Die juristische Presseschau vom 30. August 2013: Befangenheit in Den Haag – Privatisierungsbremse in Bremen – Geschlechtsspezifisches Schmerzensgeld

30.08.2013

Befangenheitsanträge gegen Richter führen nur selten zur Abberufung. Jetzt aber in Den Haag. Außerdem in der Presseschau: Privatisierungsbremse in Bremen, Anklage gegen Jürgen Schneider, 30 Tage Haft für Vergewaltigung, geschlechtsspezifisches Schmerzensgeld und soziales Erbe.

Befangenheit in Den Haag: Vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) in Den Haag/Niederlande wird seit mehreren Jahren gegen den serbischen Nationalisten Vojislav Seselj verhandelt. Ab sofort ohne Richter Frederik Harhoff. Auf Antrag des Angeklagten ist der Däne wegen Besorgnis der Befangenheit vom Verfahren ausgeschlossen worden, ein Novum in der Geschichte des 1993 gegründeten ICTY.

Wie spiegel.de (ade) schreibt, hatte sich Harhoff in einem Schreiben kritisch zu jüngsten Freisprüchen am Jugoslawientribunal geäußert. Zudem habe er den US-amerikanischen Gerichtspräsidenten Theodor Meron beschuldigt, eine Auslegung, nach der Offiziere nicht notwendigerweise für Kriegsverbrechen ihrer Untergebenen verantwortlich zu machen seien, zum Schutz US-amerikanischer Soldaten voran getrieben zu haben. Hierdurch habe Harhoff nach Entscheidung seiner Richter-Kollegen einen "nicht zu akzeptierenden Anschein der Voreingenommenheit zugunsten von Verurteilungen" erweckt. Nach dem Bericht der SZ (Ronen Steinke) erscheine es als "ausgemacht", dass der abberufene Richter auch von den anderen bislang von ihm verhandelten Fällen gegen den serbischen Geheimdienstler Jovica Stanisic und den bosnischen Kommandeur Rasim Delic entbunden wird.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Steuerrechtsreform: Eine prominent besetzte "Kommission Steuergesetzbuch" der Stiftung Marktwirtschaft hat ein umfassendes Reformkonzept zum Steuerrecht vorgelegt. Es sieht die drastische Vereinfachung der Einkommenssteuer, einen grundlegenden Umbau der Finanzierung der Kommunen sowie ein neues Unternehmenssteuerrecht vor, schreibt die SZ (Claus Hulverscheidt). Auch die FAZ (Joachim Jahn) berichtet.

Sexueller Kindesmissbrauch: Der Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig (SPD), hat am gestrigen Donnerstag einen Bilanzbericht vorgelegt. Wie die SZ (Ronen Steinke) schreibt, übte er dabei an der zum 30. Juni erfolgten Änderung des Verjährungsbeginns bei Missbrauchstaten Kritik. Der nunmehr geltende Beginn mit Ablauf des 21. Lebensjahrs des Opfers sei "noch immer unzureichend", stattdessen sollte die Verjährung bis zum 30. Lebensjahr angehalten werden.

NSU-Untersuchungsausschuss: Die taz (Wolf Wiedmann-Schmidt) befragt Petra Pau (Linke) und Eva Högl (SPD) zu Erkenntnissen aus dem NSU-Untersuchungsausschuss. Pau konkretisiert ihre Forderung nach Abschaffung des Verfassungsschutzes als dem "Hauptversager" und fordert dessen Ersetzung durch eine Koordinierungsstelle zur Beobachtung "neonazistischer, rassistischer und menschenfeindlicher Bestrebungen." Die Stelle sollte unter Verzicht auf geheimdienstliche Mittel und mit einem sofortigem Verzicht auf V-Leute arbeiten. Högl dagegen hält das Amt für alternativlos, will es aber "grundlegend" reformieren, durch eine "ganz andere Struktur, anderes Personal und eine stärkere Kontrolle durch das Parlament."

Privatisierungsbremse: Die Bremische Bürgerschaft hat eine in der Verfassung verankerte "Privatisierungsbremse" beschlossen, nach der künftig ein Verkauf öffentlicher Unternehmen, die dem Gemeinwohl dienen, nur noch nach zustimmendem Volksentscheid zulässig ist. Der Bericht der FAZ (Robert von Lucius) zitiert einen Vertreter der örtlichen Handelskammer, nach der die bundesweit einmalige Regelung als rechtswidrige Beeinträchtigung des parlamentarischen Haushaltsrechts verfassungswidrig sei. Eine Klage vor dem Bremischen Staatsgerichtshof sei gleichwohl nicht geplant.

Kommunale Stromversorger: In Berlin und Hamburg stimmen Wahlberechtigte anlässlich der Bundestagswahl auch über Volksinitiativen zur Schaffung kommunaler Stromversorger ab. Der Rechtswissenschaftler Jan Henrik Klement (FAZ) kritisiert in einem längeren Gastbeitrag diesen Trend zur "Kommunalisierung" aus energiepolitischen und juristischen Gründen.

Datenüberwachung: In einem Kommentar erinnert Reinhard Müller (FAZ) an die Pflicht der Regierung, die Grundrechte der Deutschen, einschließlich des Rechts auf "Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme", zu schützen. Die US-amerikanische Bereitschaft zu einem "No Spy"-Abkommen belege, dass hiesige Bedenken ernst genommen würden. Die rechtsstaatliche Bindung und Kontrolle von Geheimdiensten "sollte sich von selbst verstehen."

Lobbyismus und Gesetzgebung: Die Reihe zu den Wahlprogrammen der Parteien setzt lto.de (Claudia Kornmeier) mit Positionen zu den vielfältigen Arten der Einflussnahme auf Gesetzgebungsverfahren fort. Während die Oppositionsparteien mehr Transparenz durch die Einrichtung eines verbindlichen Lobbyregisters beim Bundestag erreichen wollten, sieht ein für den Beitrag zu Rate gezogener Experte dies vor allem wegen der Pflicht zur Offenlegung der Finanzmittel der betroffenen Gruppen und Verbände kritisch. Die gleichfalls geforderte "legislative Fußspur", aus der hervorgehen soll, welchen Beitrag externe Berater, etwa Großkanzleien, an der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes besitzen, begegne demgegenüber keinen grundsätzlichen Bedenken.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 30. August 2013: Befangenheit in Den Haag – Privatisierungsbremse in Bremen – Geschlechtsspezifisches Schmerzensgeld . In: Legal Tribune Online, 30.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9463/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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