Die juristische Presseschau vom 29. November 2016: His­to­ri­sches NS-Urteil / Kopf­tuch für Erzie­herin / Anzeige gegen Assad

29.11.2016

BGH schreibt Rechtsgeschichte: Strafbarkeit der Mitwirkung an Massenverbrechen im Fall Gröning. Außerdem in der Presseschau: Das Kopftuch der Erzieherin, Anzeige gegen Assad und Nebentätigkeiten von BGH-Richtern

Thema des Tages

BGH zu Schuldspruch gegen Gröning: Der Bundesgerichtshof hat in einem nun veröffentlichten Beschluss die Revision im Fall Oskar Gröning verworfen und damit den Schuldspruch gegen ihn bestätigt. Damit ist erstmals höchstrichterlich entschieden, dass sich SS-Angehörige, die in einem KZ organisatorisch am arbeitsteilig organisierten Massenmord beteiligt waren, der Beihilfe zum Mord schuldig gemacht haben. Der Verurteilte hat mit seiner Tätigkeit als Buchhalter im KZ Auschwitz sowie als Aufpasser an der Rampe den Betrieb des Massenmordes ermöglicht. Das Landgericht Lüneburg hatte Gröning wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen zu vier Jahren Haft verurteilt. In Revision gingen sowohl der Verurteilte sowie die Nebenkläger, die eine Bestrafung wegen Mittäterschaft anstrebten. Die Staatsanwaltschaft werde nun prüfen, ob Gröning haftfähig ist, wird gemeldet. Die taz (Christian Rath) schreibt ausführlich über die Entscheidung und betont, der BGH habe nur allgemeine Grundsätze angewendet. Auch die FAZ (Alexander Haneke) bringt einen ausführlichen Bericht. In einem Artikel fasst die SZ (Wolfgang Janisch) die Entscheidung zusammen. In einem weiteren beschreibt die SZ (Robert Probst), warum die Rechtsprechung hier bislang keine Beihilfe angenommen habe und wie sich dies wendete. Auch lto.de (Marcel Schneider) berichtet.

Nach Wolfgang Janisch (SZ) habe der BGH endlich richtig auf eine zentrale Frage der deutschen Geschichte geantwortet und damit Rechtsgeschichte geschrieben. "Der BGH brandmarkt damit das bewusste Unterlassen der bundesdeutschen Justiz (...)" – und trage auch eigene Schuld ab, da auch Karlsruhe versäumt habe, die Rädchen im Getriebe zu ahnden. Klaus Hillenbrand (taz) spricht von einem "Meilenstein in der Geschichte der Strafverfolgung von Nazitätern", der allerdings Jahrzehnte zu spät komme. Die nun wohl folgenden Prozesse hätten strafrechtlich wenig Relevanz, dafür umso mehr symbolische Bedeutung. Er dankt dem BGH für "reichlich verspätete Gerechtigkeit". Gigi Deppe (swr.de) konstatiert: "Ganz offensichtlich ist in der Justiz die Erkenntnis gewachsen." Für die deutsche Gesellschaft sei es allerdings sehr beschämend, dass die Justiz viele Beteiligte des Völkermords nicht belangt hat. Jetzt gebe "es immerhin letzte Versuche, die Dinge gerade zu rücken". Ein "bitteres Gefühl" bleibe.

Im Gespräch mit der taz (Klaus Hillenbrand) schildert Jens Rommel, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltung zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, was das Urteil für die Ermittlungen bedeutet.

Rechtspolitik

Videoüberwachung: Der Deutsche Anwaltverein kritisiert die Pläne von Innenminister de Maizière (CDU), die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen zur Terrorbekämpfung ausweiten zu wollen: Es sei fraglich, ob mehr Überwachung mehr Sicherheit bringe. Body-Cams von Polizisten seien zudem verfassungsrechtlich fragwürdig, meldet die FAZ.

Maas' Gesetzesvorhaben: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) will den legalen Zugang zu Waffen verschärfen. Er denkt etwa daran, vor dem Erstellen eines Waffenscheins eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz einzuführen. Anlass seines Vorbringens sei die steigende Gewaltbereitschaft der sogenannten Reichsbürger, meldet spiegel.de. Der innenpolitische Sprecher der Union Stephan Mayer (CSU) warnt vor einem Generalverdacht.

Laut taz (Valerie Höhne) will Heiko Maas im Rahmen des angekündigten Sicherheitspakets zudem Angriffe auf Polizisten stärker ahnden. Dafür wolle er noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen. Strafrechtsprofessor Tobias Singelnstein moniert, das Strafrecht decke entsprechende Taten bereits ab. Das Gesetz könne daher ein "Schritt der Eskalation" sein und sich auf friedliche Demonstranten auswirken.

Jost Müller-Neuhof (Tsp) umreißt nach Maas' "Meldungs-Stakkato", warum der Justizminister mit seiner zunehmend polarisierenden und populistisch geführten Politik Gefahr laufe, Probleme zu verschärfen, statt sie zu lösen.

Unterhaltsreform: Länder, Kommunen und die Union wehren sich gegen die Reform des Unterhaltsrechts, derzufolge Alleinerziehende ab 1. Januar 2017 bis zum 18. Lebensjahr ihrer Kinder Unterhaltsvorschuss beanspruchen könnten. Die Kommunalverwaltungen bräuchten mehr Zeit, um zu organisieren, wie sie den damit einhergehenden Mehraufwand bewältigten. Zudem brauche es eine Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern, meldet die SZ (Constanze von Bullion).

Verschärfung der Abschiebung: Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) will die Abschieberegelungen für Menschen ohne Schutzstatus verschärfen. Sein Entwurf für die Innenministerkonferenz sieht etwa vor, Gründe für die Abschiebehaft auszuweiten, Sozialleistungen zu kürzen und ein Rückführungszentrum in Ägypten zu errichten. Seine weiteren Vorschläge und Kritik daran sammelt zeit.de.

Donata Riedel (Hbl) meint, Thomas Strobl könne seine Forderung "vor dem Badezimmerspiegel an sich selbst richten" und solle lieber die Polizei aufstocken, um Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender zu gewährleisten. Die Sozialhilfe entspreche ohnehin schon dem Existenzminimum, Abschiebelager in Ägypten seien wegen der menschenrechtlichen Lage dort in absehbarer Zeit nicht möglich. Auch die taz (Benno Stieber) kritisiert das Vorhaben: Es schwanke zwischen "juristischen Selbstverständlichkeiten und verfassungsrechtlich fragwürdigen Vorschlägen".

Mehr Abgeordnete im Bundestag: Für 2017 rechnet das Meinungsforschungsinstitut INSA mit 698 Abgeordneten im Bundestag. focus.de (Verena Mengel) resümiert das Forschungsergebnis und verschiedene Vorschläge, wie die Anzahl der Mandate reduziert werden könnte.

Grundsteuer: Der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Bernhard Daldrup erklärt in einem FAZ-Gastbeitrag, warum die derzeitige Grundsteuer nicht nur ungerecht, sondern auch verfassungswidrig sei. Es bestehe Handlungsdruck, da die Einnahmen aus der Grundsteuer die wichtigsten für die Kommunen seien und das Bundesverfassungsgericht die Steuer kippen könnte.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. November 2016: Historisches NS-Urteil / Kopftuch für Erzieherin / Anzeige gegen Assad . In: Legal Tribune Online, 29.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21260/ (abgerufen am: 20.04.2024 )

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