Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2012: EuGH zu Anlegerrechten - "Operation Reißwolf" beim Verfassungsschutz - Nazi-Datei kommt

29.06.2012

Der EuGH hat über Informationspflichten börsennotierter Unternehmen entschieden. Außerdem in der Presseschau: Die Vorberichterstattung zur heutigen Abstimmung über den Fiskalpakt, Aktenvernichtung beim Verfassungsschutz, Stefan Mappus in Bedrängnis, US-Gesundheitsreform und wann sich Strafkammern überschätzen.

EuGH zu Ad-Hoc-Publizität: Der Europäische Gerichtshof hat über zwei Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs zu Ad-hoc-Mitteilungen in laufenden Entscheidungsprozessen von börsennotierten Unternehmen entschieden. Für lto.de befasst sich der Strafrechtsprofessor Christian Schröder mit dem Fall, dem das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden von Daimler Chrysler Jürgen Schrempp zugrunde liegt.

"Kursrelevante Personalentscheidungen" müssten laut EuGH, so die SZ (Hannah Wilhelm), bereits während des laufenden Entscheidungsprozesses bekannt gegeben werden; solche "Zwischenschritte" könnten Insiderinformationen darstellen. Geklagt hatten ehemalige Daimler-Aktionäre, die vor Bekanntwerden der Personalentscheidung ihre Anteile verkauft hatten. Der Kurs war mit der Ankündigung erheblich gestiegen.

Die FTD fürchtet in ihrem Leitartikel, das Urteil könne sich als Scheinsieg erweisen und vielmehr zu Intransparenz und Rechtsunsicherheit auf beiden Seiten führen. Es sei nicht klar, welche Zwischenschritte wann veröffentlichungspflichtig seien. Auch werde vermutlich verstärkt von vorhandenen Befreiungsregelungen Gebrauch gemacht werden.

Weitere Themen – Rechtspolitik

Rechtsextremismus-Datei: Der Bundestag hat gestern den Gesetzentwurf zur Einführung einer Rechtsextremismus-Datei für Polizei und Verfassungsschutz gebilligt, berichtet die taz (Christian Rath) und erklärt, welche Daten über "gewaltbezogene" Rechte und ihre Kontaktpersonen enthalten sind.

Beschneidung im säkularisierten Staat: Der säkulare Staat lebe nicht nur von Voraussetzungen, die er nicht garantieren könne, sondern auch von solchen, die er womöglich gar nicht garantieren dürfe – so Georg Paul Hefty (FAZ) anlässlich der Diskussionen um das Verbot religiöser Beschneidungen bei Jungen. Die Werteentscheidung des Staates habe hier Vorrang vor denen einer Glaubensgemeinschaft. Eine Legitimation über das elterliche Erziehungsrecht scheide aus, dies sei "auf den Schutz des Kindes gerichtet".

Unterrichtungspflichten der Bundesregierung: Anlässlich der heutigen Abstimmung über den Vertrag zur Euro-Rettung beleuchtet Rechtsprofessor Sebastian Müller-Franken im Wirtschafts-Forum der SZ die Unterrichtungspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Gesetzgeber und inwieweit sie diesen hier nicht nachgekommen sei. Das Grundgesetz wolle, dass die Abgeordneten wüssten, was sie tun.

Fiskalpakt-Inhalte: Die "wichtigsten Fragen und Antworten" zum Inhalt des Fiskalvertrages erläutert die FAZ (Manfred Schäfers) im Wirtschaftsteil.

Open Government in Hamburg: Das Informationsfreiheitsgesetz wird von einem neuen Hamburger Transparenzgesetz abgelöst, berichtet die FAZ (Frank Pergande). Das Gesetz sei in der Bürgerschaft besonders schnell beschlossen worden, um einem möglichen Volksentscheid über ein weitergehendes Transparenzgesetz vorzukommen.

Wahl Kommissionspräsident: Mit der Idee, den EU-Kommissionspräsidenten künftig über die Wahlen zum EU-Parlament zu bestimmen, und ob dies nicht auch wegen Art. 23 Abs. 1 GG geboten sei, befasst sich Max Steinbeis (verfassungsblog.de).

Weitere Themen – Justiz

Stefan Mappus: Nach einem Bericht des Handelsblattes (J. Flauger/S. Iwersen/ J. Keuchel) steht dem ehemaligen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs Stefan Mappus möglicherweise doch noch ein Strafverfahren wegen Untreue im Zusammenhang mit dem EnBW-Kauf bevor. Ein Bericht des Landesrechnungshofes gebe dafür Anlass, nachdem die Sache bereits im Februar von der Staatsanwaltschaft "zu den Akten gelegt wurde".

Verfassungsklagen gegen Fiskalpakt: Die Beschwerden über die Verfassungswidrigkeit von ESM und Fiskalvertrag, die in den 12.000 Verfassungsbeschwerden, den zwei Organklagen und den jeweiligen Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz, die aller Voraussicht nach heute beim Bundesverfassungsgericht eingereicht werden, vorgebracht werden, analysiert für die SZ in ihrem Tagesthema Heribert Prantl. Alle Klagen "kulminierten in der Feststellung", "die verfassungsgebende Gewalt des Volkes" sei gefordert.

Separat setzt sich Prantl speziell mit der Organklage und der Verfassungsbeschwerde von Peter Gauweiler auseinander, der wieder vom Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek vertreten werde.

BGH zu Pflichten der Post gegenüber der NPD: Gestern verhandelte der Bundesgerichtshof über die Frage, ob die Post verpflichtet sei, das Fraktionsblatt der Sachsen-NPD auszutragen. Die SZ (Wolfgang Janisch) erläutert die juristisch relevante Frage zur Grenze der Vertragsfreiheit der Post: Gehört diese Zustellung zu den Post-"Universaldienstleistungen"? Auf den politischen Inhalt käme es für die Entscheidung nicht an.

EGMR zu Entschädigung für Sicherungsverwahrte: Knapp meldet die SZ, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Deutschland erneut wegen der rechtswidrigen nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung zu einer Schadenersatzzahlung in Höhe von 12.000 Euro an einen Häftling verurteilt hat.

BGH zum Pflichtteilsrecht: Ob der Enkelin eines Erblassers ein Pflichtteil zusteht, wenn ein näherer Abkömmling auf seinen Pflichtteil verzichtet hat, aber dennoch im Testament bedacht wird, darüber hatte der Bundesgerichtshof zu entscheiden. Alexander Knauss für lto.de kommentiert das Urteil.

BVerwG zu Jagdsteuer: Mit zwei Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass zwar Jagdgenossenschaften, nicht jedoch Gemeinden, die das Jagdrecht selbst ausüben, zur Jagdsteuer herangezogen werden können. Dies meldet lto.de.

ArbG Heilbronn zu Schlecker-Kündigung: Auf dem Blog Arbeitsrecht Chemnitz (RA Fehlberg) ist zu erfahren, dass das Arbeitsgericht Heilbronn die Kündigung einer Schlecker-Mitarbeiterin durch den Insolvenzverwalter wegen einer "grob fehlerhaften Sozialauswahl" für unwirksam erklärt habe.

VG Bayreuth zu Homo-Verfolgung im Iran: Das Verwaltungsgericht Bayreuth habe den Widerspruch gegen einen abgelehnten Asylantrag einer Iranerin, die wegen ihrer Homosexualität geflüchtet sei, abgelehnt. Das Urteil, so die Welt (Silke Mülherr), führe aus, bei einem "zurückhaltenden Lebenswandel", sei eine Verhaftung im Iran nicht zu befürchten. Eine Gefahr für ihre Person habe sie nicht glaubhaft machen können.

SG Düsseldorf zur elektronischen Gesundheitskarte: Wie die FR meldet, ist ein Musterverfahren gegen die elektronische Gesundheitskarte vor dem Sozialgericht Düsseldorf gescheitert, das keine (verfassungs-)rechtlichen Bedenken gegen die Einführung der Karte gehabt hat.

Aktenvernichter Verfassungsschutz: Über die im Untersuchungsausschuss des Bundestags bekannt gewordene Aktenvernichtung am 11. November 2011 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz im Zusammenhang mit den Ermittlungen um die Zwickauer Terrorzelle berichtet die SZ (Susanne Höll/Tanjev Schultz).

Die taz (Wolf Schmidt) widmet der "Operation Reißwolf" ihr Tagesthema. Besonders brisant sei der Zeitpunkt der Vernichtung von sieben Aktenordnern: Genau am 11. November war die Existenz des NSU bekannt geworden.

"Gericht promoviert Querdenker": Unter diesem Titel berichtet die taz (Benno Schirrmeister) über den Atomkraftgegner Holger Strohm, dem die Uni Bremen erst nach Verurteilung durch das Verwaltungsgericht Bremen bestätigt habe, dass sein Promotionsverfahren seit 2007 erfolgreich abgeschlossen sei und er sich nach dem Nachweis der Publikation seiner Arbeit in den Erziehungswissenschaft "Doktor" nennen dürfe.

Keine Jagd beim Vegetarier: Mit dem Erfolg des "vegetarischen Waldbesitzers" vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, keine Jagd auf seinem Grundstück in Baden-Württemberg dulden zu müssen, befasst sich telepolis (Peter Mühlbauer).

Reemtsma-Enführer weiter in Haft: Die Revision von Thomas Drach, dem Reemtsma-Entführer, gegen seine Verurteilung wegen versuchter Anstiftung zur räuberischen Erpressung blieb vor dem Bundesgerichtshof erfolglos. Damit bleibt er weiter in Haft, meldet spiegel.de.

Weitere Themen – Recht in der Welt

USA-Gesundheitsreform: Wie die taz (Dorothea Hahn) berichtet, konnte die Gesundheitsreform vor dem US-Supreme Court mit fünf zu vier Stimmen bestehen. Die Reform verpflichte alle Bürger zum Abschluss einer Krankenversicherung oder Zahlung einer "Strafe".

Diese sei, da sie als eine "Steuer" eingestuft werden könne, auch verfassungskonform, so telepolis (Florian Rötzer), die die Entscheidung verlinken.

Die SZ (Reymer Klüver) erläutert das "komplizierte Urteil", das den Versicherungszwang nur "durch die Hintertür" erlaube.

Das Letzte zum Schluss

"Man kann nicht alles wissen": Auf dem Strafrecht.Online Blog (Defleff Burhoff) findet sich ein knapper Bericht zur gelegentlichen Selbstüberschätzung von Strafkammern bei der Ablehnung von Anträgen auf Einholung von Sachverständigengutachten.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/dc

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 29. Juni 2012: EuGH zu Anlegerrechten - "Operation Reißwolf" beim Verfassungsschutz - Nazi-Datei kommt . In: Legal Tribune Online, 29.06.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6497/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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