Das Bundesverfassungsgericht äußert sich zu Telefontarifen hinter Gittern. Außerdem in der Presseschau: der Bundesgerichtshof klärt die Pflichten einer Badeaufsicht und das Bundesverwaltungsgericht weist Klagen gegen die Elbvertiefung ab.
Thema des Tages
BVerfG zu Resozialisierung: Die gegenüber Strafgefangenen in Rechnung gestellten Telefontarife dürfen nicht ohne Grund deutlich über jenen liegen, die in Freiheit verlangt werden. Die Verhältnisse sollten im Strafvollzug so weit wie möglich den allgemeinen Lebensverhältnissen angepasst sein. Die in einem schleswig-holsteinischen Gefängnis abgerechneten Tarife verstoßen nach diesen vom Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss vom 11. November klargestellten Grundsätzen gegen das Resozialisierungsgebot. Über die insoweit erfolgreiche Verfassungsbeschwerde eines Häftlings berichten lto.de, taz (Tobias Schulze) und lawblog.de (Udo Vetter). Auch wenn sich die Haftanstalt durch einen langfristigen Vertrag mit einem Telefonanbieter gebunden habe, müsse sichergestellt sein, dass die von den Häftlingen verlangten Entgelte marktgerecht seien.
Rechtspolitik
Minderheitsregierung: Rechtsprofessor Thorsten Kingreen kritisiert auf verfassungsblog.de die Vorstellung, der Bundespräsident müsse die verfahrenen Bemühungen der Regierungsbildung wieder in Gang bringen. Deutschland sei eine Republik ohne Bedarf an tatsächlichen oder Ersatz-Monarchen. Dementsprechend stehe das nun mal gewählte Parlament in der Pflicht, zu handeln.
Schwarzfahren: In die Debatte über eine Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung komme Bewegung, konstatiert die FAZ (Alexander Haneke). Es habe nun auch ein "gestandener Konservativer" wie der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach (CDU) unter Verweis auf die hohe Anzahl von Ersatzfreiheitsstrafen in seinem Bundesland eine Reform vorgeschlagen. Der Beitrag erläutert hiervon ausgehend den Unterschied zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht.
Produktpiraterie: Die EU-Kommission will Bezahldienstleister, Werber und Transportunternehmen durch freiwillige Vereinbarungen dazu bringen, verstärkt gegen den Handel mit gefälschten Produkten vorzugehen. Nach dem Bericht des Hbl (Till Hoppe) reichen diese am heutigen Mittwoch von einer Gruppe von Markenfirmen vorgestellten Pläne der Kommission nicht aus. In einem gemeinsamen Brief an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätten die Unternehmen unter anderem eine Überarbeitung der EU-Richtlinie für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums verlangt.
Justiz
EuGH zu Verkehrsunfall: Ob ein Verkehrsunfall mit der Folge der Regulierungspflicht einer Haftpflichtversicherung vorliege, hängt nach einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von der Benutzung des Fahrzeugs ab. Dieses müsse als Transportmittel und nicht, wie im entschiedenen Fall aus Spanien, als bloßes Arbeitsgerät genutzt werden, erläutert die FAZ (Hendrik Wieduwilt). Der Bundesgerichtshof habe den Betrieb eines Kraftfahrzeugs erst vor kurzem viel weiter gefasst.
BGH zu Badeaufsicht: Der Bundesgerichtshof hat die Schadensersatzklage einer nach einem Badeunfall schwerbehinderten jungen Frau zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. Das Grundsatzurteil kläre Pflichten des Badebetriebs, berichtet die SZ (Wolfgang Janisch). Auch wenn die lückenlose Beobachtung jedes Schwimmers unmöglich sei, müsse die fortlaufende und regelmäßige Überwachung gewährleistet sein. Zudem könnten sich Geschädigte bei grob fahrlässigen Pflichtverstößen von Bademeistern auf eine Beweislastumkehr berufen. Der Schadensersatzpflichtige müsse dann die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit der Pflichtverletzungen der Bademeister für Gesundheitsschäden des Badegastes tragen. Auch die FAZ (Marcus Jung) berichtet.*
BVerwG zu Elbvertiefung: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Klagen zweier Städte sowie von Berufsfischern gegen die geplante Elbvertiefung abgewiesen. Das öffentliche Interesse an der Bundeswasserstraße habe Vorrang gegenüber den von Cuxhaven und Otterndorf vorgebrachten Einwänden, schreibt die FAZ (Christian Müßgens) über die Entscheidung. Die Fischer müssten mögliche Nachteile hinnehmen, weil der Elbe vorrangig eine Verkehrsfunktion zukomme, zudem seien Entschädigungen möglich. Am 13. Dezember werde zu Klagen von Privatpersonen und Wasser- und Bodenverbänden verhandelt, spätestens gegen Ende des kommenden Jahres könnten die Arbeiten beginnen. Die taz (Christian Rath) berichtet ebenfalls.
OVG Münster zu Hambacher Tagebau: Das Oberverwaltungsgericht Münster hat die vom Energiekonzern RWE bereits begonnenen Rodungsarbeiten im Hambacher Forst vorläufig gestoppt. Die Anordnung gelte bis zu einer Entscheidung über eine Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln aus der vergangenen Woche, meldet sz.de.
LG Stuttgart zu Schlecker: Im Nachgang des Urteils gegen Anton Schlecker und seine Kinder geht die SZ (Annette Ramelsberger u.a.) vertieft auf mediale Selbstinszenierungen von Angeklagten in Wirtschaftsprozessen ein. Das Victory-Zeichen Josef Ackermanns vor dem Landgericht Düsseldorf steht dabei im Gegensatz zu Georg Funke, der das Strafjustizzentrum München stets zu Fuß aufgesucht habe. Nach Meldung der FAZ (Marcus Jung) haben die zu Gefängnisstrafen verurteilten Lars und Meike Schlecker Revision gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart eingelegt.
LG Hamburg – Cannabis-Samen: Vor dem Landgericht Hamburg muss sich eine Frau wegen gewerbsmäßigen Handels mit Betäubungsmitteln verantworten. Die Angeklagte hatte Cannabis-Samen verkauft, schreibt die taz-Nord (Marco Carini). Ihre Verteidigung habe nun beantragt, sowohl dem Bundesverfassungsgericht als auch dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob das angewendete Recht gegen europäische Bestimmungen verstoße. In fast allen EU-Ländern sei der Handel mit den Samen, wenn auch mit Einschränkungen, erlaubt.
LG Detmold zu Volksverhetzung: Das Landgericht Detmold hat die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Die Strafe gegen die hochbetagte Frau schließt sich an zahlreiche ähnliche Prozesse in den vergangenen Jahren an, schreibt zeit.de.
VG Berlin zu Weihnachtsmarkt: Der gegenüber dem Betreiber eines Weihnachtsmarktes angeordnete "Grundschutz gegen unbefugtes Befahren" des Geländes sei als Maßnahme der Terrorabwehr im Kern eine staatliche Aufgabe. Die Kosten hierfür könnten nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin also nicht dem Betreiber auferlegt werden, schreibt die FAZ (Hendrik Wieduwilt) im Wirtschaftsteil.
VG Hamburg zu G20: Nach einem gegenüber dem Verwaltungsgericht Hamburg erklärten Anerkenntnis der beklagten Polizei war die Festsetzung eines Reisebusses der Jugendorganisation "Die Falken" im Vorfeld der G20-Proteste rechtswidrig. Die obsiegende Klägerin werde aber dennoch mit den Verfahrenskosten belastet, so die taz-Nord. Nach einer Entschuldigung des Hamburger Innensenators für den Vorfall habe keine Veranlassung für die Klage bestanden.
AG Berlin-Tiergarten zu Kindesentziehung: Weil sie ihre Tochter gegen den Willen des allein sorgeberechtigten Vaters nach Thailand verbrachte, hat das Berliner Amtsgericht Tiergarten eine Frau zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Fall und Verhandlung werden von spiegel.de (Alexander Sarovic) vorgestellt.
*Text geändert durch die Redaktion am 29.11.2017, 9.30 Uhr.
Recht in der Welt
EGMR/Türkei – Journalisten: Suat Corlu, der Ehemann der in der Türkei inhaftierten Journalistin Mesale Tolu, ist aus der Haft entlassen worden. Das gegen ihn betriebene Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation laufe aber weiter, meldet zeit.de. Die Türkei habe zudem ihre Stellungnahme zur Beschwerde des Journalisten Deniz Yücel beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
USA/Türkei – Erdogan: Ab dem kommenden Montag muss sich der türkisch-iranische Goldhändler Reza Zarrab vor einem New Yorker Gericht wegen des Verstoßes gegen US-Sanktionen gegen den Iran verantworten. Mögliche Aussagen befürchte vor allem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, schreibt spiegel.de (Maximilian Popp). Der Angeklagte habe vor seiner Festsetzung regen Kontakt zur Familie des Präsidenten gepflegt.
Israel – Ermittlungsergebnisse: Die israelische Knesset hat in erster Lesung ein Gesetz verabschiedet, das es Polizei und Staatsanwaltschaft verbietet, abgeschlossene Ermittlungsergebnisse vor Erhebung einer Anklage zu veröffentlichen. Kritiker sprächen von einem "Netanjahu-Gesetz", schreibt die FAZ (Jochen Stahnke). Gegen den Ministerpräsident wird zur Zeit in mehreren Korruptionsfällen ermittelt.
Juristische Ausbildung
Mooting: Die studentischen Mitarbeiter Fabian Eichberger und Magdalena Göbel werben auf juwiss.de dafür, Mooting, die Teilnahme an sogenannten Moot Courts, in die universitäre Ausbildung von Juristen zu integrieren.
Sonstiges
Asylrecht: Einen ausführlichen Überblick zu Fakten des Asylrechts gibt lto.de (Tanja Podolski).
EZB-Mandat: Die Europäische Zentralbank verstößt mit ihren jüngst veröffentlichten Leitlinien zum Umgang mit sogenannten faulen Krediten gegen ihr Mandat. Zu dieser Einschätzung gelangt ein im Auftrag des Europäischen Rats erstelltes Rechtsgutachten, über das die FAZ (Philipp Plickert) berichtet.
Das Letzte zum Schluss
Identifizierung leicht gemacht: Ein Ausbrecher aus einer kalifornischen Haftanstalt dürfte sich nach der Prognose von bild.de nicht allzu lang seiner Freiheit erfreuen. Der Häftlich hat sich nämlich ein Tattoo, das einen Totenschädel nachempfindet, stechen lassen – im Gesicht.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 29. November 2017: Resozialisierung übers Telefon / BGH zu Badeaufsicht / Freie Fahrt für Elbvertiefung . In: Legal Tribune Online, 29.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25735/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag