Die juristische Presseschau vom 28. Oktober 2020: Lock­down 2.0? / BRAK gegen Legal Tech / Ver­scho­bener CDU-Par­teitag

28.10.2020

Ob der Lockdown kommt oder nicht, sicher folgen gerichtliche Auseinandersetzungen über die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen. Das BRAK-Präsidium positioniert sich gegen Legal Tech-Unternehmen und Rechtliches zur Verschiebung eines Parteitages.

Thema des Tages

Corona-Beschränkungen: Bei einer neuerlichen Videokonferenz beraten Bundeskanzlerin und Ministerpräsidenten am heutigen Mittwoch über neue Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung des Coronavirus. Dabei darf als sicher gelten, dass Entscheidungen einer gerichtlichen Nachprüfung standhalten müssen, wobei "der Wind vor Gericht rauer geworden" ist, wie die SZ (Wolfgang Janisch) schreibt. Anders noch als im Frühjahr seien Übertragungswege bekannt, dementsprechend würden "pauschale Behauptungen" zu Infektionsrisiken nicht mehr akzeptiert, wie bei den reihenweise kassierten Beherbergungsverboten zu sehen gewesen sei. Betroffene Branchen fordern bereits Entschädigungen, berichtet die FAZ (Corinna Budras/Julia Löhr). Vor einer weitgehenden Schließung derartiger Betriebe müsste festgestellt werden, dass erarbeitete Hygienekonzepte versagt hätten. Die in der anstehenden Sitzung von den Ländern vertretenen Positionen skizziert zeit.de.

Julia Löhr (FAZ) macht eine Änderung im "Tonfall zwischen Wirtschaft und Politik" aus, "wie in der Gesellschaft insgesamt", werde er "rauer". Dabei müsse klar sein, dass die Politik nicht jeden durch das Virus entstehenden Schaden ersetzen könne. Sie müsse dafür Maßnahmen besonders gut begründen. Betriebsschließungen mit dem vorrangigen Zweck, der Bevölkerung den Ernst der Lage vor Augen zu führen, reichten nicht aus.

Rechtspolitik

Patentrecht: Rechtsanwältin Julia Schönbohm macht im Recht und Steuern-Teil der FAZ auf den am heutigen Mittwoch im Bundeskabinett zu behandelnden Gesetzentwurf zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts aufmerksam. Der vorliegende Entwurf sei "fast revolutionär", weil er den bisher gültigen "Automatismus" beende, mit dem Gerichte Unternehmen im Fall einer Patentverletzung zur Unterlassung verurteilten. Nach der Neufassung sei ein Unterlassungsanspruch ausgeschlossen, soweit dieser im Einzelfall für den Verletzer oder Dritte zu unverhältnismäßigen und nicht zu rechtfertigenden Nachteilen führen würde. Eine derartige Lösung entspreche der heutigen Praxis hochkomplexer Fertigungsprozesse und könnte dazu beitragen, "Deutschland als Produktionsstandort zu erhalten".

Weinrecht: Das deutsche Weinrecht steht vor einschneidenden Neuerungen. Die vom Bundeskabinett geplante Änderung des Weingesetzes sehe "vor allem eine umfassende Neuordnung der Qualitätsbezeichnungen für Weine vor", schreibt swr.de (Felix Schwinn).

Unabhängigkeit von Staatsanwälten: Thüringen will über eine Bundesratsinitiative die Unabhängigkeit von Staatsanwälten stärken. Zu diesem Zweck solle das Weisungsrecht von Justizministern auf klar definierte Ausnahmefälle begrenzt werden, so LTO über die Ankündigung. Ein Entwurf solle dem Bundesrat am 6. November präsentiert werden.

BauGB: In der ursprünglich geplanten Fassung soll die geplante Novelle des Baugesetzbuches dem Bundeskabinett in der nächsten Woche vorgelegt werden. Bundesbauminister Horst Seehofer (CSU) hatte vor wenigen Wochen angekündigt, den umstrittenen Umwandlungsvorbehalt und das Baugebot bei unbebauten Grundstücken streichen zu wollen, schreibt die Welt (Michael Fabricius).

Justiz

EuGH – Lufthansa: Nach Einschätzung des Generalanwalts dürften die von der Lufthansa im Streit um Beihilfen für den Flughafen Hahn vorgebrachten Rechtsmittel unzulässig sein. Die Airline könne wegen der beanstandeten Zahlungen wie auch schon am Gericht der Europäischen Union keine individuelle Betroffenheit geltend machen, so LTO zum Schlussantrag.

OLG Frankfurt/M. – Mord an Walter Lübcke: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat mitgeteilt, sein Urteil im Verfahren zur Tötung Walter Lübckes am 1. Dezember verkünden zu wollen. Bis dahin seien acht weitere Verhandlungstage geplant, schreibt die FAZ (Marlene Grunert). Bei diesen stünde der mutmaßliche Messerangriff Stephan E.s auf einen irakischen Flüchtling im Mittelpunkt. Daneben solle ein früherer Kollege des Hauptangeklagten erneut zu dessen Verbindungen zum anderen Markus H. vernommen werden. Ferner sei am Rande des Verfahrens bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Kassel ein Ermittlungsverfahren gegen E.s entpflichteten Verteidiger Frank Hanning wegen des Verdachts der Anstiftung zur falschen Verdächtigung eröffnet hat. spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet ausführlich zur Vernehmung eines Kriminalhauptkommissars, der die Funde der polizeilichen Durchsuchungen der Wohnungen der Angeklagten beschrieb.

OVG NRW und VG Osnabrück zu Corona-Sperrstunden: Während das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die im Land verfügte Sperrstunde für Lokale in Risikogebieten für rechtmäßig erklärt hat, entsprach das Verwaltungsgericht Osnabrück dem Eilantrag eines Gaststättenbetreibers gegen die in Niedersachsen verfügte Sperrstunde. Nach Ansicht des Osnabrücker Gerichts fehle es der beanstandeten Anordnung an der nach der Generalklausel des § 28 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz notwendigen Erforderlichkeit. LTO berichtet.

LG Dortmund zu Schienenkartell: Ende September sprach das Landgericht Dortmund einem ÖPNV-Träger als Geschädigtem eines Schienenkartells einen prozentual pauschalierten Schadensersatz zu. Ob sich die ungewöhnliche Vorgehensweise des Gerichts – das auf die Bestellung eines gerichtlichen Sachverständigen zur Ermittlung des kartellbedingt entstandenen Schadens verzichtete – durchsetzt, bleibt nach Einschätzung der Rechtsanwälte Marcel Nuys und Florian Huerkamp auf LTO abzuwarten. Das ordnungsbehördlich festgestellte Schienenkartell betraf Kundenschutzabsprachen und habe damit den Verweis auf bereits ermittelte wesentliche Aspekte des Sachverhalts erleichtert. Zudem hätten die Beteiligten in ihren AGB einen pauschalierten Schadensersatz vorgesehen.

LG Paderborn zu Abiball/Corona: "Wohl erstmals für ein deutsches Gericht" ist die Corona-Pandemie vom Landgericht Paderborn als ein Ereignis höherer Gewalt anerkannt worden, schreibt Rechtsprofessor Thomas Riehm auf community.beck.de in einer Meldung zu einem Urteil von Ende September. In diesem ist eine Veranstaltungsagentur zur Rückerstattung der Anzahlung für einen coronabedingt ausgefallenen Abiball verurteilt worden.

LG Berlin zu "Keinohrhasen"-Einnahmen: Die Produktionsfirmen der Filme "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken" müssen der Drehbuchautorin Anika Decker Auskunft über die durch die Filme erzielten Einkünfte erteilen. Nach Einschätzung des Landgerichts Berlin bestünden Anhaltspunkte für einen möglichen Anspruch auf Nachvergütung wegen des überdurchschnittlichen Erfolgs beider Filme, schreibt u.a. die SZ (Julia Bergmann). Die Anspruchsgrundlage, der sogenannte Fairnessparagraf des Urheberrechtsgesetzes, wird auch von LTO beschrieben.

LG Potsdam – Horst Mahler: Über mögliche Auflagen gegenüber dem nun haftentlassenen Horst Mahler hat das Landgericht Potsdam noch nicht entschieden. Zunächst müsse über einen von Mahler gestellten Befangenheitsantrag befunden werden, schreibt die taz (Konrad Litschko). zeit.de berichtet, dass die Staatsanwaltschaft Cottbus wegen des Verdachts der Volksverhetzung eine erneute Anklage gegen den früheren Anwalt erhoben und auch gleichzeitig einen Haftbefehl beantragt hat.

AG Berlin-Tiergarten – Unfall mit Streifenwagen: Wegen fahrlässiger Tötung ist ein Berliner Hauptkommissar vor dem Amtsgericht Tiergarten angeklagt. Ein von ihm gelenkter Einsatzwagen war im Januar 2018 mit einem Kleinwagen zusammengestoßen, dessen 21-jährige Fahrerin verstarb. In einer von der Verteidigung verlesenen Erklärung habe der Angeklagte mitgeteilt, dass ihm das Geschehen "sehr, sehr leid" tue, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm).

Recht in der Welt

USA – Bader Ginsburg-Nachfolge: Über die Ernennung von Amy Coney Barrett zur neuen Richterin am Obersten Gericht der USA berichtet nun auch LTO vertieft. Die FAZ (Majid Sattar) bemerkt, dass die Bestätigung der Richterin im Senat zum ersten Mal seit 151 Jahren ohne eine Stimme der Minderheitspartei erfolgte. 

Für Andreas Ross (FAZ) bietet die Ernennung Coney Barretts sowie von rund 200 aller etwa 800 Bundesrichter im Land den Republikanern eine ausreichende Entschädigung für eine mögliche Wahlniederlage in der nächsten Woche. Ihre bedingungslose Unterstützung für "die mutwillige Spaltungspolitik von Trump" habe aber "Institutionen, die Kompromisse finden oder wenigstens eine respektvolle Koexistenz organisieren" nachhaltig beschädigt.

Thailand – König: Die Protestbewegung in Thailand versucht, deutsche Behörden auf mögliche Rechtsbrüche des Königs Maha Vajiralongkorn aufmerksam zu machen. Wie spiegel.de (Katrin Kuntz) schreibt, verbringt der Monarch einen Großteil seiner Zeit in Bayern. Es werde vermutet, dass er von dort verfassungswidrig Staatsgeschäfte ausübe.

Juristische Ausbildung

Referendariat: Der juristische Vorbereitungsdienst steht vor erheblichen Veränderungen. Wie LTO (Markus Sehl) berichtet, wird im Bundesjustizministerium derzeit eine Änderung des Deutschen Richtergesetzes erarbeitet, nach der das Referendariat auch in Teilzeit absolviert und Examensklausuren am Rechner geschrieben werden können. Die auf Landesebene erforderlichen gesetzlichen Umsetzungen seien in Berlin besonders weit fortgeschritten: Ein vom Senat beschlossener Änderungsvorschlag sehe das sogenannte E-Examen bereits vor und regele auch die Nichtaufnahme straffälliger Kandidaten neu.

Sonstiges

Legal Tech: Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) sieht "Kernwerte der Anwaltschaft" gefährdet, falls Legal Tech-Unternehmen zu viel Einfluss auf dem Rechtsmarkt gewinnen. Daher würden jegliche Lockerungen des grundsätzlichen Verbots von Erfolgshonoraren sowie der Beteiligung von Fremdkapital abgelehnt, so ein Positionspapier des Präsidiums der BRAK, über das LTO (Hasso Suliak) berichtet. Zwar könne die Digitalisierung von Prozessen sinnvoll sein, sie dürfe aber keinesfalls dazu führen, "das Wohl des Anwalts als Unternehmer über die Rechtsdurchsetzung im Interesse des Mandanten" zu stellen. Die im Beitrag zu Wort kommenden Berufsrechtler zeigen mehrheitlich wenig Verständnis für die harte Linie des BRAK-Präsidiums.

CDU-Parteitag: Dem Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz, Friedrich Merz, unterstellt die SZ (Nico Fried/Robert Roßmann) wegen seiner Kritik an der Verschiebung des Parteitages Rechtsunkenntnis. Tatsächlich sei im Gesetz zur Bekämpfung von Auswirkungen der Corona-Pandemie vom 27. März auch das Vereinsrecht dahingehend geändert worden, dass Vorstände auch nach Ablauf ihrer Amtszeit im Amt bleiben könnten. Nach einer gesetzgeberischen Klarstellung im Oktober gelte dies auch für Parteien. Auch die FAZ (Reinhard Müller) macht in einer Analyse auf diese Bestimmung aufmerksam und erwähnt im Weiteren eine Stellungnahme des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2011, nach der das Parteiengesetz einen Parteitag nicht zwingend als Zusammenkommen körperlich Anwesender beschreibe. Gleichwohl seien Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlcomputern und zur Briefwahl beachtlich, in denen die Nachvollziehbarkeit des Wahlergebnisses und das Leitbild der Urnenwahl betont worden seien.

In einem Gastbeitrag für die FAZ kritisiert der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Entscheidung für die Verschiebung als möglichen Fehler der CDU und "nicht im Sinne einer stabilen und krisenfesten demokratischen Ordnung". Angesichts der Dauer der Pandemie gelte es, "die Grundfesten der Ordnung in Betrieb zu halten".

Strafzwecke: In einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hat die Bundesregierung mitgeteilt, nicht zu wissen, ob die 2017 erfolgte Anhebung der Strafrahmen beim Wohnungseinbruch und beim tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte eine Auswirkung "auf die Prävention" dieser Taten gehabt habe. Rechtsprofessorin Elisa Hoven nimmt dies im FAZ-Einspruch zum Anlass, "grundlegende Fehlannahmen" offen zu legen. Zum einen sei eine Evaluierung der Präventionswirkung von Strafnormen ohne vergleichende Untersuchung des Dunkelfeldes nicht möglich. Zum anderen beschränke sich der Zweck dieser Normen – wie auch die Legitimation der Verschärfung von Strafgesetzen – keineswegs auf die Prävention. So kommuniziere der Gesetzgeber auch gegenüber Tätern, Opfern und der Öffentlichkeit, welches Gewicht er bestimmten Delikten beimisst.

Das Letzte

Outsourcing: Wohl eher den Fluch der Auslagerung ureigenster Aufgaben an private Dienstleister erlebt die Berliner Polizei: Seit Beginn des Jahrzehnts werden Liegenschaften der Hauptstadtpolizei von privaten Sicherheitsfirmen beschützt, in der Zeit fanden mehr als 40 Einbrüche statt. bild.de (Ole Kröning/Jörg Bergmann) berichtet nun von einer mutmaßlichen Brandstiftung auf einem Sicherstellungsgelände, der elf Fahrzeuge zum Opfer fielen.

 

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lto/mpi

(Hinweis für Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. Oktober 2020: Lockdown 2.0? / BRAK gegen Legal Tech / Verschobener CDU-Parteitag . In: Legal Tribune Online, 28.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43235/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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