Die juristische Presseschau vom 28. September 2018: Ermitt­lungen gegen Bun­des­po­li­zei­chef / Kava­naugh vor US-Jus­ti­z­aus­schuss / Juris­tentag zu Asyl­ver­fah­rens­recht

28.09.2018

Rund um den Fall Susanna wird gegen Bundespolizeikräfte ermittelt. Außerdem in der Presseschau: Anschuldigungen gegen Richter-Kandidat Kavanaugh vor dem US-Justizausschuss und der DJT fordert Reform des Asylverfahrensrechts.

Thema des Tages

StA Frankfurt/M. – Ermittlungen gegen Bundespolizeiangehörige: Der tatverdächtige Ali B., der die 14-jährige Susanna F. aus Mainz vergewaltigt und getötet haben soll, war im Juni ins nordirakische Erbil geflohen. Ohne dass ein Auslieferungsersuchen des Auswärtigen Amtes vorlag, wurde er dort von kurdischen Sicherheitskräften festgenommen und am Flughafen an Bundespolizisten, darunter Bundespolizeichef Dieter Romann, übergeben. Gegen diesen und zehn weitere im Irak anwesende Polizeibeamte, darunter Mitglieder der Spezialeinheit GSG9, wird nun aufgrund des fehlenden Auslieferungsersuchens seitens der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Main wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung ermittelt. Bereits im Juni hatte es diesbezügliche Strafanzeigen gegeben, die Staatsanwaltschaften Wiesbaden und Potsdam hatten sich jedoch für nicht zuständig erklärt. Da die Lufthansa-Maschine in Frankfurt landete, ist nun Frankfurt zuständig. Es berichten taz.de (Konrad Litschko) und spiegel.de.

Rechtspolitik

DJT – Rechtsempfinden und Asylverfahrensrecht: Die FAZ (Constantin van Lijnden/Alexander Haneke) beobachtet auf dem 72. Deutschen Juristentag die Diskussion um das Auseinanderdriften von Recht und Rechtsempfinden angesichts des Falles Sami A., der bayerischen Staatsregierung in der Umsetzung von Diesel-Fahrverboten und der Räumung des Hambacher Forsts, aber auch in Bezug auf die "Straferwartungen der Bevölkerung". Außerdem berichten sie von den rechtspolitischen Entscheidungen in den Fachsektionen: So habe sich die Sektion öffentliches Recht für eine Erweiterung der Rechtsmittel im Asylverfahren ausgesprochen und dafür, dass das Bundesverwaltungsgericht künftig auch über Tatsachenfragen entscheiden können soll.

DJT – Musterfeststellungsklage: Wie die FAZ (Hendrik Wieduwilt) berichtet, fordert der Deutsche Juristentag im Verbraucherschutz ein wesentlich schärferes Instrument als die von der großen Koalition beschlossene und ab November anwendbare Musterfeststellungsklage. Insbesondere die zu erwartende lange Dauer der Verfahren wird bemängelt, da die zuständigen Oberlandesgerichte nur bestimmte Tatsachen gerichtlich feststellen können und jeder Betroffene im Anschluss selbst vor Gericht seinen individuellen Ersatzanspruch geltend machen muss. Außerdem sollte die Musterfeststellungsklage auch zugunsten von Unternehmern gelten.

Aktionärsrechte: Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf zur zweiten EU-Aktionärsrechterichtlinie, die bis Juni 2019 umgesetzt sein muss, vorgelegt, so das Hbl (Heike Anger/Dietmar Neuerer/Anke Rezmer). Dabei sollen Anleger bei der Festlegung von Managergehältern in börsennotierten Unternehmen mehr Mitsprache, mindestens alle vier Jahre, erhalten und es soll in der Hauptversammlung über die Gehälter abgestimmt werden.

Justizministerin Barley: Der lto-Redakteur Hasso Suliak reflektiert in einem Gastbeitrag für das Anwaltsblatt die bisherige Amtszeit von Bundesjustizministerin Katarina Barley, die weitgehend unspektakulär verlaufen sei. Barley habe wenig Mut im Hinblick auf den Whistleblower-Schutz, die Anerkennung des dritten Geschlechts und die Reform des § 219 a StGB gezeigt. Die "Feuerprobe" käme nun in Gestalt des Pakts für den Rechtsstaat, in dessen Rahmen die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, um Strafverfahren zu beschleunigen, die Stellung der Strafverteidiger schwächen will.

Ehrensold: Der Bundesrechnungshof hat die Versorgungsregeln für Altbundeskanzler kritisiert, da diese in keinem Amts- und Dienstverhältnis mehr stünden. Die unbefristete Bereitstellung von Chauffeuren, Büros und Mitarbeitern sei grundsätzlich zu hinterfragen, meldet die FAZ. Reinhard Müller (FAZ) kommentiert dies so, dass sich die Altkanzler zwar qua Amt ein großzügiges Auskommen verdient hätten, ihnen das Amt aber auch lukrative Anschlussjobs ermögliche und bezieht dies insbesondere auf Gerhard Schröder.

Justiz

BGH zu Kachelmann: Der Bundesgerichtshof hat mit einem jetzt bekannt gewordenen Beschluss vom 23. Juli 2018 eine Nichtzulassungsbeschwerde des Springer-Verlages gegen ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln aus dem Jahr 2016 zurückgewiesen. Damit wurde die OLG-Entscheidung rechtskräftig, die eine Entschädigung Kachelmanns in Höhe von 170.000 Euro vorsieht. Konkret ging es um Veröffentlichungen in der Online-Ausgabe der Bild-Zeitung im Rahmen des Vergewaltigungsprozesses gegen Kachelmann, der im Jahr 2011 mit einem Freispruch endete. Lediglich hinsichtlich eines Betrags von 10.000 Euro für ein Foto von Kachelmann vor einer Rechtsanwaltskanzlei ließ der BGH die Revision zu. Es berichtet die FAZ.

BVerwG zu ÖPNV: Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass eine zweistündige Fährfahrt zwischen der Insel Borkum und Emden als Nahverkehr zählt und damit gemäß dem Schwerbehindertenrecht für Betroffene kostenlos ist. Das Verwaltungsgericht Oldenburg hatte in erster Instanz einen Anspruch des Klägers abgelehnt: Nahverkehr mit Wasserfahrzeugen sei nur anzunehmen, wenn es um im Alltag anfallende Bewältigung von Entfernungen gehe wie Wege von und zur Arbeitsstätte oder einem Supermarkt. Das BVerwG argumentierte nun mit dem Wortlaut des Gesetzes dagegen: Die Gemeinden Borkum und Emden seien wirtschaftlich derart verbunden, dass noch von einem Nachbarschaftsbereich im Sinne des Gesetzes gesprochen werden könne, so lto.de.

EGMR zu tunesischem Gefährder: Der als Gefährder nach Tunesien abgeschobene Haikel S. ist mit seiner Beschwerde gegen die Bundesrepublik vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert, melden lto.de und SZ. Er machte geltend, dass ihm in seinem Heimatland die Todesstrafe drohe, der Gerichtshof ging allerdings davon aus, dass die Todesstrafe durch den Präsidenten in eine lebenslange Haftstrafe gewandelt würde und die reale Möglichkeit bestünde, dass er vorzeitig aus der Haft entlassen würde. Daher habe Deutschland nicht die Rechte des Mannes durch die Abschiebung verletzt.

BSG zu Wolgadeutschen: Das Bundessozialgericht hat im Fall eines Mannes entschieden, dessen Eltern Wolgadeutsche waren und 1941 nach Kasachstan in eine Siedlung nahe des Atomwaffentestgeländes der Sowjetunion zwangsumgesiedelt wurden, wo bis 1991 nukleare Bombentests durchgeführt wurden. Das BSG entschied, dass der Mann aufgrund seiner Volkszugehörigkeit zu dem berechtigten Personenkreis des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes gehöre und daher grundsätzlich Entschädigungsansprüche bestehen könnten, ohne jedoch einen konkreten Anspruch festzustellen, da die Vorinstanz nicht über das Vorliegen einer tatsächlichen Gesundheitsschädigung entschieden hatte, so lto.de.

BVerfG – Parteienfinanzierung: Die FAZ meldet, dass FDP, Grüne und Linke gemeinsam vor dem Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Normenkontrolle gegen die beschlossene Erhöhung der staatlichen Parteienfinanzierung gestellt haben. Sie rügen u.a., dass die große Koalition nicht den Begründungspflichten für eine solche Erhöhung nachgekommen sei.

LG Duisburg  Loveparade: Im Loveparade-Verfahren vor dem Landgericht Duisburg haben die Nebenkläger einen Brandbrief an den Landesjustizminister Peter Biesenbach gerichtet, berichtet spiegel.de (Christian Parth). Sie befürchten, dass das Verfahren unter Geldauflagen eingestellt wird, sofern Gericht, Verteidiger und Staatsanwaltschaft zustimmen, da bisher keine nennenswerten Sachfragen aufgeklärt werden konnten und im Juli 2020 bereits die Verjährung droht.

AG Chemnitz zu Hitlergruß: Laut spiegel.de hat das Amtsgericht Chemnitz einen weiteren Demonstrationsteilnehmer wegen Zeigen des Hitlergrußes im beschleunigten Verfahren zu einer Geldstrafe in Höhe von 4.200 Euro verurteilt.

VW-Diesel-Skandal: Die VW-Chefs sollen schon Ende Juli 2015 konkret über drohende Strafzahlungen in Höhe von 22,5 Milliarden Dollar informiert worden sein, wie aus dem privaten Mailwechsel eines 55-jährigen Chef-Ingenieurs mit seiner Sekretärin hervorgeht; dieser ist Beschuldigter im Diesel-Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Die Anwälte von VW sagen, bis zum 18. September 2015 habe es keine kursrelevanten Informationen gegeben, so das Hbl (René Bender/Sönke Iwersen/Volker Votsmeier).

Ex-Ministerpräsident Roland Koch ist in einem Gastbeitrag für die FAZ der Auffassung, dass skandalöser Betrug und Regulierungsversagen gleichermaßen zu dem Dieselskandal geführt hätten. Am Anfang habe die Einführung von verpflichtenden Abgasnormen auf europäischer Ebene gestanden, die schon lange an der oberen Grenze des technisch Machbaren gestanden hätten; das juristische Grundkonzept sei eine Einladung zur Manipulation gewesen. Wie Rechtsanwaltkanzleien vom Diesel-Skandal profitieren, kommentiert Marcus Jung (FAZ).

Recht in der Welt

USA – Richterwahl: Christine Blasey Ford hat vor dem Justizausschuss des US-Senats dazu ausgesagt, dass der von Donald Trump als Supreme Court-Richter nominierte Brett Kavanaugh versucht habe, sie zu vergewaltigen. Der Fall soll sich Anfang der achtziger Jahre ereignet haben, als beide in Washington zur Schule gingen. Die FAZ (Majid Sattar) berichtet ausführlich und zieht Parallelen zu der Aussage der Juristin Anita Hill, die 1991 George H.W. Bushs Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, beschuldigte, sie sexuell belästigt zu haben und ebenfalls vor dem Justizausschuss aussagte. Trump stellte sich grundsätzlich weiter hinter seinen Kandidaten, hat aber erstmals geäußert, Kavanaugh als Kandidaten möglicherweise zurückzuziehen, nachdem inzwischen eine dritte Frau behauptet, dieser habe sie sexuell genötigt. Kavanaugh selbst wies die Anschuldigungen vor dem Justizausschuss zurück. Es berichten SZ (Hubert Wetzel) und spiegel.de.

Indien – Ehebruch: Der Oberste Gerichtshof Indiens hat ein 158 Jahre altes Gesetz, das Ehebruch unter Strafe stellt, für nicht verfassungsmäßig erklärt. Danach konnte der Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und der Ehefrau eines anderen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden, wenn der Ehemann der Frau nicht einverstanden war. Der Kläger hatte gerügt, das Gesetz verstoße gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau, weil die Frau als Eigentum des Mannes betrachtet werde, meldet taz.de.

EGMR – Push-Backs: Über die Verhandlung der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den spanischen Sofort-Zurückweisungen von Migranten, die die Zäune der spanischen Exklave Melilla überklettert haben, berichtet jetzt ausführlich auch lto.de (Christian Rath).  Es deute sich nicht an, dass die Große Kammer des EGMR einen einstimmigen Kammerbeschluss vom Oktober 2017 aufheben wird, in dem die Pushbacks als verbotene Massenausweisung eingestuft wurden.

EGMR  Öcalan: Der in der Türkei inhaftierte Anführer der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, ist vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gescheitert. Nach Ansicht des Gerichts konnte er nicht ausreichend belegen, dass er 2008 während einer Durchsuchung seiner Zelle misshandelt wurde, so lto.de.

Österreich – "Bienenmörder": Das Landesgericht Klagenfurt hat eine 12-monatige* Haftstrafe gegen einen Landwirt verhängt, der durch Verwendung des Insektizids Chlorpyrifos cirka 800.000 Bienen getötet hat, meldet die SZ (Peter Münch).

Sonstiges

BfV verschickt "Korrekturbitten": Das Bundesamt für Verfassungsschutz unter der Führung von Präsident Hans-Georg Maaßen soll seit 2016 an sieben Medienhäuser anwaltliche Briefe verschickt haben, in welchen um eine Korrektur unwahrer Tatsachenbehauptungen gebeten wurde, meldete laut lto.de (Markus Sehl) das Innenministerium.

Leiharbeit: Die Überlassungshöchstdauer von Leiharbeitern an einen Leiharbeitnehmer läuft zum 1. Oktober 2018 erstmals aus, nachdem das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz am 1. April 2017 in Kraft getreten ist. Anwalt Werner Thienemann erläutert auf lto.de, was Verleiher, Entleiher und Arbeitnehmer ab sofort zu beachten haben.

Erdoğan-Besuch: Anlässlich des Besuchs des türkischen Präsidenten in Deutschland haben der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Richterbund gefordert, zu rechtsstaatlichen Prinzipien, einer unabhängigen Justiz und einer freie Presse zurückzukehren, da dies eine unabdingbare Voraussetzung für einen Dialog mit der Türkei sei, so lto.de.

 

*Länge der Haftstrafe korrigiert, 28.09.2018, 10:07

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lto/cc

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. September 2018: Ermittlungen gegen Bundespolizeichef / Kavanaugh vor US-Justizausschuss / Juristentag zu Asylverfahrensrecht . In: Legal Tribune Online, 28.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31199/ (abgerufen am: 19.04.2024 )

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