Erneut siegt ein Rammstein-Mitglied in einem Streit über Verdachtsberichterstattung. BVerwG billigte Disziplinarmaßnahmen gegen einen Aktivisten der identitären Bewegung. BGH verhandelt heute über Rechtsbeugung eines Weimarer Amtsrichters.
Thema des Tages
OLG Hamburg zu Rammstein-Berichterstattung: Das Hanseatische Oberlandesgericht hat in einem LTO vorliegendem Urteil von Anfang Juli im Eilverfahren einen Artikel der Süddeutschen Zeitung aus dem Juli 2023 über den Verdacht eines sexuellen Übergriffs bei einer Rammstein-Aftershowparty 1996 in Bezug auf den Rammstein-Schlagzeuger Christoph Schneider als offensichtlich unzulässig eingestuft. Der SZ-Artikel über einen Vorfall in Gera habe durch die Wiedergabe einer Stellungnahme Schneiders den Verdacht auch auf den Schlagzeuger gelenkt, obgleich dessen Beitrag nach Einschätzung der vermeintlich Geschädigten allenfalls marginal gewesen sei. Die Zeitung hätte ausdrücklich deutlich machen müssen, dass kein Verdacht gegen den Schlagzeuger besteht. Auch im Übrigen habe die SZ ihre eigenen Rechercheergebnisse einseitig zulasten der Bandmitglieder zusammengefasst. Bemerkenswert sei die gerichtliche Feststellung, an den geschilderten Vorgängen bestehe auch nach über 25 Jahren wegen der inzwischen erhobenen neuen Vorwürfe gegen die Bandmitglieder ein “ganz erhebliches öffentliches Interesse”, so die Analyse von LTO (Felix W. Zimmermann). Dies sei auch für das von Sänger Till Lindemann betriebene Parallelverfahren beachtlich. Es könnte sich das Dilemma ergeben, dass zwar ein öffentliches Interesse bestehe, aber nicht berichtet werden darf, weil die tatbestandlichen Anknüpfungspunkte auch im Fall Lindemann nicht für eine Verdachtsberichterstattung ausreichen.
Rechtspolitik
Asyl: Bei einem Treffen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) wurden Gemeinsamkeiten beim Versuch, illegale Zuwanderung zu begrenzen, ausgelotet. Der Unionspolitiker habe dabei vorgeschlagen, im Verbund mit der SPD (ohne die übrigen Koalitionsmitglieder Grüne und FDP) beschlussfähige Parlamentsvorlagen schon für die nächste Woche zu erarbeiten. Es berichten u.a. FAZ (Marlene Grunert u.a.) und SZ (Daniel Brössler/Paul-Anton Krüger). Die im Raum stehenden, vielfältigen Vorschläge fasst die SZ (Wolfgang Janisch u.a.) in Frage-und-Antwort-Form zusammen. Reaktionen, u.a. von Justizminister Marco Buschmann (FDP), fasst LTO zusammen. Einen generellen Aufnahmestopp für Menschen aus Syrien oder Afghanistan sehe er als "rechtliches Problem".
Nach Meinung von Reinhard Müller (FAZ) ist der Bundeskanzler in der Pflicht zu handeln, hierzu verpflichte ihn das Recht, das "hier keine Ausrede" biete. Constanze von Bullion (SZ) dagegen wirft dem Oppositionsführer vor, "auf Solingen genau so reagiert" zu haben, "wie von Islamisten erwünscht." So zu tun, als ob lediglich politische Härte fehle, sei irreführend und gefährlich. Dominic Johnson (taz) konzentriert sich in seinem Kommentar auf die Idee, Abschiebungen etwa nach Syrien vorzunehmen. Dies vorzuschlagen, offenbare eine profunde Unkenntnis über die Zustände im Land, für die der Westen Mitverantwortung trage, indem man Machthaber Assad "letztlich immer gewähren" ließ.
BKA: Im Interview mit netzpolitik.org (Constanze Kurz) formulieren David Werdermann und Simone Ruf von der Gesellschaft für Freiheitsrechte verfassungsrechtliche Kritik an der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) beabsichtigten Novelle des BKA-Gesetzes, die dem BKA neue weitreichende Befugnisse, etwa zu heimlichen Wohnungsdurchsuchungen, einräumen will.
Bauplanung: Das von Klara Geywitz (SPD) geleitete Bundesbauministerium hat den Referentenentwurf für die Novelle des Baugesetzbuches vorgelegt, über den in der kommenden Woche das Kabinett abstimmen soll. Die Bau- und Immobilienwirtschaft gab in ersten Stellungnahmen eine "vernichtende" Kritik, so das Hbl (Heike Anger). So sei etwa der im Entwurf enthaltende Wegfall planungsrechtlicher Vorgaben für Verdichtungen zwar sinnvoll, im Ergebnis aber nicht weitgehend genug.
Justiz
BVerwG zu Identitäre Bewegung und Bundeswehr: Wer in Deutschland für die Identitäre Bewegung aktiv ist, verletzt die im Soldatengesetz normierte Pflicht zur Verfassungstreue. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht in einem nun veröffentlichten Urteil bereits Mitte April. Die der identitären Ideologie wesenseigene Zuschreibung ethnisch-kultureller Identitäten führe zu einer gleichheitswidrigen Unterscheidung von Deutschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Darüber hinaus vertrete die Bewegung ein auf Carl Schmitt zurückzuführendes Demokratieverständnis und mache Parlamentarismus und Mehrparteiensystem verächtlich. All dies sei dem früheren Oberleutnant der Reserve bewusst gewesen. Die gegen ihn von einem Truppendienstgericht verhängten Disziplinarmaßnahmen - er darf keinen militärischen Dienstgrad mehr führen und bekommt keine Übergangszahlungen mehr - sind damit bestandskräftig. Laut LTO (Max Kolter) war dies die "disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme" für einen bereits ausgeschiedenen Soldaten.
BGH – Weimarer Familienrichter: Am heutigen Mittwoch wird sich der Bundesgerichtshof mit der Verurteilung des Weimarer Amtsrichters Christian Dettmar, der 2021 in einem Kindesschutzverfahren Corona-Maßnahmen an Weimarer Schulen untersagte, wegen Rechtsbeugung befassen. Als Familienrichter habe er die verfassungsrechtlich gebotene richterliche Unabhängigkeit aus sachfremden Motiven missachtet, fasst LTO (Tanja Podolski) die Feststellungen des Landgerichts Erfurt zusammen, das den Richter zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilte. In der Revision gehe es vor allem darum, ob Familiengerichte für Anordnungen gegenüber Behörden zuständig sein können sowie ob sich der Richter deshalb proaktiv mit dem Sachverhalt beschäftigen musste, weil Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung von Amts wegen eingeleitet werden. Das LG hatte die Tatsache, dass Dettmar von sich aus Kontakt zu möglichen Kläger:innen aufnahm, als Zeichen seiner Voreingenommenheit und als Beweis für eine Rechtsbeugung gewertet.
BVerfG zu Bundestags-Wahlrecht: Wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis hat das Bundesverfassungsgericht zwölf Individual-Verfassungsbeschwerden gegen das 2023 beschlossene neue Bundestags-Wahlrecht nicht zur Entscheidung angenommen. Die in den Beschwerden aufgeworfenen Fragen, etwa zur Zweitstimmendeckung, seien im Urteil vom 30. Juli bereits hinreichend geklärt worden, so das Gericht laut FAZ (Marlene Grunert) und beck-aktuell.
BGH zu Mord an Ayleen: Die vom Mörder der 14-jährigen Ayleen eingelegte Revision ist vom Bundesgerichtshof größtenteils verworfen worden, berichtet beck-aktuell. Gleichwohl müsse das Landgericht Gießen erneut über die Verurteilung wegen des Sicherverschaffens kinderpornographischer Inhalte – zulasten einer anderen Geschädigten – verhandeln, da der Bundestag diesbezüglich in der Zwischenzeit eine Strafrahmenabsenkung beschlossen hatte. Die dann zu verhängende Gesamtfreiheitsstrafe werde sich angesichts des festgestellten Mordes jedoch nicht ändern.
BVerwG zu Compact-Verbot: In einer Besprechung des Compact-Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts legt der emeritierte Rechtsprofessor Karl-Heinz Ladeur im Verfassungsblog dar, dass das in Gestalt eines Vereinsverbots ergangene Verbot der rechtsradikalen Zeitschrift "nicht weniger als ein Formenmissbrauch" sei. Aus gutem Grund kenne das geltende Recht ein generelles Zeitungsverbot nicht. Immerhin denkbare pressespezifische Regelungen begegneten zahlreichen Problemen.
LG Bremen – Volksverhetzung durch Pastor: Im mittlerweile vierten Anlauf wird das Landgericht Bremen ab diesem Mittwoch über die Strafbarkeit homosexuellenfeindlicher Äußerungen des evangelikalen Pastors Olaf Latzel verhandeln. Zuletzt hatte das Oberlandesgericht Bremen als Revisionsgericht im vergangenen Jahr einen Freispruch des Landgerichts wegen Begründungsmängeln und mangelndem Schutz der Menschenwürde aufgehoben. Das Verfahren ist auf vier Verhandlungstage angesetzt. LTO (Eckhard Stengel) berichtet vorab.
AG Stuttgart zu anwaltlicher Vergütung: Auch bei der beigeordneten Betreuung von Abschiebungsmandaten besteht ein anwaltlicher Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse. Dies entschied das Amtsgericht Stuttgart bereits Anfang Juli unter Verweis auf die Auffangnorm des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes. beck-aktuell berichtet.
AG Berlin-Tiergarten zu Klimaprotest: Am Berliner Amtsgericht Tiergarten ist ein 65-jähriges Mitglied der "Letzten Generation" wegen Nötigung in 40 Fällen zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden. Laut bild.de (Anne Losensky) ist dies die bisher längste Haftstrafe wegen Sitzblockaden aus Klimaschutzgründen.
ArbG Bonn zu Ulrike Guerot: Bereits Ende April wies das Arbeitsgericht Bonn die Kündigungsschutzklage der vormaligen Politikprofessorin Ulrike Guerot ab. In der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung stellte das Gericht fest, dass die Politikwissenschaftlerin die Universität Bonn im Bewerbungsverfahren über die wissenschaftliche Redlichkeit einer ihrer Publikationen getäuscht habe. In einer ausführlichen Darstellung schreibt die FAZ (Jochen Zenthöfer) im Feuilleton über die "überzeugende, lehrbuchmäßig durchgeführte juristische Prüfung" des ArbG, das darauf bestanden habe, dass auch populärwissenschaftliche Werke wissenschaftlichen Mindeststandards zu entsprechen hätten.
VG Weimar zu AfD im Verfassungsschutzbericht: Am Verwaltungsgericht Weimar ist der Landesverband der thüringischen AfD mit dem Anliegen gescheitert, drei Passagen des Verfassungsschutzberichts 2021 zu streichen. Die beanstandeten Aussagen betrafen Social-Media-Beiträge von Landeschef Björn Höcke und dessen Stellvertreter Stefan Möller. Das Landesamt habe die Aussagen jedoch zutreffend wiedergegeben und auch nicht sinnentstellend eingeordnet. LTO und Welt (Frederik Schindler) berichten.
In einem separaten Kommentar erinnert Frederik Schindler (Welt) an verschiedene Äußerungen Höckes. Diese belegten dessen geschichtsrevisionistische Haltung, bei der es "fatal" wäre, hätte der Verfassungsschutz sie nicht im Blick. Gleichwohl bleibe angesichts der bevorstehenden Wahl im Freistaat ein ungutes Gefühl über den Termin der Urteilsverkündung.
VG Köln zu 5G-Auktion: Nach Urteil des Verwaltungsgerichts Köln sind die von der Bundesnetzagentur aufgestellten Regeln für die 5G-Mobilfunkauktion im Jahr 2019 rechtswidrig zustande gekommen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) habe unzulässig auf die zuständige Präsidentenkammer der unabhängigen Behörde eingewirkt. Es sei zu einem Deal gekommen, dass die Bundesnetzagentur von den Netzbetreibern zwar harte Ausbauziele verlangte, die Vorgaben zur Netzvermietung aber milde waren. FAZ (Jonas Jansen), LTO und beck-aktuell berichten.
Sondergerichtssäle: Großverfahren wie der Strafprozess gegen Mitglieder der Gruppe Reuß tagen in eigens hergerichteten Örtlichkeiten. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Paul Nicklas kritisiert auf dem JuWissBlog den Trend zu "Sondergerichtssälen", weil hiermit "ein Bild von Notlösungen" geboten werde. Dies gefährde letztlich die Akzeptanz von Entscheidungen. Bei großem Publikumsandrang sei es vorzugswürdig, wenn Gerichte in konsequenter Anwendung von § 169 Abs. 1 Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz separate Presseräume schaffen.
Recht in der Welt
Frankreich – Pawel Durow: Nach der Festnahme von Telegram-Chef Pawel Durow melden sich Unterstützter:innen Durows zu Wort. Auch das russische Außenministerium habe eine Stellungnahme abgegeben und nahegelegt, dass die Festnahme auf Durows Staatsangehörigkeit beruht. Dies berichten u.a. FAZ (Yelizaveta Landenberger) und Welt (Pavel Lokshin). Dem widerspricht Clemens Wergin (Welt). Telegram lehne weiterhin "jegliche Auskunft selbst über schwere Verbrechen ab" und stehe somit exemplarisch "für verantwortungslosen Wildwuchs." Die Plattform arbeite durchaus mit Behörden zusammen, erinnert Anna Biselli (netzpolitik.org). Zudem sei die französische Regelung, nach der Krypto-Dienste vor Bereitstellung angemeldet werden müssen, "fatal" für ein demokratisches Land. Es bleibe zu fragen, ob es "andere Möglichkeiten als eine Festnahme" gegeben hätte, um der "erratischen" Geschäftspolitik von Telegram Herr zu werden. Die DSA-Verordnung etwa biete einen nützlichen Instrumentenkasten, um Plattformen in die Verantwortung zu nehmen.
USA – Donald Trump/Dokumente: Der Sonderermittler Jack Smith hat seine Berufung gegen die Verfahrenseinstellung in der Dokumentenaffäre des frühereren US-Präsidenten Donald Trump begründet. Die von der Richterin mit Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seiner Einsetzung begründete Einstellung laufe der "weit verbreiteten und langjährigen Ernennungspraxis" von Sonderermittlern zuwider, zitiert beck-aktuell Smiths Antrag. Auch im Erfolgsfall sei ein Prozess noch vor der Präsidentschaftswahl im November praktisch ausgeschlossen.
Juristische Ausbildung
Jurastudium: Auf beck-aktuell kritisieren Benjamin-Immanuel Hoff und Nora Düwell, Chef der Thüringer Staatskanzlei sowie Referatsleiterin im Thüringer Justizministerium, den Entscheidungsfindungsprozess der Jumiko, die bei ihrer Frühjahrstagung feststellte, dass ein grundlegender Reformbedarf der juristischen Ausbildung nicht bestehe. Schon die Tatsachengrundlage dieses Beschlusses – 90 strukturierte Interviews – sei angesichts vielfältiger Studien und Stellungnahmen von Interessenverbänden fragwürdig. Dass Reformbedarf herrsche, sei "unabweisbar".
Sonstiges
Großveranstaltungen und Reinigungspflicht: Im FAZ-Einspruch erklärt Rechtsanwalt Manfred Wichmann die Rechtslage bei der Reinigungspflicht im Zusammenhang mit öffentlichen Großveranstaltungen wie zum Beispiel des jüngsten "Rave the Planet" in Berlin. Auch wenn der Love Parade-Nachfolger als Demonstration angemeldet wurde, entbinde das die Veranstalter nicht von der Pflicht, vermeidbare Verschmutzungen der Straßen zu unterlassen. Wird dieser Pflicht nicht nachgekommen, können die Kosten der Reinigung in Rechnung gestellt werden. Dass dies vielfach unterbleibt, sei auf die "Subventionsmentalität bestimmter kommunaler Gebietskörperschaften" zurückzuführen.
Nichterreichbarkeit: Aus Anlass des soeben in Australien verabschiedeten Gesetzes über ein "Recht auf Nichterreichbarkeit" schreibt die FAZ (Marcus Jung/Benjamin Wagener) über die hiesige Rechtslage. Das Arbeitszeitgesetz begrenze die tägliche Arbeitszeit auf acht Stunden und sehe darüber hinaus auch eine elfstündige Ruhepause zwingend vor. Zudem seien Fragen etwa zum Bereitschaftsdienst höchstgerichtlich entschieden.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/mpi/chr
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Die juristische Presseschau vom 28. August 2024: . In: Legal Tribune Online, 28.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55285 (abgerufen am: 11.11.2024 )
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