Durch die "Gesicht zeigen" betitelte Aktion solle die Wertschätzung von "LGBT+"-Juristen am Arbeitsplatz erhöht werden, schreibt LTO. Die Schwierigkeit, 40 teilnahmebereite Juristen zu finden – ursprünglich seien 100 Teilnehmer geplant gewesen – belege die Notwendigkeit einer solchen Aktion, so ALICE.

Das Letzte

Dankeschön: An den Brennpunkten der Welt ist Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) daheim, da mag es nicht verwundern, dass beim Einkauf um die Ecke schon mal was verloren geht, z.B. die eigene Kreditkarte. Für den bei der Wiederbeschaffung des guten Stücks gezeigten "großen Einsatz" können sich nun zwei Berliner Polizeibeamte über ein offizielles Schreiben des Ministers freuen. bild.de (Axel Lier) berichtet.

 

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lto/mpi

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. September 2020: Geständnis im Doping-Prozess / Auftakt im Stadler-Verfahren / Polnische Verfassungsrichterin im Gespräch . In: Legal Tribune Online, 30.09.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42956/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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