Am morgigen Dienstag beginnt die Verhandlung zum zweiten NPD-Verbotsverfahren. Außerdem in der Presseschau: Verzögerungen im 2. Strafsenat des BGH, LSG gegen BSG bei Sozialhilfe für EU-Bürger und Schweizer sagen "Nein" zu Zweiklassenjustiz.
Thema des Tages
BVerfG – NPD-Verbotsverfahren: Am morgigen Dienstag beginnt die, zunächst für drei Tage angesetzte, Verhandlung im NPD-Verbotsverfahren vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichts. Zu Beginn wird es um die "Staatsfreiheit" der Partei gehen und der Prozess könnte platzen, wenn die Verfassungsschützer nicht alle V-Mann-Kontakte offengelegt und beendet haben. Es wird auch um die Frage nach dem Prüfungsmaßstab gehen: die Menschenrechtskonvention verlangt besondere Verbotsgründe über das Verfolgen verfassungsfeindlicher Ziele hinaus. Die Partei hat bereits angekündigt, im Falle eines Verbots den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen zu wollen. Der Bundesrat will ein durch die Partei geschürtes "Klima der Angst" nachweisen. Von den NPD-Anwälten ist Verzögerungstaktik zu erwarten, nach dem 30. April hat der Senat einen Richter weniger, der im laufenden Prozess nicht ersetzt werden darf, was die Chance erhöht, die notwendigen sechs Stimmen für ein Verbot nicht zu erreichen. Es berichten Spiegel (Dietmar Hipp/Wolf Wiedmann-Schmidt), Samstags-FAZ (Helene Bubrowski), BadZ (Christian Rath) und FAS (Peter Carstens). Die BerlZ (Christian Bommarius) befasst sich damit, "was die NPD so gefährlich macht" und die Montags-taz (Konrad Litschko) porträtiert NPD-Anwalt Peter Richter sowie den für den Bundesrat auftretenden Rechtsprofessor Christoph Möllers, Montags-taz (Christian Rath).
Heribert Prantl (Samstags-SZ) begrüßt den erneuten Vorstoß zu einem Verbotsverfahren, Reinhard Müller (Montags-FAZ) sieht ihn kritisch und verweist darauf, dass es letztlich trotzdem auf die argumentative Bekämpfung der Ideologie ankomme.
Der Spiegel (Peter Maxwill) beschreibt die Geschichte vor dem ersten NPD-Verbotsverfahren beim Bundesverfassungsgericht geführten Parteiverbotsverfahren und die BadZ (Christian Rath) befasst sich mit dem gescheiterten ersten Verbotsverfahren gegen die NPD.
Rechtspolitik
Einziehung: Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine völlige Neuregelung der Einziehung von strafbar erlangten Vermögenswerten vor, mit deutlich vereinfachter Opferentschädigung. Die Einziehung soll vom Strafverfahren abgetrennt werden können und Vermögensabschöpfung soll auch nach Rechtskraft des Strafurteils möglich sein. Bei Terrorismus und organisierter Kriminalität soll außerdem durch Straftaten erlangtes Vermögen auch ohne konkrete Zuordnung zu einer Straftat eingezogen werden können. Das schreibt die Samstags-SZ (Robert Roßmann).
Asylpaket II vor UN-Ausschuss: Wie zeit.de (Sasan Abdi-Herrle) informiert, haben zwei Grünen-Mitglieder den UN-Kinderrechtsausschuss zur Prüfung der im Asylpaket II enthaltene Aussetzung des Familiennachzugs für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge angerufen, der nach ihrer Ansicht gegen sieben Artikel und zehn Paragrafen der 1989 verabschiedeten UN-Kinderrechtskonvention verstoße.
Schockbilder: Die Samstags-SZ (Wolfgang Janisch) zeigt auf, warum die neue Pflicht, Schockbilder auf "Rauchtabakerzeugnisse" zu drucken, nicht für E-Zigaretten gilt. Bei ihnen fehle es insbesondere an dem für die drastischen Schockbilder erforderlichen Nachweis von Risiken durch Langzeitstudien.
Justiz
OLG Frankfurt zu Verzögerung beim BGH: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat trotz Fluchtgefahr den Haftbefehl gegen einen mutmaßlichen Drogendealer aufgehoben, weil die Dauer der Untersuchungshaft nicht mehr verhältnismäßig war. Die Verfahrensverzögerung nach Eingang beim 2. Senat des Bundesgerichtshofs sei der Justiz zuzurechnen. Hohe Belastung führte der Senatsvorsitzende Thomas Fischer zur Begründung an, er habe aber trotz weit höherer Rückstände als bei anderen Strafsenaten keinen Überlastungsantrag gestellt, schreibt die FR (Ursula Knapp).
EuGH – Facebook-Datenschutz: Sind deutsche Datenschützer für die Prüfung des Datenschutzes auf Facebook zuständig und kann einem deutschen Unternehmen aufgrund der Nutzung einer Facebook-Fanpage eine Mitverantwortung für Verstöße gegen Datenschutzrecht durch Facebook vorgeworfen werden? Zu diesen Fragen soll sich auf Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts nun der Europäische Gerichtshof äußern, meldet lto.de.
BVerwG – "Idiotentest": Das Bundesverwaltungsgericht hat auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hin zu entscheiden, ob die Medizinisch-Psychologische Untersuchung zukünftig bereits bei Verurteilung wegen Alkoholfahrten mit nur 0,3 Promille angeordnet werden soll, schreibt der Spiegel (Guido Kleinhubbert). Eine Senkung von derzeit 1,6 Promille auf 1,1 befürworte auch der Verkehrsgerichtstag, darunter zu gehen sei jedoch lediglich Bereicherung der MPU-Beraterbranche.
BGH zu Boykottaufrufen: internet-law.de (Thomas Stadler) weist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes aus diesem Januar hin. Danach sei ein "Boykottaufruf regelmäßig dann von der Meinungsfreiheit gedeckt [...], wenn er nicht im eigenen wirtschaftlichen Interesse erfolgt, sondern in der Sorge um politische, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Belange der Allgemeinheit und damit also der Einwirkung auf die öffentliche Meinung dient".
BGH zu Befangenheit wegen Facebook-Post: Mit der Aufhebung eines Urteils durch den Bundesgerichtshof, weil der Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter zu Unrecht abgelehnt worden war, befasst sich nun auch blog.beck.de (Bernd von Heintschel-Heinegg). Der Spiegel (Bruno Schrep) führt ein Kurzinterview mit Rechtsanwalt Benjamin Tschau, der den für den Befangenheitsantrag maßgeblichen Facebook-Eintrag gefunden hatte.
LSG Mainz zu Sozialhilfe für EU-Bürger: Halten sich EU-Bürger ohne Aufenthaltsrecht oder lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland auf, haben sie keinen Anspruch auf Hartz VI-Leistungen. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat am 11. Februar in einer Eilentscheidung befunden, dass dann auch Sozialhilfeleistungen nach Sozialgesetzbuch XII verweigert werden dürfen, schreibt lto.de. Der Ansicht des Bundessozialgerichts, nach sechsmonatigem Aufenthalt sei das Ermessen zugunsten einer Leistungspflicht nach SGB XII auf Null reduziert, widersprach das LSG.
LG Hannover – Salzhemmendorf: Im Verfahren um den Brandanschlag auf eine bewohnte Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf wurde ein Gutachter zur Schuldfähigkeit der beiden mutmaßlichen Haupttäter gehört. Dem mutmaßlichen Werfer des Molotow-Cocktails bescheinigte er volle Steuerungsfähigkeit, sein mutmaßlicher Mittäter habe sich nicht gegen ihn durchsetzen können. Am heutigen Montag sollen die Plädoyers gehalten werden, berichtet spiegel.de (Wiebke Ramm).
LG Neubrandenburg – Auschwitz-Prozess: Am heutigen Montag beginnt ein weiterer Auschwitz-Prozess, dieser vor dem Landgericht Neubrandenburg. Der Angeklagte wurde für einen anderen Aufenthalt in Auschwitz bereits 1948 in Polen zu fast vier Jahren Haft verurteilt. Das Gericht bezweifelt seine Verhandlungsfähigkeit und will diese zunächst prüfen, die Staatsanwaltschaft hatte Verfahrenseröffnung durch das Oberlandesgericht erzwungen, berichtet die Montags-FAZ (Frank Pergande).
Auschwitz-Prozesse: Der Spiegel (Gisela Friedrichsen) befasst sich mit der Ansicht des seinerzeitigen Staatsanwalts Fritz Bauer, Auschwitz sei eine Tötungsmaschinerie und der Nachweis einer Tätigkeit in Auschwitz genüge als Nachweis der Beteiligung an den Tötungen. Die seinerzeit mit dem Verlangen nach individuellem Kausalitätsnachweis von der Justiz torpedierte Theorie sei nun aber, seit der Verurteilung Demjanjuks, Grundlage der neuen Bewertung der Geschehnisse in Auschwitz durch die deutsche Justiz geworden.
LG München – Jameda: Ärzte klagen regelmäßig gegen das Bewertungsportal Jameda und haben Verfahren um einzelne Bewertungen und die Löschpraxis vor dem Landgericht München bereits gewonnen. Nun will eine Ärztin ganz aus dem Portal gelöscht werden und das Gericht muss klären, ob das Portal unseriös arbeitet und, ob das ein Grund ist, sich der Bewertung zu entziehen, schreibt die FAS (Corinna Budras).
LG Braunschweig – Klagen gegen VW: Der für Sammelklagen gegen Unternehmen bekannte US-amerikanische Anwalt Michael D. Hausfeld bringt sich mit einer Niederlassung in Berlin auch in Deutschland in Stellung, um hier Ansprüche gegen VW wegen der Abgasaffäre gebündelt gelten zu machen, schreibt die WamS (Nikolaus Doll/Tina Kaiser).
AG Lüdinghausen zu "Gotteslästerung": Vor dem Hintergrund der jüngsten Verurteilung wegen Bekenntnisbeschimpfung spricht die BadZ (Michael Sauer) mit Privatdozent Philipp Reimer über § 166 Strafgesetzbuch.
StA Berlin – Lageso: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat, laut zeit.de nun Haftbefehl gegen den Referatsleiter am Lageso und den Chef einer Sicherheitsfirma beantragt, gegen die wegen mutmaßlicher Korruption bei der Vergabe von Aufträgen zum Betreiben von Flüchtlingsunterkünften ermittelt wird.
Ermittlungen wegen Cum-Ex-Deals: Nachdem in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass die BaFin von Banken Auskunft zu deren Beteiligung an sogenannten Cum-Ex-Deals verlangt, haben nun Staatsanwaltschaften angekündigt, diese Informationen von der BaFin einfordern zu wollen. Gegenüber den Ermittlern ist die BaFin nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet, so könnten sich Erkenntnisse für weitere Ermittlungsverfahren wegen der fragwürdigen Geschäfte ergeben, schreibt die Montags-SZ (Klaus Ott).
Geheimnisverrat oder Justizversagen?: Die Montags-taz (Kai Schlieter) befasst sich in einem ausführlichen Artikel mit dem Fall eines wegen Landesverrats zu sieben Jahren Haft verurteilten ehemaligen Mitarbeiter der Nato. Er soll für seine Bemühungen um besseren Geheimnisschutz bei der Nato verurteilt worden sein, von einer deutschen Justiz, die das "Staatsgeheimnis" nicht nur fragwürdig auslegte, sondern auch selbst mehr als fragwürdig mit Geheimnisschutz umging.
Veränderter Anwaltsberuf: Dass Algorithmen in naher Zukunft den Menschen im Anwaltsberuf ersetzen sei wohl nicht zu befürchten, schreibt die Samstags-FAZ (Joachim Jahn). Trotz der Veränderungen des Berufszweigs und steigender Anzahl von Anwälten, werde es Dank der fortschreitenden Verrechtlichung auch weiterhin genug zu tun geben.
Recht in der Welt
Schweiz – "Nein" zu Zweiklassenjustiz: Die Volksabstimmung mit der die Schweizerische Volkspartei die Einführung von Abschiebungen bei Bagatelldelikten und ohne richterliche Einzelfallprüfung in der Schweiz erreichen wollte, ist negativ ausgegangen, schreiben Montags-taz (Andreas Zumach), Montags-FAZ (Johannes Ritter) und Montags-Welt (Gerhard Lob).
Matthias Daum (zeit.de) und Charlotte Theile (Montags-SZ - ausführlicher auf sueddeutsche.de) verweisen auf die Gegenkampagne, die sich nicht scheute den Rechtspopulisten ebenso plakative Aussagen entgegen zu halten und eine Diskussion über Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung erreichte.
Italien – "Homo-Ehe": Der italienische Senat hat am vergangenen Donnerstagabend der Einführung einer "Zivilunion" als eheähnlicher Verbindung gleichgeschlechtlicher Paare zugestimmt. Wie die Samstags-taz (Michael Braun) erläutert, bestehe aber noch ein größerer Abstand: so fehlten Adoptionsrechte und eine "Blitzscheidung" wurde extra für die neue Union eingeführt. Das Abgeordnetenhaus muss noch zustimmen.
Türkei – Visafreie Einreise: Für den mit Öffnung des Schengenraums für die visafreie Einreise türkischer Staatsbürger einhergehenden Datenaustausch muss die Türkei unter anderem ein Datenschutzgesetz nach europäischen Standards erlassen. Nach dem bisherigen Gesetzentwurf sollen jedoch ausschließlich Regierungschef und Staatspräsident den behördlichen Zugriff auf die Daten überwachenden Gremiums bestimmen, schreibt die Montags-FAZ (Michael Martens).
Sonstiges
Flüchtlingskrise und Rechtsphilosophie: Gesellschaftliche Öffnung oder Abwehr von Flüchtlingen? Rechtsprofessor Uwe Volkmann setzt sich in der Montags-FAZ mit Argumenten in dieser Debatte vor rechtsphilosophischem Hintergrund auseinander und fragt, was der Umgang mit der Flüchtlingskrise über uns selbst aussagt. Am Ende stellt er die Frage, ob die eigentliche Herausforderung nicht vielleicht darin bestehe "eine Antwort darauf zu geben, was wir unserem Land zutrauen und wie wir es uns künftig vorstellen."
EU-Demokratiedefizit: Die Montags-SZ (Rolf Lamprecht) rezensiert das neue Buch des ehemaligen Verfassungsrichters Dieter Grimm "Europa ja – aber welches?". "Seine Einsichten lassen den Atem stocken – nicht, weil er sensationelle Neuigkeiten entdeckt, sondern weil er verblüffende Zusammenhänge herstellt, die so deutlich bisher keiner herausgearbeitet hat." Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs habe selbst einfaches Europarecht über nationales Verfassungsrecht erhoben und damit Rechtsetzung durch europäische Exekutive und Judikative ermöglicht.
Steuerhinterziehung: Im Interview mit der Samstags-Welt (Thomas Knellwolf/Mikael Krogerus) spricht der Steuerrechtsexperte Peter Lüthgen über Motive für Steuerhinterziehung, die Beratung bei Selbstanzeigen, Steuer-CDs, das Bankgeheimnis, die schwindende Wahrnehmung der Steuerhinterziehung als Kavaliersdelikt und fehlende Verantwortlichkeit für Steuerhinterziehung bei den Banken.
Steuer und Negativzinsen: Das Bundesfinanzministerium hat nach Absprache mit den Ländern verfügt, dass Negativzinsen, die Sparer ihrer Bank zahlen müssen, beim Finanzamt nicht als Verluste geltend gemacht werden können, meldet die Montags-FAZ (Joachim Jahn). Es handele sich um eine Art "Verwahr- und Einlagengebühr", nicht um Zinsen, welche nach dem Gesetz Zahlungen an den und nicht vom Sparer seien.
Datenschleuder Auto: Mit der datenschutzrechtlichen Brisanz der Informationserfassungssysteme in Autos und der Frage nach der Datenhoheit befassen sich der Rechtsanwalt Sascha Kremer und Rechtsprofessor Rolf Schwartmann auf lto.de.
Grenze zu: Der in der FAZ kürzlich von vier Juraprofessoren aufgestellten These, wonach Deutschlands Rechtsbruch in der Flüchtlingspolitik in einer Verletzung von Art. 20 Absatz 4 der Dublin-III-Verordnung zu finden sei, stellt sich der Habilitand Roman Lehner auf verfassungsblog.de entgegen.
Das Letzte zum Schluss
Justizminister und Schauspielerin: Für Klatsch und Tratsch um Bundesjustizminister Heiko Maas sorgt nun eine Beziehung zu Schauspielerin Natalia Wörner, die wohl nicht ganz platonisch ist, wie bild.de mehr als ausführlich zu berichten weiß.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/dc/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 27. bis 29. Februar 2016: NPD-Verbot, die Zweite / Verzögerung im Fischer-Senat / Nein zu Zweiklassenjustiz . In: Legal Tribune Online, 29.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18623/ (abgerufen am: 26.03.2024 )
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